Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.05.1995, Az.: 12 Sa 1606/94 E

Vergütungsgruppe einer Hauspflegerin und Familienpflegerin; Der Ausbildungsbegriff im Beruf der Hauspflegerin und Familienpflegerin

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
05.05.1995
Aktenzeichen
12 Sa 1606/94 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17161
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1995:0505.12SA1606.94E.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 18.06.1997 - AZ: 4 AZR 747/95

Amtlicher Leitsatz

Zu den Anforderungen an den Begriff der "förderlichen Ausbildung" im Sinne von Vergütungsgruppe VII der Sparte N in Anlage 1 der Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983.

In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
...
die ehrenamtlichen Richter ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten wird bei einem Streitwert von 7.200,00 DM kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die am ... geborene Klägerin steht seit dem 1. Mai 1979 als Haus- und Familienpflegerin in den Diensten des beklagten Vereins und ist in einer Sozialstation als Teilzeitbeschäftigte tätig. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestimmt sich nach dem Dienstvertrag vom 18. Dezember 1989.

2

Die Parteien streiten um die zutreffende Vergütung der Klägerin, insbesondere darüber, ob sie Anspruch auf Bezahlung nach Vergütungsgruppe VII der Sparte N Anlage 1 der Dienstvertragsordnung vom 16. Mai 1983 (DVO) in der Fassung vom 23. Januar 1991 hat.

3

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im einzelnen wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO auf den ausführlichen Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 100 bis 104 d.A.) sowie die vor dem Arbeitsgericht gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst deren Anlagen verwiesen.

4

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat nach Einholung einer Auskunft durch das am 31. Mai 1994 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 99 bis 110 d.A.) festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 1. Januar 1991 Vergütung nach Maßgabe der Vergütungsgruppe VII der Anlage N der Dienstordnung vom 16. Mai 1993 auf der Grundlage der Änderung vom 23. Januar 1991 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 7.200,00 DM festgesetzt.

5

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe die begehrte Vergütung zu, denn sie erfülle die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe VII. Danach erhielten Haus- und Familienhelferinnen mit einer ihrer Tätigkeit förderlichen Ausbildung nach 3-jähriger Bewährung in dieser Tätigkeit eine entsprechende Vergütung. Dem Anspruch stehe auch nicht die Regelung in § 9 des Arbeitsvertrages der Parteien entgegen. Die neue Regelung nach den Tätigkeitsmerkmalen der Anlage N sei anwendbar, weil sie für die Klägerin günstiger sei. Weiterhin stehe der Anwendung der Anlage N auch nicht die Vorschrift des § 44 DVO entgegen. Danach erhielten sogenannte nebenberufliche Angestellte grundsätzlich zeitanteilige Vergütung vergleichbarer vollbeschäftigter Mitarbeiter. Dies bedeute aber, daß für die Eingruppierung nebenberuflicher Mitarbeiter grundsätzlich die Regelungen anzuwenden seien wie für vollbeschäftigte Mitarbeiter. Soweit in § 44 Abs. 2 DVO für nebenberufliche Mitarbeiter u. a. der Bewährungsaufstieg ausgeschlossen werde, erweise sich diese Regelung im Hinblick auf § 2 Beschäftigungsförderungsgesetz als unwirksam. Für die Frage der Eingruppierung der Klägerin komme es maßgeblich darauf an, ob sie als Haus- und Familienpflegehelferin eine ihrer Tätigkeit förderliche Ausbildung absolviert habe. Feste Kriterien für das Merkmal "förderliche Ausbildung" gebe es nicht. Die Klägerin habe eine förderliche Ausbildung absolviert, wozu namentlich ihre Ausbildung als Schwestern-Helferin im Zeitraum vom 10. September bis 9. November 1979 zähle, aber auch die ergänzenden Seminare im Bereich der Haus- und Familienpflege. Dadurch sei sie nicht etwa nur in die Lage versetzt worden, die ihr übertragene Aufgabe überhaupt wahrzunehmen. Nach der Differenzierung der Anlage N sollten für Haus- und Familienpflegehelferinnen lediglich Kenntnisse in Haushaltsführung und Kindererziehung vorhanden sein. Die höchste Qualifikation sei diejenige der Haus- und Familienpflegerin mit staatlicher Anerkennung. Dazwischen liege die Haus- und Familienpflegehelferin mit einer ihrer Tätigkeit förderlichen Ausbildung. Bereits aus der Tatsache, daß für die Haus- und Familienpflegehelferin der ersten Gruppe keinerlei Ausbildung erforderlich sei und für die dritte Gruppe eine staatliche Anerkennung Voraussetzung sei, folge für das Kriterium der"förderlichen Ausbildung", daß dazu jede einschlägige Aus- und Fortbildung zu rechnen sei, jedenfalls dann, wenn sie sowohl in der zeitlichen Dauer als auch inhaltlich von einigem Gewicht sei. Das sei hier der Fall, denn die Klägerin sei in der zweimonatigen Ausbildung zur Schwestern-Helferin mit den Grundlagen in Pflegeberufen vertraut gemacht worden und habe darüber hinaus durch die besuchten Seminare für die Haus- und Familienpflege Spezialkenntnisse auf diesem Gebiet erworben. Die Anforderungen an den Umfang und die durch die Ausbildung erworbene Qualifikation dürften nicht überspannt werden, da sich andernfalls keine sinnvolle Abgrenzung mehr zum Berufsbild "Haus- und Familienpflegerin mit staatlicher Anerkennung" ergeben würde.

6

Gegen das ihm am 16. August 1994 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14. September 1994 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. November 1994 am nämlichen Tage begründet.

7

Er macht insbesondere geltend, das Arbeitsgericht hätteüber die zu beurteilende Qualität der Weiterbildungsmaßnahmen ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Das Gericht erster Instanz habe den Begriff der "förderlichen Ausbildung" falsch interpretiert.

8

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes in I. Instanz vom 31.05.1994 abzuändern und die Klage abzuweisen.

9

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

11

Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Berufungsbegründungsschrift des Beklagten vom 4. November 1994 (Bl. 122 bis 124 d.A.) sowie die Berufungserwiderungsschrift der Klägerin vom 21. Dezember 1994 (Bl. 130 bis 132 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht die geltend gemachte Vergütung zu, wie das Arbeitsgericht mit sorgfältiger und richtiger Begründung festgestellt hat.

13

Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen dargelegt, daß weder § 9 des Dienstvertrages der Parteien noch § 44 DVO dem Anspruch der Klägerin entgegenstehen. Dieser Würdigung schließt sich das Landesarbeitsgericht an und sieht zwecks Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darlegung der Rechtslage gemäß § 543 Abs. 1 ZPO ab, zumal der Beklagte in seiner Berufungsbegründung keinerlei neue rechtliche Gesichtspunkte vorgetragen hat.

14

Entgegen der Auffassung des Beklagten hat auch das Arbeitsgericht den Begriff der "förderlichen Ausbildung" richtig interpretiert und angewandt.

15

Auszugehen ist vom systematischen Aufbau von Sparte N der Anlage 1 zu § 12 DVO. Dieser zeigt, daß die für Nr. 3 der Sparte N erforderliche "förderliche Ausbildung" über Kenntnisse in Haushaltsführung und "Kindererziehung" (vgl. Fußnote 1 zu Nr. 1. der Sparte N) hinausgehen muß, es einer staatlichen Anerkennung als Haus- und Familienpflegerin (vgl. Nr. 5. der Sparte N) jedoch nicht bedarf. Unter Ausbildung versteht man die Erlernung und Ausformung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie umfaßt sowohl eine kürzere planmäßige Spezialausbildung in einem engeren Fachgebiet (Anlernen) als auch die systematische breit angelegte Ausbildung in einem anerkannten Lehrberuf (Berufsausbildung). Die DVO verlangt erst in Nr. 5. der Sparte N einen förmlichen Abschluß als Pflegerin. Daraus folgt, daß für die Ausbildung in Nr. 3. ein besonderes Examen nicht gefordert wird. Andererseits müssen jedoch mehr als bloße "Kenntnisse in Haushaltsführung und Kindererziehung" (Fußnote 1 zu Nr. 1.) vorhanden sein. Innerhalb dieser Bandbreite liegen kurzfristige Bildungsmaßnahmen zur Weiterqualifizierung wie die von der Klägerin absolvierte Schwestern-Helferin-Ausbildung. Eine solche, wenn auch enge Ausbildung qualifiziert die bloße Helferin auf einem Spezialgebiet und ist deshalb "Ausbildung" i. S. von Nr. 3. der Sparte N. Es handelt sich auch um eine "förderliche", d. h. mit anderen Worten "nützliche" Ausbildung, denn daß eine theoretische und praktische Ausbildung im Krankenpflegebereich für die Aufgaben einer Haus- und Familienpflegerhelferin einschlägig ist, unterliegt keinem Zweifel.

16

Nach alledem war - da unstreitig die für eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe VII erforderliche Bewährungszeit gegeben ist - das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen und die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

17

Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Streitwertbeschluss:

Streitwert: 7.200,00 DM