Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.12.1995, Az.: 5 (11) Sa 1498/95E
Eingruppierung als Erziehungshelferin
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 06.12.1995
- Aktenzeichen
- 5 (11) Sa 1498/95E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 16148
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1995:1206.5.11SA1498.95E.0A
Verfahrensgegenstand
Feststellung
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht sowie
der ehrenamtlichen Richter ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 1995
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 21. März 1995 - 6 Ca 585/94E - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin ab 1. März 1994 Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b BAT zu zahlen. Die Klägerin ist staatlich geprüfte Kinderpflegerin. Sie ist seit dem 1. März 1990 beim Landesbildungszentrum für Blinde in Hannover als Erziehungshelferin tätig. Die Klägerin betreut im Internat des Landesbildungszentrums für Blinde in einem Team, das sich aus Kinderpflegerinnen, Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen zusammensetzt, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 6 bis ca. 20 Jahren, jeweils in Gruppen von in der Regel vier bis fünf Personen. Diese Personen sind hochgradig sehbehindert oder vollblind und leiden an weiteren geistigen oder körperlichen Behinderungen. Die Betreuung erstreckt sich auf die Zeit, in der diese Personen nicht die Schule besuchen oder sich an den Wochenenden oder in den Ferien in ihrem Elternhaus aufhalten. Die Klägerin betreut als Bezugsperson einen 22jährigen Mann, der an einer als NLC bezeichneten Krankheit leidet.
Die Klägerin meint, da alle Teammitglieder die gleiche Tätigkeit verrichteten, habe auch sie Anspruch auf Vergütung aus der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 5 des Teils II Abschnitt G der Anlage 1 a zum BAT (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst). Diese Vergütungs- und Fallgruppe treffe auf ihre Tätigkeit zu. Sie sei zwar nicht Erzieherin mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit, wohl aber eine sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausübe mit besonders schwierigen fachlichen Tätigkeiten nach vierjähriger Bewährung in Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5.
Das beklagte Land meint, eine lediglich auf den Aufgabenbereich einer Kinderpflegerin begrenzte Tätigkeit, bei der der erzieherische Anteil eine untergeordnete Rolle einnehme, schließe aus, daß denen einer Erzieherin vergleichbare Erfahrungen während der Ausübung der Tätigkeit einer Kinderpflegerin in dem erforderlichen Umfang gesammelt werden könnten. Zu den wesentlichen Aufgaben der Klägerin gehöre die Beachtung der Körperhygiene, die Zubereitung der Mahlzeiten und das Essenstraining sowie die Gestaltung von Freizeitangeboten, z. B. Spaziergänge, Planung und Durchführung von Tagesausflügen oder das Organisieren von Feiern und sportlichen Aktivitäten. Ferner obliege der Klägerin die Verwaltung des Taschengeldes.
Diese Tätigkeit vermöge die Klägerin aufgrund ihrer zweijährigen Ausbildung zur Kinderpflegerin auszuführen. Die qualifizierteren Aufgaben, die von den Erzieherinnen aufgrund ihrer dreijährigen Ausbildung erbracht würden, oblägen nicht der Klägerin.
Zur Darstellung aller Einzelheiten ihres Vorbringens im ersten Rechtszug wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 21. März 1995 (Bl. 116 bis 131 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 24.428,18 DM festgesetzt.
Das Arbeitsgericht meint, es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin als sonstige Angestellte die einer Erzieherin mit staatlicher Anerkennung entsprechenden Tätigkeiten ausübe. Es sei nämlich nicht festzustellen, daß sie ihre Tätigkeit in der Internatsgruppe aufgrund "gleichwertiger Fähigkeiten" einer Erzieherin mit staatlicher Anerkennung im Sinne der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 5 ausübe.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 25. Juli 1995 zugestellt worden ist, hat die Klägerin mit einem am 14. August 1995 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten Berufung eingelegt, die sie mit einem am 12. September 1995 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten begründet hat.
Die Klägerin meint, zu Unrecht habe das Arbeitsgericht - bei Unterstellung der Ausübung entsprechender Tätigkeiten - bezweifelt, daß die Klägerin diese Tätigkeiten aufgrund von den Fähigkeiten einer Erzieherin mit staatlicher Anerkennung gleichwertigen Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen ausübe, so daß sie, da sie besonders schwierige fachliche Tätigkeiten verrichte, nach vierjähriger Bewährung in Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 5 des Teils II VKA der Anlage 1 a zum BAT (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) eingruppiert sei.
