Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.02.1995, Az.: 13 Sa 1250/94 E
Eingruppierung einer im Bereich " Verkehrsordnungswidrigkeiten" tätigen Verwaltungsangestellten; Arbeitsvorgänge entsprechend den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe; Sachverhaltsaufklärung und Sachverhaltsauswertung mit gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen und selbständiger Leistung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 07.02.1995
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1250/94 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 10867
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1995:0207.13SA1250.94E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Wilhelmshaven - 27.05.1994 - AZ: 1 Ca 354/93 E
- nachfolgend
- BAG - 16.04.1997 - AZ: 4 AZR 350/95
Rechtsgrundlagen
- § 22 Abs. 2 BAT
- Vergütungsgruppe V c BAT
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Sachbearbeiterin, die Verwarnungen im Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten bearbeitet, benötigt vielseitige und gründliche Fachkenntnisse.
- 2.
Sachverhaltsaufklärung verbunden mit der Entscheidung über Aufrechterhaltung oder Aufhebung von Verwarnungen oder Bußgeldbescheiden ist als selbständige Leistung zu bewerten.
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 07. Februar 1995
durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
den ehrenamtlichen Richter Hempel und
die ehrenamtliche Richterin Wilhelm
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 27.05.1994, 1 Ca 354/93 E, abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.04.1991 Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf den Nettodifferenzbetrag ab 24.03.1993 bzw. für die nachfolgenden Differenzansprüche ab jeweiliger monatlicher Fälligkeit.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 19.482,52 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Berufungsverfahren ab 01.04.1991 Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT, geltend gemacht mit Schreiben vom 30.09.1991.
Die Klägerin, die 1985 die erste Prüfung für Angestellte im kommunalen Verwaltungs- und Kassendienst bestanden hat, ist seit dem 01.09.1979 als Verwaltungsangestellte der beklagten Stadt beschäftigt und erhält seit 1985 Vergütung nach Vergütungsgruppe VII BAT. Seit dem 17.11.1992 befindet sie sich im Erziehungsurlaub. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung und aufgrund vertraglicher Vereinbarung der BAT Anwendung.
Seit dem 01.10.1990 ist die Klägerin als Sachbearbeiterin befaßt mit der Bearbeitung von Verwarnungen im Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten. (Zur früheren Tätigkeit ist von den Parteien nicht vorgetragen worden.) Sie bearbeitet Verkehrsordnungswidrigkeiten, die nach dem aufgrund § 27 StVG erlassenen Verwarungsgeldkatalog mit einem Verwarnungsgeld von bis zu 75,00 DM geahndet werden können.
Nach Darstellung der Klägerin gliedert sich ihre Tätigkeit in folgende Arbeitsvorgänge:
1. | Verwarngeld mit Erlaß eines Bußgeldbescheides | 46,86 % |
---|---|---|
2. | Verwarngeld mit Einstellung des Verfahrens | 2,53 % |
3. | Entscheidung über Einsprüche | 39,27 % |
4. | Verfristete Einsprüche | 0 % |
5. | Wiedereinsetzungsanträge | 4,28 % |
6. | Kostenbescheid | 7,07 % |
7. | Fahrtenbuch | 0 % |
Ergänzend wird Bezug genommen auf Seite 4 bis 13 der Klageschrift und auf die von der Klägerin in der Klageschrift vorgelegten Aufzeichnungen über die Tätigkeit, Bl. 14 f. d. A.
Nach der von der Beklagten vorgelegten Arbeitsplatzbeschreibung (Bl. 179, 180 d. A.) liegen folgende Arbeitsvorgänge vor:
1. | Bearbeitung und Entscheidung von Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren/-verwarnung einschließlich Halterermittlungen | 60 % |
---|---|---|
2. | Sachbearbeitung von Einsprüchen | 30 % |
3. | Sachbearbeitung bei Kostenbescheid | 10 % |
In einer Arbeitsplatzüberprüfung der Bewertungskommission der Beklagten vom 06.05.1991 (Bl. 89 u. 90 d. A.) ist folgendes festgestellt:
Kennzeichnend für die Tätigkeit der Stelleninhaberin ist aber, daß ihr durch entsprechende Rechtsnormen sowohl das Verfahren als auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Verkehrsteilnehmer vorgegeben sind. Ihre wesentliche Aufgabe liegt in der Sachverhaltsermittlung, wobei sie zwar auch die Einlassungen und Argumente der Beteiligten bewerten muß, sich aber im allgemeinen auf eindeutige Unterlagen der Ermittlungsbehörden stützen kann (z. B. Anzeigen der Polizei, Politessen).
