Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 27.10.2023, Az.: VgK-29/2023
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 27.10.2023
- Aktenzeichen
- VgK-29/2023
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 46903
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
xxxxxx, Referenznummer der Bekanntmachung: xxxxxx,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, die hauptamtliche Beisitzerin
Ass. jur. Winterberg und den ehrenamtlichen Beisitzer Rechtsanwalt Dr. Freise im schriftlichen
Verfahren nach Lage der Akten beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.
- 3.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
- 4.
Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin und der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten war für die Antragsgegnerin und die Beigeladene notwendig.
Begründung
I.
Die Antragsgegnerin hat mit EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2023 einen Bauauftrag zur Durchführung von xxxxxx für die Erweiterung ihrer kommunalen Kläranlage im offenen Verfahren ausgeschrieben.
Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.
Frist zur Angebotsabgabe war der xxxxxx.2023 10: 00 Uhr.
Die Vergabeunterlagen bestanden im Wesentlichen, neben der Leistungsbeschreibung und den Planzeichnungen, aus den Einheitlichen Formblättern des Vergabehandbuch des Bundes (VHB), Stand 2022. Darunter befanden sich unter anderem das Formblatt 211 EU - Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes EU und das Formblatt 216 - Verzeichnis der im Vergabeverfahren vorzulegenden Unterlagen.
Im Formblatt 211 EU wurde von der Antragsgegnerin unter A) Anlagen, die beim Bieter verbleiben und im Vergabeverfahren zu beachten sind, die Punkte:
- 212 EU - Teilnahmebedingungen EU (Ausgabe 2019)
- 216 - Verzeichnis der im Vergabeverfahren vorzulegenden Unterlagen
- Bieterhinweise zum Formblatt 225a
- 1 PQ - Hinweisblatt
- 2 Allgemeine Informationen zu Vergabeverfahren
angekreuzt.
Nicht angekreuzt wurde der Punkt Hinweis zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel.
Unter B) Anlagen, die beim Bieter verbleiben und Vertragsbestandteil werden, ist unter anderem der Punkt:
- 3 - Stoffpreisgleitklausel
angekreuzt worden.
Unter C) Anlagen, die, soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen sind, wurden unter anderem die Punkte:
- 124 Eigenerklärung zur Eignung
- 234 Erklärung Bieter-/Arbeitsgemeinschaft
- 235 Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen
- 225a Stoffpreisgleitklauseln
angekreuzt.
Unter D) Anlagen, die ausgefüllt auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle einzureichen sind, ist unter anderem der Punkt
- 236 Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen
angekreuzt worden.
Weiterhin wurde im Formblatt 211 EU unter Punkt 3.1 Unterlagen, welche mit dem Angebot einzureichen sind, auf das Formblatt 216 verwiesen.
In Punkt 3.3 wurde das Kreuz bei der Festlegung, dass fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert waren, bei dem Auswahlpunkt "nachgefordert", gesetzt.
In der Bekanntmachung vom xxxxxx.2023 sind keine Festlegungen zur Nachforderung von Unterlagen getroffen worden.
Nach Formblatt 216 hatten die Bieter Folgendes zu beachten:
- Punkt 1.1 Unterlagen, die mit dem Angebot abzugeben sind: Hier wurde das Formblatt 225a durch die Antragstellerin nicht aufgeführt. Weiterhin ist das Formblatt 225a auch unter keinem der anderen Punkte im Formblatt 216 erwähnt worden.
- Punkt 2 Unterlagen, die auf Verlangen der Vergabestelle vorzulegen sind 2.1. Formblätter:
- 236 Verpflichtungserklärung anderer Unternehmen
- Aufgliederung der Einheitspreise entsprechend Formblatt 223
2.2. unternehmensbezogene Unterlagen (Bestätigungen der Eigenerklärungen):
- Referenznachweise mit den im Formblatt Eigenerklärung zur Eignung genannten Angaben
- Erklärung zur Zahl der in den letzten 3 Jahren jahresdurchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte, gegliedert nach Lohngruppen, mit extra ausgewiesenem Leitungspersonal
- Gewerbeanmeldung, Handelsregisterauszug und Eintragung in der Handwerksrolle (Handwerkskarte) bzw. bei der Industrie- und Handelskammer
- rechtskräftig bestätigter Insolvenzplan (falls eine Erklärung über das Vorliegen eines solchen Insolvenzplanes angegeben wurde)
- Unbedenklichkeitsbescheinigung der tariflichen Sozialkasse, falls das Unternehmen beitragspflichtig ist
- Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes bzw. Bescheinigung in Steuersachen, falls das Finanzamt eine solche Bescheinigung ausstellt
- Freistellungsbescheinigung nach § 48b Einkommensteuergesetz
- Unbedenklichkeitsbescheinigung der Berufsgenossenschaft des zuständigen Versicherungsträgers mit Angabe der Lohnsummen
Das Formblatt 225a wurde den Vergabeunterlagen zwölf Mal mit je verschiedenen Inhalten beigelegt (Dateiname xxxxxx - 225a 1 bis 12). Jedes Exemplar (1-12) enthält andere Ordnungszahlen des Leistungsverzeichnisses für welche der Bieter für die jeweilige GB-Nummer den Stoffpreis aus seinem Angebot angeben sollte. Insgesamt wurden hier für 339 verschiedene Ordnungszahlen der Leistungsbeschreibung Stoffpreise abgefordert, darunter für 172 mal Polymere des Ethylens, 119 mal für Frischbeton und 48 mal für Betonstahl.
Durch die Antragsgegnerin ist in dem Formblatt die Spalte 1-3 (Stoff, Verwendung bei OZ und GP-Nummer) ausgefüllt worden. In der Spalte 5 (Anrechnungszeitraum/Abrechnungseinheit) wurden von ihr in keiner der 12 Exemplare Angaben gemacht.
Den Vergabeunterlagen war eine Unterlage mit dem Dateinamen "Hinweisblatt_Stoffpreisgleitklausel_225a.pdf" beigefügt. Öffnete man das Dokument, war dieses überschrieben mit "Hinweis zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a".
In diesem Schriftstück wurde ausgeführt:
"Die Stoffpreisanteile sind zu jeder GP-Nummer bei Angebotsabgabe anzugeben. Diese Angaben werden NICHT nachgefordert. Angebote, bei denen die Bieterangaben des Stoffpreisanteils (Formblatt 225a, Spalte 4) zu einer oder mehreren GP-Nummer(n) fehlen, werden von der Wertung ausgeschlossen."