Bei der Prüfung des Merkmals der "gleichwertigen Fähigkeiten" müsse beachtet werden, daß sich ein qualifizierter Erzieher nicht dadurch auszeichne, daß er psychologische Lehrbücher zitieren oder Theorien repetieren könne. Es gehe in erster Linie nicht um theoretisches Wissen, sondern um Sensibilität, Schwingungsfähigkeit, die Fähigkeit, auf Kinder oder in Einzelfällen auch Erwachsene pädagogisch einzugehen, Gruppenprozesse flexibel zu lenken, Erziehungspläne kreativ umzusetzen, die Fähigkeit, den körperlichen, intellektuellen, emotionalen und sozialen Entwicklungsstand eines Kindes oder Jugendlichen erfassen und dessen Lebens- und Erfahrungswelt nachvollziehen zu können.
Diese Fähigkeiten seien nur sehr schwer objektivierbar und abgrenzbar. Der Anspruch auf effektive Rechtsschutzgewährung gebiete es, die Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin nicht zu überspannen. Es könne nicht verlangt werden, etwas darzulegen, war überhaupt nicht darstellbar, weil nicht objektiv festmachbar, sei. Die Klägerin habe nachgewiesen, daß sie in großem Umfang an Fortbildungen teilgenommen habe und in ständigem Austausch mit Personen unterschiedlicher Profession stehe. Das sei ausreichend. Die Klägerin könne auf eine 13jährige Tätigkeit in der Funktion als Erzieherin verweisen.
In den letzten zwei Jahren habe sie folgende Fortbildung absolviert:
Arbeiten mit NLC-Kindern und ihren Familien, 22.02.1995
Lehrerfortbildungskurs "Blindenpädagogik für pädagogische Mitarbeiterinnen und pädagogische Mitarbeiter", vom 21. - 25.06.1993
Kurs "Die Kinder trauern" - mit Kindern über Sterben und Tod ins Gespräch kommen, 09.02. - 23.02.1994 (einzelne Termine)
Kurs "Arbeiten mit NLC-Kindern und ihren Familien", 25. - 29.04.1994
Kurs "Dokumentation der Lebensläufe der NLC erkrankten Schüler", 13. - 15.07.1994
Kurs "Arbeiten mit NLC-Kindern und ihren Familien", vom 25. - 29.04.1994
Kurs zum Selbstverständnis von Internatserziehern, 20. - 22.07.1994
Zur Darstellung aller Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung der Klägerin vom 11. September 1995 nebst Anlagen (Bl. 140 bis 155 d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 21. März 1995 zu ändern, das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 8.488,72 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf 2.118,62 DM netto ab Klagzustellung und nebst 4 % Zinsen auf 2.974,60 DM netto seit dem 16.03.1995 zu zahlen, und
festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.04.1995, unter Anrechnung der ab diesem Zeitpunkt gezahlten Vergütung. Vergütung nach der Vergütungsgruppe V b BAT einschließlich anteiliger Zuwendung nach dieser Vergütungsgruppe, zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf die jeweils anfallenden Nettodifferenzbeträge ab jeweiliger monatlicher Fälligkeit.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es meint, die Klägerin sei in Vergütungsgruppe VI b Fallgruppe 1 richtig eingruppiert. Sie sei staatlich geprüfte Kinderpflegerin, übe die entsprechende Tätigkeit, und zwar schwierige fachliche Tätigkeiten, aus und erfülle die Voraussetzung fünfjähriger Bewährung in Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1.
Die von der Klägerin angeführten Fortbildungsveranstaltungen hätten nicht der Fortbildung zum Erzieher gedient. Die Klägerin habe nicht die einer Erzieherin gleichwertigen Fähigkeiten und Erfahrungen, auch wenn sie im Internat ähnliches oder gleiches tue wie die Erzieher mit staatlicher Anerkennung. Das beklagte Land stellt sodann die unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen und Ausbildungsinhalte für Kinderpflegerinnen auf der einen und Erzieherinnen auf der anderen Seite dar und weist darauf hin, daß die Klägerin nichts dafür vorgetragen habe, daß die Differenz zwischen beiden Berufsbildern durch gleichwertige Fähigkeiten und ihre Erfahrungen ausgeglichen sei.
