Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 18.09.2012, Az.: VgK-36/2012
Verletzung von Bieterrechten aufgrund unzulässiger Wagnisse in den Vergabeunterlagen (hier: Ausschreibung von Entsorgungsdienstleistungen)
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 18.09.2012
- Aktenzeichen
- VgK-36/2012
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 27530
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 110 Abs. 1 S. 4 GWB
- § 114 Abs. 1 GWB
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx, Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -gegen
den xxxxxx, Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegner -
wegen
Ausschreibung von Entsorgungsdienstleistungen,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn, und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Biologe Sameluck auf die mündliche Verhandlung vom 06.09.2012
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.
- 3.
Die Kosten trägt die Antragstellerin.
- 4.
Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für den Antragsgegner nicht notwendig.
Begründung
I.
Mit Bekanntmachung vom xxxxxx.2012 hat der Landkreis xxxxxx als Auftraggeber Entsorgungsdienstleistungen in 3 Losen europaweit ausgeschrieben. Los 1 umfasst die Abfuhr von Biomüll und Restmüll einschließlich des zugehörigen Behälterdienstes, Los 2 die Abfuhr, Übernahme und weitere Verwertung von Altpapier einschließlich Behältergestellung und Los 3 die Abfuhr und weitere Verwertung von Sperrmüll und Elektrogeräten sowie die Abfuhr von Weihnachtsbäumen. Als einziges Zuschlagskriterium wurde der niedrigste Preis bekannt gegeben. Varianten/Alternativangebote wurden nicht zugelassen. Angebote waren bis zum xxxxxx.2012, 12 Uhr, einzureichen. Die Bindefrist endet am 31.10.2012.
Für die Lose 1 und 3 wurde in Bekanntmachung und Vergabeunterlagen ein Leistungsbeginn zum 01.01.2014 angekündigt.
Bezüglich der als Angebot einzureichenden Unterlagen wurde in Kapitel 2.14 u.a. Folgendes geregelt:
"Die Vergabestelle behält sich vor, bei Fehlen wesentlicher Erklärungen und Nachweise das Angebot auszuschließen (§ 19 EG (3) VOL/A). Der AG behält sich jedoch ausdrücklich vor, Erklärungen und Nachweise unter Fristsetzung nachzufordern (§ 19 EG (2) VOL/A). Der Bieter kann nicht darauf vertrauen, dass fehlende Angaben und Unterlagen von der Vergabestelle nachgefordert werden. Die Nachforderung zusätzlicher Erklärungen und Nachweise, welche der AG für die Feststellung der Eignung und sonstige Angebotsprüfung für erforderlich ansieht, bleibt ebenso vorbehalten."
In Kapitel 2.15.1 Bietereignung wird unter Bezugnahme auf § 19 EG (5) VOL/A darauf hingewiesen, dass der Auftraggeber Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Bieter anhand der "vorgelegten Unterlagen, den Bietererklärungen und ggf. weiterer ihm zugegangener oder von Bietern angeforderter Unterlagen" überprüfen wird.
Zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots wird in Kapitel 2.15.3 folgende Verfahrensweise angekündigt:
"Innerhalb des Kreises der wertbaren Angebote und der geeigneten Bieter wird der Zuschlag losweise auf das Angebot mit dem niedrigsten Angebotspreis (Summe nach Leistungsverzeichnis) erteilt. Dabei werden mögliche Rabatte, die von Bietern für den Fall der Vergabe von zwei oder mehr Losen an ihn eingeräumt werden, im Wertungspreis berücksichtigt. Maßgeblich für die Vergabe ist der niedrigste Gesamtwertungspreis (incl. USt. von derzeit 19%) über alle Lose oder Loskombinationen."
In Kapitel 3.7.7 (6) wird verlangt:
"Der AN hat im Übrigen an mindestens einer Betriebsstätte im Kreisgebiet die Möglichkeit zu gewährleisten, dass Anschlusspflichtige gegen Vorlage eines vom AG ausgestellten Berechtigungsnachweises zu üblichen Dienstzeiten (Mo-Fr von 9-16 Uhr) Abfallbehälter persönlich abholen können."
Der Entsorgungsvertrag enthält in § 8 Abs. 4 und 5 Regelungen zu Vertragsstrafen. In Abs. 4 wird die Gesamtheit aller in einem Kalenderjahr verhängten Vertragsstrafen auf 5% des Jahresentgeltes beschränkt. In Abs. 5 regelt der Auftraggeber "bereits jetzt" die Höhe der Vertragsstrafen bei nicht turnusgemäßer Abfuhr. Hiernach ist der Auftraggeber berechtigt, bei nicht turnusgemäßer Abfuhr einzelner Behälter bzw. Grundstücke eine Vertragsstrafe von 300 EUR pro Werktag und bei nicht turnusgemäßer Abfuhr einer größeren Zahl (50 oder mehr) von Behältern bzw. Grundstücken eine Vertragsstrafe von 1.000 EUR pro Werktag festzusetzen.
Kapitel 3.7.2 enthält Regelungen für die Abfuhrfahrzeuge. In Abs. 4 wird verlangt, dass die Seitenflächen der Fahrzeuge entsprechend den Vorgaben des Auftraggebers zu gestalten sind, wobei dies "ausdrücklich auch abfallbezogene Werbung des Auftraggebers" umfasst. Die Kosten der Aufbringung trägt der Auftraggeber. Der Auftragnehmer hat die Fahrzeuge hierfür zur Verfügung zu stellen.
Aufgrund von Bieterfragen und Rügen versandte die Vergabestelle innerhalb der Angebotsphase insgesamt 6 Bieterinformationen, mit denen die Vergabeunterlagen erläutert und in Teilen korrigiert wurden.
Die Antragstellerin übersandte insgesamt sechs anwaltliche Rügeschreiben. Im ersten Rügeschreiben vom 24.07.2012 trug sie vor, dass sie Verstöße gegen Vergabevorschriften festgestellt habe, diese hiermit rüge und den Auftraggeber auffordere, diese Verstöße in geeigneter Weise abzustellen. Hiernach beanstandete sie die Vergabeunterlagen u.a. wie folgt:
In dem für die Lose 1 und 3 festgelegten Leistungsbeginn zum 01.01.2014 liege die Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses, da die Bieter bereits 1,5 Jahre vor Leistungsbeginn aufgefordert seien, ihre Preise verbindlich anzugeben und auch festzulegen, welche Leistungen sie durch Nachunternehmer ausführen lassen werden.
In Kapitel 2.14 werde in Satz 3 bei den Regelungen eines Nachforderungsvorbehalts des Auftraggebers auf § 19 EG Abs. 3 VOL/A Bezug genommen. Dies sei missverständlich bzw. vergaberechtswidrig, denn § 19 EG Abs. 3 VOL/A regele lediglich den zwingenden Ausschluss von Angeboten.
Die in Kapitel 2.14 vorbehaltene Nachforderung zusätzlicher Erklärungen und Nachweise sei vergaberechtswidrig. Außerdem handele es sich nicht um eine Nachforderung, wenn erstmalig Unterlagen angefordert werden.
Die in Kapitel 2.15.1 enthaltenen Regelungen zur Bietereignung seien vergaberechtswidrig. Der Auftraggeber dürfe nicht, wie formuliert "ggf. weitere ihm zugegangene Unterlagen" in die Eignungsprüfung einbeziehen. Die der Eignungsprüfung zugrunde zu legenden Unterlagen müssen in den Vergabeunterlagen konkret benannt werden.
Die Angaben in Kapitel 2.15.3 zur Wertung von Rabatten auf Loskombinationen seien unvollständig und intransparent. An dieser Stelle fehlten Angaben zu möglichen Loskombinationen und Informationen darüber, wie die Wirtschaftlichkeit verschiedener Loskombinationen in Relation zu anderen Loskombinationen ermittelt werden soll.
In den Regelungen in Kapitel 3.7.7 Abs. 6 bleibe unklar, ob es sich um eineBetriebsstätte des AG oder des AN handele.
