Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.05.1995, Az.: 16 Sa 1495/94 E
Anspruch auf rückwirkende Höhergruppierung; Vorliegen besonders schwieriger fachlicher Tätigkeiten; Funktionscharakter einer Tätigkeit; Aufgaben einer Erziehern an einer Ganztagsschule; Betreuung lernbehinderter Kinder; Vergleichbarkeit wesentlicher Erziehungsschwierigkeiten mit wesentlicher Behinderung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.05.1995
- Aktenzeichen
- 16 Sa 1495/94 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 16625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1995:0512.16SA1495.94E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 16.09.1993 - AZ: 1 Ca 457/92 E
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 2 BAT
- § 39 Abs. 1 BSHG
Fundstelle
- ZTR 1995, 410 (amtl. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Eingruppierung
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Redaktioneller Leitsatz
Die Tätigkeit einer Erzieherin an einer Ganztagsschule hebt sich bereits aus allgemeinen Gesichtspunkten aus der Normaltätigkeit einer Erzieherin hinaus und stellt sich deshalb als besonders schwierige fachliche Tätigkeit dar, wenn einerseits eine besondere Klientel betreut wird, nämlich sowohl Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten wie auch lernbehinderte und die Tätigkeit darüberhinaus innerhalb eines Konzeptes der Schule, die Freizeitangebote vorsieht wie auch eine besondere Anleitung und Förderung von bestimmten Kindern, erfolgt.
In dem Rechsstreit
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 12.05.1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes und
die ehrenamtlichen Richter Jung und Rohrig
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 16.09.1993, Az. 1 Ca 457/92 E wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlußberufung der Klägerin wird das Urteil teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt: Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin seit dem 01.01.1991 Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT statt gezahlter Vergütung nach Vergütungsgruppe VI b BAT zu zahlen und die jeweils fälligen Nettodifferenzbeträge zwischen gezahlter und beantragter Vergütung mit 4 % seit dem 20.10.1992 zu verzinsen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit der Klage ihre Höhergruppierung nach Vergütungsgruppe V c BAT rückwirkend ab dem 01.01.1991.
Die am ... geborene Klägerin ist bei dem beklagten Land seit dem 01.09.1990 als Angestellte auf unbestimmte Zeit mit der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Angestellten bei der ... beschäftigt. Grundlage der arbeitsvertraglichen Beziehungen ist der Arbeitsvertrag vom 13.08.1990. In diesem ist u.a. vereinbart, daß sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung gilt. Wegen des Inhalts dieses Vertrages wird auf diesen (Bl. 27/28 d.A.) verwiesen.
Die Klägerin ist Erzieherin mit staatlicher Anerkennung. Sie wird eingesetzt für die pädagogische Betreuung, Anleitung und Förderung von Gruppen von Schülern im Freizeitbereich. Die ... ist eine solche für lernbehinderte Kinder, die in der "Normalschule" gescheitert sind. Sie ist Ganztagsschule.
Die Klägerin übt zu 90 Prozent eigenverantwortlich Arbeiten aus, die die Durchführung von Freizeitangeboten und Übungen zur Einzelförderung von Kindern mit besonderen Defiziten betrifft. Zu 10 Prozent ihrer Tätigkeit übt sie Tätigkeiten aus wie Teilnahme an Dienstbesprechungen, Konferenzen, Elternarbeit, Organisation von Schulfesten und Schulprojektwochen nebst Verwaltungsaufwand. Wegen ihrer Tätigkeiten wird auf die Tätigkeitsdarstellung vom 25.01.1992 mit Anlagen Bezug genommen.
Ein Großteil der Schüler wird über den Bereich der Schule außerschulisch institutionell betreut. Insoweit wird auf die Auflistung (Stichtag 08.02.1990, Bl. 10 d.A.) verwiesen. Hieraus ist ersichtlich, daß ein Teil der Kinder zusätzlich durch das Jugendamt, die Kinder- und Jugendpsychiatrie wie auch durch Psychologen betreut wird und teilweise an der Erziehungsberatung teilnimmt. Einige der Kinder sind im Kinderheim untergebracht, andere machen eine spezielle Therapie. Die Klägerin hat zu einzelnen Kindern Auffälligkeiten und Erziehungsprobleme geschildert. Insoweit wird auf ihren Schriftsatz vom 15.03.1993 (Bl. 44-48 d.A.) verwiesen.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 11.11.1991 ihre Höhergruppierung rückwirkend ab 01.01.1991 beantragt (Bl. 6 d.A.). Das beklagte Land lehnte die Höhergruppierung mit Schreiben vom 02.03.1992 (Bl. 11/12 d.A.) ab.
