Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 26.11.2012, Az.: VgK-44/2012
Prüfung der Vergaberechtmäßigkeit des sogenannten "Bewertungsmaßstabs" als auch der Berücksichtigung der Unterlagen zum Bauablauf bzgl. des ausgeschriebenen Neubaus der Ortsumgehung einer Ortschaft
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 26.11.2012
- Aktenzeichen
- VgK-44/2012
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 35210
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 1 GWB
- § 97 Abs. 2 GWB
- § 97 Abs. 5 GWB
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB
- § 16 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 VOB/A
- § 16a VOB/A
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die Nds. Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Regionaler Geschäftsbereich xxxxxx
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
EU-Vergabeverfahren xxxxxx - Neubau der Ortsumgehung xxxxxx/Erd- und Straßenbau (Aktenzeichen xxxxx),
hat die Vergabekammer durch die Vorsitzende Regierungsdirektorin Dr. Raab, den hauptamtlichen Beisitzer Baurat Peter und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl.-Ing. Lohmöller, im schriftlichen Verfahren
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese hinsichtlich der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zu wiederholen, dabei die Wertung des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" anhand der in der Aufforderung zur Angebotsabgabe bekannt gegebenen Wertungsmatrix durchzuführen, die von der Beigeladenen nachträglich angeforderten Unterlagen zum Bauablauf nicht in die Wertung einzubeziehen und die Prüfungen und Entscheidungen in einer den Anforderungen des § 24 EG VOL/A genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Dabei hat sie bei der Prüfung und Wertung der Angebote die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.
- 3.
Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
- 4.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin war notwendig.
Begründung
I.
Die Antragsgegnerin hat mit EU-Vergabebekanntmachung vom xxxxxx.2012 den Neubau der Ortsumgehung der Ortschaft xxxxxx, Teilbereich Erd- und Straßenbau, im Zuge der xxxxxx europaweit im Offenen Verfahren gemäß VOB/A ausgeschrieben. Nebenangebote waren zugelassen. Schlusstermin für den Eingang der Angebote war der xxxxxx.2012. In Bezug auf die Zuschlagskriterien wurde unter Ziffer IV.2.1) der Bekanntmachung auf die Ausschreibungsunterlagen bzw. die Aufforderung zur Angebotsabgabe verwiesen.
Gemäß Ziffer 12.2 des Formblattes "EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe" sollte der Preis mit 90 % und der technische Wert mit 10 % gewichtet werden. Hinsichtlich der Bewertung des Kriteriums "Technischer Wert" war unter Ziffer 12.2 des Formblattes angekreuzt, dass diesbezüglich ausschließlich der Bauablauf bewertet werden sollte. Zur Bewertung dieses Kriteriums wurde den Bietern im Weiteren Folgendes bekannt gegeben:
"Die Bewertung der von den Bietern zu den jeweiligen Unterkriterien mit dem Angebot vorzulegenden Unterlagen gemäß Nr. 5.4 erfolgt über eine Punktebewertung mit 5, 7,5 bzw. 10 Punkten:
10 Punkte erhält ein Bieter, wenn die Angaben im Angebot des Bieters eine optimale Erfüllung erwarten lassen,
7,5 Punkte erhält ein Bieter, wenn die Angaben im Angebot des Bieters eine überdurchschnittliche Erfüllung erwarten lassen,