Die Antragstellerin hat innerhalb der Angebotsfrist ihr Angebot eingereicht.
Nach Öffnung der eingereichten Angebote zum Submissionstermin am xxxxxx.2023 um 10: 00 Uhr lag das Angebot der Antragstellerin bei xxxxxx € brutto. Das Angebot der Beigeladenden lag bei xxxxxx € brutto.
Zur Angebotsöffnung lagen insgesamt 8 Angebote vor. Ein Bieter zog kurz nach der Öffnung sein Angebot zurück. Nach Prüfung der noch verbleibenden Angebote ist von sechs der insgesamt sieben Bieter das Formblatt 225a (Exemplar 1-12) vollständig ausgefüllt mit dem Angebot eingereicht worden. Nur im Angebot der Antragstellerin fehlten einzelne Angaben in den einzelnen Exemplaren des eingereichten Formblattes.
Die Antragstellerin hat mit ihrem Angebot das Formular 213 - Angebotsschreiben abgegeben. In diesem ist durch die Antragstellerin im Punkt Anlagen, die Vertragsbestandteil werden, der zusätzliche Punkt xxxxxx - 225a- Stoffpreisgleitklausel eingetragen und an diesem Punkt ein Kreuz gesetzt worden. Ebenfalls mit dem Angebot hat sie die zwölf zur Verfügung gestellten Formulare 225a abgegeben. Diese wurden von ihr in 182 von 332 Positionen ausgefüllt. Es fehlten 151 Positionen beim Stoff Polymere des Ethylens und 2 Positionen des Stoffs Betonstahl.
Am 14.07.2023 forderte die Antragsgegnerin von der Beigeladenen mit Frist zum 20.07.2023 11: 33 Uhr folgende Unterlagen nach:
1. Konkrete Angaben zu Nachunternehmer einschl. der Eigenerklärungen dieser mit Referenznachweisen entspr. Formblatt 124
2. Güteschutz Kanalbau auch der Nachunternehmer
3. Alle im Formblatt 216 aufgeführten Unterlagen unter Punkt 2
Die nachgeforderten Unterlagen der Beigeladenen sind vollständig am 20.07.2023 09.46 Uhr elektronisch bei der Antragsgegnerin eingegangen.
Mit Vorabinformationsschreiben vom 05.09.2023 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin über ihre Absicht, den Zuschlag am 27.09.2023, auf das Angebot der Beigeladenen erteilen zu wollen.
Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass das preislich günstigste Angebot der Antragstellerin von der Wertung ausgeschlossen wurde, weil geforderte Unterlagen, deren Nachforderung ausgeschlossen war, nicht vollständig mit dem Angebot vorgelegt wurden. Als Anlage zum Vorabinformationsschreiben übermittelte die Antragsgegnerin das Hinweisschreiben zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a. Weitere Begründung enthielt das Vorabinformationsschreiben nicht.
Die Antragstellerin erhob daraufhin am 11.09.2023 Rüge gegen die Wertungsentscheidung der Antragsgegnerin und forderte die Antragsgegnerin auf, dieser abzuhelfen. Sie begründete ihre Rüge damit, dass die Aussagen der Antragsgegnerin zur Nachforderung von Unterlagen widersprüchlich seien und im Zweifelsfall zu ihren Lasten gingen. Weiterhin sei das Hinweisblatt zum Formblatt 225a nicht wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden.
In der Anlage zum Rügeschreiben vom 11. September 2023 übermittelte die Antragstellerin das nunmehr vollständig ausgefüllte Formular 225a (Exemplar 1-12).
Am 19.09.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihrer Rüge nicht abhelfen werde. Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Vergabeunterlagen zwar widersprüchlich seien, dieser Widerspruch gegenüber der Antragstellerin aber unschädlich sei, da sieben von acht Bietern das Formblatt 225a eingereicht haben, wobei sechs von acht Bietern es vollständig ausgefüllt einreichten. Damit sei belegt worden, dass der verständige Bieter erkennen konnte, dass unvollständig eingereichte Formblätter zur Stoffpreisgleitklausel zum Wertungsausschluss führen würden.
Mit Schreiben vom 23.09.2023 rügte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin weiterhin, dass sie nicht nur das Hinweisschreiben zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formular 225a, sondern auch das Formblatt 225a selbst nicht wirksam in die Vergabeunterlagen eingeführt habe. Außerdem könne das Formblatt 225a aufgrund der unzureichenden Ausfüllung durch die Antragsgegnerin selbst bei Einbeziehung und vollständig vorliegender Stoffpreise nicht zur Anwendung kommen, da der Abrechnungszeitpunkt nicht bekannt sei.
Am 25.09.2023 erklärte die Antragsgegnerin der Antragstellerin schriftlich auch diesbezüglich die Nichtabhilfe.
Aufgrund der Nichtabhilfe ihrer Rügen beantragte die Antragstellerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.09.2023 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §§ 160 ff. GWB.
Die Antragstellerin begründet ihren Nachprüfungsantrag unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen in den o.g. Rügeschreiben.
Sie ist der Meinung, dass der Ausschluss ihres Angebots wegen fehlender Unterlagen nicht auf § 16 EU Nr. 3 Satz 1 VOB/A gestützt werden könne. Die Antragsgegnerin hätte diese Unterlagen nachfordern müssen. Denn weder das Formblatt 225a noch das Hinweisblatt seien wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden. Denn in Formblatt 211 EU ist das Formblatt 225a unter C): als -Anlage, die soweit erforderlich, ausgefüllt mit dem Angebot einzureichen ist- aufgeführt, wohingegen das Formblatt 225a in Formblatt 216 überhaupt nicht erwähnt wird. Die Angaben seien damit widersprüchlich und würden den vergaberechtlichen bieterschützenden Transparenzgrundsatz verletzen.
Da Formblatt 225a nicht in Formblatt 216 unter Ziffer 1.1 genannt wurde, sei es auch nicht wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden. Es hätte daher nicht ausgefüllt werden müssen und sei daher außerdem nicht zwingend vollständig ausgefüllt mit dem Angebot abzugeben gewesen.
