Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.11.1995, Az.: 13 Sa 971/95
Zusatzversorgungsanspruch nicht vollbeschäftigter Tierärzte in Schlachthöfen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 14.11.1995
- Aktenzeichen
- 13 Sa 971/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 10877
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1995:1114.13SA971.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - AZ: 2 Ca 565/94
Rechtsgrundlage
- § 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Nicht vollbeschäftigte Tierärzte in öffentlichen Schlachthöfen, deren Arbeitsverhältnis vor 1979 beendet wurde, haben aus Gleichbehandlung keinen Anspruch auf Zusatzversorgung.
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 03.02.1995, 2 Ca 565/94, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 1.800,00 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß die beklagte Stadt verpflichtet ist, ihm eine Versorgungsrente in der Höhe zu zahlen, die er erhalten würde, wenn er während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses seit dem 01.07.1952 bei der VBL pflichtversichert gewesen wäre.
Der 1922 geborene Kläger, der seit 1950 als Tierarzt praktiziert hat, war vom 01.07.1952 bis 1977 als nicht vollbeschäftigter Fleischbeschautierarzt im öffentlichen Schlachthof der Beklagten tätig. Die letzte Tätigkeit für die Beklagte erfolgte im Mai 1977. Der Kläger wurde nach Arbeitsanfall eingesetzt und erhielt Stundenlohnvergütung. Mit Wirkung vom 01.09.1960 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag als Aushilfstierarzt in den städtischen Schlachthöfen der Beklagten. Der Vertrag sah Einsatz nach Arbeitsanfall und Stundenvergütung vor. Mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 15.04.1969 vereinbarten die Parteien Anwendung des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten Fleischbeschautierärzte, Fleischbeschauer und Trichinenschauer inöffentlichen Schlachthöfen vom 01.04.1969 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Auf die Arbeitsverträge. Hülle Bl. 69 d.A., wird Bezug genommen.
Der Kläger hat angegeben, sein Jahresverdienst habe geschwankt zwischen 1.614,00 DM und 18.517,55 DM. im Durchschnitt habe er 8.374,54 DM betragen. Die monatliche Stundenleistung habe zwischen 80 bis 100 Stunden gelegen.
Die Beklagte tragt vor, ab 01.04.1969 habe der Kläger im Jahresdurchschnitt etwa 700 Stunden gearbeitet.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Ausschluß der nicht vollbeschäftigten Tierärzte inöffentlichen Schlachthöfen verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, er habe deshalb Anspruch auf eine Rente, die er bei Versicherung bei der VBL erhalten würde. Der Kläger hat seinen Anspruch vorprozessual geltend gemacht mit Schreiben vom 29.06.1994, bei der Beklagten eingegangen am 06.07.1994.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an ihn mit Eintritt in das Rentenalter eine Rente zu zahlen, die er erhalten würde, wenn er seit 01.07.1952 bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) gem.§ 26 der VBL-Satzung pflichtversichert gewesen wäre.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Feststellungsklage sei unzulässig, im übrigen liege ein Gleichbehandlungsverstoß nicht vor. Der Ausschluß aus der Zusatzversorgung sei wegen der Nebenberuflichkeit der Tätigkeit gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung wiederholt der Kläger seine Rechtsauffassung, der Ausschluß aus der Zusatzversorgung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 03.02.1995, Az. 2 Ca 595/94, aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger mit Eintritt in das Rentenalter eine Rente zu zahlen, die er erhalten würde, wenn er seit 01.07.1952 bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) gem. § 26 der VBL-Satzung pflichtversichert gewesen wäre.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist nicht begründet, das Arbeitsgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen.
Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig, insbesondere ist der Feststellungsantrag hinreichend bestimmt. Unter Berücksichtigung des schriftsätzlichen Vortrages ist der gestellte Antrag erkennbar so auszulegen, daß der Kläger rückwirkend ab Eintritt in das Rentenalter (1987) Versorgungsrente entsprechend VBL-Satzung begehrt, entweder zu zahlen direkt durch die Beklagte oder aufgrund Nachversicherung durch die VBL. Ebenso ist ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO zu bejahen, der Kläger muß sich nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verweisen lassen. Die Bezifferung des Anspruchs ist aufgrund des VBL-Rentensystems außerordentlich schwierig. Es muß dann aber dem Kläger die Möglichkeit gewährt werden, im Wege der Feststellungsklage die Frage klären zu lassen, ob ein Rentenanspruch dem Grunde nach besteht. Die Kammer folgt damit der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 07.03.1995, 3 AZR 282/94).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Ein Anspruch des Klägers auf eine Versorgungsrente, berechnet nach VBL-Satzung, ergibt sich weder aus dem geschlossenen Arbeitsvertrag noch aus einem Tarifvertrag. Die Arbeitsverträge enthalten keine Betriebsrentenzusage, der Tarifvertragüber die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure inöffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen (im folgenden: TV-Schlachthof), dessen Anwendung mit Arbeitsvertrag aus 1969 vereinbart ist, sah ursprünglich keine Zusatzversorgung vor. Erst mit Wirkung vom 01.04.1979 besteht Versicherungspflicht entsprechend BAT, soweit der Angestellte Stundenvergütung für mindestens 1.000 Stunden pro Kalenderjahr erhalten hat. § 20 TV-Schlachthof. Diese Vorschrift kann den Anspruch des Klägers bereits deshalb nicht begründen, weil er zuletzt im Mai 1977 für die Beklagte gearbeitet hat. Es besteht auch kein Anspruch nach § 46 BAT. Der Kläger unterfiel als nicht vollbeschäftigter Tierarzt in öffentlichen Schlachthöfen nicht dem Geltungsbereich des BAT gemäß § 3 r und dem Geltungsbereich des Versorgungs-TV G, § 1. Als alleinige Anspruchsgrundlage kommt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in Betracht, der in der Rechtsprechung seit langem anerkannt ist und seit 01.01.1975 in § 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG als Anspruchsgrundlage gesetzlich normiert ist.
Nach der Rechtsprechung des BAG verbietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Eine Gruppenbildung muß sachlichen Kriterien entsprechen. Eine unterschiedliche Behandlung der Gruppe ist dann sachfremd, wenn es für diese unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt. Die Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen bei der Zusage von Leistungen auf betriebliche Altersversorgung ist nur dann mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, wenn die Unterscheidung nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist (BAG EzA§ 1 BetrAVG Gleichbehandlung. Nr. 5, Nr. 8, Nr. 2 und Nr. 4). Eine Ungleichbehandlung bei der Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ist danach gerechtfertigt, wenn die Gruppenbildung auf sachlichen Gründen beruht und billigenswert erscheint. Die sachlichen Gründe haben sich dabei zu orientieren am Zweck der Leistung. Dieser besteht bei der betrieblichen Altersversorgung darin, zur Versorgung im Alter beizutragen. Bei der Gruppenbildung können Generalisierung und Typisierung zulässig sein, wenn sie nur in geringfügigen und besonders gelagerten Fällen zu Ungerechtigkeiten und Härten führen. Allein die geringe Arbeitszeit von nebenberuflich Angestellten und Teilzeitkräften rechtfertigt keinen Ausschluß aus der Altersversorgung. Nebenberufliche Tätigkeit neben einem Hauptberuf soll zwar (so BAG vom 07.03.1995, 3 AZR 282/94) unter Umständen eine geringere Vergütung rechtfertigen, nicht dagegen einen Ausschluß aus der betrieblichen Altersversorgung. Ebenso ist nach BAG EzA § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, Nr. 6, das Bestehen eines zweiten Arbeitsverhältnisses kein sachlicher Grund für eine Differenzierung und einen Ausschluß der Zusatzversorgung.
Den Ausschluß von teilzeitbeschäftigten Tierärzten außerhalb öffentlicher Schlachthöfe hat das BAG als sachlich begründete Ungleichbehandlung zu vollzeitbeschäftigten Tierärzten angesehen. Die Unterschiede in den Arbeitsbedingungen, insbesondere die Möglichkeit, durch hohe Stückzahl höhere Vergütung zu erzielen, und die freie Gestaltung der Arbeitszeit rechtfertigten den Ausschluß aus der Altersversorgung (BAG vom 17.10.1995, 3 AZR 882/94 - Presseinformation).
Ausgehend von dieser Rechtsprechung des BAG, der die Kammer folgt, ist der Ausschluß des Klägers aus der Zusatzversorgung sachlich gerechtfertigt und zu billigen. Die Angestellten, die unter den TV-Schlachthof fallen, bilden eine eigene Gruppe, für die die Tarifvertragsparteien eigenständige tarifliche Regelungen über Altersversorgung treffen können und für die nicht kraft Gleichbehandlung mit vollzeitbeschäftigten Tierärzten oder anderen Kommunalangestellten, seien es Teilzeit- oder Vollzeitkräfte, ein Anspruch auf Zusatzversorgung besteht.
