Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.1995, Az.: 1 TaBV 56/95
Möglichkeit der Einführung von Leistungs- anstelle von Zeitlohn zur Herstellung der Lohngerechtigkeit in der betrieblichen Lohngestaltung durch den Betriebsrat
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.1995
- Aktenzeichen
- 1 TaBV 56/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 10893
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1995:1130.1TABV56.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hameln - AZ: 2 BV 1/95
Rechtsgrundlagen
- § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
- § 9 MTV
- § 12 MTV
Fundstelle
- NZA-RR 1996, 374-376 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Der Betriebsrat kann zur Herstellung der Lohngerechtigkeit in der betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 die Einführung von Leistungs- anstelle von Zeitlohn verlangen (sog. Initiativrecht).
In dem Beschlussverfahren
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
aufgrund der Anhörung am 30. November 1995
durch
den ... des Landesarbeitsgerichts ... und
den ehrenamtlichen Richter ... und
die ehrenamtliche Richterin
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Arbeitgeberin (Bet. zu 1) gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Hameln vom 27. April 1995 - 2 BV 1/95 - wird zurückgewiesen.
Siehe Berichtigungsbeschluß
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtszug darüber, ob der Betriebstrat in der Abteilung Finisher/Tätigkeiten Aufbügeln/Kontrollbrett des Betriebes der Arbeitgeberin in ... die Einführung von Prämienlohn anstelle von Zeitlohn verlangen kann. Eine hierzu gerichtlich bestellte Einigungsstelle (LAG Niedersachsen, Beschluß vom 12. Januar 1995, 1 TaBV 107/94) ist unterdessen zusammengetreten, hat jedoch noch keine Regelung getroffen.
Die Arbeitgeberin (Bet. zu 1) betreibt in Form einer GmbH einen Textilmietservice und beschäftigt zu diesem Zweck in ihrem Betrieb in etwa 160 Arbeitnehmer. Die von dem Betriebsrat (Bet. zu 2) verlangte Einführung eines Prämienlohns betrifft etwa 70 Arbeitnehmer im Betrieb. Für den Betrieb ... kommt der Manteltarifvertrag für das Textilreinigungsgewerbe vom 29. April 1987 zur Anwendung. Dort heißt es u.a.:
§ 9 Entlohnungsgrundsätze
1.
...2.
Die Entlohnung erfolgt entweder im Zeitlohn (bzw. Gehalt), Akkordlohn oder Prämienlohn....
§ 12 Prämienentlohnung
1.
Die Einführung oder Änderung einer Prämienentlohnung ist durch schriftliche Vereinbarung mit dem Betriebsrat zu regeln....
Die Arbeitgeberin hat die Rechtsansicht vertreten, der Betriebsrat habe im Rahmen von § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 kein Initiativrecht. Die Einigungsstelle könne daher nur tätig werden, wenn der Arbeitgeber die Lohnstruktur verändern und das Leistungslohnsystem einführen wolle. Die Arbeitgeberin hat im ersten Rechtszug beantragt, festzustellen, daß die zur Einführung von Prämienlohn in ihrem Betrieb eingesetzte Einigungsstelle unzuständig ist. Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den für zulässig erachteten Feststellungsantrag der Arbeitgeberin als unbegründet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Mitbestimmung im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG 1972 umfasse grundsätzlich eine gleichberechtigte Teilhabe von Betriebsrat und Arbeitgeber an der Entscheidung. Damit habe auch der Betriebsrat das Recht, eine neue Regelung durch eigene Initiative herbeizuführen. Auswirkungen dieses Initiativrechts auf die unternehmerische Entscheidungsfreiheit seien hinzunehmen. Die konkret durch die Einigungsstelle getroffene Regelung müsse dem billigen Ermessen im Sinne von § 76 Abs. 5 BetrVG 1972 entsprechen und den betrieblichen Gegebenheiten Rechnung tragen. Zu den weiteren Einzelheiten der Beschlußgründe wird auf Blatt 18 bis 22 d.A. und zum erstinstanzlichen Vorbringen der Beteiligten auf die Schriftsätze vom 02. Februar und 10. April 1995 verwiesen.
