Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.04.2010, Az.: S 12 SF 154/09 E

Beitrag zur Erledigung; besonderer Erfolg; Erledigungsgebühr beigeordneter Rechtsanwalt; Mittelgebühr; Mitwirkungspflicht; Prozesskostenhilfe; Überschreiten der Mitwirkungspflicht

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
14.04.2010
Aktenzeichen
S 12 SF 154/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47842
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Auf die Erinnerungen des Erinnerungsführers vom 18. Juni 2009 und vom 12. August 2009 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 11. Juni 2009 - S 13 R 498/07 - geändert und der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 24. Juli 2009 - S 13 R 498/07 - aufgehoben. Die dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu gewährende Prozesskostenhilfevergütung wird endgültig auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 547,40 € festgesetzt; bereits geleistete Zahlungen sind dabei in Abzug zu bringen.

Im Übrigen wird die Erinnerung vom 18. Juni 2009 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

1

Der Erinnerungsführer macht als beigeordneter Rechtsanwalt einen Anspruch auf Festsetzung einer (höheren) Vergütung aus Prozesskostenhilfemitteln der Staatskasse für ein rentenrechtliches Klageverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg geltend. In diesem Verfahren stritten die dortigen Beteiligten um die Rechtmäßigkeit eines Verrechnungsbescheides. Das Verfahren endete durch die Abgabe übereinstimmender Erledigungserklärungen. Streitig ist im vorliegenden Erinnerungsverfahren, in welchem Umfang die Verfahrensgebühr in die Berechnung des Gesamtvergütungsanspruches einzustellen und ob eine Erledigungsgebühr entstanden und zu berücksichtigen ist.

2

Die Erinnerung hat im tenorierten Umfang Erfolg, im Übrigen bleibt sie erfolglos.

3

Der im Wege der Gewährung von Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt ist im Verfahren über die Festsetzung der Rechtsanwaltsvergütung aus Prozesskostenhilfemitteln (neben der Staatskasse) gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) allein erinnerungsbefugt (vgl. etwa Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, § 56, Rdn. 6); das Rubrum war dementsprechend von Amts wegen zu berichtigen.

4

Die danach gemäß § 56 Abs. 1 RVG gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 11. Juni 2009 und vom 24. Juli 2009 - S 13 R 498/07 - erhobenen Erinnerungen des Erinnerungsführers vom 18. Juni 2009 und vom 12. August 2009 sind zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.

5

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die aus der Staatskasse zu gewährende Prozesskostenhilfevergütung zu Unrecht lediglich auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 321,30 € festgesetzt, weil er die Entstehung der Erledigungsgebühr zu Unrecht verneint hat.

6

Rechtsgrundlage für den Vergütungsanspruch des Erinnerungsführers ist § 45 Abs. 1 RVG. Danach hat der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt in Verfahren vor Gerichten eines Landes Anspruch auf die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Zwar gilt Satz 4 der Vorschrift nicht, wenn es sich - wie hier - um ein Verfahren handelt, in dem um die Höhe des Prozesskostenhilfevergütungsanspruches gestritten wird, weil die Staatskasse nicht Dritter, sondern Vergütungsschuldner ist. Dennoch findet zu ihren Gunsten eine Billigkeitskontrolle statt (Gerold/Schmidt - Müller-Rabe, RVG, § 55, Rdn. 29). Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, - L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Die Aufzählung der Bemessungskriterien in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist nach dem Wortlaut der Vorschrift („vor allem") nicht abschließend, so dass weitere, unbenannte Kriterien mit einbezogen werden können. Sämtliche heranzuziehende Kriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 01. Juli 2009, - B 4 AS 21/09 R, zitiert nach juris). Für jede Rahmengebühr ist dabei eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.

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Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens der Gebührenpositionen des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.

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1. Danach hält auch die Kammer zunächst eine Verfahrensgebühr in Höhe eines Betrages von 250,00 € für angemessen. Die Verfahrensgebühr war dabei dem Rahmen der Nr. 3102 VV-RVG zu entnehmen. Der entsprechende Rahmen sieht eine Gebührenspanne von 40,00 € bis 460,00 € vor; die Mittelgebühr beträgt daher 250,00 €. Hinsichtlich dieser Gebührenposition ist die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht zu beanstanden. Der dem Rechtsanwalt zuzubilligende Ermessensspielraum ist nämlich - worauf der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und der Erinnerungsgegner bereits völlig zu Recht hingewiesen haben - dann eingeschränkt, wenn die Mittelgebühr - wie hier - die einzig zutreffende Vergütung der anwaltlichen Tätigkeit widerspiegelt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 26. Februar 1992, - 9a RVs 3/90 , zitiert nach juris). Die Kammer schließt sich insoweit den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Beschluss an, ohne dass es einer weiteren Begründung durch das Gericht bedürfte (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

