Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.01.1995, Az.: 3 Sa 2067/94
Verstoß gegen den Gleichheitssatz der Verfassung durch Rückausnahme für die Ableistung von Grundwehrdienst oder Zivildienst von der Kürzungsvorschrift im Zuwendungstarifvertrag des öffentlichen Dienstes auch für Soldaten auf Zeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 20.01.1995
- Aktenzeichen
- 3 Sa 2067/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 10885
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1995:0120.3SA2067.94.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 24.01.1996 - AZ: 10 AZR 175/95
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 2 Satz 2 a des Zuwendungstarifvertrages des Öffentlichen Dienstes
- Art. 3 Abs. 1 GG
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Es verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz der Verfassung, wenn der Zuwendungstarifvertrag des öffentlichen Dienstes zwar eine Rückausnahme für die Ableistung von Grundwehrdienst oder Zivildienst von der Kürzungsvorschrift für jeden Kalendermonat enthält, indem der Angestellte keine Bezüge von seinem Arbeitgeber erhalten hat, nicht jedoch für Soldaten auf Zeit, die sich auf 2 Jahre verpflichtet haben.
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 1995
durch
die Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 27.11.1990 - 2 Ca 478/90 - wird auf seine Kosten (einschließlich der Kosten der Revision) zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien über die Zahlung eines weiteren Betrages einer tariflichen Sonderzuwendung für das Jahr 1988.
Der Kläger war seit dem 1. Februar 1982 zunächst zur Ausbildung und ab dem 16. Juni 1985 als Verwaltungsfachangestellter bei der Beklagten beschäftigt. In der Zeit vom 1. Oktober 1986 bis zum 30. September 1988 diente er als Zeitsoldat im Beamtenverhältnis bei der Bundeswehr. Ab 1. Oktober 1988 wurde der Kläger der beklagten Stadt weiterbeschäftigt.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund beiderseitiger Tarifbindung sowie zusätzlich kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundes-Angestelltentarifverträge (BAT) und die diesen ergänzenden Tarifverträge Anwendung.
Für das 1988 zahlte die beklagte Stadt an den Kläger 3/12 der tariflichen Sonderzuwendung in Höhe von 563,82 DM brutto. Der ungekürzte tarifliche Anspruch hätte 2.255,28 DM brutto betragen.
Mit der Klage vom 30. Oktober 1990 hat der Kläger die Zahlung des Differenzbetrages von 1.691,46 DM verlangt, dem er zuvor mit Schreiben vom 24. Februar 1989 bei der beklagten Stadt erfolglos geltend gemacht hatte.
wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Tatbestände des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 27.11.1990 - 2 Ca 478/90 -, des Berufungsurteils vom 28. Februar 1992 - 3 Sa 6/91 - sowie des Revisionsurteils vom 7. September 1994 - 10 AZR 735/93 - verwiesen.
Nunmehr beantragt der Kläger erneut,
unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die beklagte Stadt beantragt weiterhin,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit der Parteien zutreffend entschieden. Das Berufungsgericht macht sich wiederum dessen Erwägungen zu eigen, so daß hierauf ebenfalls erneut verwiesen werden kann (§ 543 ZPO).
Dem Zuwendungstarifvertrag des Öffentlichen Dienstes, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, liegt die grundsätzliche Regelung zugrunde, daß die Zuwendung lediglich dann in voller Höhe gezahlt wird, wenn der Angestellte während des ganzen Jahres Bezüge von demselben Arbeitgeber erhalten hat. Hat der Angestellte nicht für jeden Kalendermonat Bezüge von seinem Arbeitgeber erhalten, vermindert sich die Zuwendung um 1/12 für jeden Kalendermonat.
Soweit der Zuwendungstarifvertrag darüber hinaus Rückausnahmen von dieser Kürzungsvorschrift enthält, erfüllt der Kläger keinen dieser Ausnahmetatbestände. § 2 Abs. 2 Satz 2 a des Zuwendungstarifvertrages schreibt allein für die Ableistung von Grundwehrdienst oder Zivildienst vor, daß die Zwölftelung nicht durchzuführen ist. Soldaten auf Zeit, die sich auf 2 Jahre verpflichtet haben, wie eben auch der Kläger, fallen nicht unter diese Vorschrift, denn ihre zweijährige Dienstzeit ist keine Zeit des Grundwehrdienstes.