Gegen den am 02. Juni 1995 zugestellten Beschluß hat die Arbeitgeberin am 19. Juni 1995 Beschwerde eingelegt, die sie am 19. Juli 1995 begründet hat.
Die beschwerdeführende Arbeitgeberin hält an ihrer Rechtsauffassung fest, daß dem Betriebsrat gesetzlich nur ein Mitbestimmungsrecht über das "Wie" eines Leistungslohnsystems zustehe, nachdem der Arbeitgeber allein über das "Ob" befunden und sich dafür entschieden habe. Ein Initiativrecht des Betriebsrats im Rahmen von § 87 Abs. 1 BetrVG 1972 sei durch die Wertentscheidung der Verfassung zur unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zu begrenzen, ansonsten könne der Betriebsrat Lohnpolitik betreiben und sogar gegen den Willen des Arbeitgebers die Produktion oder die aufzubringende Lohnsumme erhöhen. Nach internen REFA Studien im Betrieb sei bei einer Normalleistung von 100 % bei Einführung der Leistungsentlohnung mit 500.000,00 DM höheren Lohnaufwand zu rechnen. Soweit dem Betriebsrat tarifvertraglich ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von Prämienlohn zustehe, seien die Tarifvertragsparteien bei der Regelung davon ausgegangen, daß für den Betriebsrat ein Initiativrecht hierzu nicht bestehe. Zum Beweis hierfür werde das Zeugnis des Prokuristen der Arbeitgeberin O. Wohlleben angeboten, der zugleich Sprecher der Tarifpolitischen Arbeitsgemeinschaft im Deutschen Textilreinigungsverband sei.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluß des Arbeitsgerichts Hameln vom 27. April 1995 abzuändern und festzustellen, daß der Betriebsrat nicht die Einführung von Prämienlohn anstelle von Zeitlohn in der Abteilung Finisher/Tätigkeiten Aufbügeln/Kontrollbrett im Betrieb verlangen kann.
Der Betriebsrat stimmt der Antragsänderung zu und beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, daß die unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht unbeschränkt gewährleistet sei. Er wolle mit seinem Initiativrecht auch keine Lohnerhöhung, sondern nur eine gerechtere Lohnverteilung durchsetzen.
Auslöser für sein Verlangen. Leistungslohn in der genannten Abteilung einzuführen, sei der Umstand gewesen, daß den dort arbeitenden Mitarbeitern immer höhere Stückzahlen im Zeitlohn abverlangt würden. Unter diesen Bedingungen sei die Zahlung von Leistungslohn angemessener. Die in der Abteilung Finisher je Schicht und Arbeitnehmer verlangten 165 Stück entsprächen nicht 80 %, sondern 100 % einer Normalleistung im Leistungslohn.
Zum zweitinstanzlichen Vorbringen der Beteiligten wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze vom 15. Juni. 12. Juli, 19. Juli, 08. September und 23. November sowie die Sitzungsniederschrift vom 30. November 1995 Bezug genommen.
II.
Die statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie ordnungsgemäß begründet worden. In der Sache bleibt die Beschwerde auch mit geänderten Feststellungsantrag ohne Erfolg.
Dem Verlangen des Betriebsrates, ein Leistungslohnsystem anstelle des vorhandenen Zeitlohnsystems in den genannten Abteilungen des Betriebes in ... einzuführen, stehen weder gesetzliche noch tarifliche Schranken entgegen. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen die abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts ist deshalb unbegründet und unterliegt der Zurückweisung.
1.
Der im zweiten Rechtszug geänderte Feststellungsantrag ist zulässig. Er ist bestimmt genug und geeignet, die Rechte und Pflichten aus dem Rechtsverhältnis der Beteiligten zu klären. Das Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO ist damit gegeben.