Die Bewertungskommission hat mit Ausnahme der Bearbeitung von Wiedereinsetzungsanträgen in den vorigen Stand selbständige Leistungen verneint.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren sechs typische Aktenvorgänge, bearbeitet von der Vertreterin der Klägerin, vorgelegt. Auf die Anlagen zur Akte wird verwiesen.
Die Sachbearbeitung im Bereich der Verkehrsordnungswidrigkeiten mit Verwarnungsgeld umfaßt schwerpunktmäßig den ruhenden Verkehr (Halte- und Parkverstöße) und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Hinzu kommen Unfallanzeigen, wobei es sich im wesentlichen um Auffahrunfälle oder Fahrbahnwechsel handelt.
Bei Verstößen im ruhenden Verkehr gibt die Politesse die einzelnen Daten in ein Erfassungsgerät ein, sodann wird durch EDV automatisch die schriftliche Verwarnung erstellt. Wird das Verwarngeld bezahlt, ist der Vorgang ohne Einschaltung der Klägerin erledigt. Wird das Verwarnungsgeld nicht bezahlt, wird der Bußgeldbescheid ohne Kontrolle durch die Klägerin durch die EDV erstellt. Die Klägerin wird nur tätig, wenn der Verwarnte aufgrund der Verwarnung eine Gegenäußerung abgibt. Sie hat diese Gegenäußerung zu prüfen, Sachverhaltsaufklärung durchzuführen etwa durch Rückfrage bei der Politesse oder anderen Ämtern oder durch Veranlassung von Zeugenvernehmungen. Sodann hat sie zu entscheiden, ob das Verfahren eingestellt wird oder ob erneut ein Verwarnungsgeld angeboten wird oder ob ein Bußgeldbescheid erlassen wird. Weiterhin wird die Klägerin tätig, wenn ein Bußgeldbescheid erlassen ist, sei es automatische wegen Nichtzahlung des Verwarnungsgeldes oder nach Gegenäußerung, und der Betroffene Einspruch einlegt. In diesem Fall hat sie die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zu prüfen und gegebenenfalls über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Sodann sind die Einspruchsgründe zu prüfen unter Einschluß notwendiger Sachverhaltsaufklärung. Im Ergebnis hat sie dann zu entscheiden, ob sie das Verfahren einstellt oder an die Staatsanwaltschaft abgibt.
Bei Ordnungswidrigkeiten, die nicht von der Politesse, sondern von der Polizei festgestellt werden, erhält die Klägerin einen von einem Polizeibeamten ausgefüllten Erfassungsbogen (vergl. Seite 2, Aktenfall Nr. 4). Sie füllt den Stempelaufdruck aus, wobei sie insbesondere den Ablauf der Verjährung einträgt. Droht zeitnah Verjährung, veranlaßt sie den Erlaß eines Bußgeldbescheides. Im übrigen gibt sie den Erfassungsbogen weiter zur EDV-mäßigen Bearbeitung. Sie wird in diesen Fällen erst wieder tätig nach Gegenäußerung bzw. Einspruch, und zwar so, wie zum Bereich des ruhenden Verkehrs beschrieben.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Tätigkeit fordere selbständige Leistung, weil sie Ermittlungen zur Sachverhaltsaufklärung vornehmen müsse, den Sachverhalt auswerten und sodann über Einstellung oder Erlaß eines Bußgeldbescheides bzw. Abgabe an die Staatsanwaltschaft entscheiden müsse.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.01.1991 Vergütung nach der ... Vergütungsgruppe V c BAT zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeit erfolge überwiegend nach vorgezeichneten Abläufen. Sachverhaltsaufklärung und Entscheidung stellten keine wesentlichen Anforderungen, so daß selbständige Leistungen zu verneinen seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt die Klägerin vor, sie müsse über umfangreiche Rechtskenntnisse aus den Bereichen des Straßenverkehrsrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts verfügen einschließlich von Teilgebieten des Verwaltungsrechts und des Strafprozeßrechts. Gründliche und vielseitige Fachkenntnisse seien deshalb zu bejahen. Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung sei zu entscheiden, ob und welche Ermittlungen anzustellen seien. Die Ermittlungsergebnisse seien auszuwerten und sodann sei zu entscheiden, ob Verwarnungsgeld oder Bußgeldbescheid aufrecht zu erhalten seien oder ob das Verfahren einzustellen sei. Damit sei selbständige Leistung zu bejahen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 27.05.1994 - 1 Ca 354/93 E - festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.04.1991 Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT, hilfsweise nach der Vergütungsgruppe VI b BAT zu zahlen und die jeweiligen monatlichen Nettodifferenzbeträge zu Vergütungsgruppe VII BAT mit 4 % zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, wie die Arbeitsvorgänge zu bilden seien, könne offen bleiben. In jedem Fall seien die Anforderungen der Vergütungsgruppen V c und VI b BAT nicht erfüllt. Die Klägerin habe mit übersichtlichen und wenig komplizierten Vorschriften zu arbeiten, so daß nicht von dem Erfordernis gründlicher und vielseitiger Fachkenntnisse auszugehen sei. Bei den Ermittlungen, die zur subjektiven Verwerfbarkeit und zum objektiven Tatbestand durchzuführen seien, habe die Klägerin die Feststellungen von Politessen oder Polizei zugrunde zu legen. Diese würden bei Gegenäußerungen durch den Betroffenen normalerweise befragt. Soweit weitere Zeugen zu vernehmen seien, würden sie von den Verwarnten angegeben. Deshalb seien auch selbständige Leistungen zu verneinen.
Ergänzend wird wegen des zweitinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen auf Berufungsbegründung und Berufungserwiderung.
Gründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66, ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Sie hat Anspruch auf Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT.
Die Klägerin ist Verwaltungsangestellte im Innendienst. Maßgebend für die Eingruppierung sind deshalb die allgemeinen Fallgruppen der Anlage 1 a zum BAT-VKA. Eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe V c BAT setzt damit voraus, daß die Tätigkeit der Klägerin gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert (Vergütungsgruppe VII, Fallgruppe 1 b) und darüber hinaus zu mindestens einem Drittel (Vergütungsgruppe V c, Fallgruppe 1 a) oder zu fünfzig Prozent (Vergütungsgruppe V c, Fallgruppe 1 b) selbständige Leistungen vorliegen.
Für die Eingruppierung der Klägerin ist gemäß § 22 Abs. 2 BAT auf Arbeitsvorgänge abzustellen. Die Arbeitsvorgänge müssen grundsätzlich zeitlich zu mindestens der Hälfte den Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals entsprechen. Legt das Tätigkeitsmerkmal ein abweichendes zeitliches Maß fest, gilt dieses. Das bedeutet hier, daß zu fünfzig Prozent Arbeitsvorgänge vorliegen müssen, die gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordern (Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1 b) und zumindest einem Drittel Arbeitsvorgänge, die selbständige Leistungen erfordern (Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 1 a).
Unter einem Arbeitsvorgang ist die abgrenzbare und selbständige Arbeitseinheit zu verstehen, die unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeit und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führt (z. B.: BAG AP Nr. 116 und Nr. 121 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Bei der Festlegung des Arbeitsvorganges ist die Tätigkeit nicht bis ins einzelne aufzugliedern, vielmehr sind zusammenhängende Arbeitsschritte, die bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses anfallen, zusammenzufassen. Darüber hinaus können auch einzelne Aktenbearbeitungen zu einem großen einheitlichen Arbeitsvorgang zusammengefaßt werden, wenn sie einem identischen Arbeitsergebnis dienen (BAG AP Nr. 145, 143 und 136 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Dies gilt aber nicht, wenn die Einzeltätigkeiten tatsächlich trennbar sind, unterschiedliche Anforderungen stellen und eine unterschiedliche tarifliche Bewertung in Betracht kommt (BAG AP Nr. 129, 124, 120 und 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAG vom 28.09.1994, 4 AZR 542/93).
