Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 03.02.2012, Az.: VgK-01/2012
Antrag auf Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens bzgl. Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 03.02.2012
- Aktenzeichen
- VgK-01/2012
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 25543
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 1 GWB
- § 97 Abs. 7 GWB
- § 114 Abs. 1 GWB
- § 1 Abs. 3 VOL/A-EG
In dem Nachprüfungsverfahren
der XXXXXX,
Verfahrensbevollmächtigte: XXXXXX,
- Antragstellerin -
gegen
die XXXXXX,
Verfahrensbevollmächtigte: XXXXXX,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
1. XXXXXX,
Verfahrensbevollmächtigte: XXXXXX,
- Beigeladene zu 1-
2. XXXXXX,
Verfahrensbevollmächtigte: XXXXXX,
- Beigeladene zu 2 -
3. XXXXXX,
- Beigeladene zu 3 -
4. XXXXXX,
Verfahrensbevollmächtigte: XXXXXX,
- Beigeladene zu 4 -
wegen
Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen ab dem 1. Januar 2012 in XXXXXX,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Dipl.-Ök. Brinkmann, auf die mündliche Verhandlung vom 31.01.2012
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die Entscheidung der Antragsgegnerin, die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen auch über den 31.12.2011 hinaus freihändig zu vergeben, obwohl ihr die Durchführung eines rechtzeitigen förmlichen Vergabeverfahrens möglich gewesen wäre, in ihren Rechten verletzt ist.
- 2.
Eine Beauftragung an die bisherigen Leistungserbringer ohne förmliches Vergabeverfahren kann längstens für den Leistungszeitraum bis zum 31.12.2012 erfolgen.
- 3.
Die Antragsgegnerin hat bei fortbestehender Absicht, die streitgegenständlichen Leistungen an Dritte zu beauftragen, hierzu so rechtzeitig eine Vergabebekanntmachung für eine öffentliche Ausschreibung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VOL/A zu veröffentlichen, dass die Leistungen ab dem 01.01.2013 nur auf der Grundlage eines vergaberechtsgemäßen, förmlichen Vergabeverfahrens erfolgen.
- 4.
Die Kosten werden auf XXXXXX € festgesetzt.
- 5.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsgegnerin, die Beigeladene zu 2 und die Beigeladene zu 4 zu je 1/3 zu tragen. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung des auf sie entfallenden Kostenanteils befreit.
- 6.
Die Antragsgegnerin, die Beigeladene zu 2 und die Beigeladene zu 4 haben der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragstellerin notwendig.
Begründung
I.
Die XXXXXXversammlung der Auftraggeberin hatte mit Beschluss vom XX.XX.2009 die Verwaltung beauftragt, für das Jahr 2009 eine Interimsvergabe im Wege der freihändigen Vergabe vorzunehmen. Darüber hinaus sollte sie ein nationales öffentliches Ausschreibungsverfahren vorbereiten und durchführen. Für das Ausschreibungsverfahren der Rettungsdienstleistungen sollte ein Beauftragungszeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2015 zugrunde gelegt werden. In einem ausführlichen Vergabevermerk vom XX.XX.2009 hielt die Auftraggeberin letztendlich fest, dass die in dem anhängigen Verfahren beigeladenen vier Rettungsdienste den Zuschlag für jeweils ein Los erhalten sollen. Der XXXXXXausschuss der Auftraggeberin beauftragte die Verwaltung in seiner Sitzung am XX.XX.2009 mit den vier derzeit beauftragten Rettungsdiensten einen Vertrag für das Jahr 2010 abzuschließen.
Am XX.XX.2010 beschloss die XXXXXXversammlung, dass die Verwaltung ein verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren der Rettungsdienstleistungen für den Vergabezeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2016 mit einem Sonderkündigungsrecht bei Änderung der Rechtslage vorbreiten soll. In der XXXXXXversammlung am 14.12.2010 wurde u. a. beschlossen, dass die bestehenden Verträge mit den im Jahre 2010 beauftragten Rettungsdiensten um ein weiteres Jahr bis zum 31.12.2011 interimsweise verlängert werden. Ferner sollte die Verwaltung ein Konzept zur Rekommunalisierung des Rettungsdienstes vorbereiten. In einem Vergabevermerk vom 26.01.2011 der Auftraggeberin wurde u.a. festgehalten, dass letztendlich jeder der vier Rettungsdienstleister sein Los für ein weiteres Jahr weiter bedient. Die XXXXXXversammlung der Auftraggeberin beschloss am 13.12.2011, den Beschluss vom 14.12.2010 bis auf weiteres auszusetzen und die Novellierung des NRettDG abzuwarten bevor die Ausschreibung weiter vorbereitet oder durchgeführt wird. Ferner wurde die Verwaltung erneut beauftragt, schnellstmöglich eine Interimsbeauftragung mit den bisherigen vier Beauftragten vorzunehmen.
Mit Schriftsatz vom 19.12.2011 beantragte die Antragstellerin bei der Auftraggeberin und jetzigen Antragsgegnerin unter Fristsetzung, dass diese ein förmliches Vergabeverfahren durchführt und begründete ihre Auffassung. Die Antragsgegnerin teilte der Antragstellerin mit, dass sie beabsichtigt, zeitnah eine Bekanntmachung über ein Ausschreibungsverfahren zur Beauftragung von Rettungsdienstleistungen für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis zum 16.12.2016 zu veröffentlichen.
In der Dokumentation zur Interimsvergabe vom 23.12.2011 hielt die Antragsgegnerin unter 2. Vergaberechtliche Konsequenzen für das Jahr 2012 u. a. wörtlich fest:
"Durch den Ablauf der derzeitigen Beauftragungsverträge zum 31.12.2011 und durch den Zeitraum, der die Vorbereitung, Durchführung und den Abschluss einer öffentlichen Ausschreibung unter Berücksichtigung der Einbindung der Kostenträger in Anspruch nehmen würde, besteht die unmittelbare Gefahr, die nahtlose Beauftragungssituation zum 01.01.2012 nicht mehr sicherstellen zu können."
Ferner führte die Antragsgegnerin aus:
"Als Interimszeitraum wird hier ein Jahr für angemessen erachtet, um ein ordnungsgemäßes Ausschreibungsverfahren europaweit bekannt zu machen und durchzuführen. Aufgrund der Komplexität des Verfahrens sowie der Anzahl der zu erwartenden Angebote bezüglich der politischen Beschlussfassungen wird davon ausgegangen, dass bis zur Zuschlagsentscheidung ein Zeitraum von sieben bis acht Monaten erforderlich sein wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass potentielle neue Leistungserbringer nach Zuschlagserteilung einen zusätzlichen Vorbereitungszeitraum zur Anmietung neuer Rettungswachen, zur Einstellung kurzfristig qualifizierten Personals und des Abschlusses von Arbeitsverträgen benötigen, der einzuräumen ist, um die Chancengleichheit aller Anbieter zu gewährleisten und den funktionsfähigen Rettungsdienst in der XXXXXX nicht zu gefährden. Insgesamt wird daher ein Interimszeitraum von einem Jahr für erforderlich und in Anbetracht des Gefahrenpotenzials (Leib und Leben) eine Zubilligung von weiteren vier bis fünf Monaten ab Zuschlagserteilung bis zum Leistungsbeginn als angemessen betrachtet."