Im vorliegenden Beschlußverfahren geht es um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates und dessen Reichweite im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972. Aus der, auf den geänderten Feststellungsantrag zu treffenden gerichtlichen Entscheidung ergibt sich ohne weiteres, ob die bereits gebildete Einigungsstelle zuständig für die vom Betriebsrat angestrebte Regelung ist.
Ein solches sogenanntes "Vorabentscheidungsverfahren" ist nach herrschender Meinung zulässig (BAG 16. August 1983, 1 ABR 11/82 = EzA § 81 ArbGG 1979 Nr. 3; BAG 06. Dezember 1983, 1 ABR 43/81 = NJW 1984, 1476; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 2. Aufl. § 2 a Rz. 88 m.w.N.). Entgegen dem ursprünglich gestellten Antrag wird nicht nur die Zuständigkeit der Einigungsstelle zu einem bestimmten, auswechselbaren Verlangen eines der Betriebspartner zur Entscheidung gestellt. Die nunmehr beantragte Feststellung zum Bestehen und Inhalt des Mitbestimmungsrechts ist vielmehr geeignet, zwischen den Beteiligten dauerhaft die eigentliche Streitfrage, ob dem Betriebsrat auf dem Feld der betrieblichen Lohngestaltung ein Initiativrecht zusteht, mit Rechtskraftwirkung zu klären (BAG 06. Dezember 1983 a.a.O. zu B II. 1. der Gründe).
Aus diesem Grund ist nur für den zuletzt gestellten Antrag ein Rechtsschutzinteresse gegeben. Nach Zustimmung des Betriebsrates zur entsprechenden Antragsänderung der Arbeitgeberin (§§ 87 Abs. 2 Satz 3, 81 Abs. 3 ArbGG) hat deshalb die Beschwerdekammer über den neu bestimmten Streitgegenstand zu befinden.
2.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 umfaßt auch ein Initiativrecht zur Herstellung der Lohngerechtigkeit in der betrieblichen Lohngestaltung. Der Betriebsrat kann daher die Einführung von Leistungslohn anstelle von Zeitlohn verlangen und bei Nichteinigung die Einigungsstelle hierzu anrufen (§ 87 Abs. 2 BetrVG 1972).
a)
Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG 1972 hat der Betriebsrat nur mitzubestimmen, soweit nicht eine tarifliche Regelung besteht. Der Tarifvorrang kann deshalb Inhalt und Grenzen des Initiativrechts näher bestimmen. Betriebsverfassungsrechtliche Normen eines Tarifvertrages gelten bereits dann für den Betrieb, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG). Das ist hier nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Beschwerdeführerin (Bet. zu 1) der Fall.
Aus den mitgeteilten Bestimmungen der §§ 9, 12 MTV ergibt sich jedoch nur, daß dem Betriebsrat bei Einführung einer Prämienentlohnung ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Dem Wortlaut der tariflichen Regelung ist nicht zu entnehmen, daß die Entscheidung allein dem Arbeitgeber vorbehalten bleibt, ob es zu einer Prämienentlohnung kommt. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist dann der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien bei der Auslegung des Tarifvertrages mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (BAGE 46, 308; ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG 21. Juli 1993, 4 AZR 468/92 = EzA § 1 TVG Auslegung Nr. 28).