Die Antragstellerin habe hier nach Prüfung des Formblatts 216 davon ausgehen dürfen, dass eine Stoffpreisgleitklausel nicht wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen wurde. Soweit sie überobligatorisch das Formblatt 225a samt Anlagen in wesentlichen Punkten eingereicht hat, habe sie dies allein mit dem Ziel getan, möglichen Widersprüchlichkeiten - die zu Lasten der Antragstellerin gehen müssten - von vornherein entgegenzutreten. Die unvollständige Zurverfügungstellung der Vergabeunterlagen gepaart mit den Widersprüchen der Formblätter 216 und 211 EU hätten nur so verstanden werden können, dass die überobligatorische Einreichung eines, auch unvollständig ausgefüllten, Formblattes 225a jedenfalls nicht zu Lasten des Bieters gehen könne.
Einem durchschnittlichen Bieter des hier angesprochenen Bieterkreises habe angesichts des Umfangs der Vergabeunterlagen auch nicht ins Auge fallen müssen, dass die Antragsgegnerin entgegen der in Ziff. 3.3 des Formblattes 211 EU vorgesehenen Möglichkeit, geforderte Unterlagen nachzufordern, an anderer Stelle der Vergabeunterlagen in einem Hinweisblatt, welches nach Formblatt 211 EU unter A) erst gar nicht zu beachten wäre, die Nachforderung der Unterlagen ausgeschlossen habe.
Weiterhin sei auch das Hinweisblatt zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a nicht wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden. Es wäre damit von den Bietern nicht zu beachten gewesen. Das Hinweisblatt würde keine Grundlage, einen Ausschluss der Nachforderung gemäß § 16a EU Abs. 3 VOB/A zu rechtfertigen, bilden.
Zwar sei die Formulierung im Hinweisblatt für sich genommen eindeutig, sie wäre aber uneindeutig, wenn es darum ginge ob eine Nachforderung erfolgt, wenn ein Bieter - wie die Antragstellerin in ihrem Angebot - zwar zu jeder GP-Nummer einen Preis abgegeben hat, nicht aber zu jeder OZ. Vor allem stehe die Formulierung im klaren Widerspruch zu Ziffer 3.3 im Formblatt 211 EU. Dort heißt es: "Fehlende Unterlagen, deren Vorlage mit dem Angebot gefordert war, werden nachgefordert." Dieser Widerspruch sei auch für ein fachkundiges Bieterunternehmen nicht zweifelsfrei auflösbar.
Hinzu käme, dass im Formblatt 211 EU das Hinweisblatt nicht als im Vergabeverfahren zu beachtender Unterlage genannt war. So ergebe sich aus den Vergabeunterlagen gerade nicht zweifelsfrei, dass die Ausführungen im Hinweisblatt als speziellere Regel der allgemeinen Ankündigung in Ziffer 3 des Formblatts 211 EU vorgehen würden.
Der Ausschluss der Antragstellerin von Vergabeverfahren auf Grundlage der Ausführungen in dem Hinweisblatt sei zudem unzulässig. Das Hinweisblatt zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a wäre nicht dazu geeignet, eine Rechtsvorschrift, hier § 16a EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A, einzuschränken bzw. die Rechtsvorschrift des § 16a EU Abs. 3 VOB/A zu konkretisieren. Das Hinweisblatt entfalte keine rechtliche Außenwirkung. Das Hinweisblatt enthalte und sei keine Rechtsnorm.
Da die Angaben im Formblatt 225a seitens der Antragsgegnerin unvollständig ausgefüllt worden seien, wäre zuletzt die Stoffpreisgleitklausel als solche auch schon unwirksam und hätte daher nicht in das Vergabeverfahren mit einbezogen werden können. Das zur Verfügung gestellte Formblatt 225a sei in dieser Form als Vergabeunterlage ungeeignet gewesen. Verwendet der Auftraggeber das Formblatt 225a, so müsse er auch dessen Spalte 5 zwingend mit Zurverfügungstellung der Vergabeunterlagen ausfüllen, insbesondere sei der Abrechnungszeitraum anzugeben. Dies sei hier aber gerade nicht geschehen.
Mit Schriftsatz vom 12.10.2023 trägt die Antragstellerin ergänzend vor, dass ihre Rüge bzgl. der unvollständigen Zurverfügungstellung des Formblattes 225a nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert sei. Auch ein fachkundiger und verständiger Bieter hätte nicht zweifelsfrei und eindeutig erkennen können, dass das Fehlen der Eintragungen in der Spalte 5 des Formblatts 225a zur Unwirksamkeit des Formblatts 225a führen könnte. Diese Erkenntnis sei aber notwendig, um die Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes zu begründen.
Eine Rechtsverletzung im Sinne des § 161 Abs. 2 GWB durch das Fehlen der Angaben in Spalte 5 des Formblattes 225a sei auch von der Antragstellerin dargelegt worden. Der Abrechnungszeitraum habe einen wesentlichen Einfluss auf die Verhandlungsspielräume der Bieter gegenüber ihren Lieferanten und das von ihnen zu tragende Preisrisiko. Die Aufbürdung eines solchen Risikos schwäche die Antragstellerin in ihrer Position und stelle daher eine Rechtsverletzung dar.
Weiterhin führt sie ergänzend aus, dass die Vergabeunterlagen als Ganzes zu sehen und dahingehend auszulegen seien, wie ein verständiger und fachkundiger Bieter sie in ihrer Gesamtheit verstehen durfte. Es würde jedoch gerade die Betrachtung der gegenständlichen Vergabeunterlagen in ihrer Gesamtheit zu den gerügten und nicht auflösbaren Widersprüchen führen. Es reiche eben nicht aus, dass es bloße "Hinweise" auf die richtigen Unterlagen gebe, sondern diese müssten bei einer Gesamtbetrachtung auch inhaltlich eindeutige Aussagen treffen.
Zusätzlich würde die erforderliche Gesamtbetrachtung von der Pflicht des § 8 EU VOB/A, dass die Vergabeunterlagen abschließend in einem zentralen "Dokument" anzugeben seien, nicht entbinden.
Abschließend sei hier fraglich, ob die Unterlagen, welche von der Beigeladenen nachgefordert wurden, überhaupt hätten nachgefordert werden dürfen, und ob die nachgereichten Unterlagen der Beigeladenen innerhalb der gesetzten Frist bei der Antragsgegnerin eingegangen seien.
