Sozialgericht Lüneburg
v. 08.03.2010, Az.: S 15 SB 157/07

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
08.03.2010
Aktenzeichen
S 15 SB 157/07
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2010, 47840
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage gegen den Bescheid vom 12. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Rechtsstreit im Wesentlichen um die ordnungsgemäße Durchführung von Sozialverwaltungsverfahren anlässlich verschiedener Neufeststellungsanträge des Klägers und um die Höherbewertung der bei ihm vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen nach den Bestimmungen des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

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Bei dem im Februar 1943 geborenen - also derzeit 67 Jahre alten - nicht mehr erwerbstätigen Kläger stellte der Beklagte mit zuletzt bindend gewordenem Teilanerkenntnis vom 04. März 2004 (sozialgerichtliches Verfahren bei dem Sozialgericht Lüneburg, Aktenzeichen: S 15/3 SB 132/00) einen GdB von 30 sowie die dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ab Dezember 1999 fest.

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Grundlage dieser Feststellung waren folgende dauernde Funktionsbeeinträchtigungen:

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- Verbiegung und Verschleiß der Wirbelsäule mit Fußheberschwäche links nach Bandscheibenvorfall.

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Mit Schreiben vom 11. Januar 2005 wandte sich der Kläger an das Versorgungsamt Verden und beantragte die Anerkennung als Schwerbehinderter mit der Bitte das Antragsformular zu übersenden. Ausweislich eines Aktenvermerks ist eine Versendung dieses Formulars auch erfolgt, ohne dass dieses - nach den Angaben des Klägers - zeitnah bei ihm eingegangen ist.

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Mit Formularantrag vom 30. August 2006 beantragte der Kläger (erneut) die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung, verneinte jedoch die Frage nach der Ausstellung eines Ausweises für schwerbehinderte Menschen. In dem Antrag gab er an, die Fußheberschwäche links und die Beschwerden im Sprunggelenk links, die chronischen Wirbelsäulenbeschwerden, die rezidivierenden Schmerzen im Kopf und im Nacken hätten sich wesentlich verschlimmert. Darüber hinaus seien Gesundheitsstörungen im Darm, im Schultergelenk rechts, in der Hüfte und im Bereich der Halswirbelsäule hinzugetreten.

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Nach Einholung und Auswertung verschiedenen Befundmaterials lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 02. November 2006 den Neufeststellungsantrag vom 30. August 2006 unter Berufung auf eine ärztliche Stellungnahme seines medizinischen Dienstes vom 15. Oktober 2006 ab.

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Hiergegen erhob der Kläger am 21. November 2006 Widerspruch, den er u. a. damit begründete, dass bislang noch nicht einmal über seinen Antrag vom 11. Januar 2005 entschieden worden sei. Nach weiterer Korrespondenz zwischen den Beteiligten beauftragte der Beklagte am 06. Februar 2007 die Dres. C. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens nach ambulanter Untersuchung des Klägers, der den entsprechenden Untersuchungstermin jedoch nicht wahrnahm, weil dieser nach Auffassung des Klägers wegen seiner aktuell andauernden Behandlung nicht sinnvoll erscheine.

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Im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens erteilte der Beklagte dem Kläger auf seinen formlosen Antrag vom 11. Januar 2005 und seinen Formularantrag vom 30. August 2006 unter dem 12. April 2007 einen Bescheid, mit dem er die Anträge auf Neufeststellung ablehnte und gleichzeitig den Ablehnungsbescheid vom 02. November 2006 zurücknahm.

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Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. Mai 2007 Widerspruch, den er u. a. mit einer nicht sachgerechten Amtsaufklärung begründete. Im Übrigen wies er darauf hin, dass er aufgrund fortdauernder Behandlung noch nicht zu einer Untersuchung durch einen Sachverständigen zur Verfügung stehen könne.

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Mit weiterem Schreiben vom 11. Juli 2007 beauftragte der Beklagte erneut die Dres. C. mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers. Auf eine entsprechende Ladung zum Untersuchungstermin am 11. September 2007 teilte der Kläger telefonisch mit, er werde sich einer Untersuchung nur unterziehen, wenn der Bescheid vom 12. April 2007 aufgehoben werde, weil die Untersuchung und Begutachtung vor Erteilung eines Bescheides zu erfolgen habe. Im Übrigen befinde er sich nach wie vor in Behandlung, so dass eine Begutachtung nach seiner Auffassung unzweckmäßig erscheine.