Das Niedersächsische Kultusministerium hatte durch Erlaß bestimmt, daß die Ausschlußfrist für Ansprüche aus dem Änderungstarifvertrag zur Änderung der Anlage 1 a zum BAT vom 24.04.1991 mit dem Erscheinungsdatum des Niedersächsischen Ministerialblattes, in dem die hierzu vom MF gegebenen Durchführungshinweise abgedruckt sind, somit am 22.08.1991, beginnt.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, daß sie im Sinne des Tarifvertrages besonders schwierige fachliche Tätigkeiten verrichte, da sie in Gruppen von Kindern bzw. Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten tätig sei. Dieses sei bereits dadurch erkennbar, daß die Kinder zur Sonderschule gingen. Dieses ergebe sich aber darüber hinaus beispielhaft für die im Schriftsatz vom 15.03.1993 genannten Kindern wie auch aus der Tatsache, daß die Kinder außerschulische Betreuung erfahren.
Ihre Tätigkeit erfülle deshalb die Merkmale der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5 BAT.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, daß die Klägerin ab 01.01.1991 Anspruch auf Vergütung gemäß Vergütungsgruppe V c BAT hat.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat die Auffassung vertreten, daß nicht Gruppen von Kindern betreut würden mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten. Solche seien allenfalls bei einigen der Kinder vorhanden. Die Störungen der Kinder lägen meistens in ihrer Lernbehinderung, nicht bei der Erziehungsschwierigkeit. Zahlenmäßig handle es sich bei Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten um einen untergeordneten kleineren Teil der Kinder.
Auch den von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 15.03.1993 benannten Kinder seien die dort aufgezählten Störungen im wesentlichen in dem Bereich einer Lernbehinderung zuzuordnen.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluß vom 27.05.1993 (Bl. 53 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 26.08.1993 (Bl. 61-64 d.A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht Göttingen hat durch Urteil vom 16.09.1993 festgestellt, daß die Klägerin ab 01.01.1991 einen Anspruch auf Vergütung gemäß Vergütungsgruppe V c BAT habe. Es hat die Kosten des Rechtsstreites dem beklagten Land auferlegt und den Streitwert auf 5.400,00 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, daß das Merkmal der Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten, das mit dem Begriff "schwererziehbar" gleichbedeutend sei, im Hinblick auf die von der Klägerin zu betreuenden Kinder erfüllt sei. Dieses habe die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben, da an die Schule häufig Kinder kämen, die eine Therapie benötigten oder in einer Schule für verhaltensgestörte Kinder aufgenommen werden müßten, was nur aus organisatorischen Gründen nicht realisierbar sei. Diese Kinder seien deshalb mit normalen erzieherischen Mitteln nicht hinreichend zu lenken und zu erziehen. Nach der Aussage des Zeugen ... seien etwa 75 bis 80 Prozent der Kinder, mit denen die Klägerin zu tun habe, solche, bei denen es überwiegend Erziehungsprobleme gebe. Damit erfülle die Klägerin das Tätigkeitsmerkmal der Protokollnotiz Nr. 8, nämlich die Betreuung von Gruppen von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Erziehungsschwierigkeiten. Unerheblich sei, wenn in der einzelnen Gruppe möglicherweise nicht jedes Kind derartige Schwierigkeiten aufweise, jedenfalls sei dieses aber bei der überwiegenden Anzahl der Kinder vorhanden.
Die Klägerin habe auch die zu wahrende Ausschlußfrist des § 70 BAT eingehalten.
Das Urteil des Arbeitsgerichtes wurde dem beklagten Land am 10.08.1994 zugestellt. Hiergegen legte dieses am 25.08.1994 Berufung ein und begründete diese mit einem am 19.09.1994 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz.
Zur Begründung der Berufung trägt das beklagte Land vor, die Klägerin betreue entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichtes nicht überwiegend Kinder, mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten. Die Anzahl der Schüler mit diesen Schwierigkeiten sei zu gering, um eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe V c BAT zu rechtfertigen.