Das die Angestellten, die unter den TV-Schlachthof fallen, eine gesonderte Arbeitnehmergruppe bilden, zeigt bereits die tarifliche Entwicklung. Sie sind bis heute von der Anwendung des BAT ausgenommen, ein eigenständiger Tarifvertrag wurde erstmals 1969 vereinbart. Eine Zusatzversorgung wurde erstmals 1979 eingeführt. Die eigenständige tarifliche Regelung ist nicht nur formaler Art, sondern auch inhaltlich weisen die Arbeitsverhältnisse Besonderheiten auf. Die Bezahlung erfolgt zwar nicht als Stückvergütung, sondern über feste Stundensätze. Insoweit ist das Vergütungssystem dem des BAT entsprechend ausgestaltet. Es besteht aber gemäß § 9 TV-Schlachthof das Recht, sonstige berufliche Tätigkeit auszuüben. Im Gegensatz zum BAT wird nicht im Grundsatz von einer Haupttätigkeit ausgegangen mit der Möglichkeit genehmigungspflichtiger Nebentätigkeit. Das Arbeitsverhältnis nach TV-Schlachthof ist typischerweise als nebenberufliche Tätigkeit neben einem anderen Hauptberuf ausgestaltet. Der Tierarzt, der im Hauptberuf als frei praktizierender Arzt tätig ist und die Aufgaben im Arbeitsverhältnis als Nebenerwerb erledigt, bildet die typische Fallgestaltung, die der Ausgestaltung des Tarifvertrages zugrunde liegt.
Dem entspricht auch die Ausgestaltung der Arbeitszeitregelung, keine festvorgegebene Arbeitszeit, sondern Arbeitseinsatz nach Arbeitsanfall.§ 12 TV-Schlachthof. Diese Arbeitszeitregelung, die keinen Mindesteinsatz und damit keine feste Vergütung garantiert, ist primär auf die Interessen der Arbeitgeberseite abgestimmt. Sie zeigt, daß dem nebenberuflichen Tierarzt kein bestimmter und kalkulierbarer Verdienst gewährt werden soll, sondern nur die Möglichkeit zu einem zusätzlichen Verdienst im Nebenberuf.
Wenn nach der tariflichen Ausgestaltung der nicht vollbeschäftigte Tierarzt typischerweise nebenberuflich tätig ist, dann muß mit dieser nebenberuflichen Tätigkeit nicht zwingend eine zusätzliche betriebliche Altersversorgung gekoppelt sein. Durch die uneingeschränkte Möglichkeit der Ausübung eines Hauptberufes verbunden mit der zusätzlichen Verdienstmöglichkeit im Nebenberuf hat diese Personengruppe nicht nur während des bestehenden Arbeitsverhältnisses erhebliche Verdienstmöglichkeiten, sondern sie kann durch hauptberufliche Tätigkeit eine Altersversorgung aufbauen, erwirbt durch die nebenberufliche Tätigkeit unter Umständen einen Anspruch auf Rente aus der Sozialversicherung und kann aus dem Zusatzverdienst der Nebentätigkeit zusätzliche Vorkehrungen für das Alter treffen. Für hauptberuflich tätige Angestellte des öffentlichen Dienstes, seien sie Vollzeit- oder Teilzeitkräfte, bestehen typischerweise derartige umfassende Möglichkeiten der Altersversorgung nicht. Sie bedürfen zur Absicherung des Lebensstandardes im Alter in erheblich höherem Maße der Zusatzversorgung als die nebenberuflich tätigen Tierärzte, die aufgrund der Verdienstmöglichkeiten während des Arbeitsverhältnisses eine umfassendere Altersvorsorge treffen können.
Nebenberuflichkeit der Tätigkeit und die Verdienstmöglichkeiten während des Arbeitsverhältnisses sind damit ausreichende sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung mit anderen Angestellten des öffentlichen Dienstes. Der Ausschluß der Zusatzversorgung verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.
Da die Berufung zurückzuweisen war, trägt der Kläger die Kosten des Rechtsmittels, § 97 ZPO.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 3 ZPO.
Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 72 a Abs. 1 Ziff. 2 ArbGG.