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Hierauf wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung führt er aus, es lägen keine Unterlagen vor, die den Schluss zuließen, dass eine höhere Bewertung der dauernden Funktionsbeeinträchtigungen gerechtfertigt wäre. Da ferner eine Untersuchung und Begutachtung nicht habe erfolgen können, habe eine Entscheidung nach Lage der Akten ergehen müssen.

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Hiergegen hat der Kläger am 16. September 2007 bei dem Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 12. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 weiterverfolgt, die mangelhafte Sachverhaltsaufklärung durch den Beklagten rügt und einen höheren Gesamt-GdB jedenfalls seit dem Jahre 2004 begehrt.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),

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den Bescheid des Beklagten vom 12. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm jedenfalls seit 2004 die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines höheren Gesamt-GdB als 30 festzustellen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, durch die Verweigerungshaltung des Klägers, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, habe eine Sachverhaltsaufklärung nicht erfolgen können. Ein Verstoß gegen formelles Recht, der zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen führen könnte, sei nicht ersichtlich. Im Übrigen stehe dem Kläger ohnehin ein höherer Gesamt-GdB als 30 zu keinem Zeitpunkt zu.

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Das Gericht hat zur weiteren medizinischen Sachverhaltsaufklärung neben der Anforderung von Befundberichten bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. med. D. vom 03. März 2009 und der Gemeinschaftspraxis der Dres. E. vom 17. März 2009 ein orthopädisches Sachverständigengutachten bei dem Arzt für Orthopädie, Chirotherapie und Physikalische Therapie Herrn Dr. med. F. eingeholt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige bewertete die bei dem Kläger vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen in seinem fachorthopädischen Sachverständigengutachten vom 18. September 2009 im Bereich der Wirbelsäule, im Bereich des linken Beines und des linkes Fußes sowie im Bereich des rechten Schultergelenkes mit einem Gesamt-GdB von 30 und hielt weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung nicht für erforderlich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen des Sachverständigen Bezug genommen.

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Die Kammer hat die Beteiligten mit ihrer Verfügung vom 07. Januar 2010 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

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Zur weiteren Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die anlässlich des Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 08. Juli 2008 gefertigte Sitzungsniederschrift, ferner auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozessakten, die Vorprozessakten zu den Aktenzeichen S G. und S H. sowie die den Kläger betreffenden Schwerbehinderten-Akten zum Aktenzeichen I. ergänzend Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage, über die die Kammer gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden kann, weil die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidungsform vorher ordnungsgemäß angehört wurden, hat keinen Erfolg. Sie ist teilweise unzulässig; im Übrigen ist sie unbegründet.

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Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007, mit dem der Beklagte die Neufeststellungsanträge des Klägers vom 11. Januar 2005 und vom 30. August 2006 ablehnte sowie den ursprünglichen Ablehnungsbescheid vom 02. November 2006 zurücknahm. Schließlich ist gemäß § 96 SGG auch Streitgegenstand der den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 16. Januar 2009 ablehnende Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2009, weil sich der gerichtliche Beurteilungszeitraum bis zum Tag der gerichtlichen Entscheidung erstreckt.

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Soweit der Kläger nach seinem - insoweit diffusen - Vorbringen zunächst (nach wie vor) die Bescheidung seines Antrages vom 11. Januar 2005 begehrt, geht die Kammer davon aus, dass dieses Begehren insoweit als Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 SGG zu verstehen ist. Diese erweist sich jedoch schon deshalb als unzulässig, weil der Beklagte mit seinem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 12. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 über diesen Antrag ausdrücklich (mit-)entschieden hat; damit fehlt dem Kläger für dieses Begehren das Rechtsschutzinteresse.