5 Punkte erhält ein Bieter, wenn die Angaben im Angebot des Bieters eine normale Erfüllung erwarten lassen."
Unter Ziffer 5.4 des Formblattes zur Angebotsaufforderung hatte die Antragsgegnerin den Bietern keine Unterlagen bekannt gegeben, die sie anhand der Bewertungsmatrix bewerten wollte. Schließlich enthielt die Vergabeakte einen Vermerk der Vergabestelle vom 05.09.2012 mit einer weiteren Bewertungsmatrix der Antragsgegnerin, die vor Auftragsbekanntmachung erstellt und den Bietern nicht bekannt gegeben wurde. Diese lautete:
"Punkteverteilung bei dem Wertungskriterium "Technischer Wert"
Bauablauf:
10 Punkte Bauablaufplan mit Bauablaufbeschreibung
7,5 Punkte Bauablaufplan oder Bauablaufbeschreibung
5 Punkte pauschale Aussagen, keine konkreten Unterlagen"
Bis zum Schlusstermin für den Eingang der Angebote am xxxxxx.2012 gaben sieben Bieter ein Angebot ab. Nach einer ersten Durchsicht der Angebote forderte die Antragsgegnerin die Beigeladene am 04.10.2012 auf, innerhalb von sechs Kalendertagen verschiedene Nachweise und Erklärungen vorzulegen, die diese nicht mit dem Angebot eingereicht hatte, darunter "Unterlagen gemäß 5.4 der EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe zu den in Nr. 12 genannten bzw. angekreuzten Wertungskriterien Bauablauf." Die Beigeladene legte hinsichtlich des Bauablaufs daraufhin fristgerecht einen Bauablaufplan und eine Bauablaufbeschreibung vor. Die Antragstellerin hatte bereits mit ihrem Angebot einen Bauablaufplan eingereicht.
Nach dem Abschluss der Wertung belegte die Antragstellerin mit 975 Punkten den zweiten Rang. Bei der preislichen Bewertung erhielt sie entsprechend den Vorgaben der Aufforderung zur Angebotsabgabe volle 900 Punkte, da sie das niedrigste Angebot abgegeben hatte. Die Bewertung des technischen Wertes erfolgte dann ausweislich der handschriftlichen Vermerke der Antragsgegnerin auf einem Vorblatt zu den vorgelegten Unterlagen nach der internen Bewertungsmatrix vom 05.09.2012. Für das Angebot der Antragstellerin ist dort vermerkt: "Es wurde nur ein Bauablaufplan eingereicht. Wichtung 7,5 Punkte." Die Beigeladene belegte mit 993 Punkten den ersten Rang. 893 Punkte erhielt sie im Rahmen der preislichen Bewertung. Im Bereich des technischen Wertes erhielt sie volle 100 Punkte. Auf dem Vorblatt zu den Unterlagen der Beigeladenen ist dort handschriftlich vermerkt: "Es wurde ein Bauablaufplan und eine Bauablaufbeschreibung vorgelegt. Deshalb die Wichtung 10 Punkte."
Mit Informationsschreiben gemäß § 101a GWB vom 19.10.2012 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Diese habe im Rahmen der Wertung insgesamt 993 Punkte erhalten, während das Angebot der Antragstellerin 900 Punkte für den Preis und 75 Punkte für den technischen Wert, mithin 975 Punkte erhalten habe.
Nach Erhalt der Bieterinformation rügte die Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 22.10.2012 das Vergabeverfahren in Bezug auf die aus ihrer Sicht zu geringe Bewertung ihres Angebotes im Bereich des technischen Wertes und die zu geringe Begründungstiefe der Bieterinformation. Die Antragsgegnerin wies die Rüge mit Schreiben vom 23.10.2012 zurück. Dem Schreiben waren u. a. die Kopie des Vermerks der Antragsgegnerin über die zur Anwendung gekommene Bewertungsmatrix vom 05.09.2012 und eine Übersicht der Angebotsauswertung der Angebote, die in die engere Wahl gekommen waren, beigefügt. Auf dieses Schreiben hin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.10.2012 erneut das Vergabeverfahren. Einerseits sei eine andere als die den Bietern mit der Angebotsaufforderung bekannt gegebene Bewertungsmatrix zur Anwendung gekommen, andererseits seien Wertungskriterien verwendet worden, die bereits vor Angebotsabgabe definiert, den Bietern jedoch nicht bekannt gegeben worden seien.