Bei der Bildung von Arbeitsvorgängen ist hier entscheidend, daß die Klägerin nicht mit dem Erlaß von Verwarnungsgeldbescheiden befaßt ist, sondern im wesentlichen erst tätig wird, wenn der Betroffene eine Gegenäußerung gegen das Verwarnungsgeld abgibt oder gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hat. Sie hat die Einwände zu prüfen, Sachverhaltsaufklärung zu betreiben mit dem angestrebten Arbeitsergebnis, entweder das Verfahren einzustellen oder Bußgeldbescheid zu erlassen bzw. das Verfahren an die Staatsanwaltschaft abzugeben. Wesentliche Inhalte der Tätigkeit sind die Prüfung von Einwänden, die Sachverhaltsaufklärung und die Bewertung des Ermittlungsergebnisses. Dies gilt sowohl bei Gegenäußerung als auch bei Einspruch gegen Bußgeldbescheide, eine Aufgliederung beider Teiltätigkeiten in gesonderte Arbeitsvorgänge ist deshalb weder notwendig noch sinnvoll.
Auszugehen ist damit von einem großen Arbeitsvorgang Sachverhaltsaufklärung, und zwar einschließlich Entscheidung nach Gegenäußerung oder Einspruch. Dieser Arbeitsvorgang umfaßt die von der Klägerin als Arbeitsvorgänge zu 1 bis 3 und 6 aufgeführten Teiltätigkeiten. Insbesondere ist die Teiltätigkeit Kostenbescheid mit umfaßt. Es handelt sich hierbei um Halte- oder Parkverstöße, bei denen nach Gegenäußerung oder Einspruch der Führer des Fahrzeugs nicht ermittelt werden kann und gemäß § 25 a StVG dem Halter die Verfahrenskosten aufzuerlegen sind. Es geht also um Fälle, in denen nach Sachverhaltsermittlung und -auswertung eine Entscheidung zu treffen ist.
Als weitere Arbeitsvorgänge sind anzunehmen
- Ausfüllung des Stempelaufdrucks auf dem polizeilichen Erfassungsbogen.
- Bearbeitung von Widereinsetzungsanträgen.
In welchem zeitlichen Umfang der Arbeitsvorgang Ausfüllung des Stempelaufdrucks auf den polizeilichen Erfassungsbögen anfällt, ist nach dem Parteivortrag nicht exakt feststellbar. Allerdings steht fest, daß Anzeigen durch die Polizei eher in geringerem Umfange anfallen, die Ausfüllung des Stempelaufdrucks eine schnell zu erledigende routinemäßige Arbeit darstellt, so daß davon auszugehen ist, daß dieser Arbeitsvorgang in zeitlich nicht erheblichem Umfang anfällt. Ein Anteil von 10 Prozent, der eher zu hoch gegriffen ist, kann unterstellt werden. Für die Bearbeitung von Wiedereinsetzungsanträgen gibt die Klägerin einen Anteil von 4,28 Prozent an, die Bewertungskommission der Beklagten geht von 2 Prozent aus. Der Arbeitsvorgang Sachverhaltsaufklärung und -entscheidung nach Gegenäußerung oder Einspruch macht damit nach Klägervortrag mehr als 80 Prozent der Gesamttätigkeit aus. Dem entspricht auch das Beklagtenvorbringen. Die Bewertungskommission führt aus, die wesentliche Aufgabe der Klägerin bestehe in der Sachverhaltsermittlung. Es kann deshalb der Arbeitsvorgang Sachverhaltsaufklärung einschließlich Zusammenhangsarbeit als zeitlich weit überwiegend der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
Nach Auffassung der Kammer war auch eine Zusammenfassung der Tätigkeit in den großen Arbeitsvorgang Sachverhaltsaufklärung möglich und zulässig Zur hier erforderlichen Feststellung der selbständigen Leistungen ergeben sich nach Auswertung der von der Beklagten eingereichten Aktenvorgänge keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung zwischen Vorgängen mit und ohne selbständige Leistungen. Die tarifliche Wertigkeit der Tätigkeit zwingt damit nicht zu einer Aufgliederung in mehrere Arbeitsvorgänge. Auf die weiteren Ausführungen zur Selbständigkeit der Leistungen wird verwiesen.