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Die darüber hinaus gehende Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2007 ist rechtmäßig; der Kläger ist durch diese verwaltungsbehördlichen Entscheidungen daher auch nicht beschwert (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Der Beklagte hat nämlich zu Recht entschieden, dass in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers seit der letzten bindenden Entscheidung vom 04. März 2004 (Teilanerkenntnis im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens bei dem Sozialgericht Lüneburg zum Aktenzeichen S 15/3 SB 132/00) keine wesentliche Änderung eingetreten und der Gesamt-GdB nach wie vor mit 30 ab dem Jahre 1999 zutreffend und leidensgerecht bewertet ist.

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Rechtsgrundlage für den von dem Kläger gestellten Antrag auf Feststellung eines höhe-ren Grades der Behinderung ist § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei den Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 und 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (vgl. etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 19. September 2000, - B 9 SB 3/00 R, zitiert nach juris). Eine Aufhebung ist dabei nur „insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt bzw. die gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs nicht mehr vorliegen (vgl. hierzu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04. April 2001, - L 4 SB 64/99, zitiert nach juris). Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB allein stellen keine wesentliche Änderung dar (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 1998, - B 9 SB 18/97 R und Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04. April 2001, - L 4 SB 64/99, jeweils zitiert nach juris). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich der gegenwärtigen - d. h. den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kammer - mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. September 2000, - B 9 SB 3/00 R und Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Juni 2002, - L 6 SB 142/00, jeweils zitiert nach juris). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der Grad der Behinderung wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen würden, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X auch dann vor, wenn für die der anerkannten Behinderungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist.

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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist eine wesentliche Veränderung im Sinne einer Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zum zuletzt bindend gewordenen Verhältnissen, die dem Teilanerkenntnis des Beklagten vom 04. März 2004 - Klageverfahren bei dem Sozialgericht Lüneburg (Aktenzeichen: S 15/3 SB 132/00) - zugrunde lagen, nicht eingetreten. Daher hat der Beklagte nach Überzeugung der Kammer die Neufeststellungsanträge des Klägers vom 11. Januar 2005, 30. August 2006 sowie vom 16. Januar 2009 zu Recht abgelehnt. Ein über das mit dem genannten Teilanerkenntnis hinausgehender Gesamt-GdB steht dem Kläger nicht zu.

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Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 und S. 4 sowie § 69 Abs. 3 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung (GdB) in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes („Versorgungsmedizin-Verordnung“ vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) - VersMedV mit den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“, Anlagenband zum BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember 2008) festzustellen. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind die Einzel-GdB in Graden anzugeben. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem für die ersten GdB-Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Dabei führen grundsätzlich leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze).

