Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.12.1995, Az.: 8 Sa 593/95

Übergang eines befristeten, mehrfach verlängerten Arbeitsverhältnisses infolge Überschreitung der Höchstgrenze von fünf Jahren in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ; Verwirkung der Klagebefugnis aufgrund des verspäteten Eingangs der Klage beim Arbeitsgericht; Anspruch auf Überbrückungsgeld nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
05.12.1995
Aktenzeichen
8 Sa 593/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17015
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1995:1205.8SA593.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Göttingen - 24.01.1995 - AZ: 3 Ca 379/94

In dem Rechtsstreit
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 1995
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 24. Januar 1995 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darum, ob das nach § 57 b Abs. 2 HRG befristete, mehrfach verlängerte Arbeitsverhältnis vom 1. April 1989 bis 30. April 1994 infolge Überschreitung der Höchstgrenze von fünf Jahren in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergegangen ist, und vorab ob die Klägerin die Klagebefugnis verwirkt hat, weil die Klage erst am 13. Juni 1994 beim Arbeitsgericht eingegangen ist.

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Die am 30. Juli 1953 geborene Klägerin hat nach einer Ausbildung zur Chemotechnikerin (1969 bis 1971) das Abendgymnasium besucht und anschließend ein Hochschulstudium aufgenommen, das sie am 19. Juni 1980 mit dem ersten Staatsexamen in Physik, Chemie und Erziehungswissenschaften abgeschlossen hat. Das zweite Staatsexamen hat sie am 22. März 1982 abgelegt. Anschließend war sie knapp drei Jahre freiberuflich tätig (Umstrukturierung eines landwirtschaftlichen Betriebes) und hat sich gleichzeitig auf die Eignungsprüfung zur Ausbilderin für Physiklaboranten/innen vorbereitet, die sie am 20. September 1985 vor der Industrie- und Handelskammer Hannover-Hildesheim bestanden hat. Bereits 1/2 Jahr zuvor (ab 15. März 1985) hat das beklagte Land sie befristet bis 14. März 1988

"als Ausbilderin für Physiklaboranten in den physikalischen Instituten im Rahmen des vom Nieders. Minister für Wissenschaft und Kunst geförderten und auf drei Jahre begrenzten 2. Ausbildungsplatzsonderprogramms"

3

eingestellt (Bl. 7 d. A.). Diese Einstellung ist anschließend bis längstens 31. März 1989 verlängert worden (Bl. 8 f. d. A.). Die Klägerin erhielt Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT. Den Verlängerungsvertrag haben die Parteien für die Zeit vom 12. Januar 1989 bis 31. März 1989 dahin geändert, daß die Beschäftigung

4

"überbrückungsweise zur Durchführung der Ausbildung der Physiklaboranten bis zur Übernahme von Tätigkeiten im Rahmen eines Forschungsprojektes, längstens bis zum 31.03.1989""erfolgt"

5

(Bl. 10 f. d. A.). Die Klägerin erhielt Vergütung nach Vergütungsgruppe V b BAT.

6

In dem Anschlußvertrag für die Zeit vom 01. April 1989 bis 31. Dezember 1990 ist als Befristungsgrund angegeben (Bl. 12 f. d. A.):

7

"Die Befristung erfolgt gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 5 des Hochschulrahmengesetzes in der z.Z. geltenden Fassung. Frau ... wird erstmals als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt. Die Beschäftigung erfolgt in dem von dem Bundesminister für Forschung und Technologie finanzierten Forschungsvorhaben ... - Teilvorhaben: Einfluß von Struktur und Strukturdefekten auf die Eigenschaften der Hochtemperatur-Supraleiter".

8

Es folgten weitere Beschäftigungsverträge bis 30. April 1994, mit, März 1991 ausgenommen, gleichlautenden Befristungsgründen:

"Die Befristung erfolgt gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 4 des Hochschulrahmengesetzes in der z. Z. geltenden Fassung zur wissenschaftlichen Mitarbeit im Rahmen des von dem Bundesministerium für Forschung und Technologie finanzierten Forschungsvorhaben [XXXXX]

9

Für März 1991 lautet der Befristungsgrund (Bl. 16 d. A.):

"Die Befristung erfolgt gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 2 des Hochschulrahmengesetzes in der z. Z. geltenden Fassung aus Mitteln, die gemäß § 12 HG nur für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind. Die Beschäftigung erfolgt überbrückungsweise bis zur Bewilligung der Finanzierung des Forschungsprojektes ... durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie, längstens jedoch bis zum 31.03.1991."

10

Mit Schreiben vom 06. Januar 1994 ihrer späteren Prozeßbevollmächtigten (Bl. 60 d. A.) hat die Klägerin darlegen lassen, daß die 5-Jahresfrist um einen Monat überschritten sei, was "eigentlich nur dazu führen" könne, "den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses über den 30.04.94 hinaus anzunehmen."

