Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.01.1995, Az.: 3 Ta 159/94

Arbeitnehmer; Vorgründungsgesellschaft; Vorvertrag; Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
23.01.1995
Aktenzeichen
3 Ta 159/94
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 10888
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1995:0123.3TA159.94.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - AZ: 1 Ca 568/93

Prozessführer

...

Prozessgegner

...

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Regelung in § 48 ArbGG, wonach der Beschluß über die sachliche Zuständigkeit gemäß §§ 17 ff. GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer ergeht, schließt die Alleinentscheidung des oder der Vorsitzenden nach § 55 Abs. 3 ArbGG nicht aus.

  2. 2.

    Arbeitnehmer ist, wer in einer spezifisch persönlichen Abhängigkeit fremdnützige Tätigkeiten verrichtet und nicht selbständig ist, wenn es also an der freiwilligen Übernahme des Unternehmerrisikos fehlt. Die spezifische Abhängigkeit der Arbeitnehmer besteht darin, daß sie ihre Arbeitskraft nicht, wie ein Unternehmer, durch selbstgesetzte Ziele unter eigener Verantwortung und mit eigenem Risiko am Markt verwerten können, sondern daß sie darauf angewiesen sind, persönliche Arbeit innerhalb einer fremdbestimmten Organisation zu leisten und dadurch ihre Arbeitsleistung fremdnützig der anderen Vertragspartei zuüberlassen.

  3. 3.

    Geht dem beabsichtigten Gesellschaftsvertrag ein Vorvertrag voraus, durch den sich die Beteiligten zur Gründung einer BGB-Gesellschaft, einer anderen Personen- oder Kapitalgesellschaft verpflichten, so entsteht eine Vorgründungsgesellschaft, die für sich eine BGB-Gesellschaft ohne Identität mit der späteren Gesellschaft darstellt und rechtlicher Rahmen der Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistungen sein kann.

Tenor:

wird die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 24.03.1994 gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Hannover vom 04.03.1994 - 1 Ca 568/93 - kostenpflichtig bei einem Gegenstandswert von 10.025,00 DM zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß findet ein Rechtsmittel nicht statt.

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet.

2

Das Arbeitsgericht hat zu Recht die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen für den vorliegenden Rechtsstreit verneint.

3

Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Urteilsverfahren ergibt sich aus§ 2 ArbGG. Die dortigen Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere handelt es sich nicht um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit"zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis" im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG.

4

Gemäß § 48 ArbGG gelten für die Zulässigkeit des Rechtsweges die Verfahrensart und für die sachliche sowie die örtliche Zuständigkeit die §§ 17 bis 17 b GVG mit den dort genannten Maßgaben entsprechend. Diese Bezugnahme führt freilich nicht dazu, daß das Verhältnis zwischen Arbeits- und ordentlichen Gerichten nunmehr die Zulässigkeit des Rechtsweges betrifft. Das zeigt sich bereits darin, daß die§§ 17 bis 17 b GVG nur "entsprechend" Anwendung finden. Damit soll lediglich der Verfahrensablauf einheitlich sowohl für den Rechtsweg als auch für die Zuständigkeit geregelt werden, da nach der Änderung des GVG und des ArbGG zum 01.01.1991 durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17.12.1990 (BGBl. I 1990, 2809) die Vorschriften über die Rechtswegentscheidungen und Verweisungen für sämtliche Gerichtszweige im GVG zusammengefaßt wurden. In erster Instanz ist die Zuständigkeit auch ohne Rüge von Amts wegen in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen. Sind die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen streitig, darf in der Regel nicht von der Schlüssigkeit des Klagevorbringens ausgegangen werden. Ggf. muß hierzu auch Beweis erhoben werden (vgl. BAG Beschluß vom 30.08.1993 - 2 AZB 6/93 - EzA§ 2 ArbGG 1979 Nr. 25; Beschluß vom 28.10.1993 - 2 AZB 12/93 - EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 26). Nach der Streichung des früheren § 48 a ArbGG hat jetzt ein angerufenes unzuständiges Arbeitsgericht den Rechtsstreit nach Anhörung der Parteien von Amts wegen auch ohne entsprechenden Antrag an das zuständige Gericht zu verweisen, § 17 a Abs. 2 GVG. Die Entscheidung erfolgt stets durch Beschluß, wobei eine mündliche Verhandlung freigestellt ist, § 17 a Abs. 4 GVG. Der Beschluß ergeht nach dem neu gefaßten § 48 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer; dadurch ist freilich eine Alleinentscheidung des oder der Vorsitzenden im Gütetermin nach § 55 Abs. 3 ArbGG nicht ausgeschlossen, weil es widersinnig wäre, wenn der oder die Vorsitzende im Rahmen des § 55 Abs. 3 ArbGG zwar ein Sachurteil fällen, jedoch nicht verweisen dürfte (vgl. auch Zwanziger, Der Betrieb 1991, Seite 2239, 2240). Die gesetzliche Neuregelung bezweckt nur eine Abweichung von § 53 Abs. 1 ArbGG. § 55 ArbGG sollte dadurch nicht geändert werden.