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Unter Zugrundelegung der soeben skizzierten Maßstäbe vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass die bei dem Kläger vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen nicht leidensgerecht bewertet worden sind. Insbesondere fehlen für die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB eindeutige Befundunterlagen, die seinen Vortrag stützen könnten. Das Gericht schließt sich insoweit den umfassenden Ausführungen des von ihm gehörten Sachverständigen Dr. med. F. an. Der Sachverständige hat ausweislich seiner Ausführungen die Akten ausgewertet, die Beschwerden des Klägers erfasst und eine gründliche Untersuchung vorgenommen. Die Beantwortung der Beweisfragen gelingt auf dieser Grundlage verständlich, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Die geklagten Beschwerden werden von dem Sachverständigen nicht in Frage gestellt, sondern fließen in seine Bewertung erkennbar ein. Auch stimmen die Bewertungen der einzelnen Gesundheitsstörungen mit den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen überein. In Übereinstimmung mit den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht für die Kammer fest, dass für die bei dem Kläger vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule ein Einzel-GdB von 30 angemessen und leidensgerecht ist. Teil B Nr. 18.9 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze sieht nämlich (erst) für mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30 bis 40 vor, wohingegen für schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt ein GdB von 30 angemessen wäre. Nach den Ausführungen des Sachverständigen liegen bei dem Kläger indes mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt - nämlich der Lendenwirbelsäule - vor, die nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (lediglich) einen Einzel-GdB von 20 bedingen. Hinsichtlich der Beschwerden der Halswirbelsäule geht der gerichtlich gehörte Sachverständige unter Zugrundelegung der aktenkundigen Befunde und der aktuellen Untersuchungsbefunde demgegenüber lediglich von geringen funktionellen Auswirkungen aus, die einen Einzel-GdB von 10 rechtfertigen. Daraus schlussfolgert das Gericht im Hinblick darauf, dass sich nach Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze Rechenoperationen zur Bestimmung von Einzel-GdB und Gesamt-GdB ohnehin verbieten, zunächst, dass die bisherige Bewertung mit einem Einzel-GdB von 30 mangels mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten bzw. mangels schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt schon großzügig gewesen ist und den tatsächlich vorhandenen dauernden Funktionsbeeinträchtigungen nicht gänzlich entsprach. Aus diesem Grunde kann der Kläger auch nicht damit gehört werden, dass ihm der Gesamt-GdB von 30 bereits zugestanden worden sei, bevor die Bandscheibenoperation erfolgt und bevor die Fußheberschwäche entstanden sei. Weil die Kammer die dauernden Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule in Übereinstimmung mit den Erwägungen des Sachverständigen und aufgrund der von ihm in seinem Sachverständigengutachten beschriebenen dauernden Funktionseinschränkungen (endgradig konzentrisch bewegungseingeschränkte Lendenwirbelsäule mit minimaler Fußheberschwäche des linken Fußes nach operativer Behandlung eines Bandscheibenvorfalles und Osteochondrose, endgradige Funktionseinschränkung der Drehung des Kopfes nach rechts sowie der Neigung des Kopfes nach rechts und links sowie der Rückneigung des Kopfes bei Osteochondrose der Halswirbelsäule) und der damit einhergehenden Beschwerden (Belastungsinsuffizienz im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule mit ischialgieförmigen Beschwerden, einem Schwächegefühl des linken Fußes, einem Taubheitsgefühl im Bereich des linken Unterschenkels sowie einer Belastungsschwäche im Bereich der Halswirbelsäule) als mittelgradige funktionelle Auswirkungen in der Lendenwirbelsäule und leichte funktionelle Auswirkungen im Bereich der Halswirbelsäule und den mit den Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule zusammenhängenden funktionellen Auswirkungen im linken Bein und im linken Fuß mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet, kann der Kläger aus dem Umstand, dass ihm dieser Wert zu seinen Gunsten bereits ohne die Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der operativen Behandlung seines Bandscheibenvorfalls (möglicherweise zu Unrecht) zugestanden worden ist, keine Rechte herleiten. Im Übrigen hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass Zeichen für eine lumbale oder cervikale Wurzelirritation, eine lumbale Wurzelkompression oder Nervenwurzelreizerscheinungen klinisch nicht nachweisbar gewesen sind und sich das Gangbild des Klägers als flüssig, sicher, harmonisch, raumgreifend und ohne auffälliges Hinken darstellt, so dass eine höhere Bewertung der im Bereich der Wirbelsäule vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen nicht in Betracht kommen kann. Keineswegs liegen schließlich Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (GdB 50 - 70, z. B. bei einer Versteifung großer Teile der Wirbelsäule oder einer anhaltenden Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst, oder eine schweren Skoliose) vor. Nur der Vollständigkeit halber weist die Kammer noch darauf hin, dass nach Teil A Nr. 2 i) und 2 j) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit einschließen und auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände berücksichtigen. In Ansehung des Umstandes, dass der Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen, die der Kläger insoweit auch nicht in Zweifel gezogen hat, keinerlei Schmerzmedikamente einnimmt, liegt auch kein außergewöhnliches Schmerzsyndrom vor.