11

Das beklagte Land ist dieser Ansicht mit Schreiben vom 20. Januar 1994 (Bl. 61 f. d. A.) mit dem Hinweis entgegengetreten, der Vertrag für die Zeit vom 01. April 1989 bis 31. Dezember 1990 sei wegen der Befristung gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 5 HRG nach § 57 c Abs. 2 HRG in die Berechnung nicht einzubeziehen.

12

Mit Schreiben vom 07. April 1994 (Bl. 64 d. A.) hat das beklagte Land die Klägerin gebeten, zur Prüfung, ob ihr nach dem Ausscheiden am 30. April 1990 Überbrückungsgeld gemäß §§ 62 bis 64 BAT gewährt werden könne, den anliegenden Vordruck unterschrieben zurückzusenden, und ihr insofern weitere Informationen erteilt. Die Klägerin hat den Antrag am 12. April 1994 unterzeichnet und zurückgesandt (Bl. 53 d. A.).

13

Das Arbeitsgericht hat die Klagebefugnis der Klägerin nicht als verwirkt und die Höchstgrenze von 5 Jahren (§ 57 c Abs. 2 Satz 1 und 2 HRG) nicht als überschritten (§ 57 c Abs. 2 Satz 2 und 3 HRG) angesehen.

14

Die Klägerin hält die Befristung gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 5 HRG für die Zeit vom 01. April 1989 bis 31.12.1990 für unzulässig und auch nicht den Tatsachen entsprechend.

15

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 24. Januar 1995 - 3 Ca 379/94 - abzuändern und festzustellen, daß das zwischen den Parteien mit Arbeitsvertrag vom 07. November 1991 begründete Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen über den 30. April 1994 hinaus fortbesteht.

16

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

17

Das beklagte Land verteidigt das angefochtene Urteil.

18

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil mit den darin enthaltenen Verweisungen und die zwischen den Parteien im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

20

Nach Auffassung der Kammer hat die Klägerin die Klagebefugnis verwirkt. Sie ist der substantiierten Darlegung des beklagten Landes im Schreiben vom 20. Januar 1994 nicht mehr entgegengetreten und hat den Antrag auf Überbrückungsgeld gestellt, ohne gleichzeitig oder zuvor darauf hinzuweisen, daß sie das Beschäftigungsverhältnis nicht als beendet ansieht. Daraus konnte und durfte das beklagte Land schließen, daß die Klägerin die im Schreiben vom 20. Januar 1994 dargelegten Tatsachen und die daraus abgeleitete Rechtsfolge akzeptiert hat. Daß die Klägerin nach ihrer Behauptung mit ihrem fachlichen Vorgesetzten, Professor ... über eine Vertragsverlängerung verhandelt und die Wanderausstellung "Frauen in der Physik" noch in den ersten Tagen des Mai 1994 zu Ende geführt haben will, führt zu keiner anderen Bewertung. Der fachliche Vorgesetzte ist nicht gleichzusetzen mit der Personalleitung der Universität. Es ist nicht ersichtlich, daß die Wanderausstellung Teil des Forschungsvorhabens war.

21

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von dem der Entscheidung des BAG vom 28. Februar 1990 - 7 AZR 143/89 - (Etzel RzK I 9 f Nr. 29) zugrunde liegenden Sachverhalt, nach dem die Klage zwei Monate und 10 Tage nach der Nichtverlängerungsmitteilung, aber vor Ablauf der vereinbarten Beendigungsfrist des Beschäftigungsverhältnisses erhoben war. Die Klägerin hat hier gerechnet vom Schreiben vom 20. Januar 1994 an fast 5 Monate, davon 1 1/2 Monate nach der vereinbarten Vertragsbeendigung, bis zur Klagerhebung verstreichen lassen, und darüber hinaus den Antrag auf Gewährung von Überbrückungsgeld gestellt.

22

Die Kammer hält auch die 5-Jahresfrist nicht für überschritten. Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, daß sie bereits vor dem 01. April 1989 als wissenschaftliche Mitarbeiterin eingesetzt worden ist. Als Ausbilderin war sie in ihrem erlernten Fachbereich tätig, aber nicht wissenschaftliche Mitarbeiterin. Daß das zweite Staatsexamen am 01. April 1989 mehr als vier Jahre zurücklag, führt nicht zur Unwirksamkeit der Befristung gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 5 HRG, § 57 b Abs. 6 HRG enthält eine Sollvorschrift, läßt also Ausnahmen zu. Nach fast dreijähriger Pause war die Klägerin in ihrem Fachbereich viele Jahre als Ausbilderin qualifiziert tätig. Sie hat dadurch den Bezug zu ihrer Hochschul- und der anschließenden Referendarausbildung aufrechterhalten, so daß die Befristung gemäß § 57 b Abs. 2 Nr. 5 HRG gerechtfertigt war.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

24

Grunde, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen (vgl. § 72 a ArbGG).