- Die Regelungen zu Vertragsstrafen bei Betriebsstörungen in § 8 des Entsorgungsvertrages seien zu unbestimmt. Es sei nicht erkennbar, bei welcher Anzahl von nicht geleerten Behältern mit einer Vertragsstrafe zu rechnen sei. Auch fehle die Festlegung einer angemessenen Höchstgrenze für Vertragsstrafen.
Der Antragsgegner wies die Rügen der Antragstellerin mit Email vom 02.08.2012 zurück. Zur Begründung erhielt die Antragstellerin einen Vermerk der Fa. xxxxxx vom 31.07.2012. Hierin wird u.a. ausgeführt, der Vorhalt eines unzulässigen Wagnisses sei unberechtigt, da die die Neufassung der VOL/A keine allgemeinen Wagnisverbote mehr enthalte. Der branchenübliche Vorlauf von 1,5 Jahren sei für Auftragnehmer erforderlich, um die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Leistungserbringung zu schaffen, auch müsse mit einem Zeitverzug durch Nachprüfungsverfahren gerechnet werden.
Die Regelungen zur Nachforderung zusätzlicher Unterlagen in Kapitel 2.14 seien eindeutig und korrekt. Die Antragstellerin verkenne, dass der Auftraggeber bei seiner Eignungsprüfung Erkenntnisse, die er außerhalb der geforderten Erklärungen und Nachweise gewonnen hat, durchaus berücksichtigen könne.
Es gebe auch keinen Anlass zur Änderung der Vorgaben in Kapitel 2.15.3 zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes. Der Begriff der Loskombination sei selbst erläuternd und allen im Vergabeverfahren beteiligten Personen bekannt.
In den beanstandeten Ausführungen des Kapitels 3.7.7 deute nichts darauf hin, dass es sich um eine Betriebsstätte des Auftraggebers handeln könnte.
Mit den Regelungen zu Vertragsstrafen in § 8 des Entsorgungsvertrages werde eine 100%ige Leistungserbringung angestrebt. Daher gebe es keine Veranlassung, diese Regelungen weiter zu konkretisieren.
Im Rügeschreiben vom 08.08.2012 erläuterte die Antragstellerin, warum sie an ihren Rügen vom 24.07.2012 festhält.
Ergänzend rügte sie am 10.08.2012 u.a. die Regelungen in Kapitel 3.7.3 Abs. 4 der Vergabeunterlagen. Hier werde geregelt, dass die Seitenflächen der Fahrzeuge als Werbeflächen zur Verfügung stehen sollen. Unklar bleibe hierbei,
welche Werbung neben der abfallbezogenen Werbung des Auftraggebers vorgesehen sei,
wie häufig ein Wechsel der Werbeaufdrucke vorgesehen sei,
wie lange die Fahrzeuge für derartige Werbeaufdrucke/deren Auswechselung bzw. Entfernung zur Verfügung stehen müssen,
wer die Kosten hierfür trägt und
ob eine rückstandslose Entfernung der Werbung sichergestellt sei.
Unter Bezugnahme auf ihre Rügen vom 24.07.2012, vom 08.08.2012 und vom 10.08.2012 stellte die Antragstellerin am 14.08.2012 einen Nachprüfungsantrag, den sie - nach Eingang der Bieterinformation Nr. 5 des Auftraggebers am selben Tage - mit einem ergänzenden Schreiben modifizierte.
Mit Rügeschreiben vom 16.08.2012 und vom 17.08.2012 rügte die Antragstellerin weitere in den Vergabeunterlagen von ihr erkannte Vergaberechtsverstöße. U.a. beanstandete sie die unzumutbare Forderung zur Benennung der Nachunternehmer mit Angebotsabgabe in Kapitel 5.1.1 und widersprüchliche Angaben zur Vertragslaufzeit in Bekanntmachung und Vergabeunterlagen.
Mit Email vom 17.08.2012 wies der Antragsgegner die Rügen bezüglich der geforderten Nachunternehmerbenennung und der widersprüchlichen Angaben zur Vertragslaufzeit als präkludiert und unbegründet zurück.
Nach Kenntnis der Antragserwiderung des Antragsgegners vom 22.08.2012, der beantragt hatte, den Nachprüfungsantrag für Los 2 als offensichtlich unzulässig zu verwerfen, stellte sie mit Schriftsatz vom 27.08.2012 klar, dass sich ihr Nachprüfungsantrag nur auf die Lose 1 und 3 bezieht. Auch erklärte sie, auf welche gerügten Verstöße sie das Nachprüfungsverfahren beschränkt.
Die Antragstellerin trägt vor, ihr Antrag sei zulässig und begründet. Sie werde in ihren Bieterrechten verletzt, weil die Vergabeunterlagen unzulässige Wagnisse enthielten und unzulänglich und missverständlich seien, sodass es keine einheitlichen Grundlagen für Angebotskalkulation gebe. Mit den Fragestellungen ihres Rügeschreibens habe sie dem Auftraggeber die Unzulänglichkeiten seiner Vergabeunterlagen vor Augen führen wollen. Selbstverständlich habe sie Abhilfe durch entsprechende Änderungen der Vergabeunterlagen erwartet. Da der Antragsgegner hierzu nicht bereit sei, mache sie die folgenden Mängel der Vergabeunterlagen geltend:
- Nach der aktuellen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf vom 07.12.2011, AZ. Verg 96/11, gelte das Verbot der Aufbürdung ungewöhnlicher Wagnisse insoweit fort, als dem Bieter eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation möglich bleiben müsse. Es sei vorliegend nicht möglich, die Preisentwicklung 16 Monate vor Vertragsbeginn kaufmännisch vernünftig zu kalkulieren. Ein geeignetes Entsorgungsunternehmen könne die zur Leistungserbringung notwendige Infrastruktur in kürzerer Zeit einrichten. So bestehe die Gefahr, dass die konkurrierenden Bieter unterschiedliche Kalkulationsgrundlagen einbeziehen. Auch müsse der Auftragnehmer möglicherweise ein Vertragsverhältnis mit einem nicht realistischen/nicht auskömmlichen Einstiegspreis eingehen.
- Die Regelungen bezüglich der als Angebot einzureichenden Unterlagen in Kapitel 2.14 seien missverständlich. § 19 EG Abs. 3 VOL/A nenne keine möglichen, sondern zwingende Ausschlussgründe. Dem Auftraggeber sei es verwehrt, den zwingenden Ausschlussgrund in einen fakultativen abzuändern. Aus der Formulierung "zusätzliche Erklärungen und Nachweise" sei darauf zu schließen, dass der Auftraggeber sich vorbehalte, zur Feststellung der Eignung nicht gemäß § 7 EG Abs. 5 Satz 1 VOL/A in der Bekanntmachung benannte Erklärungen und Nachweise zu fordern.
- Die Regelungen zur Bietereignung in Kapitel 2.15.1 seien zu weit gefasst und ließen darauf schließen, dass der Auftraggeber sich bei der Eignungsprüfung nicht auf die Wertung der Unterlagen beschränken wolle, die er nach den Vorschriften der VOL/A zulässigerweise fordern und berücksichtigen dürfe. Eine solche Handhabung eröffne unzulässige Manipulationsmöglichkeiten.
- Den Erläuterungen zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes in Kapitel 2.15.3 sei nicht zu entnehmen, wie der Auftraggeber die Wirtschaftlichkeit verschiedener Loskombinationen in Relation zu anderen Loskombinationen ermitteln werde. Ihre Zuschlagschancen würden verschlechtert, da sie sich mit ihrem Angebot hierauf nicht einstellen könne.
- Die Regelungen in Kapitel 3.7.7 ließen nicht eindeutig erkennen, ob es sich um eineBetriebsstätte des Auftraggebers oder des Auftragnehmers handele. Die lediglich an die Antragstellerin gerichtete lakonische Rügeantwort des Auftraggebers, es deute nichts darauf hin, dass es sich um eine Betriebsstätte des Auftraggebers handele, beseitige die Unklarheit der Kalkulationsgrundlagen nicht. Wenn sie die Kosten einer Betriebsstätte einkalkuliere, werde sie gegenüber Bietern, die diese Regelung anders auslegen, benachteiligt.