30

Weil darüber hinaus weitere einen Einzel-GdB von mindestens 20 auslösende Funktionsbeeinträchtigungen nicht vorliegen, kommt schon aus diesem Grunde - auch unter Berücksichtigung anderer Leiden - eine höhere Bewertung als 30 nicht in Betracht. Selbst wenn man jedoch - der Auffassung des Klägers folgend - von schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (nämlich der Lendenwirbelsäule) ausginge, käme demgemäß – mangels weiterer erhöhender Leiden - eine höhere Einschätzung als mit einem Gesamt-GdB von 30 nicht in Betracht. In diesem Zusammenhang sei erneut darauf hingewiesen, dass nach Teil A Nr. 3 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze die Bemessung des Gesamt-GdB am behinderungsbedingten Gesamtzustand auszurichten ist, wobei Einzel-GdB-Sätze von 10 von vornherein keine Erhöhung des Gesamt-GdB bewirken können, weshalb vorliegend der Gesamt-GdB auch dann bei 30 bliebe, wenn mehrere derartige Behinderungszustände vorlägen. Bei der daher erforderlichen Beurteilung des Gesamtbehinderungszustandes ist es - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht zulässig, Rechenoperationen anzuwenden, erst recht dürfen Einzel-GdB-Sätze nicht addiert werden. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der bisher von dem Beklagten festgestellte Gesamt-GdB von 30 jedenfalls nicht zu Ungunsten des Klägers zu niedrig bemessen ist.

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Die funktionellen Auswirkungen auf das Leistungsvermögen des Klägers im Bereich der Hüften, im Bereich des rechten Schultergelenks, im Bereich der Langfinger beidseits, im Bereich des Darmes und im Bereich anderer Körperregionen sind so gering, dass dafür - insbesondere in Ansehung der Kriterien des Teil B Nr. 18.14, Nr. 18.13 und Nr. 10.2.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze - ein GdB nicht anzusetzen ist.

32

Weil danach andere dauernde Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet wären, den Gesamt-GdB zu beeinflussen, nicht vorliegen, ist der Gesamt-GdB nach den schlüssigen und widerspruchsfreien und damit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen für den gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 11. Januar 2005 (Datum des ursprünglichen Neufeststellungsantrages) bis zum Tag der gerichtlichen Entscheidung mit 30 zutreffend und leidensgerecht bewertet.

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Ein höherer Gesamt-GdB als 30 kommt schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer besonderen beruflichen Betroffenheit in Betracht. Denn eine besondere berufliche Betroffenheit wird nach dem Willen des Gesetzgebers im Schwerbehindertenrecht ausdrücklich nicht berücksichtigt (§ 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX; vgl. hierzu insbesondere Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 11. November 2008, - L 15 SB 171/07, zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de ).

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Im Übrigen sei nur der Vollständigkeit darauf hingewiesen, dass ein etwaiger Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht des Beklagten allein nicht etwa zur Aufhebbarkeit der angegriffenen Entscheidungen führen kann, zumal ein solcher Verstoß aufgrund der erfolglosen Bemühungen des Beklagten ein Sachverständigengutachten im Verwaltungsverfahren einzuholen, für die Kammer ohnehin nicht erkennbar ist. Jedenfalls würde eine auf unzureichender Amtsermittlung fußende Entscheidung vielmehr (lediglich) an einem Begründungsmangel leiden. Gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist (wofür hier keinerlei Anhaltspunkte vorliegen), jedoch nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die Form zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Entscheidend ist damit allein, dass der Beklagte in sämtlichen angegriffenen Entscheidungen (in der Sache) entschieden hat, dass ein höherer Gesamt-GdB als 30 zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen ist. Nur wenn das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Amtsaufklärungsverpflichtung hätte feststellen können, dass bei dem Kläger eine wesentliche Veränderung im Sinne einer Verschlimmerung der bei ihm vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen eingetreten ist, hätte dies zur Aufhebung bzw. Abänderung der angegriffenen Entscheidungen führen können. Derartige Feststellungen hat das Gericht jedoch nach umfassender medizinischer Sachverhaltsaufklärung - wie ausgeführt - gerade nicht treffen können, so dass auch nicht offensichtlich wäre, dass eine Verletzung der auf § 20 SGB X beruhenden Amtsaufklärungsverpflichtung des Beklagten dessen Entscheidungen in der Sache beeinflusst hat.

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Dafür, dass dem Kläger ein höherer Gesamt-GdB als 30 jedenfalls bereits im Jahr 2004 zugestanden hätte, ergeben sich aus den aktenkundigen Befunden aus diesem Zeitraum und nach den widerspruchsfreien Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, dem die Kammer auch insoweit folgt und auf dessen Ausführungen sie verweist, ebenfalls keine Anhaltspunkte.

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Insgesamt war die Klage daher abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG; sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache, in der der Kläger vollumfänglich unterlag.