Nachdem die Antragsgegnerin auch die zweite Rüge mit Schreiben vom 25.10.2012 zurückwiesen hatte, beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.10.2012 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Die Antragsgegnerin habe insbesondere durch ihre Angebotswertung gegen die bieterschützenden Vorschriften des § 16a Abs. 1 VOB/A sowie gegen die in § 97 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 GWB enthaltenen Regelungen verstoßen. So habe die Antragsgegnerin den Bietern in der Angebotsaufforderung unter Ziffer 12.2 die Regelungen zur Bewertung des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" mitgeteilt. Der Wertung zugrunde gelegt habe die Antragsgegnerin die vorstehenden Wertungskriterien jedoch nicht. Sie habe vielmehr davon abweichende, bereits vor Veröffentlichung der EU-Bekanntmachung festgelegte, den Bietern bis zur Angebotsabgabe unbekannt gebliebene Wertungskriterien verwandt. Für den jeweiligen Erhalt von 10 Punkten, von 7,5 Punkten sowie von 5 Punkten wichen die in den beiden verschiedenen Wertungsblöcken enthaltenen Wertungskriterien nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch bezüglich der formalen und inhaltlichen Anforderungen in wesentlicher Hinsicht voneinander ab. Die Wertungsblöcke seien schlichtweg nicht miteinander zu vereinbaren. Jedem Bieter musste sich nach den Formulierungen in der Aufforderung zur Angebotsabgabe der Eindruck buchstäblich aufdrängen, dass es dem Auftraggeber auf eine inhaltliche Betrachtung der mit dem Angebot eingereichten Angaben zum Bauablauf ankomme. Umso überraschender und in keiner Weise vorhersehbar sei es dann, wenn der Auftraggeber in einem Vermerk, wie dem vorliegenden vom 05.09.2012, die Vergabe der Höchstpunktzahl in Abweichung von den Festlegungen der Angebotsaufforderung dann von der Anzahl der eingereichten Dokumente abhängig mache und damit ganz maßgeblich auf eine formale Betrachtung abstelle - und vor allem auch umstelle.
Ein weiterer gravierender Vergaberechtsverstoß sei darin zu sehen, dass die Antragsgegnerin im vorliegenden Falle ausweislich des Vermerkes vom 05.09.2012 Wertungskriterien zum "Technischen Wert" vor Versand der Angebotsaufforderung festgelegt habe, diese Wertungskriterien den Bietern vor Angebotsabgabe jedoch nicht bekannt gegeben habe. Diese Vorgehensweise verstoße gleichfalls gegen § 16a Abs. 1 VOB/A sowie gegen § 97 Abs. 1 und 2 GWB. Die Pflicht zur Bekanntmachung der Zuschlagskriterien und die Beschränkung der Auswahlentscheidung des Auftraggebers auf diese Kriterien habe den Sinn, die Erwartungshaltung des Auftraggebers zu konkretisieren. Der Bieterkreis solle vorhersehen können, worauf es dem Auftraggeber in besonderem Maße ankomme und dies bei der Angebotserstellung auch berücksichtigen können. Diese Grundsätze würden auch für Unterkriterien gelten. Hätten die Bieter also vor Angebotsabgabe erfahren und gewusst, dass für den Erhalt von 10 Punkten jedenfalls die Einreichung sowohl eines Bauablaufplans wie auch einer Bauablaufbeschreibung erforderlich gewesen wäre, hätte sich jeder Bieter an diesen Anforderungen auch orientieren und dementsprechend zwei verschiedene Dokumente einreichen können. Diese Möglichkeit sei den Bietern jedoch vergaberechtswidrig genommen worden. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Vorgehensweise, wonach die Bieter über die maßgeblichen Wertungsaspekte buchstäblich im Dunkeln gelassen worden seien, sei objektiv nicht ersichtlich.
Soweit die Antragsgegnerin dem entgegenzuhalten versuche, dass es sich bei den aus dem Vermerk vom 05.09.2012 ersichtlichen Wertungskriterien um "Bewertungsmaßstäbe" handele, so könne dem nicht gefolgt werden. Zum einen sei im Vermerk vom 05.09.2012 nirgends von "Bewertungsmaßstäben" die Rede, zum anderen möge die Antragsgegnerin definieren und erläutern, wo für sie die inhaltliche Abgrenzung und Trennlinie zwischen "Bewertungsmaßstäben" auf der einen Seite und Zuschlagskriterien auf der anderen Seite überhaupt verlaufen solle.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Die Antragsgegnerin wird nach näherer Maßgabe der Vergabekammer verpflichtet, erneut in das Vergabeverfahren einzutreten, insbesondere eine neue Angebotswertung hinsichtlich des Kriteriums "Technischer Wert" durchzuführen.
- 2.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens und wird verpflichtet, der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit auch ihre Anwaltskosten zu erstatten.
- 3.
Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gewährt, insbesondere, was die angebotsgegenständlichen Angaben der beabsichtigten Zuschlagsbieterin zum Kriterium "Bauablauf" sowie die Wertung der Antragsgegnerin zum Kriterium "Technischer Wert" (Bauablauf) gemäß Anlage 15 zum Vergabevermerk anbelangt, und Einsicht in dasjenige, was an anderen Stellen der Vergabeakte der Antragsgegnerin zur Wertung der Bieterangaben hinsichtlich des Wertungskriteriums "Bauablauf" vorfindlich ist.
- 4.
Die ausschreibungsgegenständliche Vergabeakte der Antragsgegnerin sowie der zugehörige Vergabevermerk werden zum Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens gemacht.
Die Antragsgegnerin beantragt,
- 1.
die Anträge 1. und 2. zurückzuweisen und
- 2.
die Akteneinsicht nach Ziffer 3. auf die dort als "insbesondere erforderlich" genannten Teile zu beschränken.
Die Antragstellerin sei nicht in ihren Rechten verletzt worden. Soweit sie vortrage, dass in Bezug auf vorzulegende Unterlagen keine Vorgaben gemacht worden seien, sei dies vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Dass die Vergabestelle von der Eintragungsmöglichkeit unter Ziffer 5.4 der Aufforderung zur Angebotsabgabe keinen Gebrauch gemacht habe, bedeute nichts anderes, als dass es eben keine Vorgaben gegeben habe, bestimmte Unterlagen vorzulegen. Wäre die diesbezügliche Rechtsauffassung der Antragstellerin korrekt, dass eine Verpflichtung dazu bestanden hätte, hätte sie dies gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bis zum Ende der Angebotsfrist rügen müssen und nicht erst nach der Angebotwertung. Der Antrag sei diesbezüglich damit bereits unzulässig. Darüber hinaus sei der Antrag aber auch unbegründet, da keine rechtliche Vorgabe existiere, den Bietern mitzuteilen, welche Unterlagen für die Wertung des Technischen Wertes vorzulegen seien. Die einschlägigen §§ 8, 8a, 16, 16a VOB/A enthielten dazu keine Aussage. Die Vergabestelle sei lediglich verpflichtet, die Kriterien offenzulegen, nach denen sie die Angebote werten will. Dies habe sie vorliegend getan. Wie die Bieter diese Kriterien ausfüllen, welche Argumente, Unterlagen oder Darlegungen sie vorbringen, sei ihnen überlassen und müsse ihnen überlassen bleiben.
Im Weiteren greife die Antragstellerin den mit Vermerk vom 05.09.2012 festgelegten Bewertungsmaßstab an. Sie meine, es handele sich um andere Wertungskriterien als die in der Aufforderung zur Angebotsabgabe bekannt gegebenen, die Vergabeentscheidung sei daher rechtswidrig. Bei dieser Betrachtung sei zunächst einmal zu differenzieren zwischen den Begriffen Bewertungskriterium und Bewertungsmaßstab. Die Wertungskriterien seien aber bekannt gegeben worden. Gewertet werden sollten und wurden der Technische Wert des Bauablaufs und der Preis. Der Grad der Dokumentation des geplanten Bauablaufes sei dabei eine zulässige, vertretbare Messgröße für die Qualität des geplanten Bauablaufs. Denn entscheidend für den Bauablauf sei, wie gut ein Unternehmer die Baudurchführung vorbereitet habe. Diese Vorbereitung drücke sich in einer schriftlich fixierten ausführlichen Planung aus. Dies bedeute, dass eine ausführliche schriftliche Dokumentation einen Rückschluss auf den Grad der Vorbereitung erlaube.
Als Wertungsmaßstab für eine optimale, eine überdurchschnittliche oder durchschnittliche Dokumentation des Bauablaufs sei dann entsprechend dem Vermerk vom 05.09.2012 herangezogen worden, ob keine oder pauschale bzw. eine bzw. zwei Unterlagen vorgelegen hätten. Im vorliegenden Falle habe die Vergabestelle einen Bewertungsmaßstab noch vor Veröffentlichung schriftlich fixiert und die Wertung danach gestaltet. Dies sei wesentlich transparenter und manipulationshemmender als es erforderlich gewesen wäre. Eine Pflicht zur Mitteilung dieses Bewertungsmaßstabes habe nicht bestanden. Dieser müsse noch nicht einmal im Voraus festgelegt werden. Es sei zulässig, sogar Regelfall, erst die Angebote abzuwarten und dann zu entscheiden, was als besonders gut oder als besonders schlecht zu werten sei.