Unter IX. Vergabeentscheidung hielt die Antragsgegnerin u.a. fest:
"Um einen vertragslosen Zustand zu vermeiden und die wirtschaftliche Verwendung der öffentlichen Mittel zu gewährleisten, ist es daher erforderlich und zweckmäßig, die bestehenden Verträge interimsweise zu verlängern. Infolge dessen sollen die bisherigen Leistungserbringer interimsweise für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 31.12.2012 beauftragt werden."
Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.12.2011 beantragte die Antragstellerin erneut bei der Antragsgegnerin, u.a. die Beauftragung der Rettungsdienstleistungen nur im Rahmen eines förmlichen gemeinschaftskonformem Vergabeverfahrens durchzuführen. Aus ihrer Sicht könne eine Beauftragung an die bisherigen Leistungserbringer nur bis zum 30.06.2012 erfolgen. Sie begründete erneut ihre Auffassung und gab der Antragsgegnerin eine letztmalige Frist, die in ihrem Schreiben konkretisierten Anträge zu erfüllen. Die Antragsgegnerin erklärte gegenüber dem Bevollmächtigten am 30.12.2011, dass sie dem in den Anträgen zum Ausdruck kommenden Begehren nicht nachkommen könne und begründete ihre Auffassung.
Mit Schreiben vom 02.01.2012, eingegangen in der Vergabekammer per Telefax am selben Tage beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Sie sei davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin die zu vergebenden Rettungsdienstleistungen ausschreibe. Als dies jedoch bis Anfang Dezember 2011 nicht geschehen sei, habe sie das gegenüber der Antragsgegnerin mit ihren Schreiben vom 19.12.2011 und 27.12.2011 gerügt. Als potentielle Bieterin habe sie einen Anspruch darauf, dass die Dienstleistungen im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren beschafft werden. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Vergabekammern und der Oberlandesgerichte sieht sie eine Ausschreibungspflicht, die die Antragsgegnerin nicht umgesetzt habe, da diese sich durch den Beschluss der XXXXXXversammlung gehindert sieht. Ferner liege auch ein konkreter Beschaffungsbedarf vor, da die Antragsgegnerin zur Deckung ihres Bedarfs bereits in ein Verfahren eingetreten sei. Dieser Bedarf dürfe allerdings nicht durch eine freihändige Vergabe, auch nicht interimsweise, gedeckt werden. Soweit die Antragsgegnerin ihr mitgeteilt habe, dass bei den Rettungsdienstleistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge kein vertragsloser Zustand eintreten dürfe, vertritt die Antragstellerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Vergabekammer Sachsen die Auffassung, dass ein Sicherstellungsauftrag auch in einem, wenn auch kurzem wettbewerblichen Verfahren garantiert wäre. Im Übrigen sei die geplante abermalige Interimsbeauftragung von einem Jahr zu lang, da es sich bereits um die dritte Interimsbeauftragung in Folge handelt.
Auch die anderen Hinderungsgründe für eine zeitnahe Ausschreibung, wie die geplante Änderung des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes oder Vergabe im Wege eines Konzessionsmodells, könne sie nicht nachvollziehen. Das Warten auf ein Konzessionsmodell bringe keine Erleichterung im Hinblick auf die allgemeine Vergabeverpflichtung, zumal die Antragsgegnerin eingeräumt habe, dass sie über ausschreibungsreife Vertragsunterlagen verfüge.
Die Antragstellerin beantragt:
1.
Ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 107 Abs. 1 GWB wird eingeleitet gegen die ab dem 1. Januar 2012 erfolgte de-facto-Vergabe von Rettungsdienstleistungen ohne gemeinschaftskonforme Ausschreibung in der XXXXXX.
2.
Es wird festgestellt,
- dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist, wenn eine Vergabe von Rettungsdienstleistungen ab dem 1. Januar 2012 ohne ein förmliches gemeinschaftsrechtskonformes Vergabeverfahren erfolgt;
- dass die abgeschlossenen Verträge unwirksam sind.
3.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei fortbestehender Absicht die streitgegenständlichen Dienstleistungen an Dritte zu beauftragen, diese Beauftragung nur im Rahmen eines förmlichen gemeinschaftsrechtskonformen Vergabeverfahrens nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.
4.
Die Antragsgegnerin hat bei fortbestehender Absicht, die streitgegenständlichen Dienstleistungen an Dritte zu beauftragen, hierzu bis zum 31. Januar 2012 eine Vergabebekanntmachung im Wege der öffentlichen Ausschreibung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VOL/A zu veröffentlichen, die einen Leistungsbeginn zum 1. Juli 2012 vorsieht.
Eine Beauftragung an die bisherigen Leistungserbringer ohne förmliches Vergabeverfahren kann längstens für den Leistungszeitraum bis zum 30 Juni 2012 erfolgen.
5.
Hilfsweise: Die Antragsgegnerin hat die Vergabebekanntmachung rechtzeitig im Wege der öffentlichen Ausschreibung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VOL/A zu veröffentlichen, die einen Leistungsbeginn zu einem Zeitpunkt vorsieht, den die Vergabekammer für rechtmäßig und angemessen hält.
6.
Hilfsweise: Die Kammer wirkt unabhängig auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hin (vgl. § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB).
7.
Die Vergabeakten der Antragsgegnerin werden hinzugezogen.
8.
Der Antragstellerin wird Einsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin gewährt.
9.
Der Nachprüfungsantrag wird der Antragsgegnerin notfalls per Telefax unverzüglich zugestellt.
10.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
11.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1.
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;
2.
der Antragstellerin die Akteneinsicht zu versagen. Hilfsweise beantragen wir, dieser die Einsicht in die eingegangenen Angebote sowie in weitere der Vergabekammer als geheimhaltungsbedürftig mitgeteilten Bestandteile der Vergabeakte nach § 111 Abs. 2 GWB zu versagen;
3.
die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären (§ 128 Abs. 4 Satz 1 GWB)
4.
der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin tritt den Behauptungen und der Rechtsauffassung der Antragstellerin entgegen. Sie hält den Nachprüfungsantrag zumindest für offensichtlich unbegründet, da ihrer Auffassung nach, die Interimsbeauftragung nach der nationalen Rechtsprechung zulässig ist.
