Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.1995, Az.: 12 Sa 7/95

Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Prozessvergleich; Die Doppelnatur des Prozessvergleichs; Konstitutive Bedeutung der gerichtlichen Protokolierung für einen wirksamen Prozessvergleich

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
29.09.1995
Aktenzeichen
12 Sa 7/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 17391
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1995:0929.12SA7.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 06.10.1994 - AZ: 1 Ca 58/94

Amtlicher Leitsatz

Zur Wirksamkeit eines von den Prozeßbevollmächtigten telefonisch vereinbarten Vergleichs.

In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 1995
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 06.10.1994 - 1 Ca 58/94 - wird bei einem Streitwert von 4.000,00 DM kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 4.000,00 DM an den Kläger.

2

Der beim beklagten Bauunternehmer seit dem 1. Februar 1990 als Spezialbaufacharbeiter beschäftigt gewesene Kläger hatte gegenüber einer arbeitgeberseitigen Kündigung vom 19. Januar 1994 am 28. Januar 1994 beim Arbeitsgericht Oldenburg eine Kündigungsschutzklage nebst Weiterbeschäftigungsbegehren eingereicht. Nach erfolgloser Güteverhandlung vom 17. Februar 1994 telefonierten die Prozeßbevollmächtigten der Parteien miteinander und vereinbarten in der Folge nach Behauptung des Klägers einen Abfindungsvergleich, dessen Geldbetrag der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit noch verlangt.

3

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger einen Abfindungsbetrag in Höhe von 4.000,00 DM netto zu zahlen.

4

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Er hat das Zustandekommen eines Vergleiches bestritten und geltend gemacht, sein Prozeßbevollmächtigter habe kein Vergleichsangebot, sondern lediglich einen Vergleichsvorschlag gemacht.

6

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 6. Oktober 1994 (Bl. 51 bis 53 d.A.) sowie den Inhalt der zu den Akten erster Instanz gelangten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

7

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat durch das am 6. Oktober 1994 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 50 bis 55 d.A.) die Klage kostenpflichtig abgewiesen und den Streitwert auf 4.000,00 DM festgesetzt.

8

Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Abfindungsanspruch des Klägers bestehe nicht, da mangels Vergleichsprotokollierung eine bindende Vereinbarung zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei.

9

Auch wenn die Prozeßbevollmächtigten der Parteien am 18. Februar 1994 telefonisch eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung vereinbart haben sollten, seien die Parteien hieran nicht gebunden. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers hätten die Parteien nämlich die gerichtliche Protokollierung der Vereinbarung verabredet mit der Folge, daß im Zweifel der Vertrag dann nicht geschlossen sei bis die Beurkundung erfolgt sei (vgl. § 154 Abs. 2 BGB). Eine solche Formabrede könne auch durch schlüssiges Verhalten getroffen werden. Solle ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen werden, seien die Parteien im Zweifel gemäß § 154 Abs. 2 BGB bis zur Protokollierung nicht gebunden. Im Streitfall hätten die Parteien zumindest konkludent eine Formabrede dahingehend getroffen, daß ein gerichtlicher Vergleich geschlossen werden solle. Dies ergebe sich schon daraus, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers per Telefax vom 21. Februar 1994 lediglich mitgeteilt habe, daß er den Vergleichsvorschlag akzeptiere und dann weiter, daß er das Arbeitsgericht gebeten habe, einen Vergleichstermin zwecks Protokollierung der Regelung bekannt zu geben und daß schließlich dann noch ein Formulierungsvorschlag gemacht worden sei. Insgesamt sei anzunehmen, daß die Parteien nur einen gerichtlichen Vergleich hätten schließen wollen, so daß eben eine Bindung bis zur Protokollierung nicht vorhanden gewesen sei.

10

Gegen das ihm am 2. Dezember 1994 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Januar 1995 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20. Februar 1995 am nämlichen Tage begründet.

11

Der Kläger macht geltend, am 18. Februar 1994 habe der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten telefonisch verbindlich und unwiderruflich ein Vergleichsangebot unterbreitet. Dies habe sein - des Klägers - Prozeßbevollmächtigter am 21. Februar 1994 angenommen.