- Die Vertragsstrafenregelungen unter § 8 des Entsorgungsvertrages seien nicht zumutbar. Auch wenn selbstverständlich eine 100%ige Vertragserfüllung angestrebt werde, müsse jeder Bieter die mit diesen Regelungen verbundenen Risiken und Auswirkungen einschätzen und einkalkulieren können. Die Regelungen ließen keine eindeutige Aufgreifschwelle erkennen, auch seien sie in Bezug auf die Begrenzung der Vertragsstrafen nicht eindeutig.
- Bezüglich der beabsichtigten Werbung auf den Entsorgungsfahrzeugen seien zur Angebotskalkulation umfassende Angaben und verlässliche Regelungen erforderlich, deren Vorgabe der Antragsgegner verweigere.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen;
- 2.
dem Antragsgegner aufzugeben, die Vergabeunterlagen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu überarbeiten und erneut an die zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmen zu versenden und diese Unternehmen erneut zur Angebotsabgabe innerhalb einer angemessenen Frist aufzufordern;
- 3.
hilfsweise zu 1. und 2. geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern sowie auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken;
- 4.
die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin dem Antragsgegner aufzuerlegen;
- 5.
die Hinzuziehung der rechtsanwaltlichen Vertretung durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
Der Antragsgegner beantragt,
- 1.
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
- 2.
die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners der Antragstellerin aufzuerlegen;
- 3.
die Hinzuziehung der rechtsanwaltlichen Vertretung durch den Antragsgegner für notwendig zu erklären.
Er hält den Antrag für unzulässig, da es der Antragstellerin mangels qualifizierter Rügen bereits an der erforderlichen Antragsbefugnis fehle. Ihr diesbezüglicher Vortrag habe sich auf Mitteilungsbitten und Fragen beschränkt, er enthalte keine konkreten Hinweise auf Rechtsverletzungen und mögliche Schäden, auch fehle die Aufforderung zur Abhilfe. Darüber hinaus sei der Antrag vollumfänglich unbegründet.
Die Vergabeunterlagen enthielten kein unzumutbares Wagnis, denn das mit dem Leistungsbeginn zum 01.01.2014 verbundene Kalkulationsrisiko sei branchenüblich und zumutbar, es werde durch die vertraglichen Preisanpassungsmechanismen begrenzt.
Die Ausführungen der Antragstellerin bezüglich der Regelungen zu den als Angebot einzureichenden Unterlagen in Kapitel 2.14 seien nicht nachvollziehbar.
Ihre Kritik an den Regelungen zur Eignungsprüfung in Kapitel 2.15.1 sei unberechtigt. Grundlage der Eignungsprüfung seien die bekannt gegebenen Eignungsnachweise. Zeige sich jedoch, dass hiernach die Bietereignung einer Aufklärung bedarf, dürften diesbezüglich Unterlagen angefordert und berücksichtigt werden.
Im Hinblick darauf, dass der Preis einziges Zuschlagskriterium ist, sei die Kritik der Antragstellerin an den Regelungen zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes bei auf Loskombinationen angebotenen Rabatten in Kapitel 2.15.3 unverständlich.
Die Verständnisfrage der Antragstellerin zu Kapitel 3.7.7 der Vergabeunterlagen sei eindeutig dahingehend beantwortet worden, dass es sich nicht um eine Betriebsstätte des Auftraggebers handeln soll. Dies korrespondiere mit § 3 Abs. 12 des Entsorgungsvertrages.
Die Regelungen zu Vertragsstrafen in § 8 des Entsorgungsvertrages seien ausreichend und eindeutig. Die in Abs. 4 geregelte Begrenzung der Summe der in einem Kalenderjahr verhängten Vertragsstrafen auf 5% des Jahresentgeltes könne sich logisch nur auf die in den Abs. 4 und 5 geregelten Vertragsstrafen beziehen.
Die bezüglich der Regelungen zur Werbung auf den Fahrzeugseitenflächen von der Antragstellerin gestellten Fragen seien mit der Bieterinformation Nr. 5 ausführlich beantwortet worden.
Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung trug der Antragsgegner unter Beifügung des nicht vom Auftraggeber unterzeichneten Vergabevermerkes Teil 2 - Auswertung Angebote Fa. xxxxxx - ergänzend vor, nach objektiver Rechtslage sei das Angebot der Antragstellerin wegen Missachtung der Vorgaben der Ausschreibung und Änderung der Vertragsunterlagen auszuschließen. Für Los 1 habe die Antragstellerin die zwingende Vorgabe des Leistungsverzeichnisses missachtet, nach welcher der Grundpreis in Pos. 1-1 nicht 50% des Gesamtpreises für Position 1 überschreiten darf.
Für Los 3 habe die Antragstellerin die Vertragsunterlagen mit einem Zusatz ergänzt. Nach Maßgabe des Zuschlagskriteriums Preis habe das Angebot zudem keine Chancen auf den Zuschlag.
Mit in der mündlichen Verhandlung nachgelassenem Schriftsatz vom 10.09.2012 trägt die Antragstellerin vor, die vorab bekannt gegebene Wertung ihres Angebotes dürfe nicht berücksichtigt werden. Der vorgelegte Vergabevermerk Teil 2 stelle die Angebotswertung durch das beratende Ingenieurbüro dar, er sei nicht vom Antragsgegner unterzeichnet und daher keine Entscheidung des Auftraggebers. Es gebe auch keinen Anlass, ihr Angebot von der Wertung auszuschließen. Bei Kalkulation und Angebot der Pos. 1-1 des Loses 1 habe sie irrtümlich statt der Pos. 1 das Los 1 zum Maßstab genommen. Mit ihrem Preis auf Pos. 1-1 überschreite sie die Vorgabe im Leistungsverzeichnis lediglich um 5,2%. Bei Pos. 2-2 des Loses 1 habe sie den Mengenvordersatz der Eventualposition falsch gelesen. Sie müsse die Möglichkeit zur Korrektur erhalten. Es gebe auch keinen Grund für den Ausschluss ihres Angebotes auf das Los 3. Mit dem in das Preisblatt eingetragenen Zusatz habe sie die Vergabeunterlagen nicht abgeändert. Der Zusatz erläutere nur den von der Antragstellerin angebotenen Preis. Dieser Preis entspreche exakt dem Preis, den der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen bzw. der Bieterinformation 5 als Beispiel vorgegeben hat.
An ihrer Forderung zur Aufhebung der Ausschreibung halte sie fest, zumal sie im Nachprüfungsverfahren weitere Vergaberechtsverstöße erkannt habe, die sie darstellt.
Mit Schriftsatz vom 10.09.2012 entgegnete der Antragsgegner, die Antragstellerin habe den ihr gewährten Schriftsatznachlass überzogen, ihre Äußerungen dürften keine Berücksichtigung finden. Die Beanstandung der Forderung zur Benennung der Nachunternehmer könne nicht mehr zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemacht werden. Sowohl in der Bekanntmachung als auch in den Vergabeunterlagen seien die Bieter auf die 15-Tages-Frist gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB hingewiesen worden. Diese Frist sei überschritten, zudem war die entsprechende Rüge präkludiert.
Da die Vergabeunterlagen bezüglich der Vorgaben zur Kalkulation der Pos. 1-1 des Loses 1 keinerlei Unklarheiten enthielten, gebe es keinen Anlass für eine Korrektur bzw. Auslegung des von der Antragstellerin zu dieser Position angebotenen Preises. Gleiches gelte für Pos. 2-2 "Eventualposition: Zulage für Transporte" des Loses 1. Hätte sich die Antragstellerin beim Verständnis der Einheit um drei Zehnerpotenzen geirrt, hätte sie einen Preis von xxxxxx EUR eingetragen. Der tatsächlich angebotene Jahrespreis in Höhe von xxxxxx EUR sei aber nicht erklärbar.