Mit weiterem Schriftsatz vom 19.10.2023 trägt die Antragstellerin vor, dass ihr Arbeitsaufwand zum Ausfüllen der 12 Formulare 225a nicht sehr hoch gewesen sei. Die hier einzutragen Daten würden größtenteils aus der Kalkulation des Angebotspreises stammen und hätten damit keinen nennenswerten Mehraufwand dargestellt.
Weiterhin seien die betreffenden Positionen, welche durch den Bieter in das Formular 225a einzutragen waren, unwesentliche und nicht wertungsrelevante Angaben. Eine spätere Nachreichung würde zu keinem Nachteil für die anderen Bieter führen oder etwa die Wertungsreihenfolge ändern.
Die Antragstellerin beantragt:
- 1.
den Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 GWB an die Antragsgegnerin zu übermitteln und sie in Textform über den Antrag auf Nachprüfung gemäß § 169 Abs. 1 GWB zu informieren,
- 2.
der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der xxxxxx, zu erteilen,
- 3.
die festgestellten Vergaberechtsverstöße zu korrigieren, das Verfahren in den Stand vor Angebotsprüfung und -wertung zurückzuversetzen und das Vergabeverfahren vergaberechtskonform erneut durchzuführen,
- 4.
hilfsweise gemäß § 168 Abs. 1 GWB geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern,
- 5.
der Antragstellerin gemäß § 165 GWB Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren,
- 6.
der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen,
- 7.
die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt:
- 1.
den Nachprüfungsantrag als unzulässig zu verwerfen, soweit die Antragstellerin eine angebliche Unwirksamkeit der von der Antragsgegnerin verwendeten Stoffpreisgleitklausel geltend macht,
- 2.
den Nachprüfungsantrag im Übrigen als unbegründet zurückzuweisen,
- 3.
der Antragstellerin die Akteneinsicht in die Vergabeakte zu versagen, hilfsweise: über die Akteneinsicht im Wege eines rechtsmittelfähigen Zwischenbescheids zu entscheiden,
- 4.
der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin aufzuerlegen,
- 5.
die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten auf Seiten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären.
Mit Schriftsatz vom 04.10.2023 erwidert die Antragsgegnerin, dass der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig sei, soweit die Antragstellerin den Vorwurf erhebt, die von der Antragsgegnerin verwendete Preisgleitklausel im Formblatt 225a sei unwirksam, weil die Antragsgegnerin in Spalte 5 des Formblatts keine Angaben gemacht habe.
Die Unzulässigkeit ergebe sich bereits daraus, dass die Antragstellerin den vermeintlichen Vergaberechtsverstoß nicht bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt hat. Dass die Angaben in Spalte 5 des Formblatts fehlten, habe sich ohne Weiteres mit einem Blick auf das Formblatt selbst ergeben. Das Fehlen hätte spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen.
Der Nachprüfungsantrag sei, soweit er sich auf den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin wegen unvollständiger Angaben im Formblatt 225a bezieht, unbegründet. Das Angebot der Antragstellerin wäre zu Recht ausgeschlossen worden, der vermeintliche Vergaberechtsverstoß läge nicht vor.
Da sowohl das Formblatt 225a, als auch das zugehörige Hinweisblatt "Hinweis zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a" Bestandteil der den Bietern zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen waren, wäre auch der in dem letztgenannten Dokument ausdrücklich enthaltene Hinweis zur Nicht-Nachforderung von Angaben grundsätzlich in das Verfahren eingeführt worden.
Die in den bereitgestellten Vergabeunterlagen zu findenden Angaben seien für fachkundige und mit der Materie vertraute Bieter ausreichend, um zu erkennen, dass das Formblatt mit dem Angebot abzugeben war und vollständig ausgefüllt werden musste. Dies würde auch durch das Ausschreibungsergebnis belegt werden, bei welchem 6 von 7 Bietern das Formular mit Angebotsabgabe vollständig abgegeben haben.
Auch die Antragstellerin habe erkannt, dass das Formblatt 225a mit dem Angebot abzugeben war. Sie hat das Formblatt nur nicht vollständig ausgefüllt. Insoweit habe sich die Widersprüchlichkeit der Vergabeunterlagen nicht zum Nachteil der Antragstellerin ausgewirkt.
Auch die Argumentation der Antragstellerin, aus fehlenden Angaben in einem nicht (wirksam) geforderten, freiwillig eingereichten Dokument, könne kein Ausschluss folgen, sei nicht zutreffend. Ein Bieter müsse sich auch an solchen Unterlagen, die Bestandteil seiner verbindlichen Angebotserklärung sind, festhalten lassen.
Die Beigeladene beantragt:
- 1.
den Nachprüfungsantrag als teilweise unzulässig zu verwerfen und im Übrigen abzuweisen.
- 2.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für die Beigeladene als für notwendig zu erklären.
Mit Schriftsatz vom 12.10.2023 trägt die Beigeladene vor, dass der Nachprüfungsantrag, sofern es die Rüge des unterlassenen Ausfüllens der Spalte 5 des Formblatts 225a betrifft, bereits unzulässig sei. Die Antragstellerin habe diesen Umstand aus den Vergabeunterlagen erkennen können. Stattdessen habe sie das Formblatt 225 a tatsächlich sogar - wenn auch unvollständig - bearbeitet, sodass ihr das Fehlen der Angaben auch tatsächlich hätte aufgefallen sein müssen.
Im Übrigen, so die Auffassung der Beigeladenen, wäre der Antrag auch unbegründet. Das Formblatt 225a sei offensichtlich mit dem Angebot einzureichen und die Nachforderung ausdrücklich ausgeschlossen gewesen.
Die Vergabeunterlagen seien nicht widersprüchlich, sie wären lediglich in Bezug auf das Formblatt 216 unvollständig.
Aus diesem ergebe sich zwar nicht, dass das Formblatt 225a zusammen mit dem Angebot einzureichen war. Dort werde aber auch nicht festgelegt, dass dieses später auf Nachfrage vorgelegt werden oder beim Bieter verbleiben solle.