12

Daß noch eine Protokollierung des Vertrages vorgesehen worden sei, verhindere den Vertragsabschluß nicht. Ein Fall des§ 154 Abs. 2 BGB sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht gegeben. Keinesfalls könne dem Telefax seines Prozeßbevollmächtigten vom 21. Februar 1994 entnommen werden, daß der Vergleich erst bei der Protokollierung vor Gericht zustande komme.

13

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 06.10.1994, Aktenzeichen 1 Ca 58/94, aufzuheben und

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 4.000,00 DM netto zu zahlen.

14

Der Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

15

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 13. März 1995 (Bl. 98 bis 101 d.A.).

16

Wegen des weiteren Parteivorbringens zweiter Instanz wird auf den Inhalt der vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Gründe

17

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Abfindung verneint, weil insoweit kein wirksamer Vergleich zustande gekommen ist (§ 154 Abs. 2 BGB).

18

Es ist nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, wenn das erstinstanzliche Gericht angenommen hat, der Abschluß des Vergleiches habe nach dem Parteiwillen von der gerichtlichen Protokollierung abhängig sein sollen. Auch wenn man dem klägerischen Vortrag folgt, es sei gemäß §§ 145 ff. BGB ein materiell-rechtlicher Vergleich (§ 779 BGB) geschlossen worden, so ist zu beachten, daß unstreitig die Parteien die gerichtliche Protokollierung (§ 160 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) bereits im Telefongespräch ihrer Prozeßbevollmächtigten am 18. Februar 1994 vorgesehen haben. Damit ist der Abschluß eines Prozeßvergleiches beabsichtigt worden, der jedoch daran scheiterte, daß der Beklagte sich später weigerte, an der Protokollierung mitzuwirken.

19

Aus der Doppelnatur des Prozeßvergleiches ergibt sich, daß sich die mit ihm verfolgten prozessualen Zwecke (Prozeßbeendigung sowie Schaffung eines vollstreckbaren Titels,§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) sowie die sachliche (materiell-rechtliche) Regelung der Rechtsbeziehungen der Parteien i. S. von § 779 BGB voneinander trennen lassen (vgl. etwa BAGE 8, 228 ff., 236 [BAG 26.11.1959 - 2 AZR 242/57] sowie OLG Hamburg MDR 65, 200 f. [OLG Hamburg 12.11.1964 - 7b U 56/64]). Ob die vorgesehene Beurkundung nur deklaratorische Bedeutung hat oder von ihrer Konstitutivität ausgegangen werden muß, ist eine Frage der Auslegung. Da die - hier unstreitig verabredete - Beurkundung nach § 154 Abs. 2 BGB im Zweifel konstitutive Bedeutung hat, muß die bloße Deklarativität der Beurkundung derjenige nachweisen, der diese behauptet (vgl. Kramer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. 1993, § 154 Randnr. 20; Soergel-Wolf, Bürgerliches Gesetzbuch. 12. Aufl. 1987, § 154 Randnr. 16). Das Arbeitsgericht hat deshalb zu Recht angenommen, die Parteien wollten nur einen gerichtlichen Vergleich abschließen. Anhaltspunkte, weshalb die Protokollierung im Streitfall nicht Wirksamkeitserfordernis sein sollte, liegen nämlich nicht vor. Wenn die Anwälte der Parteien sich - so der Kläger - über den Inhalt eines Vergleiches (ohne dessen Wortlaut genau fixiert zu haben) ohne Mitwirkung des Gerichts in einem anhängigen Verfahren geeinigt haben und eine Protokollierung des Vereinbarten erfolgen soll, dann läßt sich keine Regel aufstellen, vor der Protokollierung sei bereits eine endgültige Bindung gewollt. Haben aber die Prozeßbevollmächtigten anläßlich der Festlegung des Inhalts der Einigung einerseits und über die Bindung andererseits keinerlei Erwägungen angestellt, wofür bei einem fernmündlich abgesprochenen Vergleich alles spricht, so bleibt es bei der Regelung des § 154 Abs. 2 BGB, wonach im Zweifel der Vergleich erst mit der gerichtlichen Protokollierung zustande kommt.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

21

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist die Revision zugelassen worden (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert beträgt 4.000,00 DM