Mit ihrer textlichen Ergänzung zur Position 2-2 "Weitere Entsorgung Elektrogeräte" des Loses 3 habe die Antragstellerin die Verdingungsunterlagen unzulässig geändert. Offenbar habe die Antragstellerin nicht verstanden, was sie in Pos. 2-2 einpreisen sollte. Mit ihrem Zusatz im Leistungsverzeichnis habe sie die Verdingungsunterlagen nach ihrem eigenen Verständnis der Pos. 2-2 abgeändert.
Der Vorwurf der Antragstellerin, der Antragsgegner sei selbst nicht Herr des Verfahrens, sei unzutreffend. Der im Nachprüfungsverfahren übersandte Vergabevermerk Teil 2 beinhalte keine Auswertungs- bzw. Auswahlentscheidung des Auftraggebers, sondern lediglich die Fachprüfung des beratenden Ingenieurs.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.09.2012 Bezug genommen.
II.
Der nachträglich im Volumen mehrfach veränderte Nachprüfungsantrag ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet. Die Antragstellerin ist nicht gemäß § 97 Abs. 7, § 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Die Antragstellerin hat durch die Auswahl der verfahrensrechtlichen Mittel den Streitgegenstand bestimmt. An diese Auswahl ist sie gebunden und kann nicht in einer zu einer konkreten Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens führenden Weise durch ihr Unterlassen der Präklusion unterfallene Sachverhalte nachträglich in das Nachprüfungsverfahren einführen (vgl. im Nachfolgenden 1. Bl. 11). Der Antragsgegner kann bei kurzer Bindungsfrist an das Angebot auch einen längeren, sachlich gerechtfertigten Zeitraum bis zum Leistungsbeginn vorsehen (vgl. im Nachfolgenden 2.a).Die Vergabeunterlagen dürfen nicht inhaltlich von den auf gesetzlicher Grundlage beruhenden vergaberechtlichen Normen abweichen. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ist hier aber nicht zu erkennen, da sie den Vorrang der Norm erkannt hat und eine rechtsfehlerhafte Bevorzugung anderer Bieter mangels abgeschlossener Wertung noch nicht vorliegen kann (vgl. im Nachfolgenden 2.b und c). Die vom Antragsgegner hier gesetzten Eignungskriterien und die von ihm angeforderten Unterlagen binden ihn in seiner Bewertung, verschließen ihm aber nicht die Augen vor neuen Erkenntnissen (vgl. im Nachfolgenden 2.d). Soweit der Auftraggeber hier als einziges Zuschlagskriterium den niedrigsten losübergreifenden Preis vorgegeben hat, ist er nicht verpflichtet, einen konkreten Rechenweg offenzulegen, weil ein zu anderen Berechnungsergebnissen führender Rechenweg weder erkennbar, noch vorgetragen ist, und weil für jeden Anbieter deutlich ist, dass er seine Zuschlagschancen nur durch einen niedrigen Preis erhöhen kann (vgl. im Nachfolgenden 2. e). Wenn der Antragsgegner beabsichtigt, eine Betriebsstätte zu stellen, gehört die Benennung deren Standorts zum Mindestinhalt der Leistungsbeschreibung (vgl. im Nachfolgenden 2. f)
1. Der Nachprüfungsantrag ist überwiegend zulässig. Bei dem Auftraggeber und Antragsgegner handelt es sich mit dem Landkreis xxxxxx um eine Gebietskörperschaft nach § 98 Nr. 1 GWB. Er beabsichtigt, einen öffentlichen Auftrag gemäß § 99 Abs. 2, Abs. 4 über Dienstleistungsaufträge zu schließen, hier die Entsorgung von Bioabfall, Restmüll, Papier, Pappe, Karton und Sperrmüll im Gebiet des Landkreises xxxxxx für einen Zeitraum von mindestens 7 Jahren.
Der hier streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach§ 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Dienstleistungen gilt gemäß § 2 Nr. 2 VgV in der zur Zeit der Bekanntmachung dieses Auftrages geltenden Fassung ein Schwellenwert von 200.000 EUR. Dieser Schwellenwert wird nach der Darstellung im Vergabevermerk durch die Gesamtmaßnahme, nach der ergänzenden Ausführung in der mündlichen Verhandlung durch jedes einzelne der drei Lose der Gesamtmaßnahme deutlich überschritten.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 1 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Hierzu hat sie über 30 Rügen gegen die Vorgaben der Ausschreibung erhoben, von denen sie 11 Punkte im Nachprüfungsantrag vertiefte und bis zur mündlichen Verhandlung insgesamt 8 nachfolgend ausführlich erörterte Punkte aufrecht erhielt, die sie allerdings nach Erhebung des Nachprüfungsantrages nur noch auf die Lose 1 und 3 beschränkte, hinsichtlich des Loses 2 also die Rücknahme des Nachprüfungsantrages erklärte.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB, dass das den Nachprüfungsantrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, das die Antragstellerin diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, 1. Auflage, § 107, Rz. 52). Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107, Rz. 954). Die Antragstellerin hat mit den obigen Rügen/Fragen überwiegend schlüssig dargelegt, dass sie sich durch die vorgetragenen Vergabeverstöße des Antragsgegners in Ihren Chancen auf den Zuschlag beeinträchtigt sieht.
Es ist im Übrigen nicht erforderlich, dass eine Antragstellerin schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten des Antragsgegners den Zuschlag auch tatsächlich erhalten würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: Verg 1/99). Ob sich die dargestellte Rechtsverletzung bestätigt, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrages (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.07.2006, VII Verg 23/06, Ziff. 1a, zitiert nach VERIS).
Die Antragstellerin hat ihre Rügen rechtzeitig gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3 GWB erhoben. Nach dieser Vorschrift ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aus der Bekanntmachung oder erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Die Frist zur Abgabe der Angebote lief am xxxxxx.2012 ab. Bereits am 24.07.2012, am 08.08.2012, am 10.08.2012 und am 16.08.2012 erhob die Antragstellerin ihre umfangreichen Rügen.
Im Ergebnis handelt es sich bei den in den Schreiben vom 24.07.2012 bis zum 16.08.2012 dargestellten Sachverhalten auch um Rügen gemäß § 107 Abs. 3 GWB. Zwar hat die Antragstellerin nicht in jedem Punkt eindeutig eine bestimmte Abhilfemaßnahme vom Antragsgegner gefordert, in Einzelfällen sogar Formulierungen in Frageform gewählt, jedoch dienen die Fragen erkennbar nicht der Erlangung von Auskünften, sondern sind rhetorisches Mittel, um den Antragsgegner auf Unklarheiten in seinen Vergabeunterlagen hinzuweisen. Die Antragstellerin hat ihre Schreiben ausdrücklich mit der Überschrift "Rüge von Vergabeverstößen gemäß § 107 Abs. 3 GWB" überschrieben und einleitend dargestellt, dass Verstöße gegen Vergabevorschriften festgestellt worden seien, diese ausdrücklich gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden und der Auftraggeber aufgefordert werde, die festgestellten Verstöße durch Verwendung vergaberechtskonformer Bestimmungen oder auf sonst geeignete Art und Weise abzustellen. Es besteht daher im Ergebnis kein vernünftiger Zweifel an der Erhebung von Rügen durch die Antragstellerin.
Das Nachprüfungsverfahren gibt Anlass für einen erläuternden Hinweis zum Verfahrensgegenstand. Die Antragstellerin hat sich aus nachvollziehbaren Gründen dazu entschlossen, bereits frühzeitig umfassende Rügen zu erheben, möglicherweise auch, um dem Einwand zu entgehen, dass sie bestimmte Sachverhalte nicht rechtzeitig gerügt habe, daher präkludiert sei. Aufgrund der Ausschlussfrist des§ 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB sah sie sich nach der Zurückweisung der Rügen durch den Antragsgegner gehalten, einen Nachprüfungsantrag zu stellen, obwohl die Frist zur Abgabe des Angebotes noch nicht abgelaufen war, sie also nicht wissen konnte, ob die von ihr gerügten Fehler tatsächlich zu ihrer Benachteiligung in der Wertungsentscheidung des Antragsgegners führen würden.