Doch finden sich für den Willen der Tarifvertragsparteien, ein Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung von Prämienentlohnung auszuschließen oder zu begrenzen, weder im Wortlaut der tariflichen Bestimmungen noch im tariflichen Gesamtzusammenhang hinreichende Anhaltspunkte. Die tariflichen Normen erlauben Zeit-, Akkord- oder Prämienlohn und setzen für die Einführung oder Änderung einer Prämienentlohnung (§§ 9. 12 MTV) eine schriftliche Vereinbarung mit dem Betriebsrat voraus. Bestimmungen zum Initiativrecht des Betriebsrats fehlen vollends. Nachdem das Bundesarbeitsgericht nach Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 zu den in § 87 BetrVG 1972 verankerten Beteiligungsrechten entschieden hat, daß die dort verankerten Mitbestimmungsrechte grundsätzlich auch das Initiativrecht des Betriebsrats mit einschließen, weil die Mitbestimmung schon begrifflich beiden Seiten gleiche Rechte einräumen soll (BAG 14. November 1974, 1 ABR 65/73 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 = EzA § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht Nr. 2), ist deshalb bei Abschluß des Manteltarifvertrages 1987 von den Tarifvertragsparteien eine ausdrückliche tarifliche Festlegung zu einer abweichenden Gestaltung des Initiativrechts zu erwarten gewesen (vgl. auch BAG 09. Mai 1995, 1 ABR 56/94 zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung bestimmt). Daran fehlt es hier.
Unter diesen Voraussetzungen sah sich die Kammer nicht veranlaßt, den von Arbeitgeberseite angebotenen Zeugen Wohlleben zu vernehmen. Es kann zugunsten der Arbeitgeberin der Wille der Tarifvertragsparteien unterstellt werden, ein Initiativrecht des Betriebsrates bei der Einführung von Prämienentlohnung auszuschließen. Ein entsprechender Wille hat aber - wie ausgeführt - im Tarifvertrag keinen entsprechenden Niederschlag gefunden. Eine mögliche Beweisaufnahme hierzu (BAG 26. April 1966, 1 AZR 242/65 = AP Nr. 117 zu § 1 TVG Auslegung) ist daher entbehrlich. Zweifel zur Tarifauslegung nach Wortlaut und systematischen Gesamtzusammenhang sind hier nicht mehr gegeben (vgl. BAG 25. November 1987, 4 AZR 403/87, EzA § 1 TVG Auslegung Nr. 18).
b)
Der Betriebsrat hat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung ein uneingeschränktes Initiativrecht. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 hat er an der Herstellung der Lohngerechtigkeit mitzuwirken. Dieses Teilhaberecht schließt die Änderung bestehender Lohngrundsätze mit ein. Er kann deshalb die Einführung von Leistungslohn verlangen, wenn ihm dies mit Rücksicht auf betriebliche Arbeitsbedingungen gerechter erscheint. Das hat auch das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.
aa)
Die Beschwerde räumt selbst ein, daß bei einer Änderung der Entlohnungsgrundsätze ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 zu beachten ist. Sie meint indessen, Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates beschränke sich hierauf, die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten oder willkürlichen Entgeltgestaltung zu schützen. Es gehe aber nicht an, über ein Initiativrecht dem Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 einen Eingriff in den unternehmerisch-wirtschaftlichen Bereich zu gestatten, der die Lohnsummenhöhe oder den Umfang der Produktion gegen den Willen des Arbeitgebers beeinflussen kann (ebenso Stege-Weinspach BetrVG 7. Aufl. § 87 Rz. 21 ff.; Boewer, DB 1973, 527; Matthes in MünchArbR § 333 Rz. 87; derselbe NZA 1987, 289).