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2. Demgegenüber hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Erinnerungsführer zusätzlich geltend gemachte Erledigungsgebühr nach Nr. 1005/1006 VV-RVG, für die ein Gebührenrahmen von 30,00 € bis 350,00 € bei einer Mittelgebühr in Höhe eines Betrages von 190,00 € vorgesehen ist, zu Unrecht nicht festgesetzt. Denn die Voraussetzungen für die Entstehung dieser Gebührenposition sind erfüllt: Diese Gebühr kann der Rechtsanwalt nach der ständigen Rechtsprechung der Kostenkammer des Sozialgerichts Lüneburg (vgl. etwa Beschluss der Kammer vom 27. April 2009, - S 12 SF 38/09 E -, zitiert nach juris) regelmäßig dann verdienen, wenn er sich mit seinem Mandanten auseinandersetzt und überzeugend auf ihn einwirkt, sich mit einem Weniger zufrieden zu geben, als er ursprünglich begehrt hatte. Hierin, in der Vermeidung eines weitergehenden Verfahrens trotz Nichterreichen des Gewollten, liegt der besondere Erfolg des Rechtsanwalts, der durch die Erledigungsgebühr zusätzlich honoriert werden soll. Ferner kommt die Zuerkennung der Erledigungsgebühr dann in Betracht, wenn der Prozessbevollmächtigte den Rahmen der seiner Mandantschaft obliegenden Mitwirkungspflicht - etwa durch Beschaffung neuer Beweismittel - überschreitet und so zur Gesamterledigung beiträgt (vgl. hierzu insbesondere Bundessozialgericht, Urteil vom 02. Oktober 2008, - B 9/9a SB 5/07 R = ASR 2009, S. 53 ff. mit Anmerkung Schafhausen sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 05. Mai 2009, - B 13 R 137/08 R -, jeweils zitiert nach juris). Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der Kammer vor. Zwar vermag sie nichts dafür zu erkennen, dass der Kläger von seinem ursprünglichen Begehren (auch nur ansatzweise) abgerückt ist. Jedoch hat der Erinnerungsführer nach Auffassung der Kammer den Rahmen der seiner Mandantschaft obliegenden Mitwirkungspflicht überschritten, indem er in vielfältigem und von ihm in seinem Schriftsatz vom 12. August 2009 (auf den zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen Bezug genommen wird) dargestellten Umfang Tätigkeiten gegenüber der Beigeladenen und der Beklagten entfaltet hat, die im ursächlichen Sinne auch zu der unstreitigen Erledigung des diesem Erinnerungsverfahren zugrunde liegenden Klageverfahren geführt hat. Die Kammer vermag kein Argument dafür zu benennen, warum etwa die oben genannte Beschaffung neuer Beweismittel durch einen Rechtsanwalt als Indiz für die eine qualifizierte anwaltliche - erledigungsgerichtete - Mitwirkung mit den von dem Erinnerungsführer in seinem Schriftsatz vom 12. August 2009 dargestellten anwaltlichen Aktivitäten, die im Übrigen auch aus der Prozessakte ersichtlich sind, nicht vergleichbar ist. Auch der Erinnerungsgegner hat schließlich nicht begründen können, warum eine Erledigungsgebühr nicht entstanden sein soll. Weil diese anwaltlichen Tätigkeiten ferner auch zur Gesamterledigung des Rechtsstreits - zumindest mitursächlich - beigetragen haben, liegen die Voraussetzungen für die Entstehung der Erledigungsgebühr vor, die mit der beantragten Mittelgebühr in Höhe eines Betrages von 190,00 € auch kostenrechtlich angemessen erfasst ist; Einwendungen hiergegen hat auch der Erinnerungsgegner nicht erhoben.

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3. Da die Höhe der übrigen Gebührenpositionen zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht, berechnet sich die dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu erstattende  Prozesskostenhilfevergütung wie folgt:

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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG250,00 €
Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005/1006 VV-RVG190,00 €
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG20,00 €
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In diesem Umfang haben die Erinnerungen auch Erfolg, wobei bereits erfolgte Zahlungen entsprechend (mindernd) zu berücksichtigen sind (§ 11 Abs. 1 S. 2 RVG).

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4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 S. 3 RVG; die Erinnerungsentscheidung ergeht gemäß § 56 Abs. 2 S. 2 RVG gerichtskostenfrei.

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5. Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar, weil das Normengefüge der §§ 172 ff. SGG den Normen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes vorgeht (vgl. hierzu: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006, - L 8 B 4/06 SO SF; Beschluss vom 21. Februar 2007, - L 7 B 1/07 AL SF; Beschluss vom 01. März 2007, -  L 4 B 66/05 KR; Beschluss vom 14. Juni 2007, - L 13 B 4/06 AS SF; Beschluss vom 26. Oktober 2007, -  L 14 B 1/06 SF; Beschluss vom 17. Oktober 2008, - L 13 B 4/08 SF; Beschluss vom 30. Oktober 2008, - L 1 B 2/08 R SF; Beschluss vom 09. Juni 2009, - L 13 B 1/08 SF; Beschluss vom 06. Juli 2009, -  L 6 SF 44/09 B sowie Beschluss vom 29. September 2009, - L 6 SF 124/09 B (AS)).