Der Vergabekammer wurden gemäß § 110 Abs. 2 Satz 3 GWB die bis zum Eingang des Nachprüfungsantrags entstandenen Vergabeakten zugesandt. Anhand dieser Vergabeakten ist es grundsätzlich möglich, die bis zur Erhebung des Nachprüfungsantrages vorgenommenen Verfahrensschritte nachzuvollziehen. Weitere, während des Nachprüfungsverfahrens entstandene Sachverhalte z.B. zur Wertung des Auftraggebers können nicht Gegenstand der frühzeitig vorgelegten Vergabeakte sein.
Der Antragsgegner ist gemäß § 115 Abs. 1 GWB nur daran gehindert, den Zuschlag zu erteilen. Er ist nicht daran gehindert, weitere, den Zuschlag vorbereitende Verfahrensschritte vorzunehmen. Die Fortentwicklung des Vergabeverfahrens durch einen neu entstehenden Sachverhalt steht im Spannungsverhältnis zu der Möglichkeit des Antragstellers, ausnahmsweise auch ohne eine im Übrigen gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB erforderliche Rüge angebliche Vergabeverstöße in das laufende Vergabenachprüfungsverfahren einzuführen. Fehler, die der Antragsteller objektiv erst im laufenden Nachprüfungsverfahren erkennen kann, insbesondere durch die Akteneinsicht, unterliegen nicht der Rügeobliegenheit (Kadenbach in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Auflage, 11. Los, § 107, Rz. 60; Hattig/Maibaum, Vergaberecht, § 107, Rz. 121; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.11.2003, Verg 22/03). Diese Annahme einer ausnahmsweise entfallenen Rügepflicht gilt jedoch für einen im Wesentlichen statischen Sachverhalt, z.B. einen Nachprüfungsantrag, der nach Erhalt der Bieterinformation gemäß § 101a GWB erhoben worden ist, und das weitgehend abgeschlossene Vergabeverfahren kurz vor Erteilung des Zuschlages stoppt.
Hier sind jedoch sowohl vom Antragsgegner als auch von der Antragstellerin Sachverhal-te zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung bzw. durch nachgelassenen Schriftsatz
vier Tage nach der mündlichen Verhandlung in das Nachprüfungsverfahren eingeführt worden, die erst später entstanden sind und daher in der der Vergabekammer pflichtgemäß zur Prüfung vorgelegten Vergabeakte nicht enthalten sein konnten. Dies betrifft sowohl den Vortrag des Antragsgegners, das Angebot der Antragstellerin sei wegen bestehender Ausschlussgründe chancenlos, als auch die Darstellung der Antragstellerin, ihr Angebot sei dennoch zu werten, weil die vom Antragsgegner aufgezeigten Mängel ihres Angebotes, nicht bestünden, auslegbar bzw. korrigierbar seien und keine bzw. unwesentliche Überschreitungen der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses vorlägen. Diese nachträglich vorgetragenen Tatsachen wurden erst so spät eingeführt, dass es auch unter Berücksichtigung der dann vom Antragsgegner nachzufordernden weiteren Vergabeakten nicht möglich ist, diese neuen Tatsachen in die gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 GWB innerhalb von fünf Wochen, hier also bis zum 18.09.2012, abzufassende Entscheidung einfließen zu lassen. Überdies betreffen sie eine noch nicht abgeschlossene und daher von der Vergabekammer noch nicht überprüfbare Wertung.
Die Prüfung dieser Vorgänge würde daher zu einer konkreten Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens führen. Sie sind daher nicht von der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahme von der Rügeobliegenheit umfasst (vgl. Kadenbach in: Willenbruch/ Wieddekind, 11. Los, § 107 GWB, Rz. 49). Daher kann die Vergabekammer, wie bereits in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, über diese Sachverhalte nicht in diesem Nachprüfungsverfahren entscheiden. Ob die Antragstellerin einen weiteren Nachprüfungsantrag stellt, in dem sie die dann erfolgte Wertung zur Prüfung stellt, kann und will die Vergabekammer nicht beeinflussen. Die formellen und materiellen Voraussetzungen eines neuen Nachprüfungsantrags werden gesondert aufgrund weiterer entscheidungsrelevanter Unterlagen zu prüfen sein.
Die Antragstellerin hat den Nachprüfungsantrag rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB bei der Vergabekammer gestellt. Danach ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn er mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, bei der Vergabekammer eingeht. Der Antragsgegner hat am 02.08.2012 mit einer E-Mail mitgeteilt, dass er den erhobenen Rügen im Schreiben vom 24.07.2012 nicht abhelfen werde. Der Antragsgegner hat die in § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB genannte Rechtsbehelfsfrist auch wirksam in Kraft gesetzt, da er in der öffentlichen Bekanntmachung unter Ziffer VI 4.2 darauf hingewiesen hat, dass ein Nachprüfungsantrag nach Ablauf der Frist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB (15 Tage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen) unzulässig sei (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, 13 Verg 1/10). Die Nichtabhilfemitteilung des Antragsgegners datierte vom 02.08.2012. Der Nachprüfungsantrag ging bei der Vergabekammer am 14.08.2012 ein. Das ist vor Ablauf von 15 Tagen. Der Nachprüfungsantrag ist daher rechtzeitig erhoben worden.
Aus dem gleichen Grunde ist jedoch die mit nachgelassenem Schriftsatz vom 10.09.2012 erfolgte Erweiterung des Nachprüfungsantrages um die Pflicht zur frühen namentlichen Benennung der Nachunternehmer präkludiert. Die Antragstellerin hat diese Rüge am 16.08.2012 erhoben. Die Zurückweisung der Rüge erfolgte mit E-Mail vom 17.08.2012 und beschränkte sich nicht nur formal auf eine angebliche Präklusion nach § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB, sondern befasste sich auch inhaltlich mit der Rüge. Somit lief die Frist für die Erhebung eines darauf gestützten Nachprüfungsantrags gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB am 01.09.2012 ab. Die Antragstellerin kann sich nicht darauf berufen, sie könne im laufenden Nachprüfungsverfahren auch ohne Rüge einen weiteren Sachverhalt einführen. Zum einen führt dies hier zu einer konkreten Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens, zum anderen bezieht sich die rügelose Einführung neuer Sachverhalte in das Nachprüfungsverfahren auf die Fälle, in denen die Rüge ihr Ziel, zu einer einvernehmlichen Klärung zwischen Bieter und Auftraggeber beizutragen, nicht mehr erreichen kann. Das hat die Antragstellerin hier anders bewertet, daher trotz der Möglichkeit, den Sachverhalt frühzeitig in das laufende Nachprüfungsverfahren einzuführen eine Rüge erhoben. An diesen gewählten Verfahrensweg hat sie sich zumindest dadurch gebunden, dass sie den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens nicht unverzüglich nach Zurückweisung der Rüge erweitert hat. Daher kann sie nicht nach Ablauf der Präklusionsfrist des § 107 Abs. 3 Nr. 4 GWB und nach erfolgter mündlicher Verhandlung den Streitgegenstand erweitern.
Ob die Antragstellerin darüber hinaus keine Nachunternehmer im Angebot benannt hat, ihr insoweit zusätzlich die Antragsbefugnis fehlen könnte, vermag die Vergabekammer aufgrund eines nach dem Verhandlungstermin vorgelegten Schriftsatzes und ohne Kenntnis der diesbezüglichen Vergabeakte nicht zu beurteilen.