Die Bewertung der vorgelegten Unterlagen entziehe sich darüber hinaus auch einer vergaberechtlichen Überprüfung. Bei der Bewertung der vorgelegten Unterlagen stehe der Vergabestelle nach allgemeiner Ansicht ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der nur auf einen abschließenden Katalog an Fehlern zu überprüfen sei. Dieser Katalog umfasse ausschließlich
die Anwendung nicht bekannt gegebener oder die Nichtanwendung bekannt gegebener Kriterien,
die Einbeziehung von Gesichtspunkten, die bereits in der Eignungsprüfung verwertet worden sind,
das Fehlen einer schriftlichen Dokumentation über die technische Wertung,
die Annahme von Tatsachen, die nicht dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechen,
Willkür und Ungleichbehandlung und
die Einbeziehung sachfremder Erwägungen in die Wertung.
Da die Vergabestelle die Bewertungskriterien bekannt gegeben hatte, entziehe sich dieser Punkt damit einer vergaberechtlichen Überprüfung. Alle anderen Punkte des Katalogs seien vorliegend nicht einschlägig und auch nicht vorgetragen worden.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Wertung des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB. Es ist sowohl der von der Antragsgegnerin verwendete sogenannte "Bewertungsmaßstab" vergaberechtswidrig als auch die Berücksichtigung der nachträglich von der Beigeladenen angeforderten Unterlagen zum Bauablauf.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die Vergabe eines Auftrags für den Erd- und Straßenbau, also für einen Teilbereich des Neubaus der Ortsumgehung xxxxxx und damit um einen Bauauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) in der zum Zeitpunkt der EU-weiten Bekanntmachung dieses Auftrags am xxxxxx.2012 geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5 Mio. € gilt. Für die insoweit maßgebliche Gesamtbaumaßnahme beträgt der geschätzte Gesamtauftragswert xxxxxx € (netto), so dass der Schwellenwert deutlich überschritten ist.
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bietergemeinschaft ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, die Antragsgegnerin habe das Zuschlagskriterium "Technischer Wert" fehlerhaft bewertet. Sie rügt, dass die Bewertung abweichend von der den Bietern zunächst bekannten Bewertungsmatrix nach rein formalen Kriterien erfolgt sei. Voraussetzung der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06). Die Antragstellerin hat den günstigsten Preis angeboten, der mit 90 % in die Wertung eingeht, so dass sie bei fehlerhafter Wertung des "Technischen Werts" ohne Weiteres auf dem 1. Rang liegen könnte.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber der Antragsgegnerin unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen. Die Antragstellerin wurde durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 18.10.2012, bei ihr am 19.10.2012 eingegangen, gemäß § 101a GWB darüber informiert, dass beabsichtigt sei, auf ihr Angebot den Zuschlag nicht zu erteilen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sie nicht das wirtschaftlichste Angebot gemäß abgegeben habe. Der Zuschlag solle frühestens am 29.10.2012 auf das Angebot der Fa. xxxxxx, also der Beigeladenen, erteilt werden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 22.10.2012 rügte die Antragstellerin per Fax die Entscheidung der Antragsgegnerin. Zur Begründung trug sie vor, dass sie eine zu geringe Bewertung im Bereich des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" erhalten habe, zu gering sei diesbezüglich auch die Begründungstiefe der Antragsgegnerin. Diese nur innerhalb von drei Tagen nach Erhalt der ablehnenden Information der Antragsgegnerin gemäß § 101a GWB abgesetzte Rüge erfolgte unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Als unverzüglich in diesem Sinne gilt grundsätzlich ein Zeitraum innerhalb von ein bis drei Tagen nach positiver Kenntnisnahme (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rz. 2). Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob die Präklusionsregel gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom 28.01.2010 in den Rs. C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist (bejahend OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/2010, und OLG Rostock, Beschluss vom 20.10.2010, Az.: 17 Verg 5/10, zitiert nach ibr-online; offen gelassen OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: 13 Verg 8/10).