Im Wege der Auslegung würde sich ergeben, dass die Einreichung des Formblattes 225a zusammen mit dem Angebot gefordert war. Dieses Auslegungsergebnis werde einerseits dadurch bestätigt, dass nach den Angaben der Antragsgegnerin 6 von ursprünglich 8 Bietern die Vergabeunterlagen genau so ausgelegt haben, andererseits aber vor allem auch die Antragstellerin die Vergabeunterlagen so ausgelegt habe, da sie das streitgegenständliche Formblatt ja selbst mit Angebotsabgabe vorgelegt hat.
Dem stehe auch die Regelung in § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A nicht entgegen. Es würde hier nicht darauf ankommen, ob diese abschließende Angabe in Formblatt 211 EU oder Formblatt 216 zu sehen sei und ob überhaupt eine der beiden Möglichkeiten den Anforderungen des § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A entspräche. Ein etwaiger Verstoß gegen diese Norm habe sich nämlich dann nicht ausgewirkt, wenn ein Bieter die Notwendigkeit der Vorlage bestimmter Unterlagen im Wege der Auslegung auf andere Weise erfasst habe.
So würde es sich im vorliegenden Fall verhalten. Die Antragstellerin habe im Wege der Auslegung eigenständig erkannt, dass das Formblatt 225a zusammen mit dem Angebot einzureichen war. Es würde keinen anderen Grund geben, warum sie dieses 12-seitige Dokument ansonsten mit einigem Aufwand bearbeitet und sodann - wenn auch unvollständig - zusammen mit dem Angebot vorgelegt hat. Es sei vielmehr widersprüchlich, wenn die Antragstellerin vorträgt, es wäre ihr aus den Vergabeunterlagen nicht ersichtlich gewesen, dass das Formblatt 225a vorzulegen sei, sie es aber trotz dessen eingereicht habe. In diesem Fall bestünde keine Kausalität zwischen dem Vergaberechtsverstoß und Angebotsausschluss.
Ebenso ergebe eine Auslegung der Inhalte des Formblatts 211 EU und des Hinweises zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel eindeutig, dass eine Nachforderung von Inhalten des Formblatts 225a ausdrücklich ausgeschlossen sei.
Der Bieterhinweis sei auch wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden. Hierfür würde es genügen, dass er entsprechend § 11 EU Abs. 3 VOB/A zur Verfügung gestellt wurde. Weitergehende Anforderungen, wie etwa für die wirksame Festlegung von Eignungsanforderungen, bestünden hier nicht. Überdies habe die Antragsgegnerin im Formblatt 211 EU auch darüber aufgeklärt, dass die Inhalte des Bieterhinweises zu beachten seien.
Die Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Lage der Akten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB zugestimmt.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig. Er ist wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB unzulässig, soweit die Antragstellerin die für sie wie jeden anderen fachkundigen Bieter auch aus den Vergabeunterlagen erkennbare Tatsache, dass die Antragsgegnerin in der Spalte 5 des Formblatts 225a (Stoffpreisgleitklausel ohne Basiswert 1) zum Anrechnungszeitraum und zur Abrechnungseinheit keine Angaben gemacht hat, erst mit Schreiben vom 23.09.2023 und damit nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat (im Folgenden 1).
Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Recht gemäß § 16 EU Nr. 3 VOB/A von der Wertung ausgeschlossen, weil die Antragstellerin zwar alle zwölf von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellten Exemplare des Formblatts 225a abgegeben, diese jedoch nur in 182 von 332 Positionen ausgefüllt hat (im Folgenden 2 a). Demgegenüber war die Antragsgegnerin entgegen der Vermutung der Antragstellerin weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen. Die Antragsgegnerin hat ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte nur solche Erklärungen und Nachweise nachgefordert, deren Nachforderung sie nicht ausgeschlossen hatte. Die Beigeladene hat diese Erklärungen und Nachweise fristgerecht nachgereicht (im Folgenden 2 b).
1. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig.
Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin i. S. des § 99 Nr. 2 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2022 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.382.000 € gilt. Die geschätzten Kosten für die Gesamtmaßnahme "Ausbau der xxxxxx Kläranlage" überschreiten diesen Schwellenwert deutlich. Die gemäß § 3 Abs. 7 VgV zur Gesamtmaßnahme gehörende verfahrensgegenständliche Baumaßnahme "xxxxxx" überschreitet den gemäß § 3 Abs. 9 VgV für Bauleistungen geltenden Teilschwellenwert von 1 Mio. Euro deutlich.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie beanstandet, dass die Antragsgegnerin entschieden hat, das Angebot der Antragstellerin wegen vermeintlicher Unvollständigkeit von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 3 VOB/A auszuschließen. Ihr Angebot sei in jeder Hinsicht ausschreibungskonform. Das Formblatt 225a (Exemplar 1-12) sei nicht wirksam gefordert worden, weil die Antragsgegnerin es versäumt habe, es im Formblatt 216 anzukreuzen und damit gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A an zentraler Stelle in den Vergabeunterlagen anzugeben. Die Antragsgegnerin sei daher jedenfalls verpflichtet, fehlende Angaben im Formblatt 225a von der Antragstellerin gemäß § 16 a EU VOB/A nachzufordern bzw. die nachträglich vollständig ausgefüllten und von der Antragstellerin übersandten Exemplare des Formblatts 225a zu akzeptieren und zu berücksichtigen.
Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 34; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.
Soweit sich die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Ausschluss ihres Angebots wendet, hat die Antragstellerin ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen nach positiver Kenntniserlangung gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.
Mit Informationsschreiben nach § 134 GWB vom 05.09.2023 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass deren Angebot ausgeschlossen werden müsse. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass das preislich günstigste Angebot der Antragstellerin von der Wertung ausgeschlossen wurde, weil geforderte Unterlagen, deren Nachforderung ausgeschlossen war, nicht vollständig mit dem Angebot vorgelegt wurden. Als Anlage zum Vorabinformationsschreiben übermittelte die Antragsgegnerin das Hinweisschreiben zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a. Weitere Begründung enthielt das Vorabinformationsschreiben nicht.
Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 11.09.2023 den Ausschluss ihres Angebotes mit der Begründung, dass die Aussagen der Antragsgegnerin zur Nachforderung von Unterlagen widersprüchlich seien und im Zweifelsfall zu ihren Lasten gingen. Weiterhin sei das Hinweisblatt zum Formblatt 225a nicht wirksam in die Vergabeunterlagen einbezogen worden.
Am 19.09.2023 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihrer Rüge nicht abhelfen werde. Sie begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Vergabeunterlagen zwar widersprüchlich seien, dieser Widerspruch gegenüber der Antragstellerin aber unschädlich sei, da sieben von acht Bietern das Formblatt 225a eingereicht haben, wobei sechs von acht Bietern es vollständig ausgefüllt einreichten.
Mit Schreiben vom 23.09.2023 rügte die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin weiterhin, dass sie nicht nur das Hinweisschreiben zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formular 225a, sondern auch das Formblatt 225a selbst nicht wirksam in die Vergabeunterlagen eingeführt habe.
Diese Rügen erfolgten jeweils innerhalb der gesetzlichen 10-Tages-Frist nach positiver Kenntniserlangung vom vermeintlichen Vergaberechtsverstoß und damit rechtzeitig.
Bezüglich dieser geltend gemacht Vergaberechtsverletzung ist der Nachprüfungsantrag somit zulässig.
Der Nachprüfungsantrag ist jedoch wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB unzulässig, soweit die Antragstellerin die für sie wie jeden anderen fachkundigen Bieter auch aus den Vergabeunterlagen erkennbare Tatsache, dass die Antragsgegnerin in der Spalte 5 des Formblatts 225a zum Abrechnungszeitraum und zur Abrechnungseinheit keine Angaben gemacht hat, erst mit Schreiben vom 23.09.2023 und damit nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat.
Gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit er sich auf Verstöße gegen Vergabevorschriften stützt, die aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbar sind, aber nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt worden sind.
Es kommt bei der Präklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB auf die objektive Erkennbarkeit für einen durchschnittlichen Anbieter an, nicht auf die tatsächliche Erkenntnis beim Antragsteller. Bei der Feststellung der Erkennbarkeit wird daher nach herrschender Meinung auf einen objektiven Maßstab abgestellt. Beim Maßstab der Erkennbarkeit ist nicht auf den Vergaberechtsexperten, sondern auf diejenigen abzustellen, die Adressaten der Bekanntmachung sind, nämlich die fachkundigen Bieter; diese prägen den objektiven Empfängerhorizont, aus dem die Erkennbarkeit zu beurteilen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2018 - Verg 2/18; VK Lüneburg, Beschluss vom 14.05.2018 - VgK- 11/2018; Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 70, m. w. N.). Erkennbar ist daher, was dem fachkundigen Anbieter bei Erstellung des Angebots auffallen muss.
Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs war vorliegend eine Erkennbarkeit der von der Antragstellerin vermissten Angaben der Antragsgegnerin in der Spalte 5 des Formblattes 225a, insbesondere zum Abrechnungszeitraum, nach Auffassung der Vergabekammer bereits bei der Kalkulation und Legung des Angebots gegeben. Dies gilt umso mehr, da die Antragstellerin in ihrem Nachprüfungsantrag ausführt, dass diese vermissten Angaben für sie kalkulationsrelevant seien.
Soweit die Antragstellerin die offenkundige und für sie wie jeden anderen fachkundigen Bieter aus den Vergabeunterlagen erkennbare Tatsache, dass die Antragsgegnerin in der Spalte 5 des Formblatts 225a zum Abrechnungszeitraum und zur Abrechnungseinheit keine Angaben gemacht hat, erst aufgrund der Information gemäß § 134 GWB und damit nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat, ist der Nachprüfungsantrag daher wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bereits unzulässig.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch unbegründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Antragstellerin wegen Unvollständigkeit gemäß § 16 EU Nr. 3 VOB/A von der Wertung von der Wertung auszuschließen und den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, nicht in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt:
a. Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin zu Recht gemäß § 16 EU Nr. 3 VOB/A von der Wertung ausgeschlossen, weil die Antragstellerin zwar alle zwölf von der Antragsgegnerin zur Verfügung gestellte Exemplare des Formblatts 225a abgegeben, diese jedoch nur in 182 von 332 Positionen ausgefüllt hat. Es fehlten 151 Positionen beim Stoff Polymere des Ethylens und 2 Positionen des Stoffs Betonstahl.
Gemäß § 13 EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A müssen die Angebote die geforderten Erklärungen und Nachweise enthalten. Nach § 16 EU Nr. 3 VOB/A sind Angebote auszuschließen, die die geforderten Unterlagen im Sinne von § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A nicht enthalten, wenn der öffentliche Auftraggeber gemäß § 16a EU Abs. 3 VOB/A festgelegt hat, dass er keine Unterlagen nachfordern wird. Unterlagen im Sinne von § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A sind grundsätzlich alle in der danach zu erstellenden gesonderten Liste aufgeführten Nachweise und Erklärungen. (Stolz/Klein in: Willenbruch/Wieddekind/Hübner, Vergaberecht, 5. Aufl., § 16 VOB/A EU, Rn. 29). Zu den Unterlagen im Sinne des § 16 Abs. 1 Nummer 3 VOB/A zählen insbesondere sämtliche unternehmens- und leistungsbezogene Angaben und Erklärungen des Bieters (vgl. Frister in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 7. Aufl., § 16 VOB/A, Rn. 32). Der Begriff der Unterlagen ist dabei denkbar weit zu verstehen. Zu den im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen leistungsbezogenen Unterlagen gehören alle Unterlagen, die den Inhalt des Angebotes betreffen. Darunter fallen insbesondere Hersteller-, Typ- und Produktangaben sowie Produktdatenblätter und auch Erläuterungen zu den einzelnen Preisen und Mengenansätzen (Frister in: Kapellmann/Messerschmidt, a. a. O., § 16a VOB/A, Rn. 6). Auch das vorliegend streitbefangene Formblatt 225a fällt ohne Weiteres darunter.