2. Soweit er zulässig ist, ist der Nachprüfungsantrag aber unbegründet. Die zahlreichen Rügen und der Vortrag der Antragstellerin sind nicht geeignet, eine Rechtsverletzung der Antragstellerin darzustellen.
a) Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie sei dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die Leistungen für die Lose 1 und 3 erst mit dem 01.01.2014 beginnen sollen, hat sie eine Rechtsverletzung in den Rügen und im Nachprüfungsantrag weder hinreichend substantiiert vorgetragen, noch ist diese aus anderen Gründen erkennbar. Der Antragsgegner hat in § 11 des Entsorgungsvertrags festgelegt, wann die Vertragslaufzeit für jedes Los beginnen und enden sollte. Die Verträge über die Lose sind für den Auftragnehmer bis 2022 verbindlich. Somit hat die Antragstellerin wie alle Anbieter eine kaufmännische Kalkulation für eine Laufzeit von mindestens neun Jahren abzugeben. Eine nachträgliche Preisanpassung ist nur im Rahmen von § 7 des Entsorgungsvertrages (Seite 63 der Vergabeunterlagen) möglich. Diese Preisanpassung erfasst ausschließlich Veränderungen des Lohnkostenindexes sowie des Dieselpreisindexes. Die möglichen Veränderungen im Preisgefüge der kommenden neun Jahre sind deutlich größer als die möglichen Veränderungen in den kommenden 1,5 Jahren. Daher ist das dargestellte Kalkulationsrisiko während dieses kurzen Zeitraumes nicht geeignet, eine mögliche Rechtsverletzung der Antragstellerin zu begründen. Die Vergabekammer teilt auch die Auffassung des Antragsgegners, dass diese Vorlaufzeit branchenüblich und daher sachlich gerechtfertigt ist.
Vergaberechtlich problematisch wäre allenfalls eine zu lang bemessene Binde-/ Zuschlagsfrist (VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom14.03.2012 - VK-SH 3/12). Während einer etwaigen überlangen Bindungsfrist wäre der Anbieter in seinen geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen erheblich eingeschränkt, weil er nicht weiß, ob er den Zuschlag erhält, die Annahme künftiger Aufträge aber so begrenzen muss, als würde er den Zuschlag erhalten. Eine überlange Bindungsfrist liegt hier jedoch nicht vor, da diese gemäß Ziffer 2.9 der Vergabeunterlagen (Seite 12) bis zum 31.10.2012 beschränkt ist, soweit sich die Zuschlagserteilung wegen eines Nachprüfungsverfahrens nicht verlängert.
b) Die Antragstellerin ist durch die Formulierung der Angebotsaufforderung unter Ziffer 2.14 Abs. 4 nicht in ihren Rechten aus§ 97 Abs. 1 GWB auf ein transparentes Vergabeverfahren verletzt. Die Passage der Angebotsaufforderung, "die Nachforderung ....bleibt vorbehalten" stimmt mit dem Wortlaut des § 19 EG Abs. 2 VOL/A überein. Nach dieser Vorschrift können Erklärungen und Nachweise, die auf Anforderung der Auftraggeber bis zum Ablauf der Angebotsfrist nicht vorgelegt wurden, bis zum Ablauf einer zu bestimmenden Nachfrist nachgefordert werden. Die Vorschrift ermächtigt den Auftraggeber, Erklärungen nachzufordern, verpflichtet ihn jedoch nicht dazu. Der öffentliche Auftraggeber kann ebenso von einer Nachforderung absehen und die Eignung des Bieters aufgrund der unvollständig vorgelegten Unterlagen bewerten (Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL-Kommentar, § 19 EG, Rz. 28). Dies kommt in der Formulierung "bleibt vorbehalten" angemessen zum Ausdruck.
c) Dagegen hat der Antragsgegner unter Ziffer 2.14 Abs. 3 die Vergabeunterlagen fehlerhaft formuliert. Gleichwohl ist die Antragstellerin durch diese Passage zumindest derzeit nicht in ihren Rechten verletzt. Die Antragstellerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass § 19 EG Abs. 3 VOL/A einen zwingenden Ausschlussgrund formuliert, die Darstellung in den Vergabeunterlagen, dass die Vergabestelle sich vorbehält, bei Fehlen wesentlicher Erklärungen das Angebot auszuschließen und dabei auf § 19 EG Abs. 3 VOL/A verweist, ist insofern sachlich unrichtig. Es ist weder ersichtlich, dass die Antragstellerin gehindert ist, ein Angebot mit allen geforderten Angaben und Unterlagen abzugeben, noch wurde vorgetragen, dass diese Formulierung unter Ziffer 2.14 Abs. 3 der Vergabeunterlagen zwangsläufig zu falschen Wertungsergebnissen führt.
Eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin kommt bei dieser Sachlage erst in Betracht, wenn der Antragsgegner beabsichtigt, einem zumindest möglicherweise ungeeigneten Bieter, der nicht in der Lage gewesen ist oder es versäumt hat, die geforderten Unterlagen vorzulegen, den Zuschlag zu gewähren. Das ist zu dem von der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren zu beurteilenden Zeitpunkt des Vergabeverfahrens nicht der Fall.
Das Nachprüfungsverfahren dient nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle. Es ist als Antragsverfahren ausgestaltet und verlangt grundsätzlich, dass der Antragsteller die Vergabefehler bezeichnet, die er zur Überprüfung stellen will (§ 107 GWB). Vergaberechtsfehler von Amts wegen aufzugreifen, kommt nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Celle nur dann in Betracht, wenn ein Fehler vorliegt, der es unmöglich macht, das Vergabeverfahren fortzusetzen, z.B. weil eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibungen nicht möglich ist (OLG Celle, Beschluss vom17.11.2011, 13 Verg 6/11). Ein derart gravierender Fall ist mit dem obigen Verstoß hier nicht erkennbar. Die dem entgegenstehende Ansicht des OLG Schleswig (Beschluss vom 15.04.2011, 1 Verg 10/10), nach der die Vergabekammer im Rahmen ihres "Einwirkens" auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB auch andere, z.B. präkludierte Vergabeverstöße korrigieren darf, ist daher im Sinne der Rechtssicherheit von der Vergabekammer Niedersachsen nicht anzuwenden. Nach Auffassung des OLG Schleswig ist z.B. im Falle einer Präklusion dem davon betroffenen Bieter zwar kein (individueller) Rechtsschutz mehr zu gewähren, im Rahmen einer (ansonsten) nach §107 Abs. 3 GWB zulässigen Nachprüfung einem Vergabefehler aber gleichwohl - auf der Rechtsfolgenseite - dadurch abzuhelfen, dass die Vergabekammer (auch) nicht "thematisierte" oder gerügte Umstände einbezieht.
Der in § 110 Abs. 1 Satz 4 GWB enthaltenen Beschleunigungsgrundsatz (vgl. Die-mon-Wies in Hattig/Maibaum, Praxiskommentar Kartellvergaberecht § 110 Rz. 27 und 32) gibt der Vergabekammer vor, bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf zu achten, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Das wäre aber bei einer Zurückversetzung wegen eines vom Antragsteller erkannten und daher berücksichtigten Verstoßes der Fall.
d) Soweit sich die Antragstellerin dagegen wendet, dass der Antragsgegner in Ziffer 2.14 Abs. 5 der Angebotsaufforderung sowie Ziffer 2.15.1 der Angebotsaufforderung zu.U.nrecht auf eine Nachforderung zusätzlicher Erklärungen und Nachweise bzw. auf weitere ihm zugegangene oder von Bietern abgeforderte Unterlagen Bezug nimmt, ist der Vorbehalt der Nachforderung von § 19 EG Abs. 5 VOL/A gedeckt. Nach dieser Regelung sind bei der Auswahl der Angebote, die für den Zuschlag in Betracht kommen, nur Bieter zu berücksichtigen, die die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erforderliche Eignung besitzen.
Der Antragsgegner ist verpflichtet, sich zur Beurteilung der Eignung vorrangig auf die von ihm für wesentlich erachteten und deshalb in den Angebotsunterlagen angeforderten Unterlagen und die von ihm gesetzten Eignungskriterien zu beziehen. Er darf von den Mindestanforderungen nicht abweichen. Die von ihm gesetzten Eignungskriterien und die von ihm angeforderten Unterlagen verschließen ihm aber nicht die Augen vor neuen Erkenntnissen. Er ist daher nicht daran gehindert, bei der Ermittlung des Sachverhaltes andere, die angeforderten Unterlagen hinsichtlich der bereits gesetzten Eignungskriterien ergänzende Erkenntnisse z.B. aus Zeitungen in die Eignungsprüfung mit einfließen zu lassen (Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 19 EG, Rz. 212).
Liegen weitere Erkenntnisse vor, so ist es im Rahmen des rechtlichen Gehörs eine Obliegenheit des Auftraggebers zum Schutze des jeweiligen Anbieters, im Rahmen der Aufklärung des Angebots zu den neuen Erkenntnissen zusätzliche Erklärungen und Nachweise anzufordern. Daher stehen die Regelungen unter Ziffer 2.14 und 2.15.1 der Angebotsaufforderung in völliger Übereinstimmung mit § 19 EG Abs. 5 VOL/A und stellen keine Rechtsverletzung dar.
e) Die Antragstellerin hat in der Rüge vom 24.07.2012 und im Nachprüfungsverfahren unter Ziffer 5. geltend gemacht, aus den Vergabeunterlagen ergebe sich nicht der Schlüssel für die vergleichende Wertung von Angeboten, die auf unterschiedliche Lose abgegeben worden sind. Der Antragsgegner hat unter Ziffer 2.15.3 der Bewerbungsbedingungen angegeben, dass er das Angebot mit dem niedrigsten Angebotspreis bezuschlagen wolle. Mit dem Hinweis auf die Wertung möglicher losübergreifender Rabattangebote hat er klargestellt, dass er einem niedrigeren losübergreifenden Gesamtpreis den Vorrang vor der losbezogenen Wertung einräumen wird. Einen konkreten Rechenweg, um die Angebote, die sich auf verschiedene Lose beziehen, und unterschiedliche Nachlässe enthalten, vergleichbar zu machen, hat der Antragsgegner allerdings nicht für die Bieter offengelegt.
Gemäß § 9 EG Abs. 1 b) VOL/A hat der Auftraggeber in den Bewerbungsbedingungen oder der Aufforderung zur Angebotsabgabe alle Zuschlagskriterien und deren Gewichtung anzugeben. Es gibt keine Norm, die zusätzlich auch die Offenlegung von Rechenwegen erfordert. Gleichwohl kann es einen Verstoß gegen das Transparenzgebot aus§ 97 Abs. 1 GWB darstellen, wenn der nicht offengelegte Rechenweg einen Bieter daran hindert, sein Angebot optimal auf das Anforderungsprofil des Auftraggebers auszurichten (vgl. VK Niedersachsen Beschluss vom 13.02.2012, VgK-02/2012) oder in dem Rechenweg ein wertungsrelevanter Gestaltungsspielraum des Auftraggebers enthalten sein kann (vgl. VK Niedersachsen Beschluss vom 18.01.2011, VgK-61/2010). Nach zutreffender Auffassung des OLG Brandenburg (Beschluss vom 19.12.2011, Verg VV 17/11) lässt sich die Frage, in welcher Differen-ziertheit und Tiefe ein öffentlicher Auftraggeber ein Bewertungssystem im Vorhinein aufzustellen hat, nur einzelfallbezogen beantworten. Maßgebend ist, dass die Bieter erkennen können, auf welche Gesichtspunkte es dem Auftraggeber mit welcher Ge-wichtung ankommt, so dass sie ihr Angebot nach den Bedürfnissen des Auftraggebers optimal gestalten können.
Es fehlen hier allerdings auch von der Antragstellerin Anhaltspunkte, um aus der unterlassenen Offenlegung des Rechenweges durch den Antragsgegner eine Rechtsverletzung der Antragstellerin herzuleiten. Angesichts des alleinigen Zuschlagskriteriums Preis hat sie bei jeder möglichen, nicht nur der vom Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vorgestellten Berechnungsmethode nur eine Möglichkeit, ihre Chancen auf einen Zuschlag zu erhöhen, nämlich mit einem möglichst niedrigen Preis in jedem Los.
Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung dargestellt, wie er die Ermittlung der zu vergleichenden Gesamtpreise vornehmen wolle. Für die Wertung losübergreifender Rabatte bei Zuschlag auf zwei Lose werde der Summe der beiden rabattierten Lospreise der günstigste unrabattierte Angebotspreis des jeweils fehlenden Loses hinzugerechnet. Bietet ein Bieter einen Rabatt über alle drei Lose an, ergebe sich der in die Wertung einzustellende Gesamtwertungspreis aus der Summe seiner angebotenen rabattierten Lospreise. Den Zuschlag erhalten die Bieter der Lose, deren Angebotspreise Bestandteil des niedrigsten Gesamtwertungspreises sind. Eine Rechtsverletzung durch eine besondere Berechnungsmethode, insbesondere ein dadurch entstehender Gestaltungsspielraum des Auftraggebers ist nicht erkennbar.
Eine Rechtsverletzung ist auch auszuschließen, soweit die Antragstellerin unter Ziffer 5 des Nachprüfungsantrages rügt, dass die geforderten Angaben zu den möglichen Loskombinationen nicht unter Ziffer 2.15.3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe stehen, sondern später (Blatt 84). Der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren hat zwar einen Anspruch auf eine eindeutige und erschöpfende Leistungsbeschreibung, ein auch nur möglicher Anspruch auf eine bestimmte Form der Gliederung dieser Leistungsbeschreibung ist nicht ersichtlich.
f) Der Antragsgegner hat nicht gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung aus § 8 EG Abs. 1 VOL/A verstoßen, indem er unter Ziffer 3.7.7 der Vergabeunterlagen keine ausdrückliche Aussage getroffen hat, dass die Betriebsstätte vom Auftragnehmer und nicht vom Auftraggeber zu stellen ist. Nach der obigen Vorschrift hat der öffentliche Auftraggeber die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, so dass alle Bewerber die Leistung im gleichen Sinne verstehen müssen und dass miteinander vergleichbare Angebote zu erwarten sind. Aus § 3 Abs. 12 des den Vergabeunterlagen beigefügten Entsorgungsvertrages (Blatt 60) ergibt sich, dass der Auftragnehmer nach Auftragserteilung für die Dauer des Vertrages eine Zweigniederlassung im Landkreis des Antragsgegners unterhält, von wo aus die Leistungen zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen zu erbringen sind und insbesondere eine direkte persönliche und telefonische Erreichbarkeit für Benutzer und Auftraggeber an Werktagen gewährleistet ist.
Hätte der Antragsgegner die Absicht gehabt, eine Betriebsstätte zu stellen, wäre es notwendiger Gegenstand der Vergabeunterlagen gewesen, diese Betriebsstätte örtlich zu bezeichnen, da sich aus dem Standort der Betriebsstätte die Länge und Häufigkeit der notwendigen Transportbewegungen ergeben. Es würde sich insoweit um einen absolut kalkulationsnotwendigen Faktor handeln. Daher ist den Vergabeunterlagen hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Betriebsstätte vom jeweiligen Auftragnehmer zu errichten und vorzuhalten ist.
g) Die Antragstellerin ist auch nicht in ihren Rechten aus § 8 EG Abs. 1 VOL/A durch die in § 8 des Entsorgungsvertrages vorgesehenen Vertragsstrafen verletzt. Der Antragsgegner entscheidet gemäß § 8 Abs. 4 des Entsorgungsvertrages nach billigem Ermessen über die Höhe der Vertragsstrafe, unterwirft sich aber der Kontrolle durch das zuständige Gericht. Die Gesamtheit aller in einem Kalenderjahr verhängter Vertragsstrafen wird auf 5% des Jahresentgeltes beschränkt. In Abs. 5 des § 8 des Entsorgungsvertrages setzt der Auftraggeber bestimmte Vertragsstrafen "bereits jetzt" fest. Die Vergabekammer geht angesichts der bereits hier zu vergebenden bis zu drei Verträge für drei Lose, der letzten Vergabe im Jahre 2002 und der weiteren künftigen Vergabe im Jahre 2020 oder später zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass der Antragsgegner hier allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der § 305 ff. BGB verwendet, da er für eine Mehrzahl von Verträgen einseitige und nicht verhandelbare Vertragsbedingungen setzt. Unabhängig von der von dem Antragsgegner aufgeworfenen Frage, ob eine höhere Vertragsstrafe nach § 11 Nr. 2 VOL/B hätte gefordert werden dürfen, liegt die Festsetzung einer Höchstvertragsstrafe pro Jahr von 5% der Auftragssumme im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 23.01.2003, VII ZR 210/01, NJW 2003, S. 1805 ff.). Dort hat der BGH in Bauverträgen eine Vertragsstrafe für die verzögerte Fertigstellung bis zu einer Obergrenze von 5% der Auftragssumme für angemessen gehalten. Im Übrigen hat er ausgeführt, dass sich die Vertragsstrafe innerhalb der voraussichtlichen Schadensbeträge halten muss. Hiergegen hat der Antragsgegner nicht verstoßen. In § 8 Abs. 5 des Entsorgungsvertrages hat er "bereits jetzt" sein Ermessen im Rahmen des in Absatz 4 genannten 5-%-Rahmens konkretisiert. Die Darstellung der Antragstellerin, dass die in § 8 Abs. 5 genannten Vertragsstrafen zusätzlich zu der Obergrenze des § 8 Abs. 4 des Entsorgungsvertrages zu verhängen sei, wird vom Wortlaut des Entsorgungsvertrages nicht gedeckt.
Der reine Verzögerungsschaden für die nicht durchgeführte Abholung von bis zu 50 Abfallbehältern ist mit 300 EUR pro Werktag, nicht je Behälter, durchaus moderat bemessen. Erst ab einer Nichtabholung von 50 Abfallbehältern je Arbeitstag wird die höhere Vertragsstrafe von 1.000 EUR fällig. Beides steht unter dem Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 8 Abs. 4 des Entsorgungsvertrages und bildet trotz der vertraglichen Obliegenheit aus § 8 Abs. 3 des Entsorgungsvertrages, nicht erfüllte Dienstleistungen nachzuholen, eine moderate Sanktion für nicht erfüllte Verpflichtungen dar.
h) Die Antragstellerin ist auch nicht wegen eines Verstoßes des Antragsgegners gegen § 8 EG Abs. 1 VOL/A durch die in Ziffer 3.7.2 der Vergabeunterlagen enthaltenen Angaben zur Werbung auf den Entsorgungsfahrzeugen in ihren Rechten verletzt. Dort finden sich detaillierte Anforderungen zu den Entsorgungsfahrzeugen. In der dreiseitigen Darstellung zu den technischen Anforderungen befasst sich ein Absatz (3.7.2 Abs. 4) mit der Verpflichtung des Auftragnehmers, die Fahrzeuge für das Aufbringen von Werbung zur Verfügung zu stellen. Auf die Rüge der Antragstellerin hat der Antragsgegner in der Bieterinformation Nr. 5 vom 14.08.2012, dem Datum des Nachprüfungsantrages, erläutert, dass die Fahrzeuge nicht häufiger als zweimal im Vertragszeitraum (7 Jahre) zur Verfügung gestellt werden müssen, dass der Auftraggeber die Kosten der Aufbringung der Werbung übernehme sowie dass sichergestellt sei, dass die Werbung rückstandslos entfernt werden könne. Die Antragstellerin hat daraufhin nicht unverzüglich eine Erledigungserklärung abgegeben, sondern bis in die mündliche Verhandlung hinein ihren Vortrag aufrecht erhalten, dass unklar sei, wie oft die Werbung gewechselt werde, wie lange der Wechsel der Werbung dauere und ob die Werbung rückstandsfrei abgelöst werden kann. Die Vergabekammer vertritt die Auffassung, dass jedenfalls mit der Abgabe der Bieterinformation Nr. 5 auch Detailfragen der Werbung ggf. über das kalkulationstechnisch notwendige Maß hinaus offen gelegt worden sind, so dass eine Rechtsverletzung zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über den Nachprüfungsantrag nicht mehr vorlag.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechtes vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).
Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 128 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 EUR, die Höchstgebühr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Angebot der Antragstellerin für Los eins xxxxxx EUR und für Los drei xxxxxx EUR brutto, in der Summe xxxxxx EUR. Hinsichtlich des Loses 2 hat die Antragstellerin kein Angebot abgegeben. Mangels Angebot geht die Vergabekammer von dem in der mündlichen Verhandlung vom Antragsgegner berichteten geschätzten Auftragswert von xxxxxx EUR netto aus, mithin xxxxxx EUR.
Die Gesamtsumme von xxxxxx EUR entspricht dem zunächst im Nachprüfungsverfahren geltend gemachten Interesse der Antragstellerin am Auftrag. Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR.
Mit der Zusammenfassung der Auftragswerte berücksichtigt die Vergabekammer zugunsten der Antragstellerin den in der Basisgebühr enthaltenen Anrechnungsfaktor. Hinsichtlich des Loses 2 hat die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag frühzeitig zurückgenommen. Insoweit wird für Los 2 aus Billigkeitsgründen die Gebühr gemäß § 128 Abs. 3 Satz 4 und 6 GWB auf ein Viertel reduziert. Der Wert des Loses 2 beträgt 31% des Gesamtwerts der Lose. Ein Anteil von 31% der Gesamtgebühr beträgt xxxxxx EUR. Bei Abminderung dieses Gebührenanteils auf ein Viertel beträgt der für Los 2 zu erhebende Gebührenanteil xxxxxx EUR. Für die Lose 1 und 3 verbleibt eine Gebühr von xxxxxx EUR. Die gerundete Summe der vollen Gebühr für die Lose 1 und 3 sowie der ermäßigten Gebühr des Loses 2 ergibt xxxxxx EUR.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 114 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen.
Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin der Auftraggeberin als Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 128 Abs. 4 GWB zu erstatten. Zu diesen Kosten gehören z.B. Reisekosten zur mündlichen Verhandlung der Vergabekammer oder sonstige notwendige Aufwendungen.
Die anwaltliche Vertretung der Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren gehört nicht grundsätzlich zu den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Grundsätzlich ist der Auftraggeber gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandenes juristisch geschultes Personal auch im Nachprüfungsverfahren einzusetzen. Auftragsbezogene Rechtsfragen aus dem Bereich der VOL/A oder VOB/A wird regelmäßig das mit der Vergabe betraute Personal sachkundig beantworten können, so dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes regelmäßig nicht notwendig sein wird, wenn auftragsbezogene Fragen Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.01.2011, Verg 60/10; OLG Celle, Beschluss vom 09.02.2011, 13 Verg 17/10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.06.2010, 15 Verg 4/10; OLG München, Beschluss vom 11.06.2008, Verg 6/08, und vom 28.02.2011, Verg 23/10). Andererseits ist
das Vergaberecht eine komplexe Rechtsmaterie mit Vorschriften aus sowohl nationalem Recht als auch dem Europarecht, die nicht immer im Gleichklang stehen. Soweit der Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens daher hauptsächlich rechtliche Probleme des GWB betrifft, ist im Einzelfall die anwaltliche Vertretung des Antragsgegners durchaus angemessen.
Der Antragsgegner ist eine größere Gebietskörperschaft mit eigenem Rechtsamt und juristisch geschultem Personal. Er ist daher tendenziell in der Lage, zumindest einfache vergaberechtliche Probleme selbst zu bearbeiten. Gleichwohl ist er berechtigt, in Ausübung des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bei der Binnenorganisation andere Entscheidungsabläufe anzuwenden. Das wirkt sich nach den obigen Grundsätzen der Rechtsprechung aber jedenfalls dann nicht zu Lasten der Antragstellerin aus, wenn die Sache fachlich keine besonderen Anforderungen an die Bearbeitung stellt. Hier handelt es sich zwar um außergewöhnlich zahlreiche, im Wesentlichen aber einfach gelagerte Fragen zur VOL/A EG, die die elementaren Inhalte eines Angebots betreffen. Die anwaltliche Vertretung des Antragsgegners war daher in diesem Fall nicht geboten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für den Auftraggeber daher in diesem Einzelfall nicht als notwendig anzuerkennen.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens
xxxxx x
auf folgendes Konto zu überweisen:
xxxxxx.