Die Tarifvertragsparteien sind nach der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht aus Rechtsgründen gehalten gewesen, ihre Rückausnahmetatbestände zu erweitern und sie zudem auch auf Soldaten auf Zeit, die sich auf zwei Jahre verpflichtet haben, zu erweitern. Denn es stellt keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz der Verfassung oder den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz dar, wenn Soldaten auf Zeit, die sich auf zwei Jahre verpflichtet haben, anders als Wehrpflichtige, die den Grundwehrdienst absolvieren, nicht in einen der Ausnahmetatbestände hinsichtlich der genannten Kürzungsvorschrift aufgenommen werden.
Die Ausgestaltung der beiden Rechtsverhältnisse eines Soldaten auf Zeit einerseits und eines wehrpflichtigen (oder eines Zivildienstleistenden) andererseits ist insgesamt derart unterschiedlich, gerade auch bezügemäßig, daß nicht ein einzelner Bestandteil oder eine einzelne Regelung objektiv willkürlich herausgegriffen und miteinander verglichen werden kann. Insgesamt gesehen, sind Soldaten auf Zeit über ihre Bezüge finanziell weitaus bessergestellt als Wehrpflichtige, die auf ihren Wehrsold angewiesen sind, auch wenn sie hinterher, je nach Fallgestaltung, im Einzelfall eine ungekürzte und damit höhere Zuwendung für ein einziges Kalenderjahr erhalten können.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gehören nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem vorstaatlichen überpositiven Recht an (vgl. z.B. BVerfGE 1, 208 (233); 6, 84 (91)). Mit dieser Maßgabe wendet auch das Bundesarbeitsgericht den allgemeinen Gleichheitssatz an, mit Recht im übrigen auch auf Tarifverträge als "Gesetze im materiellen Sinn" (vgl. z.B. BAGE 42, 217 (220) [BAG 19.04.1983 - 1 AZR 498/81]; siehe auch BVerfGE 21, 362 [BVerfG 11.04.1967 - 2 BvC 5/67] (372)). Auch die neue Rechtsprechung des BAG geht von einer Bindung der Tarifautonomie an den allgemeinen Gleichheitssatz aus. Dabei erkennt das BAG auch, daß zwischen dem Grundsatz der Vertragsfreiheit einerseits und dem der Gleichheitsbindung andererseits Konflikte auftreten können. Das BAG will den Vorrang der Vertragsfreiheit aber freilich "nur für individuell getroffene Vereinbarungen" anerkennen. "Stell der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer besser, so können die anderen Arbeitnehmer daraus keinen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten. Dagegen greift das Gebot der Gleichbehandlung immer dann ein, wenn der Arbeitgeber die Leistungen nach einem erkennbaren Prinzip in Gestalt abstrakter Regelungen gewährt" (BAG AP Nr. 18 zu § 1 BetaVG Gleichbehandlung; vgl. auch bereits BAGE 45, 66 (73); 63, 181 (185)).
Diese Rechtsprechung bezieht sich allerdings zunächst auf den allgemeinen (privatrechtlichen) Gleichbehandlungsgrundsatz, sie läßt sich nicht ohne weiteres auf das Verhältnis von Tarifautonomie und Gleichheitssatz übertragen, weil es sich hier nicht um das Verhältnis von individueller Vertragsfreiheit und Gleichheitsbindung, sondern um das Verhältnis von Normsetzung kraft kollektiver Privatautonomie und entsprechender Gleichheitsbindung handelt. Insofern ist nach wie vor zwischen dem privatrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Gleichbehandlungsgrundsatz einerseits und dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu unterscheiden.
Für letzteren ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgebend. Sie hat die wesentlichen Grundsätze und Kriterien für die Bindung der staatlichen und damit ebenso der staatlich verliehenen oder anerkannten Normsetzung an dem (allgemeinen) Gleichheitssatz entwickelt. "Der Gleichheitssatz verbietet, daß wesentlich gleiches ungleich, nicht dagegen, daß wesentliches ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt wird" (vgl. BVerfGE 1, 52; 9, 334 (337); 21, 6 (9); 45, 376 (386)). Der allgemeine Gleichheitssatz erlaubt hiernach durchaus Differenzierungen. Er verbietet nur willkürliche Ungleichbehandlungen (vgl. BVerfGE 4, 144 (155); 50, 177 (186), 55, 114 (128)). Umgekehrt bedeutet dies, daß Differenzierungen immer dann in einer rechtlichen oder gesetzlichen Regelung verfassungsmäßig sind, wenn sie sich auf einen sachlichen (Differenzierung-) Grund berufen können (vgl. BVerfGE 1, 14 (52); 61, 138 (147); 68, 237 (250)). Dieser "sachliche Grund" kann ebenso im inhaltlich-materiellen Bereich als auch im Bereich des Gesetzgebungsverfahrens bzw. der gesetzgeberischen Regelungshoheit selbst liegen.