Gefordert ist eine Erklärung erst, wenn der Auftraggeber die Vorlage einer bestimmten Erklärung oder eines bestimmten Nachweises unmissverständlich verlangt hat. Es bedarf außerdem einer eindeutigen Anforderung in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht, sodass die Bieter den Vergabeunterlagen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen und Nachweise nicht als gefordert angesehen werden und dass Fehler nicht zum Ausschluss führen (Stolz/Klein in: Willenbruch/Wieddekind/Hübner, Vergaberecht, 5. Aufl., § 16 VOB/A EU, Rn. 29, 33). Der Auftraggeber hat nach § 8 Abs. 2 Nr. 5 VOB/A in den Vergabeunterlagen die vom Bieter mit dem Angebot vorzulegenden unternehmens- und leistungsbezogenen Unterlagen aufzuführen. Die Forderung, dass dies an "zentraler Stelle" zu geschehen habe, ist dahingehend zu verstehen, dass der Auftraggeber die Unterlagen dort aufzuführen hat, wo der Bieter mit entsprechenden Hinweisen rechnen muss. Zudem wird es im Regelfall geboten sein, dass die Anforderungen an die vorzulegenden Unterlagen im Zusammenhang dargestellt werden, d. h., die Hinweise nicht verstreut über mehrere Stellen in den Vergabeunterlagen erfolgen. Die Anforderung muss zudem im Hinblick auf Art, Umfang, Inhalt und Zeitpunkt der vorzulegenden Erklärungen eindeutig und unmissverständlich sein. Gegebenenfalls ist sie aus der Sicht eines verständigen, fachkundigen und mit der Ausschreibung vertrauten Bieters auszulegen (OLG München, Beschluss vom 12.10.2012 - Verg 16/12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2009 - VII-Verg 37/09; Frister, a. a. O., § 16 VOB/A, Rn. 32, 33).
Vorliegend hat es die Antragsgegnerin unstreitig versäumt, das Formblatt 225a in die zentrale Liste der Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen waren, aufzunehmen. Denn im entsprechenden Formblatt 216 - Verzeichnis der im Vergabeverfahren vorzulegenden Unterlagen - wurde das Formblatt 225a durch die Antragsgegnerin nicht aufgeführt. Weiterhin ist das Formblatt 225a auch unter keinem der anderen Punkte im Formblattes 216 erwähnt worden.
Die Anforderung erfolgte vorliegend stattdessen an anderer Stelle der Vergabeunterlagen:
Den Vergabeunterlagen war eine Unterlage mit dem Dateinamen "Hinweisblatt_Stoffpreisgleitklausel_225a.pdf" beigefügt. Öffnet man das Dokument, ist dieses überschrieben mit "Hinweis zur Wirkungsweise der Stoffpreisgleitklausel nach Formblatt 225a".
In diesem Dokument wird ausgeführt:
"Die Stoffpreisanteile sind zu jeder GP-Nummer bei Angebotsabgabe anzugeben. Diese Angaben werden NICHT nachgefordert. Angebote, bei denen die Bieterangaben des Stoffpreisanteils (Formblatt 225a, Spalte 4) zu einer oder mehreren GP-Nummer(n) fehlen, werden von der Wertung ausgeschlossen."
Während somit die Anforderung des Formblattes 225a im "Hinweisblatt_Stoffpreisgleitklausel_225a.pdf" eindeutig und unmissverständlich inklusive einer Androhung des Angebotsausschlusses im Falle einer unvollständigen Ausfüllung und Einreichung seitens des Bieters festgelegt wurde, fehlte sie im Widerspruch dazu im Formblatt 216 und damit in der von der Antragsgegnerin selbst verwendeten zentrale Liste der vom Bieter mit dem Angebot vorzulegenden unternehmens- und leistungsbezogenen Unterlagen gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A.
Die Vergabekammer hatte daher vorliegend zu entscheiden, ob sich die Antragstellerin bei der Beanstandung ihres Angebotsausschlusses auf die fehlende Benennung des Formblattes 225a in der zentralen Stelle gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A berufen kann oder ob die Antragsgegnerin vorliegend aus der Sicht eines fachkundigen Bieters gleichwohl wirksam die Vorlage mit dem Angebot im Sinne des § 16 EU Nr. 3 VOB/A gefordert hat.
Die Gesamtschau des vorliegenden Sachverhalts und insbesondere auch des Angebotes der Antragstellerin selbst führt zu dem Ergebnis, dass die Bieter vorliegend davon ausgehen mussten, dass das Formblatt 225a mit den dort vorgesehenen vollständigen Bieterangaben mit Angebotsabgabe vorzulegen war.
Dabei war auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass Widersprüche und Unklarheiten in den Vergabeunterlagen grundsätzlich nicht zu Lasten der Bieter gehen dürfen, weil sie allein in der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers liegen (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 21.02.2020 - Verg 7/19, Rn. 41; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.03.2018 - Verg 52/17, Rn. 54; OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.07.2012 - 11 Verg 6/12, Rn. 57 - jeweils zitiert nach juris).
Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, ob sich eine widersprüchliche Festlegung oder eine Unklarheit in den Vergabeunterlagen überhaupt auf das Verhalten des Bieters bei der Legung und Einreichung des Angebotes ausgewirkt hat. Die Antragstellerin könnte sich daher nach Auffassung der Vergabekammer auf diesen Widerspruch berufen, wenn sie das Formblatt 225a ihrem Angebot überhaupt nicht beigefügt oder zumindest keinerlei Eintragungen gemacht hätte.
Das ist jedoch nicht der Fall. Vorliegend hat die Antragstellerin ebenso wie 6 weitere von insgesamt 7 Bietern im Sinne der Antragsgegnerin verstanden, dass das Formblatt 225a, das den Vergabeunterlagen zwölf Mal mit je verschiedenen Inhalten beigelegt wurde (Dateiname xxxxxx - 225a 1 bis 12), ausgefüllt mit dem Angebot vorzulegen war.
Jedes Exemplar (1-12) enthält andere Ordnungszahlen der Leistungsbeschreibung, für welche der Bieter für die jeweilige GB-Nummer den Stoffpreis aus seinem Angebot angeben sollte. Insgesamt wurden hier für 339 verschiedene Ordnungszahlen der Leistungsbeschreibung Stoffpreise abgefordert, darunter für 172 mal "Polymere des Ethylens", 119 mal für "Frischbeton" und 48 mal für "Betonstahl".
Die Antragstellerin hat mit ihrem Angebot das Formular 213 - Angebotsschreiben, abgegeben. In diesem hat die Antragstellerin folgerichtig im Punkt Anlagen, die Vertragsbestandteil werden, den zusätzliche Punkt xxxxxx - 225a- Stoffpreisgleitklausel eingetragen und an diesem Punkt ein Kreuz gesetzt. Sie hat auch sämtliche zwölf zur Verfügung gestellten Formulare 225a ihrem Angebot beigefügt. Im Gegensatz zu den 6 weiteren Bietern hat sie diese Formblätter jedoch nur teilweise und damit unvollständig ausgefüllt. Es fehlten 151 Positionen beim Stoff Polymere des Ethylens und 2 Positionen des Stoffs Betonstahl.