Im übrigen seien im Regelfall wesentliche Erziehungsschwierigkeiten nicht vorhanden. Es handle sich vielmehr um Gruppen von Kindern mit Lernbehinderungen, die abgesehen von der Lernbehinderung unauffällig seien. Die Auffälligkeit einzelner Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten führe deshalb zu keiner anderen rechtlichen Betrachtung.
Im übrigen habe die Beweisaufnahme auch nicht ergeben, daß die Klägerin überwiegend Kinder betreue mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 16.09.1993, Az. 1 Ca 457/92 E, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beantragt im Wege der Anschlußberufung
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin seit dem 01.01.1991 Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT statt gezahlter Vergütung nach Vergütungsgruppe VI b BAT zu zahlen und die jeweils fälligen Nettodifferenzbeträge zwischen gezahlter und beantragter Vergütung mit 4 % seit Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Das beklagte Land beantragt,
die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß die Beweisaufnahme ergeben habe, daß die Klägerin selbst überwiegend Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten betreue, da der Zeuge ... von 75 bis 80 Prozent solcher Kinder gesprochen habe.
Im übrigen habe die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 15.03.1993 nur Beispielsfälle genannt, so daß die Anzahl der Schüler mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten erheblich größer sei, wie sich auch aus der Übersicht über außerschulische institutionelle Betreuung der Schüler ergebe.
Nach dem Tarifwortlaut sei es im übrigen nicht erforderlich, daß überwiegend Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten betreut würden.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die Inhalte der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des beklagten Landes ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beschwerdewert in dieser vermögensrechtlichen Streitigkeit übersteigt 800,00 DM. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).
Die Berufung des beklagten Landes ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht ab dem 01.01.1991 ein Anspruch auf Bezahlung nach der Vergütungsgruppe V c BAT zu.
Auf das Arbeitsverhältnis findet der BAT einschließlich der Anlagen sowohl kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung wie auch kraft beiderseitiger Tarifbindung gemäß § 3 TVG Anwendung.
Gemäß § 22 BAT richtet sich die Eingruppierung der Angestellten nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen der Anlagen 1 a und b. Die Angestellte erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die sie eingruppiert ist. Gemäß § 22 Abs. 2 BAT ist die Angestellte in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.
In der begehrten Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5 des Teils II der Anlage 1 a zum BAT, Buchstabe G (Sozial-/Erziehungsdienst) sind eingruppiert Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten. In der hier maßgeblichen dazugehörigen Protokollnotiz Nr. 8, auf die verwiesen wird, sind besonders schwierige fachliche Tätigkeiten beispielhaft wie folgt aufgeführt:
- a)
Tätigkeiten in Integrationsgruppen (Erziehungsgruppen, denen besondere Aufgaben in der gemeinsamen Förderung behinderter und nichtbehinderter Kinder zugewiesen sind) mit einem Anteil von mindestens einem Drittel von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung
- b)
Tätigkeiten in Gruppen von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG oder von Kindern oder Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten
- c)
Tätigkeiten in Jugendzentren/Häusern der Offenen Tür
- d)
Tätigkeiten in geschlossenen (gesicherten) Gruppen
- e)
fachliche Koordinierungstätigkeiten für mindestens vier Angestellte mindestens der Vergütungsgruppe VI b
- f)
Tätigkeiten eines Facherziehers mit einrichtungsübergreifenden Aufgaben.
In der darunterliegenden Vergütungsgruppe VI b, nach der die Klägerin bezahlt wird, sind in Fallgruppe 5 eingruppiert, Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben.
Die Grundeingruppierung für Erzieherinnen findet sich damit in der Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 5 BAT, in die entsprechend qualifizierte Arbeitnehmerinnen eingruppiert sind, die eine ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeit ausüben.
Die Heraushebung nach Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5 ist dergestalt, daß nicht nur schwierige fachliche Tätigkeiten, vielmehr besonders schwierige fachliche Tätigkeiten verlangt werden.
Als schwierige Tätigkeiten sind solche zu bezeichnen, die in dem betreffenden Fachgebiet im oberen Bereich der Schwierigkeitsskala liegen oder die in besonderen Einzelfällen Leistungen erfordern, die über das im Regelfall erforderliche Maß an Kenntnissen und Fähigkeiten hinausgehen.
Besonders schwierige Tätigkeiten sind darüber hinaus so definiert, daß sie eine beträchtliche und gewichtige Heraushebung über die Anforderung der schwierigen Tätigkeiten hinaus erfüllen müssen. Sofern schwierige Tätigkeiten verrichtet werden müssen, wird dieses an der deutlich wahrnehmbar erhöhten Qualität der Arbeit, dem erhöhtem Wissen und Können oder sonstigen gleichwertigen Qualifikationen der Arbeitnehmerin deutlich. Die besonders schwierige Tätigkeit bezieht sich auf das fachliche Können bzw. die fachliche Erfahrung der Mitarbeiterin. Es wird demgemäß ein Wissen und Können vorausgesetzt, das die Anforderungen der schwierigen Tätigkeiten nochmals übersteigt. Diese erhöhte Qualifikation kann sich aus der Breite des geforderten fachlichen Wissens und Könnens ergeben, aber auch aus außergewöhnlichen Erfahrungen oder sonstigen gleichwertigen Qualifikationen wie etwa besonderen Spezialkenntnissen. Es müssen in dem geforderten Ausmaß höhere fachliche Anforderungen gestellt werden, als sie normalerweise von einer Erzieherin verlangt werden können, die bereits ein erhöhtes Können und Wissen hat.
Bei der Tätigkeit der Klägerin ist von einem einheitlichen Arbeitsvorgang bezüglich der eigenverantwortlichen Durchführung von Freizeitangeboten und Übungen zur Einzelförderung von Kindern mit besonderen Defiziten auszugehen. Inwieweit die weiteren 10 Prozent ebenfalls diesem Arbeitsvorgang hinzuzurechnen sind, kann dahingestellt bleiben, da bereits die erstere Tätigkeit weit überwiegend durchgeführt wird.
Unter einem Arbeitsvorgang im Sinne des § 22 Abs. 2 BAT ist eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer vernünftigen, sinnvollen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit der Angestellten zu verstehen.
Arbeitsergebnis bezüglich der überwiegend ausgeübten Tätigkeit der Klägerin ist die dieser übertragene Tätigkeit der Betreuung, Anleitung und Förderung für Kinder mit besonderen Defiziten. Die jeweils einzelne Tätigkeit der Klägerin in Kleingruppen, mit der ganzen Klasse oder in Einzelbetreuung dient dem einheitlichen Ziel der Hilfestellung für Kinder, die entsprechende Defizite haben. Das Arbeitsergebnis der Klägerin ist, daß diese Kinder im Freizeitbereich angemessen betreut sind und entsprechend den Möglichkeiten einer Erzieherin zu sinnvollen Tätigkeiten angeleitet oder gefördert werden. Diesem Gesamtziel der Tätigkeit der Klägerin sind alle Maßnahmen untergeordnet. Ihre Tätigkeit hat insoweit Funktionscharakter (vgl. hierzu Urteil des BAG vom 29.09.1993, Az. 4 AZR 690/92).
Bei einer Beurteilung dessen, welche Anforderungen an eine Erzieherin normalerweise gestellt werden, ist eine Festlegung des Berufsbildes der Erzieherin mit der Feststellung einer Normaltätigkeit erforderlich.
Aufgabe von Erziehern und Erzieherinnen ist es, die Kinder und Jugendlichen zu Selbsterfahrung und Selbstvertrauen, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu führen, zu gemeinschaftlichem oder sozial verantwortlichem Verhalten oder Handeln anzuhalten, ihre Entscheidungsfreudigkeit, ihre Lernbereitschaft und ihr kritisches Urteilsvermögen zu stärken und sie zu geistiger Beweglichkeit und schöpferischem Tun anzuregen. Im schulischen Bereich im Rahmen einer Ganztagsschule liegt das Schwergewicht der Aufgaben einer Erzieherin darin, unter besonderer Berücksichtigung des Eigenlebens und Entwicklungsstandes der Kinder und Jugendlichen auf die Förderung von Eigeninitiative in Gruppe und Gemeinschaft auf die Unterstützung des Prinzips der Freiwilligkeit sowie auf die Hilfe zur Selbsthilfe, zur Selbstverwaltung und Mitverantwortung im Freizeitbereich hinzuwirken. Die einzelnen Stufen in der Tätigkeit sind darin zu sehen, daß zunächst eine Beobachtung und Analyse von Bedingungen des sozialpädagogischen Handelns erfolgt, sodann die Erziehungsarbeit geplant und die Erziehungspraxis sodann gestaltet wird. Dieses hat zu erfolgen in Zusammenarbeit mit anderen Personengruppen, vorliegend Schule, Elternhaus und sonstiger außerschulische Betreuung (vgl. Blätter zur Berufskunde Erzieher/Erzieherinnen, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeit 2 - IV A 20, Stand November 1988).