Sind aber durch den Gleichheitssatz der Verfassung durchaus Differenzierungen erlaubt und nur willkürliche Ungleichbehandlungen verboten, so ist nicht festzustellen, daß die Tarifvertragsparteien von Rechts wegen gehalten gewesen wären, im Hinblick auf den völlig unterschiedlichen finanziellen Status von Wehrpflichtigen einerseits und Soldaten auf Zeit andererseits diesen im Hinblick auf die Sonderzuwendung gleich zu behandeln.
An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, entgegen der Auffassung des Klägers, durch die Regelungen im § 16 a Abs. 1 des Arbeitsplatzschutzgesetzes (vgl. dazu neuerdings BAG Urteil vom 27.01.1994 - 6 AZR 446/93; Urteil vom 28.06.1994 - 3 AZR 988/93). Hieraus folgt weder allein noch i.V.m. Art. 3 GG eine Verpflichtung für die Tarifvertragsparteien die vom Gesetzgeber für richtig gehaltene Gleichstellung auch tarifvertraglich nachzuvollziehen.
Ein weiterer Gesichtspunkt steht dem Klagbegehren entgegen. Das Bundesverfassungsgericht namentlich hat ausgesprochen, daß eine auf Art. 3 GG gestützte Entscheidung die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nach Möglichkeit wahren muß. "Begünstigt der Gesetzgeber unter Verstoß gegen Art. 3 GG bestimmte Gruppen, so kann das Bundesverfassungsgericht entweder die begünstigende Vorschrift für nichtig erklären oder feststellen, daß die nicht Berücksichtigung einzelner Gruppen verfassungswidrig ist, es darf jedoch die Begünstigung nicht auf die ausgeschlossenen Gruppen erstrecken, wenn nicht mit Sicherheit anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber bei Beachtung des Art. 3 GG eine solche Regelung getroffen hätte (vgl. BVerfGE 8, 28 (36 ff); 9, 250 (255); 14, 308 (311 f); 15, 121 (125); 18, 288 (301 f); 23, 1 (10)). Dies gilt für das Verhältnis von Tarifautonomie und Gleichheitssatz entsprechend. Denn da die Tarifautonomie als materielle Normsetzung ebenfalls auf der prinzipiellen Entscheidungs- oder Gestaltungsfreiheit der mit dem Recht zur Normsetzung begabten Tarifvertragsparteien beruht, muß die Gleichheitsbindung der Tarifautonomie im entsprechend eingeschränkten Sinne praktiziert werden.
Tarifverträge, die über die Begünstigung bestimmter Gruppen gegebenenfalls gleichheitswidrige Tatbestände schaffen, können nicht mit der Maßgabe durch die Rechtsprechung korrigiert werden, daß die genannten Begünstigungen automatisch auf die benachteiligten Gruppen erstreckt werden. Auch den Tarifvertragsparteien muß das Recht belassen bleiben, bestimmte Begünstigungen entweder ihrerseits auch auf die benachteiligten Gruppen selbst zu erstrecken oder umgekehrt zu verfahren, d.h. die gleichheitswidrige Begünstigung zurückzunehmen und auf diese Weise wieder für Gleichheit zu sorgen. Gleichheitsverstöße im Rahmen jedweder Normsetzung lassen sich eben in zweifacher Richtung reparieren: Entweder wird eine Begünstigung auf die Benachteiligten erstreckt oder die Begünstigung wird generell zurückgenommen, so daß entweder positiv oder negativ wieder für rechtliche Gleichheit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG gesorgt wird. Dem Kläger für seine Dienstzeit als Soldat auf Zeit die Sonderzuwendung zu verweigern, verstößt offensichtlich materiell gegen keine Verfassungsbestimmung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Der Kläger muß, weil er unterlegen ist, auch die Kosten der Revision tragen.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 ArbGG.