Da die Antragsgegnerin sich in den Vergabeunterlagen ("Hinweisblatt_Stoffpreisgleitklausel_225a.pdf") eindeutig gemäß § 16a EU Abs. 3 VOB/A festgelegt hat, dass sie fehlende Stoffpreisanteile im Formblatt 225a nicht nachfordern wird, war das Angebot der Antragstellerin gemäß § 16 EU Nr. 3 VOB/A zwingend auszuschließen. Aufgrund dieser Festlegung und Selbstbindung wäre es der Antragsgegnerin im Übrigen gemäß § 16a EU Abs. 2 Satz 6 VOB/A selbst dann verwehrt gewesen, die Stoffpreise von der Antragstellerin nachzufordern, wenn es sich - wovon die Antragstellerin ausgeht - trotz der hohen Anzahl der nicht ausgefüllten Positionen in der Summe um unwesentliche Preisangaben i. S. d. § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A handelte.
b. Demgegenüber war die Antragsgegnerin entgegen der Vermutung der Antragstellerin weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen. Die Antragsgegnerin hat ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte nur solche Erklärungen und Nachweise nachgefordert, deren Nachforderung sie nicht ausgeschlossen hatte. Die Beigeladene hat zum Eröffnungstermin bis auf den Nachweis Güteschutz Kanalbau alle zur Angebotsabgabe geforderten Unterlagen eingereicht und wurde im Rahmen der Angebotsprüfung am 14.07.2023 durch die Vergabestelle aufgefordert, innerhalb der nächsten 6 Kalendertage die Unterlagen gemäß Formblatt 216 unter Punkt 2 (Unterlagen, die auf Verlangen Vergabestelle vorzulegen sind), den Nachweis Güteschutz Kanalbau auch für die Nachunternehmer vorzulegen und sämtliche Nachunternehmer zu benennen bzw. die deren Eignung nachzuweisen.
Die Beigeladene hat diese Erklärungen und Nachweise ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte bis zum 20.07.2023 und damit fristgerecht nachgereicht.
Da die Beigeladene unter den in der Wertung verbliebenen fünf Angeboten das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat, ist die Zuschlagsentscheidung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden.
Der Nachprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Der zugrunde zu legende Gegenstandswertwert beträgt xxxxxx € (brutto). Dieser Betrag entspricht der Gesamtsumme des Angebotes der Antragstellerin inkl. Umsatzsteuer (Vergabedokumentation, Ordner xxxxxx, Wertung) und damit ihrem Interesse am Auftrag.
Bei einer Gesamtsumme von xxxxxx € ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.
Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg hatte.
Aufwendungen der Antragsgegnerin:
Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Die Hinzuziehung einer Rechtsanwaltskanzlei war erforderlich. Die anwaltliche Vertretung des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren gehört nicht grundsätzlich zu den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Grundsätzlich ist der Auftraggeber gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandenes juristisch geschultes Personal auch im Nachprüfungsverfahren einzusetzen. Daher kann die Vergabekammer die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Antragsgegner regelmäßig nicht als notwendig ansehen.
Das vorliegende Nachprüfungsverfahren betrifft jedoch rechtlich wie tatsächlich komplexe und anspruchsvolle Fragestellungen. Die verfahrensbevollmächtigte Kanzlei war von der Antragsgegnerin bereits zur Begleitung der vorliegenden europaweiten Ausschreibung hinzugezogen worden. Es erscheint zur Abarbeitung des Nachprüfungsverfahrens daher angemessen, das anhand der regelmäßigen Linienarbeit bemessene Personal dann auch für das Nachprüfungsverfahren anwaltlich zu verstärken. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war daher für die Antragsgegnerin insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit in diesem Fall als notwendig anzuerkennen (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 31.01.2012 - VgK-58/2011; Beschluss vom 18.09.2012 - VgK-36/2012).
Aufwendungen der Beigeladenen
Gemäß Ziffer 4 des Tenors sind auch die Kosten der Beigeladenen erstattungsfähig. Nach § 182 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Aufwendungen des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie aus Billigkeitsgründen der unterlegenen Partei auferlegt. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit voraus, dass der Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010 - Verg W 10/09, zitiert nach juris Tz. 46; OLG Celle, Beschluss vom 29.06.2010 - 13 Verg 47/10, zit. nach ibr-online) Die aktive Beteiligung sah die Rechtsprechung (BGH NZBau 2001, 151 [BGH 19.12.2000 - X ZB 14/00]) ursprünglich erst dann als gegeben an, wenn der Beigeladene sich - entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO - umgekehrt auch selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hatte, indem er selbst eigene Sachanträge gestellt hatte. Inzwischen muss lediglich eine dem Beitritt eines Streithelfers der ZPO vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, anhand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-)Ziel eine Beigeladene in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 27.08.2008 - 13 Verg 2/08). Ist eine solche nicht ersichtlich, handelt es sich bei den entstandenen Aufwendungen der Beigeladenen nicht um solche zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (OLG Celle, Beschluss vom 29.06.2010, 13 Verg 4/10, zit. nach ibr-online). Hat sich die Beigeladene in einen bewussten Interessengegensatz zu der unterlegenen Partei gestellt und sich dadurch aktiv am Verfahren beteiligt, dass sie eigene Anträge gestellt und diese begründet oder das Verfahren sonst wesentlich gefördert hat, entspricht die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen billigem Ermessen (vgl. Wiese in: Röwekamp//Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Auflage, § 182, Rn. 45; OLG Celle, Beschluss vom 12.01.2012 - 13 Verg 9/11).
Die Beigeladene förderte das Verfahren maßgeblich mit Schriftsätzen und stellte eigene Anträge. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren war gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG für die Beigeladene antragsgemäß als notwendig anzuerkennen. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für die Beigeladene erforderlich.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses die Gebühr in Höhe von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens
xxxxxx
auf folgendes Konto zu überweisen:
xxxxxx
IV. Rechtsbehelf
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