5

Das Arbeitsgericht hat in diesem Verfahren richtig das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien verneint. Arbeitnehmer ist, wer in einer spezifisch persönlichen Abhängigkeit fremdnützige Tätigkeiten verrichtet und nicht selbständig ist, wenn es also an der freiwilligen Übernahme des Unternehmerrisikos fehlt. Auf der Grundlage eines grundsätzlich dualen Modells von fremdbestimmter oder selbstbestimmter Erwerbstätigkeit besteht die spezifische Abhängigkeit der Arbeitnehmer ("persönliche Abhängigkeit") darin, daß sie ihre Arbeitskraft nicht - wie ein Unternehmer - durch selbstgesetzte Ziele unter eigener Verantwortung und mit eigenem Risiko am Markt verwerten können, sondern daß sie darauf angewiesen sind, persönliche Arbeit innerhalb einer fremdbestimmten Organisation zu leisten und dadurch ihre Arbeitsleistung fremdnützig der anderen Vertragspartei zu überlassen. Diese spezifische Abhängigkeit drückt sich als Rechtsfolge in einer gegenüber anderen Vertragsverhältnissen gesteigerten Weisungsgebundenheit aus, die dann mittels des Direktionsrechts des Arbeitgebers durchgesetzt wird. Eine weisungsgebundene Tätigkeit ist somit bereits dann anzunehmen, wenn deren Organisation dem Arbeitgeber obliegt und sie objektiv der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebes dient (vgl. LAG Niedersachsen LAGE§ 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 24; BAG Beschluß vom 01.09.1992 - 2 AZN 40/92; aus der neueren Rechtsprechung: BAG Urteil vom 16.02.1994 - 5 AZR 402/93 - EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 52; BAG Urteil vom 16.03.1994 - 5 AZR 447/92 - EzA § 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 53). Der Status eines Beschäftigten richtet sich im übrigen danach, wie die Vertragsbeziehung nach ihrem Geschäftsinhalt objektiv einzuordnen ist. Wird der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen, ist in aller Regel die tatsächliche Durchführung maßgebend (BAG Urteil vom 20.07.1994 - 5 AZR 627/93 - EzA§ 611 BGB Arbeitnehmerbegriff Nr. 54).

6

Die Parteien haben ein Arbeitsverhältnis weder vereinbart noch auch nur beabsichtigt und im übrigen auch nicht tatsächlich vollzogen. Soweit die Klägerin tatsächliche Arbeitsleistungen im Zeitraum vom Februar bis Juli 1993 erbracht haben mag, sind sie im Rahmen gesellschaftsrechtlicher Beziehungen der Parteien erbracht worden, die sich auch nachträglich nicht einfach als Arbeitsverhältnis"deklarieren" lassen (vgl. allerdings das außergerichtliche Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 29.07.1993, Seite 2, Bl. 7 und 33 d. A.). Die Parteien beabsichtigten die Gründung einer stillen Gesellschaft bzw. deren Umwandlung in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie hatten hierzu Vertragsentwürfe ausgetauscht, über die sie sich letztlich nicht einigen konnten. Jedenfalls enthalten sowohl zwei Entwürfe der Klägerin (Bl. 48 bis 53 sowie Bl. 54 bis 59 d. A.) als auch ein Entwurf der Beklagten (Bl. 20 bis 25 d. A.) den Satz:"Frau Schmidt hat sich zur Stärkung des Unternehmenskapitals und zwecks eigener Mitarbeit als stille Gesellschafterin im Sinne der §§ 230 ff. HGB am Handelsgewerbe der Inhaberin beteiligt." Alle vier vorliegenden Entwürfe (vgl. weiter Bl. 15 bis 19 d. A.) stimmen im übrigen weiter darinüberein, daß 1. die Gesellschaft "mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit" längst begonnen und 2. die Klägerin ihre Einlage in Höhe von 25.000,00 DM ebenfalls längst erbracht hatte, alles vor dem Hintergrund, daß es der Klägerin damals auch darauf ankam, Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann nicht durch ein etwaiges Arbeitseinkommen zu "gefährden" (vgl. Bl. 13 d. A.). Bei diesen Rechtsbeziehungen der Parteien und ihrem darauf gerichteten tatsächlichen Verhalten handelt es sich um eine Vorgründungsgesellschaft: Geht dem beabsichtigten Gesellschaftsvertrag ein Vorvertrag voraus, durch den sich die Beteiligten zur Gründung einer BGB-Gesellschaft, einer anderen Personen- oder Kapitalgesellschaft verpflichten, so entsteht eine Vorgründungsgesellschaft, die für sich eine BGB-Gesellschaft ohne Identität mit der späteren Gesellschaft (BGHZ 91, 151) darstellt und von einer Vorgesellschaft, die bei der Gründung von Kapitalgesellschaften in dem Zeitraum zwischen Errichtung der Gesellschaft und der Entstehung besteht, zu unterscheiden ist. Der Vorvertrag muß die Form einhalten, die für den Gründungsvertrag der endgültigen Gesellschaft vorgeschrieben ist, was im vorliegenden Fall bedeutet, daß er keiner bestimmten Form bedurft hat, sondern auch durch konkludentes Handeln hat vorgenommen werden können, wie tatsächlich geschehen.

7

Die tatsächlichen Arbeitsleistungen der Klägerin sind so gesehen Ausdruck selbstbestimmter Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Mitunternehmerstellung, keine fremdnützige Erbringung von Arbeitsleistungen innerhalb einer fremdbestimmten Organisation.

8

Eine sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ist nicht gegeben.

9

Gründe, die weitere Beschwerde zuzulassen, liegen nicht vor. Damit findet ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluß nicht statt (BAG Beschluß vom 22.02.1994 - 10 AZB 4/94 - EzA§ 78 ArbGG 1979 Nr. 2).