Der Arbeitsvorgang erfordert gründliche und vielseitige Fachkenntnisse im Sinne der Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1 b. Nach der von den Tarifvertragsparteien gegebenen Klammerdefinition erfordern gründliche Fachkenntnisse nähere Kenntnisse von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Tarifbestimmungen usw. des Aufgabenkreises des Angestellten. Nach der Rechtssprechung des BAG (Urteil vom 28.09.1994, 4 AZR 542/93) enthält das Tarifmerkmal der gründlichen Fachkenntnisse sowohl ein quantitatives als auch ein qualitatives Element. Fachkenntnisse müssen danach von nicht ganz unerheblichem Ausmaß und nicht nur oberflächlicher Art. erforderlich sein. Das zusätzliche Merkmal der vielseitigen Fachkenntnisse erfordert eine Erweiterung der Fachkenntnisse dem Umfange nach. Vielseitigkeit kann sich ergeben aus der Menge der anzuwendenden Vorschriften und Bestimmungen, wobei auch Erfahrungswissen zu berücksichtigen ist (BAG vom 28.09.1994, 4 AZR 542/93; BAG AP Nr. 94 zu §§ 22, 23, BAT 1975).
Die Klägerin benötigt für ihren Aufgabenbereich gründliche und vielseitige Fachkenntnisse. Es handelt sich nicht um ein Sachgebiet, das mit nur oberflächlichen und eng begrenzten Fachkenntnissen zu bearbeiten wäre. Die Tätigkeit liegt zwar schwerpunktmäßig im Bereich Parkverstöße und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Es fallen aber auch anderweitige Ordnungswidrigkeiten aus dem Bereich des Straßenverkehrsrechts an. Daneben sind Kenntnisse des Ordnungswidrigkeitsrechts, des Verwarnungsgeldkatalogs und des Bußgeldkatalogs erforderlich. Zu bewerten sind Gegenäußerungen und Einsprüche, die Feststellungen von Politessen oder Polizei sind zu überprüfen anhand der Vorschriften der StVO. Da sowohl die Vorschriften der StVO als auch die des OWig nicht einfach zu handhaben sind, sind oberflächliche, routinemäßig einsetzbare Kenntnisse nicht ausreichend. Das Erfordernis der Gründlichkeit ist damit gegeben.
Vielseitigkeit ist zu bejahen, weil neben den umfangreichen Kenntnissen aus dem Sraßenverkehrsrecht weiter erforderlich sind Detailkenntnisse des Ordnungswidrigkeitsverfahrens und zusätzlich im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung Erfahrungswissen einzusetzen ist. Übereinstimmend mit der Bewertungskommission der Beklagten ist deshalb von gründlichen und vielseitigen Fachkenntnissen auszugehen.
Der Arbeitsvorgang Sachverhaltsaufklärung beinhaltet auch selbständige Leistungen. Das BAG hat unter Bezugnahme auf seine ständige Rechtssprechung im Urteil vom 28.09.1994, 4 AZR 542/93 ausgeführt, selbständige Leistungen bedeute nicht selbständig arbeiten. Unter selbständiger Leistung sei vielmehr eine Gedankenarbeit zu verstehen, die im Rahmen der für die Vergütungsgruppe vorausgesetzten Fachkenntnisse hinsichtlich des einzuschlagenen Weges und insbesondere hinsichtlich des zu findenden Ergebnisses eine eigene Beurteilung und eine eigene Entschließung erfordere. Kennzeichnend sei ein wie auch immer gearteter Ermessens-, Entscheidungs-, Gestaltungs- oder Beurteilungsspielraum bei der Erarbeitung eines Arbeitsergebnisses. Vom Angestellten werde ein Abwägungsprozeß verlangt, es würden Anforderungen an das Überlegungsvermögen gestellt. Der Angestellte müsse unterschiedliche Informationen verknüpfen, untereinander abwägen und zu einer Entscheidung kommen. Dieser Prozeß geistiger Arbeit könne bei entsprechender Routine durchaus schnell ablaufen, trotzdem bleibe das Faktum der geistigen Arbeit bestehen. Geistige Arbeit werde also geleistet, wenn der Angestellte sich bei der Arbeit fragen müsse, wie es weitergehe, worauf es ankommt, was als nächstes geschehen müsse.