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet. Die Wertung des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB. Die Antragsgegnerin hat gegen § 97 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 sowie § 16 a VOB/A und § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A verstoßen. Mit der Anwendung ihres sogenannten "Bewertungsmaßstabs" und der Berücksichtigung der nachträglich von der Beigeladenen angeforderten Unterlagen zum Bauablauf verletzt die Antragsgegnerin das Transparenzgebot, das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter und das Gebot, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Sie missachtet § 16 a VOB/A, der verlangt, dass bei der Wertung der Angebote nur Kriterien und deren Gewichtung berücksichtigt werden, die in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen genannt sind. Auch durfte die Antragsgegnerin die Unterlagen zum Bauablauf nicht gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A von der Beigeladenen nachfordern, weil es sich nicht um geforderte Erklärungen handelt und weil das Angebot der Beigeladenen auch ohne diese Unterlagen bewertungsfähig ist.
a. Mit dem Formblatt "EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe" war den Bietern in dem vorliegenden Vergabeverfahren bekannt gegeben worden, dass hinsichtlich des Kriteriums "Technischer Wert" ausschließlich der Bauablauf bewertet werden sollte. Unter Ziffer 5.4 des Formblattes waren keine konkreten Unterlagen benannt, die zur Bewertung dieses Kriteriums herangezogen werden sollten. Unter Ziffer 12.2 des Formblattes war zur Bewertung des Kriteriums "Bauablauf" schließlich Folgendes festgelegt:
"10 Punkte erhält ein Bieter, wenn die Angaben im Angebot des Bieters eine optimale Erfüllung erwarten lassen,
7,5 Punkte erhält ein Bieter, wenn die Angaben im Angebot des Bieters eine überdurchschnittliche Erfüllung erwarten lassen,
5 Punkte erhält ein Bieter, wenn die Angaben im Angebot des Bieters eine normale Erfüllung erwarten lassen."
Aufgrund dieser Festlegungen konnten die Bieter davon ausgehen, dass die Vergabestelle ihre Angebote diesbezüglich inhaltlich qualitativ bewerten wollte.
In einer weiteren Bewertungsmatrix der Vergabestelle, die noch vor der Vergabebekanntmachung erstellt wurde (Vermerk der Vergabestelle vom 05.09.2012), war schließlich zum Wertungskriterium "Technischer Wert" Folgendes festgelegt:
"Punkteverteilung beim Wertungskriterium "Technischer Wert"
Bauablauf:
10 Punkte Bauablaufplan mit Bauablaufbeschreibung
7,5 Punkte Bauablaufplan oder Bauablaufbeschreibung
5 Punkte pauschale Aussagen, keine konkreten Unterlagen"
Die Bewertung der Angebote in Bezug auf den technischen Wert erfolgte dann bei den streitgegenständlichen Angeboten nach der vorstehenden, überwiegend - und für die höheren Bewertungen rein - formalistisch ausgerichteten und den Bietern nicht bekannt gegebenen Bewertungsmatrix. So trägt das Vorblatt der Vergabestelle zu den entsprechenden Unterlagen der Antragstellerin den handschriftlichen Vermerk "Es wurde nur ein Bauablaufplan eingereicht. Wichtung 7,5 Punkte". Das Vorblatt zu den Unterlagen der Beizuladenden trägt den handschriftlichen Vermerk "Es wurde ein Bauablaufplan und eine Bauablaufbeschreibung vorgelegt. Deshalb die Wichtung 10 Punkte".
Zwar steht der Vergabestelle bei der Bewertung der vorgelegten Unterlagen ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der nur beschränkt überprüfbar ist. Dabei darf die Vergabestelle die bekannt gegebenen Unterkriterien auch ausfüllen und Bewertungsmaßstäbe anwenden. Hier liegt aber eine ganz andere Situation vor. Denn die Antragsgegnerin hat letztlich die ursprünglich den Bieter bekannt gegebene Bewertungsmatrix vollständig durch eine andere Bewertungsmatrix ersetzt, die die Antragsgegnerin ebenfalls schon vor Versand der Angebotsaufforderung ausgearbeitet hatte, jedoch den Bietern vorenthalten hat. Dies ist offensichtlich und ganz einfach daran zu erkennen, dass es der bekanntgegebenen Matrix in keiner Weise mehr zur Bewertung des technischen Wertes bedurfte. Die Argumentation der Antragsgegnerin, sie habe die ursprünglichen Kriterien lediglich anhand ihrer Bewertungsmaßstäbe ausgefüllt, ist folglich zurückzuweisen. Es ist dabei auch unerheblich, dass es eine Schnittmenge zwischen beiden Matrices geben mag. Die Bieter hatten Anspruch darauf, die tatsächlich angewendete Matrix zu kennen, und konnten von einer qualitativen Bewertung des Bauablaufes ausgehen. Die jedenfalls für die höheren Bewertungen mit 10 bzw. 7,5 Punkten rein formalistische Betrachtung ist mit der ursprünglichen Matrix nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die Bieter wurden durch die faktische Ersetzung der ihnen bekannt gegebenen Matrix in die Irre geführt. Die Antragsgegnerin hat gegen § 16 a Abs. 1 VOB/A verstoßen.
b. Es war weiterhin nicht zulässig, die von der Beigeladenen nachgeforderten Unterlagen zum Bauablauf vom 04.10.2012 in die Wertung einzubeziehen. Denn die Antragsgegnerin durfte diese Unterlagen nicht gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A nachfordern, weil es sich nicht um geforderte Erklärungen handelt und weil das Angebot der Beigeladenen auch ohne diese Unterlagen bewertungsfähig ist.
Laut § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A gilt: "Fehlen geforderte Erklärungen oder Nachweise und wird das Angebot nicht entsprechend den Nummern 1 oder 2 ausgeschlossen, verlangt der Auftraggeber die fehlenden Erklärungen oder Nachweise nach." Der Auftraggeber hat für die Nachforderung, wenn sie tatsächlich geboten ist, keinen Ermessensspielraum. Diese Norm hat vielfältige und auch durchaus teils einander widersprechende Auslegungen in der vergaberechtlichen Beschlusspraxis und Literatur erfahren. Wegen der mit den Möglichkeiten der Norm verbundenen Manipulationsgefahren und des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist nach Auffassung der Vergabekammer eine restriktive Auslegung geboten.
Maßgeblich ist zunächst, dass es sich um in der Aufforderung zur Angebotsabgabe geforderte Erklärungen und Nachweise handelt.
Die Vergabestelle hatte unter Ziffer 12 der Angebotsaufforderung zwar angekreuzt, dass sie beim technischen Wert den Bauablauf anhand nicht näher bezeichneter "mit dem Angebot vorzulegender Unterlagen" bewerten wollte, es jedoch unter Ziffer 5.4 der Angebotsaufforderung unterlassen, diese Unterlagen entsprechend zu konkretisieren, so dass eine Nachforderung dieser Unterlagen gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A nicht möglich sein kann, da es wegen der nicht konkreten Angaben bereits an einer erstmaligen ausdrücklichen Anforderung fehlte.
Selbst wenn man diesbezüglich anderer Auffassung sein sollte, ist nach teleologischer Auslegung eine restriktive Handhabung der Norm geboten. Nach Auffassung der Vergabekammer wäre es sowohl nach der Matrix in der Angebotsaufforderung als auch nach der fälschlicherweise zur Anwendung gekommenen weiteren Matrix möglich gewesen, das Angebot der Beizuladenden auch ohne die nachgeforderten Unterlagen zu bewerten (siehe hierzu auch insbesondere die Ausführungen der Vergabestelle im Vergabevermerk auf S. 12). Nach beiden Matrices wäre das Angebot ohne die nachgeforderten Unterlagen in Bezug auf den technischen Wert mit mindestens aber wohl auch höchstens 50 Punkten zu bewerten gewesen (Mindestpunktzahl nach den Vorgaben der Vergabestelle). Durch die Bewertung der nachgeforderten Unterlagen erhielt das Angebot der Beizuladenden im Ergebnis eine Aufwertung um weitere 50 Punkte und belegte erst dadurch den ersten Rang. Dies ist aber aus Sicht der Vergabekammer nicht zulässig, da zum Zeitpunkt der Submission bereits ein in Bezug auf den technischen Wert bewertungsfähiges Angebot vorlag. Indem die Antragsgegnerin zuvor die Eignung der Beigeladenen bejaht hat, ist davon auszugehen, dass die Bewertung des Bauablaufs mit der Mindestpunktzahl gerechtfertigt ist.
Ziel der Nachforderungsmöglichkeit des § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A ist es, den unmittelbaren Ausschluss eines Angebots wegen Unvollständigkeit zu vermeiden, weil der Ausschluss als unverhältnismäßig harte Folge einer bloßen Nachlässigkeit des Bieters betrachtet wird. Die Motive für die Neuregelung laut Materialien des DVA lauten wie folgt: "Um Ausschlüsse aus formalen Gründen einzudämmen, sollen Angebote, deren Erklärungen zur Eignung sowie sonstige geforderte Erklärungen zum Angebot fehlen, erst dann wegen Unvollständigkeit ausgeschlossen werden, wenn der Bewerber/Bieter diese nicht innerhalb von 6 KT nach Aufforderung des AG nachgereicht hat." (zitiert nach Kratzenberg in: Ingenstau/Korbion, VOB, 17. Auflage 2010, § 16 VOB/A Rdnr. 65). Einen Grund für die Nachforderung gab es aus Sicht der Vergabekammer damit nicht. Die gebotene restriktive Auslegung des § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A verbietet eine Nachforderung. Es ist im Wege der teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal anzusehen, dass die Nachforderungsverpflichtung für Erklärungen und Nachweisen nicht gilt, wenn ein bewertungsfähiges Angebot vorliegt. Zu § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A stellt das OLG München (Beschluss v. 15.03.2012, Az.: Verg 2/12) teils vergleichbar fest, dass die Nachforderungsverpflichtung nicht der nachträglichen Verbesserung bzw. Veränderung eines Angebots, sondern nur der Nachreichung fehlender Erklärungen dient.
Die Vergaberechtswidrigkeit des Vorgehens der Antragsgegnerin in diesem Einzelfall ergibt sich spätestens aus der Gesamtbetrachtung: Die Angebote von Antragstellerin und Beigeladener liegen preislich dicht beieinander. Der Preis macht 90 % der Wertung aus, so dass dem vermeintlich kleinen 10-%-Kriterium "Technischer Wert" eine hohe zuschlagsrelevante Bedeutung zufällt. In dieser Situation wird die den Bietern bekannt gegebene Bewertungsmatrix zum technischen Wert dergestalt ersetzt, dass es für die Höchstpunktzahl auf das bloße Vorhandensein von Bauablaufplan und Baubeschreibung ankommt. Gleichzeitig werden von der Beigeladenen zuvor nicht explizit benannte Unterlagen zum Bauablauf angefordert, die diese als einzige Bieterin zuvor nicht eingereicht hatte.
Damit nur mit der geringst möglichen Intensität in das Vergabeverfahren eingegriffen wird, hat die Vergabekammer entschieden, die Antragsgegnerin zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten, diese hinsichtlich der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zu wiederholen, dabei die Wertung des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" anhand der in der Aufforderung zur Angebotsabgabe bekannt gegebenen Wertungsmatrix durchzuführen, die von der Beigeladenen nachträglich angeforderten Unterlagen zum Bauablauf nicht in die Wertung einzubeziehen und die Prüfungen und Entscheidungen in einer den Anforderungen des § 24 EG VOL/A genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Die Antragsgegnerin hat bei der Prüfung und Wertung der Angebote die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
Die Vergabekammer hat gem. § 112 Abs. 1 Satz 3 GWB mit Zustimmung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren entschieden.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 €, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx € gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx €. Dieser Betrag entspricht dem von der Antragsgegnerin im Vergabevermerk vom 15.10.2012 dokumentierten Auftragswert nach den Angeboten der Antragstellerin und damit dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 €(§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.
Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene unterlegen sind. Die Beigeladene hat jedoch in diesem Verfahren keinen eigenen Antrag gestellt. Sie ist daher an der Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin nicht zu beteiligen.
Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWBi. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.
Angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene im Nachprüfungsverfahren unterlegen sind, die Beigeladene aber keinen Antrag gestellt hat, hat die Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.