Sie erklärt, dass z.B. die Vergabekammer Schleswig-Holstein unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung Interimsvergaben bei Leistungen der Daseinsvorsorge akzeptiert hätte. Mit Ablauf der Beauftragungsverträge zum 31.12.2011 und durch den Zeitraum, den die Vorbereitung, Durchführung und der Abschluss einer öffentlichen Ausschreibung unter Berücksichtigung der Einbindung der Kostenträger in Anspruch nehmen würde, bestand unmittelbare Gefahr, eine nahtlose Beauftragungssituation zum 01.01.2012 nicht mehr sicherstellen zu können.
Aus ihrer Sicht ist auch die Dauer der Interimsbeauftragung bis Ende 2012 angemessen, da aufgrund der Komplexität des Verfahrens sowie der Anzahl der zu erwartenden Angebote zuzüglich der politischen Beschlussfassung ein Zeitraum von sieben bis acht Monaten erforderlich ist. Hinzu käme, dass neue Leistungserbringer nach der Zuschlagserteilung einen zusätzlichen Vorbereitungszeitraum zur Anmietung neuer Rettungswachen, kurzfristigen Einstellung qualifizierten Personals und Abschluss von Arbeitsverträgen benötigen. Hierfür rechne sie mit einem Zeitraum von weiteren vier bis fünf Monaten. Aus der Zusammenfassung dieser Erkenntnisse ergäbe sich der von ihr gewählte Zeitraum von einem Jahr.
In diesem Zusammenhang bestreitet die Antragsgegnerin auch, dass die Antragstellerin kurzfristig in der Lage ist, die entsprechend umfangreichen Ressourcen als XXXXXX Rettungsdienstleister in der XXXXXX vorzuhalten, da auch diese einen Mindestvorlauf zur Vorbereitung der zu erbringenden Leistungen benötige. Ein solcher Vorlauf existiere aber bei der streitgegenständlichen Interimsbeauftragung nicht.
Sie beabsichtige, für den Zeitraum von 2013 bis 2016 kurzfristig mit dem Ausschreibungsverfahren zu beginnen. Die Vergabeunterlagen würden zurzeit mit rechtlicher Unterstützung vorbereitet und ständen nach Vornahme der letzten Aktualisierung kurz vor der Fertigstellung. Sie geht dabei davon aus, dass die notwendigen Vorbereitungen im Laufe des Februar 2012 abgeschlossen sind und die Bekanntmachung veröffentlicht wird.
Die Beigeladene zu 2 beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Sie hält ihn bereits für unzulässig, da die Antragstellerin die erforderlichen Ressourcen für die zu erbringenden Leistungen nicht bis zum 01.07.2012 beschaffen könne. Die Antragstellerin habe als Rettungsdienstleister, der ausschließlich in XXXXXX ist, bisher nicht dargelegt, dass sie entsprechende Absichten auch im Bereich des Antragsgegners verfolge. Außerdem sei ein Tätigkeitsbeginn zum 01.07.2012 illusorisch, da es kaum Ausschreibungen von Leistungen im Rettungsdienst ohne Nachprüfungsverfahren bis hin zum jeweiligen Oberlandesgericht nach seinem Wissensstand gibt.
Ein weiterer Punkt sei, dass in Niedersachsen zurzeit eine Novellierung des Rettungsdienstgesetzes debattiert wird. Ein wesentlicher Aspekt sei die Frage, ob die Beauftragung zukünftig als Dienstleistungskonzession oder als entgeltlicher Auftrag gestaltet werden soll.
Die Beigeladene zu 4 beantragt ebenfalls
die Zurückweisung des Nachprüfungsantrages.
Auch sie hält den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig, da zum Zeitpunkt der Antragstellung ein wirksamer Zuschlag erteilt war. Die Vorgaben des § 101b GWB zur Unwirksamkeit lägen hier nicht vor. Es seien mehrere Unternehmen an den Interimsvergaben beteiligt gewesen. Hinzu käme, dass die Antragstellerin die Fristen des § 101b Abs. 2 Satz1 GWB versäumt habe.
Ferner unterstützen die Beigeladenen zu 2 und zu 4 den Vortrag der Antragsgegnerin hinsichtlich der Unbegründetheit des Nachprüfungsantrages.
Die Beigeladenen zu 1 und zu 3 haben keine Anträge gestellt und sich auch nicht zum Verfahren geäußert.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 31.01.2012 Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen auch über den 31.12.2011 hinaus entgegen ihrer ursprünglichen Absicht erneut freihändig an die bisherigen Dienstleister zu vergeben, obwohl ihr die rechtzeitige Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens und damit die Gewährleistung eines offenen Wettbewerbs möglich war, verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB. In Ermangelung der rechtzeitigen Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens ist die Antragsgegnerin zwar faktisch gezwungen, zur Vermeidung eines vertragsfreien Zeitraums die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen an die bisherigen Dienstleister interimsweise zu vergeben. Die erforderliche interimsweise Beauftragung ist jedoch auf den Zeitraum zu begrenzen, der erforderlich ist, das von der Verwaltung der Antragsgegnerin bereits vorbereitete förmliche Vergabeverfahren durchzuführen und abzuschließen.
1.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um eine öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den verfahrensgegenständlichen Leistungen handelt es sich um die Durchführung der Leistungen des Rettungsdienstes in der XXXXXX und damit um einen Dienstleistungsauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 2 der Vergabeverordnung (VgV) ein Schwellenwert von 193.000 € gilt. Werden Dienstleistungsaufträge, wie vorliegend, losweise vergeben, so beträgt der Schwellenwert 80.000 € oder bei Losen unterhalb von 80.000 € deren addierter Wert ab 20 v. H. des Gesamtwertes aller Lose. Ausweislich des in der Vergabeakte enthaltenen Vergabevermerks vom 23.12.2011 über die Interimsbeauftragung für die Erbringung von Rettungsdienstleistungen für den Zeitraum 01.01. bis 31.12.2012 liegt der Gesamtwert aller vier freihändig vergebenen Lose bereits für das Jahr 2012 bei über XXXXXX €.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Krankentransport- und Rettungsdienstunternehmen ein branchenbetroffenes Unternehmen ist und entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 2 und der Beigeladenen zu 4 im Vorfeld der streitbefangenen freihändigen Vergabe gegenüber der Antragsgegnerin ihr Interesse am Auftrag bekundet hat. Sie macht eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend, indem sie vorträgt, die Antragsgegnerin hindere sie vergaberechtswidrig an der Abgabe eines Angebotes für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen, weil die Antragsgegnerin nunmehr zum dritten Mal in Folge den fortbestehenden Beschaffungsbedarf nicht im Wege eines förmlichen Vergabeverfahrens, sondern im Wege einer freihändigen Vergabe an die Beigeladenen und damit die bisherigen Dienstleister deckt. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller die Umstände aufzeigen muss, aus denen sich die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen an die Darlegungslast dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107 GWB, Rdnr. 954).
Gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB ist im Nachprüfungsverfahren jedes Unternehmen antragsbefugt, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach§ 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Das Interesse am Auftrag ist weit auszulegen. Es liegt in der Regel vor, wenn der Bieter vor Stellung des Nachprüfungsantrags am Vergabeverfahren teilgenommen und einen Vergabeverstoß ordnungsgemäß gerügt hat (vgl. BVerfG,Beschluss vom 29.07.2004 - Az.: 2 BvR 2248/03; BGH, Beschluss vom 10.11.2009 - Az.: X ZB 8/09). Es wirkt sich jedoch auch nicht nachteilig für das Vorliegen der Antragsbefugnis aus, wenn eine Antragstellerin in Fällen eines unterlassenen Vergabeverfahrens am Verfahren der Auftragsvergabe weder teilgenommen noch - ausdrücklich oder stillschweigend - ein Interesse an einer Teilnahme bekundet hat, wenn die Antragstellerin, wie im vorliegenden Fall, geltend macht, gerade durch den zur Überprüfung gestellten Vergaberechtsverstoß, der darin liegt, dass der Auftraggeber die Beschaffung ohne vorherige Bekanntgabe dieses Vorhabens durchgeführt hat, an einer Teilnahme, insbesondere an der Einreichung eines Angebotes oder der Bekundung eines Interesses an diesem Auftrag gehindert ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.01.2005 - Az.: VII-Verg 93/04; VK Sachsen, Beschluss vom 31.08.2011 - 1/SVK/030-11, zitiert nach ibr-online).
Die Antragstellerin hat ungeachtet dessen jedoch vorliegend ausdrücklich gegenüber der Antragsgegnerin Interesse an einer Beauftragung mit den verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen auch bereits für 2012 bekundet. Sie hat schlüssig dargelegt, dass sie aufgrund der öffentlichen Informationsdrucksache der Antragsgegnerin vom 21.04.2011 (Anlage 5 zum Antragsschriftsatz) darauf vertraut hat, dass die Antragsgegnerin auf der Grundlage des Beschlusses ihrer XXXXXXversammlung vom 14.12.2010 ein förmliches Vergabeverfahren für den verbleibenden Zeitraum bis zum 31.12.2016 (ursprünglicher Beginn 01.01.2011) vorbereitet und durchführen wird. Da dieses förmliche Vergabeverfahren aber nicht durchgeführt wurde, hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 19.12.2011 (Anlage 6 des Nachprüfungsantrags) die unterlassene Ausschreibung gerügt und die Antragsgegnerin ausdrücklich aufgefordert, auch die nunmehr notwendigen Interimsbeauftragungen nur nach einem wettbewerblichen Verfahren zu vergeben. Zur Begründung hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass sie seit 1985 für den Transport von Kranken, Verletzten und sonstigen hilfsbedürftigen Patienten, die nicht zu den Notfallpatienten gehören, einen Krankentransport anbietet. Sie wolle ihren Tätigkeitsbereich über XXXXXX hinaus erweitern und bewerbe sich damit darum ausdrücklich um die Durchführung von Rettungsdienstleistungen und Interimsbeauftragungen in der XXXXXX für den Bereich des Rettungsdienstes. Spätestens mit diesem Rügeschreiben hat die Antragstellerin vor dem Hintergrund, dass sie von der Antragsgegnerin auch für die vorliegende Interimsbeauftragung überhaupt nicht beteiligt wurde, ihr Interesse am Auftrag im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB hinreichend begründet. Als branchenbetroffenes Unternehmen kommt sie als potentielle Bieterin in den bislang ausgebliebenen förmlichen Vergabeverfahren für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen in Betracht.
Dem steht entgegen der Auffassungen der Beigeladenen zu 2 und der Beigeladenen zu 4 nicht entgegen, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt ihrer Rüge Ende 2011 faktisch gar nicht in der Lage gewesen wäre, bereits den vollen Interimszeitraum ab 01.01.2012 zu bedienen. Denn die Antragstellerin hat sich ausdrücklich auch gegen die konkrete Vertragsdauer der Interimsbeauftragung gewandt. Sie vertritt die Auffassung, dass eine Interimsbeauftragung vorliegend maximal bis zum 30. Juni 2012 vergaberechtskonform wäre, da die Antragsgegnerin nach eigenem Bekunden ein förmliches Vergabeverfahren bereits vorbereitet hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin auch noch während des Interimszeitraums 2012 in der Lage wäre, Dienstleistungen für die Antragsgegnerin zu erbringen. Für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags genügt es im Übrigen, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Antragsteller behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06).
Die Antragsbefugnis ist vorliegend auch nicht gemäß § 114 Abs. 2 GWB durch die am 12.12.2010 zwischen der Antragsgegnerin und den Beigeladenen geschlossenen Zusatzvereinbarungen für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen im Interimszeitraum erloschen. Grundsätzlich kann zwar ein erteilter Zuschlag im Nachprüfungsverfahren nicht aufgehoben werden (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB), mit der Folge, dass Anträge, die sich gegen einen solchen Zuschlag richten, unzulässig sind. Dies setzt aber tatbestandlich auch voraus, dass die Erteilung des Zuschlags wirksam erfolgt ist. § 101b GWB knüpft an bestimmte, in § 101a GWB aufgezählte Gründe, die Rechtsfolge der absoluten Unwirksamkeit eines solchen Vertrages und eröffnet dadurch in dieser begrenzten Fallgruppe ausnahmsweise eine besondere Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nach Vertragsschluss. Nach § 101b Abs. 1 erster Halbsatz Nr. 2 GWB ist ein Vertrag darüber hinaus aber auch dann von Anfang an unwirksam, wenn der Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren nach § 101b Abs. 2 GWB festgestellt wird. Vorliegend handelt es sich um eine solche echte de-facto-Vergabe, da die Antragsgegnerin nach eigenem Bekunden für die verfahrensgegenständliche Interimsvergabe für jedes der vier betroffenen Lose jeweils nur mit dem bisher dort für sie jeweils tätigen Rettungsdienst und damit mit den Beigeladenen 1 bis 4 verhandelt hat. Gemäß § 101b Abs. 2 GWB kann die Unwirksamkeit nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.12.2011 darüber informiert, dass die bislang bestehenden Beauftragungen angesichts der zum 31.12.2011 auslaufenden Verträge zur Gewährleistung des gesetzlichen Sicherstellungsauftrages verlängert worden sind. Eine entsprechende Bekanntmachung über die vergebenden Aufträge werde in Kürze veröffentlicht werden. Mit Schreiben vom gleichen Tage hatte die Antragsgegnerin darüber hinaus die Zusatzvereinbarungen vom 12.12.2011 an die Beigeladenen unterschrieben zurückgesendet und damit die Zuschläge für den Interimszeitraum erteilt. Da die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag am 02.01.2012, eingegangen bei der Vergabekammer per Telefax am gleichen Tag, gestellt hat, hat sie die Unwirksamkeit der Interimsvergabe rechtzeitig im Sinne des§ 101b Abs. 2 GWB im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht.
Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht mangels rechtzeitiger Rüge im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB unzulässig. Zum einen hat die Antragstellerin bereits mit Schreiben vom 19.12.2011 und damit vor Rücksendung der Zusatzvereinbarungen und Erteilung der Zuschläge an die Beigeladenen die Auftragserteilung im Wege der freihändigen Vergabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt. Zum anderen bestand vorliegend für die Antragstellerin keine Rügeverpflichtung im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB. Bei de-facto-Vergaben, bei denen also der öffentliche Auftraggeber kein Vergabeverfahren durchführt, entfällt grundsätzlich in der Regel die Rügepflicht zwangsläufig (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.09.2009 - Az.: Verg W 13/08; OLG Celle, Beschluss vom 19.10.2009 - 13 Verg 8/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2009 - VII-Verg 12/09). Nur ausnahmsweise wird von der Rechtsprechung auch bei einer de-facto-Vergabe eine Rügepflicht angenommen. Dies ist dann der Fall, wenn der Auftraggeber kein Vergabeverfahren durchführt, der Unternehmer über diesen Umstand jedoch gleichwohl fortlaufend unterrichtet wird. In diesem Fall ist es einem Antragsteller ohne weiteres möglich und nach der Rechtsprechung auch zumutbar, dies gegenüber der Vergabestelle geltend zu machen (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 02.03.2006 - 1 Verg 1/06; VK Sachsen, Beschluss vom 31.08.2011 - 1/SVK/030-11, zitiert nach VERIS). Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin jedoch erstmalig mit Schreiben vom 22.12.2011 darüber informiert, dass der Beschluss ihrer XXXXXXversammlung vom 14.12.2010, ein Ausschreibungsverfahren vorzubereiten und durchzuführen, auch für den Zeitraum ab 01.01.2012 noch nicht umgesetzt wird, weil die XXXXXXversammlung mit Beschluss vom 13.12.2011 entschieden habe, den Beschluss der XXXXXXversammlung vom 14.12.2010 bis auf weiteres auszusetzen und die Novellierung des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes (NRettDG) abzuwarten und statt dessen im freihändigen Verfahren die bestehenden Beauftragungen erneut bis zum 31.12.2012 zu verlängern. Die Verwaltung beabsichtige nunmehr, zeitnah eine Bekanntmachung über ein Ausschreibungsverfahren zur Beauftragung mit Rettungsdienstleistungen für den Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 zu veröffentlichen. Die Antragsgegnerin wies die Antragstellerin jedoch darauf hin, dass sie für den Fall, dass die Kommunalaufsicht den Beschluss der XXXXXXversammlung vom 13.12.2011 nicht beanstanden sollte, auf Grundlage des dann umzusetzenden Beschlusses erneut gehindert wäre, ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Angesichts der Tatsache, dass die XXXXXXversammlung ihren Aussetzungsbeschluss erst am 13.12.2011 gefasst hat und hierüber erst mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 22.12.2011 informiert wurde, musste die Antragstellerin nicht davon ausgehen, dass die Rettungsdienstleistungen auch für das gesamte Jahr 2012 erneut an die bisher beauftragten Rettungsdienste im Wege der freihändigen Beauftragung vergeben werden. Auch unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung des OLG Naumburg ist daher vorliegend nicht von einer Rügepflicht der Antragstellerin auszugehen.
Der Nachprüfungsantrag ist daher zulässig.
2.
Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die auf dem Beschluss der XXXXXXversammlung der Antragsgegnerin vom 13.12.2011 beruhende Entscheidung der Antragsgegnerin, die Aufträge für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen auch für 2012 und damit zum dritten Mal in Folge nicht auf der Grundlage eines förmlichen Vergabeverfahrens, sondern im Wege der Auftragsverlängerung und damit im Wege der Direktvergabe erneut an die Beigeladenen zu vergeben, obwohl ihr eine Auftragsvergabe in einem vergaberechtsgemäßen, förmlichen Verfahren nicht nur möglich war, sondern von der Verwaltung der Antragsgegnerin auch bereits vorbereitet worden war, verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB. In Ermangelung der rechtzeitigen Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens ist die Antragsgegnerin zwar faktisch gezwungen, zur Vermeidung eines vertragsfreien Zustands und zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung des notwendigen Rettungsdienstes bis zum Abschluss eines förmlichen Vergabeverfahrens interimsweise zu organisieren. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass sie für die Durchführung und den mit einem Zuschlag endenden, rechtkräftigen Abschluss eines förmlichen Vergabeverfahrens von einem notwendigen Zeitraum für die Interimsbeauftragung bis Ende 2012 ausgeht. Die Vergabekammer hatte jedoch bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen, dass zumindest diese erneute, dritte Interimsbeauftragung in erster Linie auf Gründen beruht, die der Sphäre der Antragsgegnerin zuzurechnen sind. Zudem ist angesichts des Beschlusses der XXXXXXversammlung der Antragsgegnerin vom 13.12.2011 zu besorgen, dass auch das Jahr 2012 ungenutzt verstreicht und das erforderliche förmliche Vergabeverfahren wiederum nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt wird, was dann eine weitere Vertragsverlängerung und damit weitere freihändige Vergabe über den 31.12.2012 hinaus notwendig machen würde. Die Vergabekammer hat daher gemäß § 114 Abs. 1 GWG entschieden, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das von der Verwaltung der Antragsgegnerin bereits vorbereitete förmliche Vergabeverfahren nunmehr umgehend einzuleiten und so rechtzeitig durchzuführen und abzuschließen, dass die Aufträge für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen ab dem 01.01.2013 für einen von der Antragsgegnerin zu bestimmenden, angemessenen Vertragszeitraum nur auf der Grundlage eines förmlichen, vergaberechtsgemäßen Vergabeverfahrens erteilt werden.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für die Vergabe von Rettungsdienstleistungen, sofern sie nach dem auch im derzeit geltenden Niedersächsischen Rettungsdienstgesetz (NRettDG, in der Fassung vom 02.10.2007) geregelten Submissionsmodell vergütet werden, dieRichtlinie 2004/18/EG zu beachten (vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.2010, Rs. C-160/08). Der BGH hat in der Folge dieser Entscheidung mit Beschluss vom01.12.2008 - X ZB 31/08 - zum Sächsischen Rettungsdienstgesetz (SächsBRKG), das ebenfalls eine Vergütung im Submissionsmodell vorsieht, entschieden, dass zur Übertragung der Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransportes ein Vergabeverfahren nach§ 97 Abs. 1 GWB durchzuführen ist, wenn der Wert des abzuschließenden Vertrags den Schwellenwert erreicht oder übersteigt. Die grundsätzliche Verpflichtung der Antragsgegnerin als öffentlich-rechtlicher Träger des Rettungsdienstes, ein förmliches Vergabeverfahren durchzuführen, ist zwischen den Beteiligten unstrittig.