Diese Rechtsauffassung wird aber von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht geteilt. Danach beinhalten die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG 1972 auch das Recht des Betriebsrats zur Herbeiführung einer entsprechenden Regelung initiativ zu werden (BAG 20. September 1990, 1 ABR 74/89 = EzA § 80 BetrVG 1972 Nr. 39; 30. Januar 1990, 1 ABR 2/89 = EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 27; offengelassen BAG 13. September 1983, 1 ABR 32/81 = EzA § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn Nr. 8; eingeschränkt für betriebliche Altersversorgung BAG 12. Juni 1975, 3 ABR 13, 66/74 AP Nr. 1.3 § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung; für Initiativrecht: Fitting/Kaiser/Heither/Engel BetrVG 18. Aufl. § 87 Rz. 333; Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 4. Aufl. § 87 Rz. 521; Wiese in GK-BetrVG 5. Aufl. § 87 Rz. 822 ff., jeweils m.w.N.). Der Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 erschöpft sich nicht in einer Abwehrfunktion, wie das für die Einführung von Kontrolleinrichtungen angenommen wird (BAG 28. November 1989, 1 ABR 97/88 = EzA § 87 BetrVG 1972 Kontrolleinrichtung Nr. 18). Die Beschwerde verkennt, daß Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus § 87 BetrVG 1972 - auch wenn sie als Initiativrecht genutzt werden - nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt stehen, daß durch sie in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers nicht eingegriffen werden darf (BAG 31. August 1982, 1 ABR 27/80; BVerfG 18. Dezember 1985, Vorprüfungsausschuß, 1 BVR 143/88 = EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 13, 13 a; BAG 04. März 1986, 1 ABR 15/84 = EzA § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit Nr. 17 = NJW 1987, 1844). Die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG 1972 zielt auf eine gewollte Teilhabe des Betriebsrats an den wirtschaftlichen und unternehmenspolitischen Entscheidungen (Wiese in GK-BetrVG a.a.O. Rz. 827; derselbe Initiativrecht, 1977, S. 62; Rüthers ZfA 1973, 418; Richardi ZfA 1976, 42). Die paritätische Anlage der echten Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 BetrVG 1972 und die damit einhergehende Einschränkung des unternehmerischen Spielraums steht siehe Berichtigungsbeschluß im Einklang mit der Verfassung (Art. 12, 14 GG; vgl. BVerfGE 50, 290, 326 ff.; BVerfG 18. Oktober 1986 (1. Kammer), 1 BVR 1426/83 = NJW 1988, 1135 [BVerfG 18.10.1986 - 1 BvR 1426/83]).
Bewirkt die Initiative des Betriebsrates im Ergebnis doch höhere finanzielle Aufwendungen an Arbeitsentgelt oder kommt es zu einer unerwünschten Überproduktion, bleiben der Arbeitgeberin rechtliche und unternehmerische Wege des Gegensteuerns offen. Sollte die Einigungsstelle ohne Rücksicht auf die Belange des Betriebes mit der Einführung des Leistungsentgelts eine krasse Erhöhung der Lohnsumme billigen, so kann die Arbeitgeberin sich dagegen wehren. Sie kann den Einigungsstellenspruch wegen Ermessensüberschreitung nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG 1972 mit Erfolgsaussichten vor Gericht anfechten. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht zu Recht hingewiesen.
Führt das neue Leistungslohnsystem zu einer am Markt nicht absetzbaren Mehrproduktion, kann die Arbeitgeberin mit Einführung von Kurzarbeit, mit Versetzungen, mit betriebsbedingten Änderungs- oder Beendigungskündigungen der nicht mehr benötigten Arbeitnehmer die Produktion wieder einschränken. Damit verbleibt ihr bei Anerkennung eines Initiativrechts des Betriebsrates zur Einführung von Leistungslohn ein angemessener Spielraum zu selbstverantwortlichem unternehmerischen Handeln (LAG Düsseldorf 17. Juli 1973, 8 TaBV 11/73 = EzA § 87 BetrVG 1972 Initiativrecht Nr. 1 mit zustimmender Anmerkung Rüthers, LAG Rheinland-Pfalz 08. August 1975, 5 TaBV 32/74 = DB 1975, 1996; Badura AöR 1972, 382, 404; Wiese GK-BetrVG a.a.O. § 87 Rz. 827 m.w.N.).
Schließlich wird der Betriebsrat bei Ausübung seines Initiativrechts die oben aufgezeigten Konsequenzen für die Belegschaft mit zu bedenken haben. Er wird deshalb im Regelfall das ihm zustehende Initiativrecht nur zurückhaltend ausüben. Anderenfalls gerät er in die Gefahr, personelle Einzelmaßnahmen mit tragen zu müssen, die er über sein Initiativrecht selbst ausgelöst hat.
bb)
Wenn sich die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05. März 1991 - 1 ABR 39/90 (AP Nr. 90 zu § 99 BetrVG 1972) - beruft, wird übersehen, daß es dort um die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen geht, die von Inhalt und Ausgestaltung her mit den Mitbestimmungstatbeständen in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG 1972 nicht vergleichbar sind (BAG 03. Mai 1994, 1 ABR 24/93 = EzA § 23 BetrVG 1972 Nr. 36 zu B III. 1. der Gründe). Das Recht des Arbeitgebers, frei zu entscheiden, ob er anfallende Arbeiten durch eigene Arbeitnehmer oder durch Vergabe von Werk- oder Dienstverträgen erledigen läßt, gibt für die hier zu entscheidende Rechtsfrage nichts her.
cc)
Ernst zu nehmen ist dagegen der Einwand, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 10, 11 BetrVG 1972 sei grundsätzlich darauf angelegt, den Arbeitnehmer vor den gesundheitlichen Gefahren des Leistungslohnsystems zu schützen. Es erscheint auf den ersten Blick widersinnig, es dem Betriebsrat in die Hand zu geben, derartige Gefahren herbeizubeschwören (Matthes NZA 1987, 291).
Der vorliegende Sachverhalt zeigt indessen, daß eine erhebliche Arbeitsbelastung der Arbeitnehmer auch im Zeitlohn möglich sein kann. Nach dem Vorbringen der Beteiligten im Anhörungstermin ist nicht auszuschließen, daß die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren für die in der betroffenen Abteilung beschäftigten Mitarbeiter kaum noch zu ertragen sind. Inwieweit diese Einschätzung den Tatsachen entspricht, hat die Einigungsstelle aufzuklären. Jedenfalls steht der Betriebsrat vor der Entscheidung, ob er nicht zumindest dafür Sorge tragen will, die nicht abwendbare hohe Arbeitsbelastung eines Teils der Belegschaft auf dem Wege der abstrakten Vergütungsfindung finanziell gerechter zu regeln. Dann wiegt die daraus erwachsene größere Lohngerechtigkeit die möglicherweise bereits eingetretenen höheren körperlichen und seelischen Belastungen auf, die mit einer Leistungsentlohnung verbunden sind.
3.
Eine Entscheidung über die Kosten des Beschlußverfahrens war nach § 12 Abs. 5 ArbGG nicht zu treffen.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Streitwertbeschluss:
Vermerk
Der Tenor des Beschlusses vom 30.11.1995 ist durch Beschluß vom 04.04.1996 dahin berichtigt, daß er um den Zusatz
"Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen." ergänzt,
sowie auf Seite 10 1. Abs. letzter Satz der Gründe das Wort "steht" durch das Wort "stehen" ersetzt wird.
Hannover, den 09.04.1996
..., Gerichtsangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Der Vorsitzende der 1. Kammer
1 TaBV 56/95
Berichtigungsbeschluß
In dem Beschlußverfahren
mit den Beteiligten
Antragstellerin, Beteiligte zu 1)
und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
und
Antragsgegner, Beteiligte zu 2)
und Beschwerdegegner,
Verfahrensbevollmächtigte:
wird der Tenor des Beschlusses vom 30. November 1995 dahin berichtigt, daß er um den Zusatz:
"Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen."
ergänzt wird. Des weiteren wird auf Seite 10 1. Abs. letzter Satz der Gründe das Wort "steht" durch das Wort "stehen" ersetzt.
Gründe:
Bei der Übertragung des unterschriebenen und lt. Protokoll vom 30. November 1995 auch verkündeten Tenors ist versehentlich die Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgelassen worden.
Außerdem heißt es infolge eines weiteren Übertragungsfehlers auf Seite 10 1. Abs. letzter Satz der Gründe fehlerhaft "steht" anstelle von "stehen".
In beiden Fällen waren deshalb wegen der offenbaren Unrichtigkeiten der Entscheidungstenor und die Gründe auf Seite 10 von Amts wegen nach § 319 Abs. 1 ZPO zu berichtigen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 70 ArbGG).