Der Einsatz einer Erzieherin an einer Ganztagsschule ist am ehesten zu vergleichen mit einer Tätigkeit im Hort, die in den Blättern für Berufskunde wie folgt beschrieben wird:
Unter den Hortkindern befindet sich meist ein relativ hoher Prozentsatz von Kindern ausländischer Eltern, von Kindern mit Schul- und Erziehungsschwierigkeiten sowie Verhaltensauffälligkeiten. Horte wurden ursprünglich gegründet, um Kindern, deren Mütter berufstätig sind, für die Zeit bis zu denen Arbeitsschluß eine Bleibe zu schaffen. Der Auftrag wird damit nicht primär sozialpädagogisch orientiert. Hortarbeit wird aber nicht länger nur auf Beaufsichtung, Hilfestellung bei den Hausaufgaben und gemeinsame Gruppenbeschäftigung und -spiele beschränkt bleiben. Ähnlich wie der Kindergarten ist auch der Hort als eine sozialpädagogische Einrichtung zu gestalten, die zusätzliche Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten bietet, die Schule und Elternhaus heute oft nicht mehr geben. Damit ist der Hort nicht mehr nur ein Notbehelf für teilweise unbetreute Kinder. Ihm fallen eigenständige pädagogische Aufgaben zu, wie z.B. vielfältige soziale Lernerfahrungen zu ermöglichen, in Gruppen zu Selbständigkeit und gemeinsam verantwortetem Handeln befähigen, Selbstorganisation anregen und sich mit gesellschaftlichen Anforderungen vertraut machen.
Nach Ansicht der Kammer kommt es vorliegend nicht wesentlich darauf an, daß die Klägerin tätig ist in einer Gruppe von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten. Die Fallgruppe 8 b ist nur ein Beispielsfall für besonders schwierige fachliche Tätigkeiten.
Vorliegend hebt sich die Tätigkeit bereits aus allgemeinen Gesichtspunkten aus der Normaltätigkeit einer Erzieherin hinaus und stellt sich deshalb als besonders schwierige fachliche Tätigkeit dar, weil einerseits ein besonderes Klientel betreut wird, nämlich sowohl Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten wie auch lernbehinderte, zum anderen erfolgt die Tätigkeit der Klägerin innerhalb eines Konzeptes der Schule, die Freizeitangebote vorsieht wie auch eine besondere Anleitung und Förderung von bestimmten Kindern.
Unstreitig sind unter den Kindern in der Schule der Klägerin Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten. Ebenso ist unstreitig nach der Arbeitsplatzbeschreibung der Klägerin, daß diese sich um Kinder zu kümmern hat mit besonderen Defiziten.
Dieses geschieht, wie ebenfalls unstreitig ist, in Kleinst- oder Kleingruppen oder im gesamten Klassenverband.
Da sich jedenfalls unter den Kindern solche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten befinden, die im übrigen häufig eine Lernbehinderung erst auslösen dürften, werden an die Klägerin erhöhte Anforderungen gestellt, da sie ein zusätzliches Wissen wie auch zusätzliche Erfahrungen einbringen muß, um mit diesen Kindern zu arbeiten. Die Normaltätigkeit besteht darin, Kinder mit "normalen" Erziehungsproblemen oder -schwierigkeiten zu betreuen und zu fördern, wie sich aus dem oben gesagten ergibt. Ist aber ein bestimmter Grad von Erziehungsschwierigkeiten erreicht, so sind diese als wesentlich anzusehen. Die Klägerin muß zusätzliche Fachkenntnisse vorhalten, um mit diesen Kindern arbeiten zu können.
Was unter wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zu verstehen ist, haben die Tarifvertragsparteien selbst nicht definiert. Es ist deshalb aus dem Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages zu ermitteln, welchen Grad der Erziehungsschwierigkeiten die Tarifvertragsparteien diesem Begriff beimessen wollten.
Dieses ergibt sich insbesondere aus der Protokollnotiz Nr. 8 b, in der sowohl Gruppen für Behinderte im Sinne des § 39 BSHG wie auch Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten gleichgewichtig nebeneinander genannt werden.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß eine bestimmte Eingruppierung nach den Anforderungen der Tätigkeit selbst erfolgt und daß nicht innerhalb einer Fallgruppe unterschiedliche Wertungen der Tätigkeit erfolgen. Dieses bedeutet, daß die wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten für Kinder auch an dem Problem der Behinderten des § 39 BSHG gemessen werden muß und gleichwertige Schwierigkeiten bei der Betreuung dieser Kinder bestehen müssen.
Wesentliche Erziehungsschwierigkeiten müssen deshalb vergleichbar sein mit der wesentlichen Behinderung, wie sie sich letztlich aus § 39 Abs. 1 BSHG i.V.m. der Verordnung zur Durchführung des § 24 Abs. 2 Satz 1 BSHG vom 28.06.1974 ergeben. Ansprüche auf Hilfe für Behinderte und Hilfe zur Erziehung für den Bereich von psychischen Störungen liegen eng beieinander. Es ist deshalb eine Vergleichbarkeit von Behinderten im Sinne des § 39 BSHG und von Kindern mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zu ziehen. Die wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten müssen deshalb ein Maß erreichen, das bei dem einzelnen Kind einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung begründet gemäß §§ 27 ff. SGB-VIII.
Voraussetzung für die Gewährung von Hilfe zur Erziehung ist, daß ohne sie eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe auch geeignet ist. Der Leistungskatalog der §§ 28 bis 35 SGB-VIII ist jedoch keine erschöpfende Aufzählung, sondern eine Insbesondere-Aufzählung, die es zuläßt und erfordert, aus der allgemeinen Vorschrift im § 27 KJHG gegebenenfalls weitere Leistungen zu entwickeln, um das dort umrissene Hilfespektrum zu verwirklichen (vgl. hierzu Bernd Baron von Maydell, Lexikon des Rechts, Sozialrecht, 2. Aufl., S. 153).
Wie sich aber insbesondere aus der Aufstellung der von der Klägerin eingereichten Übersicht über außerschulische institutionelle Betreuung der Schüler ergibt, ist in nicht unerheblichem Maße bei einer Reihe von Jugendlichen eine solche Hilfestellung gegeben, um Behinderungen oder Defizite im Bereich der Erziehung abzubauen.
Wird aber ein nicht unerheblicher Teil der Kinder in den einzelnen Klassen entsprechend betreut, so ist hieraus ersichtlich, daß das von der Klägerin zu betreuende Klientel besondere Schwierigkeiten aufweist und in besonderer Weise auf diese Kinder erzieherisch eingewirkt werden muß. Da auch die Einzelförderung oder Gruppenförderung durch die Klägerin gerade Kinder mit besonderen Defiziten betrifft, führt die Klägerin entsprechend qualifiziertere Tätigkeiten aus.
Dabei kommt es auch nicht darauf an, daß in der jeweiligen Gruppe oder insgesamt bei der Betreuung durch die Klägerin überwiegend Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten oder besonderen Defiziten vorhanden sind.
Wenn die Klägerin überwiegend eine Tätigkeit ausübt, in dem auch Kinder mit besonderen Defiziten betreut werden, ist es nicht erforderlich, daß die Anzahl der Kinder in den Gruppen zeitlich überwiegt. Wenn für eine Tätigkeit erhöhte fachliche Anforderungen bestehen, betrifft dieses nämlich diese Tätigkeit in der Gesamtheit, da die erhöhte fachliche Qualifikation während der Ausübung dieser Tätigkeit ständig vorgehalten werden muß. Es kommt nicht darauf an, wie häufig die Klägerin tatsächlich auf ihre besonderen Kenntnisse zurückgreifen muß (so BAG, Urteil vom 19.03.1986, Az. 4 AZR 642/84 in AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975, Urteil des BAG vom 27.01.1988, Az. 4 AZR 499/87 in ZTR 88, 339 sowie Urteil des BAG vom 28.04.1993, Az. 4 AZR 314/92 in NZA 94, 84).