In Umsetzung dieser Rechtsprechung war die Antragsgegnerin ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte (vgl. Vermerk zur Interimsvergabe 23.12.2011) auch zunächst von ihrer bis dahin verfolgten Praxis, die Rettungsdienstleistungen durch Prolongierung der bestehenden Vertragsverhältnisse mit den Beigeladenen und damit ohne Durchführung einer Ausschreibung zu vergeben, abgerückt. Mit Beschluss vom 16.06.2009 hatte die XXXXXXversammlung der Antragsgegnerin die Verwaltung beauftragt, ein öffentliches Ausschreibungsverfahren vorzubereiten. Parallel sollte die Verwaltung den Bedingungsrahmen für eine Rekommunalisierung des Rettungsdienstes prüfen. Um die Ausschreibung sachgerecht vorbereiten und durchführen zu können, sollte die Verwaltung letztmalig für das Jahr 2010 eine Interimsbeauftragung vornehmen. Im Ergebnis wurden die Beigeladenen für je ein Los mit der Leistungserbringung im Jahr 2010 beauftragt. Zur Durchführung des förmlichen Vergabeverfahrens kam es jedoch auch in 2010 nicht, weil die Beigeladenen jeweils den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegen die Durchführung eines vergaberechtlichen Verfahrens durch die XXXXXX beim Verwaltungsgericht Hannover beantragt hatten. Sowohl das Verwaltungsgericht Hannover (Beschluss vom 21.12.2009, 7 B 6013-6016/09) als auch das Niedersächsische OVG (Beschluss vom 11.06.2010, 11 ME 580-583/09) lehnten diese Anträge jedoch ab. Mit Beschluss vom 09.03.2010 hatte die XXXXXversammlung die Verwaltung der Antragsgegnerin inzwischen beauftragt, ein "verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren" für den Vergabezeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2016 vorzubereiten und dabei ein Sonderkündigungsrecht für beide Seiten bei Änderung der Rechtslage zum Bestandteil der abzuschließenden Verträge zu machen. Diesen Beschluss legte der XXXXXXpräsident mit der Bitte um Prüfung bei der Kommunalaufsicht des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport (MI) vor. Das MI legte den Beschluss der XXXXXXversammlung vom 09.03.2010 dahin gehend aus, dass ein vergaberechtliches Verfahren von der XXXXXXversammlung nicht ausgeschlossen werden sollte und beanstandete diesen Beschluss nicht. Es empfahl im Ergebnis, bei überwiegenden medizinischen Dienstleistungen ein nationales Ausschreibungsverfahren mit europaweiter Bekanntmachung durchzuführen. Schließlich beauftragte die XXXXXXversammlung der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 14.12.2010 daraufhin die Verwaltung, ein verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren auf der Basis des Beschlusses der XXXXXXversammlung vom 09.03.2010 durchzuführen und dabei unter Berücksichtigung der Hinweise in dem Erlass des Niedersächsischen MI vom 30.09.2010 insbesondere eine den vergaberechtlichen Bestimmungen entsprechende nationale Ausschreibung mit europaweiter Bekanntmachung vorzunehmen. Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Sicherstellungsauftrags aus § 2 NRettDG sollten allerdings die bestehenden Verträge mit den im Jahre 2010 Beauftragten (den Beigeladenen) in § 15 Abs. 1 der Beauftragungsverträge geändert werden und die Laufzeit der Verträge um eine weiteres Jahr bis zum 31.12.2011 interimsweise verlängert werden.
Vor dem Hintergrund einer Gesetzesinitiative zur Änderung des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes und Einführung der Möglichkeit einer Konzessionsvergabe (vgl. zuletzt Gesetzentwurf der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP vom 28.06.2011, Niedersächsischer Landtag - 16. Wahlperiode, Drucksache 16/3826) ergänzte die XXXXXXversammlung ihren Beschluss vom 14.12.2010 allerdings um folgenden Vorbehalt:
"1.
Sollten sich aus den in der Drucksache aufgeführten Initiativen bis zum Beginn der Ausschreibung Änderungen der Rechtslage ergeben, soll dieser im Rahmen einer erneuten Beschlussfassung zu Ziff. 1 Rechnung getragen werden.
2.
Nach Abschluss der Bedarfsplanfortschreibung und vor Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens ist den Gremien zu berichten.
3.
Die Verwaltung erarbeitet ein Konzept für die Kommunalisierung der Rettungsdienstleistungen nach Ablauf des national auszuschreibenden Vergabezeitraums."
Die Novellierung des NRettDG ist bislang nicht abgeschlossen. Es ist auch nicht absehbar, wann dies der Fall sein wird. Die Verwaltung der Antragsgegnerin hatte ihre politischen Gremien daher mit der Informationsdrucksache Nr. 113 (III) vom 30.11.2011 darüber informiert, dass eine weiteres Zuwarten auf die Novellierung des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes rechtlich für nicht vertretbar gehalten wird und die Verwaltung beabsichtigt, zeitnah mit einer Ausschreibung auf Basis der Gesetzeslage zu beginnen. Gleichwohl fasste die XXXXXXversammlung am 13.12.2011 folgenden Beschluss:
"1.
Der Beschluss der XXXXXXversammlung vom 14.12.2010 zur Vorlage - XXXXXX wird bis auf weiteres ausgesetzt. Die Novellierung des NRettDG bleibt abzuwarten, bevor die Ausschreibung weiter vorbereitet oder durchgeführt wird.
2.
Die Verwaltung wird beauftragt, schnellstmöglichst eine Interimsbeauftragung mit den bisherigen Beauftragten vorzunehmen."
Die Antragsgegnerin hat infolge der Beschlüsse der XXXXXXversammlung somit auch das Jahr 2011 verstreichen lassen, ohne ein förmliches Vergabeverfahren für eine vergaberechtskonforme Erteilung der Aufträge für die Rettungsdienstleistungen durchzuführen. Bei den Rettungsdienstleistungen handelt es sich um sog. nachrangige Dienstleistungen des Anhangs I B, auf die gemäß § 1 Abs. 3 VOL/A-EG der Abschnitt 2 der VOL/A nicht im vollen Umfang Anwendung findet. Vielmehr kommen gemäß § 1 Abs. 3 VOL/A-EG i. V. m. § 4 Abs. 4 VgV nur die Vorschriften der §§ 8, 15 Abs. 10 und 23 VOL/A-EG sowie alle Regelungen des 1. Abschnitts der VOL/A mit Ausnahme von § 7 VOL/A zur Anwendung (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.01.2012 - 13 Verg 9/11; Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 1 EG, Rdnr. 134; Marx in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 1 EG, Rdnr. 44, 46). Die Antragsgegnerin war und ist daher gehalten, die Aufträge für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen gemäß § 3 Abs. 2 VOL/A in öffentlicher Ausschreibung zu vergeben. Die Antragsgegnerin ist daher nach geltender Rechtslage verpflichtet, die öffentliche Ausschreibung umgehend einzuleiten, um die Dienstleistungsaufträge so schnell wie möglich in vergaberechtskonformer Weise erteilen zu können.