Zur Darstellung aller Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Berufungserwiderung des beklagten Landes vom 20. November 1995 (Bl. 161 f. d. A.) Bezug genommen.
Die Kammer hat in dem Parallelrechtsstreit 5 Sa 121/95E entsprechend der vorbereitenden Verfügung des Vorsitzenden vom 18. November 1995 gemäß Beweisbeschluß vom 6. Dezember 1995 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... Zur Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 6. Dezember 1995 (Bl. 181 f. d. A. - 5 Sa 121/95E) Bezug genommen. Die Parteien haben sich mit der Verwertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme auch in diesem Rechtsstreit einverstanden erklärt.
Gründe
Die aufgrund der Höhe des Wertes des Beschwerdegegenstandes statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist damit zulässig.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit der Parteien im Ergebnis zutreffend entschieden.
Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin ... zwar davon überzeugt, daß die Klägerin im Internat des Landesbildungszentrums für Blinde im wesentlichen die gleiche Tätigkeit ausübt wie die mit ihr zu einem Team zusammengefaßten anderen Personen, bei denen es sich auch um Erzieherinnen und eine Heilerziehungspflegerin handelt. Sie übt allerdings, wie sich aus ihrem eigenen Vortrag ergibt, eine Mischtätigkeit aus, in der sowohl Anteile der Tätigkeit von Erzieherinnen als von Kinderpflegerinnen enthalten sind. Darüber hinaus obliegen der Klägerin Tätigkeiten, die tariflich nicht speziell erfaßt sind (vgl. BAG AP Nr. 74 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Die Kammer unterstellt ebenso wie das Arbeitsgericht zugunsten der Klägerin, daß die Tätigkeiten einer Erzieherin, die wegen ihrer Gleichartigkeit zu einem Arbeitsvorgang zusammengefaßt werden können, mehr als die Hälfte der Arbeitszeit der Klägerin in Anspruch nehmen.
Zu folgen ist dem Arbeitsgericht auch insofern, als es nicht hat feststellen können, daß die Klägerin die der Tätigkeit einer Erzieherin entsprechende Tätigkeit aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten ausübt, während in bezug auf die von der Klägerin gesammelten Erfahrungen keine Bedenken bestehen.
Zunächst ist es nicht möglich, aus dem Umstand, daß die Klägerin Tätigkeiten einer Erzieherin ausübt, auf das Vorhandensein von Fähigkeiten zu schließen, die denen einer staatlich geprüften Erzieherin entsprechen. Dieser Schluß ist deswegen nicht möglich, weil es für Angestellte in der Tätigkeit von Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung in Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 3 eine spezielle Eingruppierungsvorschrift gibt. Insofern befindet sich die Kammer im Gegensatz zur Auffassung der 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (13 Sa 1601/93), so daß gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG die Zulassung der Revision geboten ist.
Im übrigen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin über Fähigkeiten verfügt, die denen von Erzieherinnen mit staatlicher Anerkennung gleichwertig sind. Das beklagte Land hat in seinem Schriftsatz vom 20. November 1995 (Bl. 161 ff. d. A.) Bildungsvoraussetzungen, Ausbildungsdauer und Ausbildungsinhalte für den Beruf der Erzieherin einerseits und der Kinderpflegerin andererseits dargestellt. Darauf wird nochmals Bezug genommen. Es ist - auch aus dem Vortrag der Klägerin - nicht ersichtlich, daß sie sich die durch die Erzieherinnenausbildung vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten, soweit sie über die in der Kinderpflegerinnenausbildung vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten hinausgehen, von Teilbereichen abgesehen, auf andere Weise angeeignet haben könnte. Die von der Klägerin aufgeführten Fortbildungsveranstaltungen waren u. a. wegen ihrer geringen Häufigkeit und ihrer kurzen Dauer nicht geeignet, eine Gleichwertigkeit der Fähigkeiten der Klägerin mit denen einer Erzieherin mit staatlicher Anerkennung herzustellen. Aus ihrer ausführlichen Schilderung der Tätigkeit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 1995 hat die Kammer keinen weiteren Hinweis darauf entnehmen können, daß das tarifliche Merkmal der gleichwertigen Fähigkeiten im Sinne der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5 und damit auch der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 5 erfüllt sein könnte. Die Kammer teilt deswegen die Auffassung des beklagten Landes, daß die Klägerin zutreffend in Vergütungsgruppe VI b (Fallgruppe 1) eingruppiert ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert ist unverändert.