Aufgrund einer Auswertung der von der Beklagten vorgelegten sechs typischen Aktenvorgänge ist hier von Selbständigkeit der Tätigkeit auszugehen.
Aktenvorgang Nr. 1.
Die Gegenäußerung des Betroffenen war auszuwerten und auf Schlüssigkeit zu überprüfen. Unter Anwendung von § 13 Abs. 1 StVO war hier festzustellen, daß der Betroffene unter Angabe eines Zeugen einen Defekt des Parkscheinautomaten behauptet und weiter behauptet, er habe eine Parkscheibe hinter die Frontscheibe gelegt. Die Angestellte hatte sodann zu entscheiden, ob sie den Zeugen anhört oder ob sie Rücksprache mit dem zuständigen Techniker nimmt. Bei korrekter Sachbearbeitung beinhaltet diese Überlegung auch, welche Fragen dem zuständigen Techniker zu stellen sind, z. B. nach den Daten der vorausgegangenen oder nachträglichen Kontrollen, und ob dem Beweisantritt nachgegangen werden muß. Weiter war nach Zahlung unter Vorbehalt die Rechtsfrage zu entscheiden, ob damit das Verwarnungsgeld akzeptiert ist oder ob die Gegenäußerung aufrecht erhalten bleibt und Bußgeldbescheid zu erlassen ist. Die Sachverhaltsaufklärung, die mit dem Ziel zu führen ist, kann die Gegenäußerung des Betroffenen widerlegt werden und wenn ja, wie, ist seinem Beweisantritt nachzugehen, bewertet die Kammer als selbständige Leistung, nicht nur als leichte geistige Arbeit. Die Angestellte mußte in erheblichem Umfange darüber nachdenken, worauf es ankommt und wie sie weiter vorgehen muß, um die Gegenäußerung widerlegen zu können.
Aktenvorgang Nr. 2.
Dem Verwarnten war hier zu widerlegen, daß er nicht geparkt, sondern nur zum Beladen gehalten hat. Da die Feststellungen der Politesse über die Dauer des Haltevorgangs keine Angaben enthält, war Sachverhaltsermittlung erforderlich. Es war zu überlegen, welche Fragen an die Politesse zu stellen waren, das Ergebnis der Befragung war auszuwerten. Ob mit der in der Akte vermerkten Äußerung der Politesse, die sich offenbar an den Vorgang nicht erinnern konnte, die Gegenäußerung zu wiederlegen war, bedurfte einer nicht einfachen wertenden Entscheidung. Auch insoweit ist deshalb selbständige Leistung zu bejahen.
Aktenvorgang Nr. 3.
Hier war auf Einwand der Verwarnten die subjektive Vorwerfbarkeit der Ordnungswidrigkeit zu überprüfen. Es erfolgten Anforderung einer ärztlichen Bescheinigung und deren Auswertung mit anschließendem Erlaß des Bußgeldbescheides. Die Auswertung der Gegenäußerung, die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg (welche Auflage ist sinnvollerweise der Betroffenen zu machen?) verlangt nicht nur routinemäßige Bearbeitung, sondern eigenständige geistige Arbeit und damit selbständige Leistung.
Aktenvorgang Nr. 4.
Auch hier waren nicht einfache Gegenäußerungen des Verwarnten zu überprüfen und durch Rücksprache bei Polizei und der Abteilung Verkehrslenkung der Einwand einer Ausnahmegenehmigung zu widerlegen. Zu entscheiden war sodann über das weitere Verfahren, erneutes Angebot einer schriftlichen Verwarnung oder sogleich Erlaß eines Bußgeldbescheides. Auch hier handelt es sich nicht um einfache, routinemäßige Bearbeitung, sondern um selbständige Leistung.
Aktenvorgang Nr. 5.
Nach Vertretungsanzeige durch Rechtsanwälte mit dem Bemerken, der Verkehrsverstoß werde nicht zugegeben, war über das weitere Verfahren zu entscheiden, nämlich Aufforderung an die Anwälte, detailliert Stellung zu nehmen, oder Amtsermittlung. Es erfolgte dann nach Akteneinsichtsgewährung an die Anwälte Ermittlungsersuchen an die Schutzpolizei-Inspektion, offenbar im Hinblick auf drohende Verfolgungsverjährung. Nach Rückäußerung durch die Polizei erfolgt sodann Erlaß eines Bußgeldbescheides gegen den von der Polizei angegebenen Fahrzeugführer. Die Entscheidung über das Wie der weiteren Vorgehensweise nach Äußerung des Anwalts und nach Stellungnahme durch die Polizei verlangt nicht unerhebliche Überlegungen, es handelt sich nicht um routinemäßige Abwicklung, sondern um selbständige Leistung.
Aktenvorgang Nr. 6.
Hier war nach Äußerung nicht durch den Verwarnten, sondern durch den tatsächlichen Fahrzeugführer der Sachverhalt aufzuklären, insbesondere ob ausreichende Beschilderung vorlag. Die Sachverhaltsaufklärung kann bereits deshalb nicht als einfach angesehen werden, weil ein Foto über ein verhängtes Schild beigefügt war. Die erfolgte Rücksprache bei Bediensteten der Abteilung Verkehrslenkung hatte deshalb zu erfolgen nach nicht einfachen Überlegungen, welche Fragen zu klären sind, um die Einlassung des Beschuldigten widerlegen zu können. Sodann war nach Auskunft der Abteilung Verkehrslenkung zu entscheiden über Angebot einer erneuten schriftlichen Verwarnung oder über Erlaß eines Bußgeldbescheides. Die Angestellte war gefordert, über das Ob und Wie der Sachverhaltsaufklärung in einer nicht einfachen Konstellation zu entscheiden. Es handelt sich damit um selbständige Leistung.
Insgesamt bewertet wird aus den sechs Aktenvorgängen deutlich, daß die wesentliche Aufgabe der Klägerin darin besteht, Einwände der Betroffenen auszuwerten, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt, daß der Ordnungswidrigkeitsverstoß sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht dem Betroffenen nachgewiesen werden muß, er kann sich auf schlichtes Bestreiten zurückziehen oder wie in der überwiegenden Zahl der Beispielsfälle dataillierte und nur durch Sachverhaltsaufklärung und Beweisabsicherung widerlegbare Gegenäußerungen machen. Sachverhaltsaufklärung und Sachverhaltsauswertung einschließlich der dann zu erfolgenden Entscheidung über Fortführung des Verfahrens oder Einstellung beinhalten damit nicht nur einfache geistige Arbeit, sondern selbständige Leistungen im Sinne des Tarifvertrages.
Der Arbeitsvorgang Sachverhaltsaufklärung macht mindestens achtzig Prozent der Gesamttätigkeit aus. Bei den Aktenvorgängen, die die Beklagte eingereicht hat, handelt es sich um für die Tätigkeit typische Sachverhaltsaufklärung. Auch wenn es Fälle geben mag, die einfacher gelagert sind, ist dann aber der Schluß gerechtfertigt, daß mindestens zu einem Drittel, wenn nicht sogar zu fünfzig Prozent selbständige Leistungen vorliegen. Der Anspruch der Klägerin auf Vergütung nach Vergütungsgruppe V c BAT ist begründet.
Der Zinsanspruch war zu beschränken auf Prozeßzinsen gemäß § 291 BGB. Verzugszinsen, wie von der Klägerin auch für die zurückliegende Zeit beantragt, konnten nicht zugesprochen werden, weil ein Verschulden der Beklagten nicht feststellbar ist. Die Bewertung, ob eine Leistung als selbständig oder nichtselbständig anzusehen ist, ist nicht einfach zu treffen. Die Verneinung der selbständigen Leistung durch die Beklagte kann deshalb nicht als vorwerfbares Verschulden bewertet werden. Die Klageabweisung im übrigen umfaßt den überschießenden Zinsbetrag und den erstinstanzlich geltend gemachten weitergehenden Vergütungsanspruch für den Zeitraum 01.01. bis 31.03.1991.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 19.482,52 DM festgesetzt.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 12 Abs. 7 ArbGG.