Die Vergabekammer teilt allerdings die Auffassung der Antragsgegnerin, dass ein rechtskräftiger Abschluss der nunmehr umgehend durchzuführenden öffentlichen Ausschreibung vor Ablauf des Jahres 2012 nicht realistisch ist. Die Antragsgegnerin ist daher als gesetzlicher Träger des Rettungsdienstes erneut gezwungen, bis zum 31.12.2012 zur Vermeidung eines vertragsfreien Zustandes und zur Sicherstellung des Rettungsdienstes in der XXXXXX im Wege der Interimsvergabe erneut die bisherigen Leistungserbringer und damit die Beigeladenen zu beauftragen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass der zur erneuten Interimsvergabe führende Zeitdruck und das ungenutzte Verstreichenlassen des Jahres 2011 in der Sphäre der Antragsgegnerin selbst begründet ist. Aber auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Antragsgegnerin erklärt hat, dass das förmliche Vergabeverfahren weitgehend vorbereitet ist, ist es nicht realistisch, dass ein förmliches Vergabeverfahren bereits so kurzfristig abgeschlossen werden kann, dass im Fall des Obsiegens im Vergabeverfahren die Antragstellerin oder andere bislang nicht berücksichtigte Rettungsdienstleister die Rettungswachen zum 01.07.2012 bereits übernehmen könnten. Die Antragsgegnerin wird vielmehr auch noch im laufenden Jahr auf die Dienstleistungen der bisherigen Leistungserbringer und damit auf die Beigeladenen angewiesen sein. Diese für die Dauer des förmlichen Vergabeverfahrens notwendige und auch insoweit zeitlich begrenzte Interimsvergabe kann bei der vorliegenden Sachlage faktisch nur noch im Wege der freihändigen Vergabe durchgeführt werden. Gemäß § 3 Abs. 5 lit. g VOL/A ist eine freihändige Vergabe zulässig, wenn die Leistung besonders dringlich ist unter den dort geregelten engen Voraussetzungen eine weitestgehende Reduktion der Förmlichkeit des Verfahrens. Die Anforderungen an die Dringlichkeit sind dementsprechend am höchsten (vgl. Kaelble in: Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 3, Rdnr. 54 ff.). Die Feststellung der besonderen Dringlichkeit erfordert eine Abwägung im Einzelfall. In die Abwägung einzustellen sind die grundsätzliche Pflicht des Auftraggebers zur Durchführung eines wettbewerblichen und transparenten Vergabeverfahrens und die durch das Ereignis bedrohten Rechtsgüter. Die Anforderungen an die besondere Dringlichkeit des § 3 Abs. lit. g VOL/A sind dabei im Wesentlichen dieselben wie jene, die an die "zwingende" Dringlichkeit oberhalb der Schwellenwerte gestellt werden. Die besondere Dringlichkeit muss objektiv nachweisbar vorliegen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn - wie im vorliegenden Fall - bedeutende Rechtsgüter, wie etwa Leib und Leben und hohe Vermögenswerte, unmittelbar gefährdet sind. Soweit sich der Auftragsgegenstand auf Dienst- oder Lieferleistungen der Daseinsvorsorge bezieht, ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass der Grundsatz der Kontinuität dieser Leistungen eine nahtlose Weiterführung gegenüber den Nutzern erfordert (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 19.10.2000 - 1 Verg 9/00 = VergabeR 2001, S. 134 ff., 137; OLG Celle, Beschluss vom 29.08.2003 - 13 Verg 15/03).
Allerdings setzt der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 5 lit. g VOL/A voraus, dass die Gründe für die besondere Dringlichkeit nicht dem Verhalten der Auftraggeber zuzuschreiben sind. Vorliegend ist der Eintritt der besonderen Dringlichkeit zumindest bezüglich der angefochtenen dritten Interimsvergabe für 2012, wie dargelegt, der Sphäre der Antragsgegnerin zuzuordnen. Die Einschränkungen des § 3 Abs. 5 lit. g VOL/A verfolgen gerade den Zweck, zu vermeiden, dass ein öffentlicher Auftraggeber durch eine schuldhafte Verzögerung bei der Einleitung des Vergabeverfahrens die Anwendbarkeit der wenig wettbewerblichen freihändigen Vergabe selbst herbeiführen kann (vgl. Kaelble, a.a.O, § 3, Rdnr. 59). Dies gilt grundsätzlich insbesondere für ein sich zuspitzendes Beschaffungsbedürfnis, wenn der Auftraggeber - wie vorliegend - durch Zuwarten Zeit zur Einhaltung der Fristen für ein förmliches Verfahren verstreichen lässt und so vorhersehbar in die Dringlichkeit hineinläuft (vgl. EuGH, Urteil vom 15.10.2009 - Rs. C-275/08, Rdnr. 70 ff., 75 ff.).
Es ist jedoch anerkannt, dass eine zwingende Dringlichkeit für eine freihändige Vergabe nach § 3 Abs. 4 lit. g VOL/A oder für ein Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung gemäß § 3 Abs. 4 lit. d VOL/A-EG im Bereich der Daseinsvorsorge selbst dann gerechtfertigt ist, wenn die Gründe für die zwingende Dringlichkeit in der Sphäre des Auftraggebers begründet liegen. Diese Auslegung folgt aus Art. 14 AEUV (Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union; ehemalsArt. 16 EG). Art. 14 AEUV verpflichtet die Gemeinschaft und die Mitgliedsstaaten, die Funktionsfähigkeit der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse der Daseinsvorsorge zu garantieren (vgl. Aumont/Kaelble, NZBau 2006, S. 280 ff., 285, 286). Als Bestandteil des Primärrechts ist Art. 14 AEUV bei der Auslegung der sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien und der Gemeinschaftsrecht umsetzenden Verdingungsordnungen zu beachten. Zur Abwendung eines drohenden vertragslosen Zustandes kann entsprechend § 3 Abs. 4 lit. d VOL/A-EG bzw. § 3 Abs. 4 lit. g VOL/A auf das Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung bzw. auf die freihändige Vergabe zurückgegriffen werden. Dies gilt grundsätzlich für die Gewährleistung der Kontinuität von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge und damit insbesondere gerade auch für die Kontinuität der Rettungsdienstleistungen. Im Falle der zwingenden Dringlichkeit ist daher bei diesen Auftragsgegenständen im Zweifel auch die Zurechenbarkeit oder Vorhersehbarkeit der Funktionsstörung durch den Auftraggeber unbeachtlich (vgl. Kaelble, a.a.O., § 3 EG, Rdnr. 158, 159, m. w. N.; OLG Dresden, Beschluss vom 25.02.2008 - WVerg 10/07). Auch ein Verschulden des Auftraggebers kann nicht eine Unterbrechung der Rettungsdienstleistungen zulasten der Bevölkerung und damit der Nutzer rechtfertigen. Im Lichte des Art. 14 AEUV ist insofern ausnahmsweise eine den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 4 lit. g VOL/A und des § 3 Abs. lit. d VOL/A-EG erweiternde Auslegung angezeigt.
