Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 19.01.2010, Az.: S 7 AL 227/09 WA
Statthaftigkeit und Fristwahrung der Anfechtung eines prozessbeendigenden Vergleichs
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 19.01.2010
- Aktenzeichen
- S 7 AL 227/09 WA
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 12843
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2010:0119.S7AL227.09WA.0A
Rechtsgrundlagen
- § 94 SGG
- § 119 Abs. 1 BGB
- § 121 Abs. 1 BGB
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit durch Vergleich vom 18. August 2009 beendet ist.
- 2.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger erstrebt von der Beklagten die Gewährung von Arbeitslosengeld. Der I. geborene Kläger war zunächst als Lehrer mit acht Unterrichtsstunden pro Woche beschäftigt.
Er meldete sich am 05. Juli 2006 arbeitssuchend und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Im Antragsbogen gab er an, dass er sich für eine Tätigkeit von höchstens acht Wochenstunden zur Verfügung stelle (Bl. 29 der Verwaltungsakte). Auf Nachfrage bestätigte er diese Angabe als zutreffend (Bl. 41 der Verwaltungsakte).
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. März 2008 ab (Bl. 42 bis 43 der Verwaltungsakte) und begründete dies damit, dass er den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung stehe, weil er nicht mindestens eine 15-stündige Beschäftigung pro Woche ausüben könne.
Dagegen legte der Kläger am 25. April 2008 Widerspruch ein (Bl. 45 bis 46 der Verwaltungsakte), welchen er damit begründete, dass die Tätigkeit versicherungspflichtig gewesen sei, so dass auch ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen müsse.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2008 zurück (Bl. 55 bis 58 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Wenn man die Arbeitszeit eines Lehrers mit acht Wochenstunden zur Arbeitszeit eines Tarifangestellten ins Verhältnis setzen würde, erreichte der Kläger wöchentlich 13,28 Stunden und stehe den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht zur Verfügung.
Dagegen hat der Kläger am 20. Juni 2008 Klage erhoben.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2009 einen Vergleich geschlossen, in dem sich die Beklagte zur Zahlung von Arbeitslosengeld bei einem Bemessungsentgelt von 23,76 Euro für die Zeit vom 05. Juli 2006 bis 28. Februar 2007 verpflichtete. Der Vergleich wurde laut diktiert, erneut laut vorgespielt und von den Beteiligten als richtig genehmigt.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 16. September 2009 (Bl. 91 bis 94 der Gerichtsakte) dem Kläger für die Zeit vom 05. Juli 2006 bis 28. Februar 2007 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz von 9,02 Euro bewilligt.
Der Kläger hat den Vergleich mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2009 angefochten.
Er trägt vor:
Dem Kläger und seinem Prozessbevollmächtigten sei nicht aufgefallen, dass der Vergleich sich auf das Bemessungsentgelt gerichtet habe. Sie seien davon ausgegangen, dass dies der Auszahlungsbetrag sei.
Der Kläger beantragt,
das Verfahren fortzusetzen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2008, abgeändert durch Bescheid vom 16. September 2009, zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgelts in Höhe von 17.902,- für die Zeit ab dem 05. Juli 2006 für die Dauer von 510 Tagen bezogen auf das Jahreseinkommen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 18. August 2009 beendet ist bzw. hilfsweise, die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beklagte trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist nunmehr unzulässig.
Der Rechtsstreit ist durch Vergleich der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 18. August 2009 wirksam beendet worden und damit nicht mehr rechtshängig im Sinne von § 94 SGG. Nur bei Unwirksamkeit des Vergleiches wäre das Klageverfahren fortzusetzen (vgl. Thomas/Putzo, Kommentar zur ZPO, § 794, Rd. 36; Zöller/Stöber, Kommentar zum ZPO, § 794, Rd. 15a).
Ein geschlossener Vergleich kann sowohl aus prozessrechtlichen als auch materiell-rechtlichen Gründen unwirksam sein (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 24. Januar 1991 - 2 RU 51/90 -). Letzteres ist der Fall, wenn der Vergleich als öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig oder wirksam angefochten ist (vgl. Meyer/Ladewig/Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, § 101, Rd. 13).
Der Vergleich ist nicht aus prozessrechtlichen Gründen unwirksam. Der Vergleich wurde vom Vorsitzenden ordnungsgemäß protokolliert, erneut laut vorgespielt und von den Beteiligten als richtig genehmigt. An der Handlungs- und Prozessfähigkeit der Beteiligten bestehen keine Zweifel.
Der Vergleich ist nicht wirksam wegen Irrtums gemäß § 119 BGB angefochten worden. Da es sich um eine prozessbeendigende Erklärung handelt, ist eine Anfechtung nicht statthaft (vgl. Urteil desBayerischen Landessozialgerichtes vom 05. November 2008 - L 16 AS 388/08 -; Beschluss des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 30. Juli 2008 - L 20 B 86/08 ER SO -; Urteil des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 28. Februar 2009 - L 2 KN 221/07 U -). Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 01. April 1981 - 9 RV 43/80 - diese Frage offen gelassen, aber beispielsweise für die Anfechtung der Berufungsrücknahme verneint (vgl. Urteil vom 14. Juni 1978 - 9/19 RV 31/77 -).
Selbst bei Annahme der Statthaftigkeit der Anfechtung, würde diese aber - unabhängig vom Vorliegen eines Anfechtungsgrundes, welcher weder Motiv- noch Rechtsfolgeirrtum sein dürfte - an der Tatsache scheitern, dass die Anfechtungsfrist nicht gewahrt ist.
Das Bayerische Landessozialgericht hat hierzu mit Urteil vom 11. Juni 2008 - L 13 KN 22/07 - folgendes ausgeführt:
"Die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums nach § 119 Abs.1 BGB st unverzüglich zu erklären (§ 121 Abs. 1 BGB). Dies ist der Fall, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern, also spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen erfolgt ist. Notwendige Erkundigungen sind mit der gebotenen Eile durchzuführen (BAG NJW 1991, 2723 [BAG 21.02.1991 - 2 AZR 449/90] m.w.N.; LAG Hamm, Urteil vom 18. Januar 2002, Az.: 5 Sa 1091/01)."
Der Vergleich wurde am 18. August 2009 geschlossen und die Anfechtung erfolgte nach Umsetzung des Vergleichs durch die Beklagte mit Bescheid vom 16. September 2009 am 27. Oktober 2009. Dies war nicht unverzüglich.
Im Übrigen liegen auch nicht die Voraussetzungen für einen Widerruf vor. Denn Wiederaufnahmegründe nach §§ 179 SGG, 578 ff. ZPO sind nicht ersichtlich (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06. Dezember 1996 - 8 C 33/95 -; Urteil des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 20. August 2008 - L 3 U 226/08 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
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