Die weitere Heraushebung der besonders schwierigen fachlichen Tätigkeit ergibt sich daraus, daß die Klägerin in das Erziehungskonzept der Sonderschule eingebettet ist. Es ist nicht die Klägerin, die von sich aus bestimmte Gruppen bildet und diese Kinder entsprechend betreut. Vielmehr ist es die Schule, die der Klägerin bestimmte Aufgaben zuteilt und dabei Gruppen von Kindern bildet, die die Klägerin selbständig betreuen, anleiten und fördern soll. Wenn derartige Aufgaben verteilt werden, so kann dieses nur geschehen im Rahmen des Gesamtkonzeptes der Schule einerseits sowie im Rahmen der Aufgabenverteilung zwischen Lehrkräften, Sozialpädagogen und Erziehern andererseits. Jede dieser Berufsgruppen muß auf ein bestimmtes Ziel hin die Förderung vornehmen, abgestimmt mit der jeweils geltenden Zielrichtung. In dieses Konzept ist die Klägerin eingebettet und muß im Rahmen ihrer erzieherischen Tätigkeit einen Teil dieses Gesamtkonzeptes erfüllen.
In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf den Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung und einen Vergleich mit anderen Fallgruppen. Zu verweisen ist auf die Fallgruppe 6 der Vergütungsgruppe V c und der dazugehörigen Protokollnotiz Nr. 10. Nach dieser Protokollnotiz setzt die Tätigkeit der Erzieherin in Schulkindergärten, Vorklassen oder Vermittlungsgruppen für nicht schulpflichtige Kinder für die Höhegruppierung nach Vergütungsgruppe V c gerade voraus, daß die dort vorhandenen Kinder nach einem speziellen pädagogischen Konzept gezielt auf die Schule vorbereitet werden.
Das Konzept der Sonderschule ist aber gerade auch, daß die Kinder, die auf einer sogenannten Normalschule einen Schulabschluß nicht erreichen können, auf der Sonderschule besondere Förderung erfahren, um diesen Schulabschluß doch zu erreichen oder auf eine sogenannte Normalschule zurückzukehren. Dieses generelle Konzept gilt demzufolge auch für die Schule der Klägerin. Die Tätigkeit der Klägerin ist Bestandteil dieses Konzeptes, so daß auch hieraus erkannt werden kann, daß bei Vorliegen einer besonderen Aufgabenstellung zusätzliche Fachkenntnisse erfordert werden, die eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe V c BAT rechtfertigen.
Diese beiden Merkmale zusammengefaßt ergeben zur Überzeugung der Kammer, daß die Klägerin Tätigkeiten ausübt mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten. Ihre Eingruppierung nach Vergütungsgruppe V c BAT ist demzufolge gerechtfertigt.
Bestätigt wird diese Auffassung der Kammer auch durch die Beweisaufnahme und Vernehmung der Zeugen ... Insbesondere ist aus diesen Aussagen ersichtlich, daß die dort vorhandenen Kinder nicht nur ausschließlich lernbehindert sind, sondern darüber hinaus auch mehr oder weniger starke Erziehungsschwierigkeiten ausweisen. Die Schule ist darüber hinaus Auffangbecken für Kinder mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten, die einen anderen Platz in einer an sich geeigneteren Schule nicht erhalten. Die Arbeit an einer solchen Schule ist eine andere Tätigkeit als die einer Erzieherin etwa im Hort oder Kindertagesstätte, in denen sich auch immer mehr oder weniger schwierige Kinder befinden, wobei die dortige Tätigkeit aber nicht konzeptionell auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist und sich an ein bestimmtes Klientel von Kindern wendet.
Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Klägerin ihre Ansprüche auch durch ihren Antrag vom 11.11.1991 rechtzeitig gegenüber der Beklagten im Sinne des § 70 BAT geltend gemacht. Auf die Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteiles wird gemäß § 543 ZPO verwiesen.
Auf die Anschlußberufung der Klägerin war einerseits der Tenor des Urteiles zu berichtigen, da im Tenor kein Rechtsanspruch festzustellen ist, vielmehr eine Zahlungsverpflichtung. Auf die Anschlußberufung waren der Klägerin auch die beantragten Zinsen gemäß § 291 BGB zuzusprechen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.