Die danach vorliegend gerechtfertigte freihändige Interimsvergabe ist allerdings als gebotene Ultima Ratio auf den unbedingt für die Durchführung eines vergaberechtsgemäßen förmlichen Vergabeverfahrens notwendigen Zeitraum zu begrenzen. Zulässig ist allein eine Interimsbeauftragung zur Erhaltung der Kontinuität der Dienstleistung (vgl. Kaelble, a.a.O., § 3 EG, Rdnr. 161). Sie wird naturgemäß den Zeitraum für die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens einbeziehen (vgl. KG, Beschluss vom 26.08.2005 - 2 Verg 10/05). Die Antragsgegnerin hat schlüssig dargelegt, dass aufgrund der Komplexität des Verfahrens sowie der Anzahl der zu erwartenden Angebote zuzüglich der notwendigen politischen Beschlussfassungen davon auszugehen ist, dass bis zur Zuschlagsentscheidung in einem förmlichen Vergabeverfahren ein Zeitraum von sieben bis acht Monaten erforderlich sein wird. Ferner teilt die Vergabekammer die Auffassung, dass potentiell neue Leistungserbringer nach Zuschlagserteilung einen zusätzlichen Vorbereitungszeitraum zur Übernahme der vorhandenen oder zur Anmietung neuer Rettungswachen, zur Übernahme oder Einstellung kurzfristig qualifizierten Personals und des Abschlusses von Arbeitsverträgen benötigen, der einzuräumen ist, um die Chancengleichheit aller Anbieter zu gewährleisten und einen funktionsfähigen Rettungsdienst in der XXXXXX nicht zu gefährden. Insgesamt hält die Vergabekammer deshalb einen Interimszeitraum bis zum 31.12.2012 für erforderlich, aber auch für ausreichend. Eine frühere Leistungsaufnahme - etwa zum 01.07.2012 - wäre nach Einschätzung der Vergabekammer weder der Antragstellerin noch sonstigen potentiellen externen Bewerbern im Zuschlagsfalle faktisch möglich. Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass sie in der Lage wäre, bereits zum 01.07.2012 den Rettungsdienstbetrieb mit sämtlicher erforderlicher Infrastruktur aufzunehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bis zum rechtskräftigen Abschluss des umgehend einzuleitenden förmlichen Vergabeverfahrens die Rettungsdienstleistungen für die Antragsgegnerin allein von den bisherigen Dienstleistern und damit von den Beigeladenen durchgeführt werden können.
Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Die Vergabekammer hatte zu berücksichtigen, dass zumindest diese erneute, dritte Interimsbeauftragung in erster Linie auf Gründen beruht, die der Sphäre der Antragsgegnerin zuzurechnen sind. Darüber hinaus besteht die Besorgnis, dass aufgrund des Beschlusses der XXXXXXversammlung der Antragsgegnerin vom 13.12.2011 auch das Jahr 2012 ungenutzt verstreicht und das erforderliche förmliche Vergabeverfahren wiederum nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt wird, was dann eine weitere Vertragsverlängerung und damit weitere freihändige Vergabe über den 31.12.2012 hinaus notwendig machen würde. Die Vergabekammer hat daher gemäß § 114 Abs. 1 GWG entschieden, die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Jahr 2012 zu nutzen, das von der Verwaltung der Antragsgegnerin bereits vorbereitete förmliche Vergabeverfahren nunmehr umgehend einzuleiten und so rechtzeitig durchzuführen und abzuschließen, dass die Aufträge für die verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen ab dem 01.01.2013 für einen von der Antragsgegnerin zu bestimmenden, angemessenen Vertragszeitraum nur auf der Grundlage eines förmlichen, vergaberechtsgemäßen Vergabeverfahrens erteilt werden.
III.
Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 €, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
Es wird eine Gebühr in Höhe von XXXXXX € gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.
Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt für die verfahrensgegenständlichen Lose 1 - 4 für die einjährige Vertragslaufzeit XXXXXX € brutto. Dieser Betrag entspricht dem von der Antragsgegnerin im Vergabevermerk vom 23.12.2012 dokumentierten Gesamtauftragswert und damit dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der z. Zt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 €(§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.
Bei einer Ausschreibungssumme von XXXXXX € ergibt sich eine Gebühr in Höhe von XXXXXX €.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 5 des Tenors geregelte Aufteilung der Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladenen zu 2 und 4, die in der mündlichen Verhandlung eigene Anträge gestellt haben, unterlegen sind.
Die Beigeladenen zu 1 und zu 3 haben in diesem Verfahren keine eigenen Anträge gestellt. Sie sind daher an der Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2 und zu 4 nicht zu beteiligen.
Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung des auf sie entfallenden Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 Nds. VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).
Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu 2 und 4 haben der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu je 1/3 zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf Antrag der Antragstellerin gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Das folgt daraus, dass die Antragstellerin ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung bedurfte.
Angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu 2 und zu 4 im Nachprüfungsverfahren unterlegen sind, haben sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu je 1/3 zu tragen.
Die Beigeladene zu 2 wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den auf sie entfallenden Betrag von XXXXXX€ unter Angabe des Kassenzeichens
XXXXXX |
---|
auf folgendes Konto zu überweisen:
XXXXXX. |
---|
Die Beigeladene zu 4 wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den auf sie entfallenden Betrag von XXXXXX€ unter Angabe des Kassenzeichens
XXXXXX |
---|
auf folgendes Konto zu überweisen:
XXXXXX |
---|
IV. Rechtsbehelf
Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden. Diese ist beim Oberlandesgericht Celle, Schloßplatz 2, 29221 Celle, schriftlich einzulegen. Die Beschwerde ist gem. § 117 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung einzulegen.
Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts.
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 117 Abs. 2 GWB mit ihrer Einlegung zu begründen.
Die Beschwerdebegründung muss enthalten:
1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Kammer angefochten wird und eine
abweichende Entscheidung beantragt wird,
2.
die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt.
Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten. Die sofortige Beschwerde hat aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer.
Die aufschiebende Wirkung entfällt zwei Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist.