Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 18.08.2023, Az.: VgK-23/2023

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
18.08.2023
Aktenzeichen
VgK-23/2023
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 45834
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
Rohrpostanlage - xxxxxx - Erweiterungsbau xxxxxx - xxxxxx; Bekanntmachungsnummer im ABl: xxxxxx und Änderungs-Bekanntmachungsnummer: xxxxxx,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Sozialwirt Tiede und die ehrenamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Gottwald auf die mündliche Verhandlung vom 09.08.2023 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten war für die Antragsgegnerin notwendig.

Begründung

I.

Die Antragsgegnerin hat mit EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2023 und Änderungsbekanntmachung vom xxxxxx.2023 die Beschaffung einer Rohrpostanlage im Rahmen eines Bauvorhabens im offenen Verfahren ausgeschrieben. Dabei ist bei grundlegenden Sanierungsarbeiten der Streitgegenstand Teil des Erweiterungsbau xxxxxx, eines Neubaus mit 260 Betten. Der Erweiterungsbau xxxxxx beinhaltet neue Intensiv- und IMC-Kapazitäten und zentralisiert die herzmedizinische Versorgung.

Nach Ziffer II.2.5) der Bekanntmachung ist einziges Zuschlagskriterium der Preis.

Gemäß Ziffer II.2.10) und II.2.11) sind Varianten/Alternativangebote und Optionen nicht zulässig.

Nach der Leistungsbeschreibung wird unter anderem zu den Leistungen des Auftragnehmers unter "Allgemeine Beschreibung der Baumaßnahme" festgelegt (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 25):

Der Leistungsumfang beinhaltet die Erweiterung des vorhandenen pneumatischen Rohrpostsystems mit Microcontrollersteuerung auf Basis von xxxxxx mit der Nennweite 110°mm in folgenden Gebäudeteilen: [...]

Die systemrelevanten Anlagenteile müssen xxxxxx Geräte sein, damit eine Erweiterung der Rohrpostanlage, ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich ist.

Die vorhanden Anlagenteile der bestehenden Rohrpostanlage (wie z.B. Stationen, Weichen, Kabelnetz-BUS usw.) inkl. elektrischen Komponenten sind weiter zu verwenden. Ausfallzeiten an der Bestandsanlage sind nur durch Umschlussarbeiten bezogen auf der Erweiterungen und Softwareintegration zulässig. [...]

Am 09.05.2023 wurde durch einen Bieter folgender Hinweis gegeben (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 72):

bezüglich der Ausschreibung Rohrpostanlage - xxxxxx - Erweiterungsbau xxxxxx. besteht die Anforderung das "systemrelevante Anlagenteile müssen xxxxxx Geräte sein, damit eine Erweiterung der Rohrpostanlage ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich ist". Zudem haben eine hohe Anzahl an Positionen die herstellerbezogene Benennung "xxxxxx" im Leistungsverzeichnis.

Die Aussage der Schnittstellenvermeidung ist nachvollziehbar und verständlich, jedoch ist (die) Art der Umsetzung, durch eine herstellerspezifische Anforderung, unzulässig.

Da die Bestandslange von uns installiert wurde, ist eine Kompatibilität der Geräte durch geringen bzw. keinen Mehraufwand für uns gedeckt. Auch da eine neue zentraleSteuerung im LV gefordert ist, sehen wir keinen Grund nicht unsere Komponenten hier anbieten zu dürfen. Wir bitten um Freigabe unserer Lösung.

Dazu teilte die Antragsgegnerin über die Bieterkommunikation am 15.05.2023 an alle Bieter mit (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 71):

Im späteren Anlagenbetrieb ist es elementar wichtig ein Gesamtsystem ohne zusätzliche technische und organisatorische Schnittstellen zu betreiben. Gegenüber des im Altbau betriebenen Bestandssystem handelt es sich im Neubau um eine kleine Erweiterung, und muss deshalb zwingend und vollständig in das vorhandene System integriert werden können. Die ursprünglich von xxxxxx installierte Rohrpostanlage im Bestandsgebäude unterlag in den letzten Jahren kontinuierlich einem Umbau.

Eine produktscharfe Ausschreibung ist unter den gegebenen und detailliert betrachteten Rahmenbedingungen vergaberechtlich zulässig und wurde explizit geprüft.

Der in der Ausschreibung enthaltene neue Steuerrechner beschreibt lediglich eine erforderliche Ressourcenanpassung und keine zusätzliche/erneute Projektierung, Programmierung und Inbetriebnahme der Bestandsanlage. Diese im Vergleich zu einer begrenzten Erweiterung deutlich umfangreichere Leistung gehört eindeutig nicht zum Neubauprojekt und ist kostenseitig auch nicht vorgesehen.

Mit der Nachforderung fehlender Bestätigungen und Nachweise vom 13.06.2023 wurde die Antragstellerin gebeten technische Fragestellungen zu beantworten:

1. Gemäß dem Leistungsverzeichnis müssen die systemrelevanten Anlagenteile xxxxxx Geräte (wie Stationen, Netzteil usw.) sein.

Frage: Bieten Sie mit Ihrem Angebot, für die systemrelevanten Anlagenteile, Original xxxxxx Geräte oder Nachbaugeräte an?

2. Gemäß LV soll die Erweiterung der Rohrpostanlage, ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich sein.

Frage: Können Sie diese Vorgabe bestätigen?

3. Gemäß LV müssen die vorhanden Anlagenteile der bestehenden Rohrpostanlage (wie z.B. Stationen, Weichen, Kabelnetz-BUS usw.) inkl. elektrischen Komponenten weiter verwendet werden.

Frage: Können Sie diese Vorgabe bestätigen und dass Sie auch keine Umbauten an diesen Bestandskomponenten vornehmen müssen?

4. Gemäß LV sind für die Stationen xxxxxx Rohrpostsende und -empfangsstation für xxxxxx anzubieten. Als technische Spezifikation ist u.a. folgendes gefordert:

- Bei manueller Versendung können bis zu 9-stellige Zieladressen verwendet werden.

- Touchscreen (10'') und der Möglichkeit diesen mit einer PIN-Sperre zu versehen

Frage: Haben Sie diese Sie diese technischen Vorgaben in Ihrem Angebot berücksichtigt?

5. LV Position Steuersoftware

Frage: Können Sie mit Ihrer Steuersoftware die Bestandsstationen, Weichen von xxxxxx, ohne Austausch von Komponenten, ansteuern?

Mit Schreiben vom 20.06.2023 wurden die Fragen wie folgt beantwortet:

Antwort zu Ihrer Frage1; Solche Maßnahmen auf Basis von Bestandsanlagen mit gleichen Voraussetzungen wie in xxxxxx haben wir inzwischen bereits mehrfach erfolgreich realisiert. Für die Umsetzung greifen wir daher auf unsere in diesem Rahmen bewährte Technik zurück und haben diese im Angebot entsprechend berücksichtigt.

Antwort zur Ihrer Frage 2; Wir können bestätigen, dass die Erweiterung der Rohrpostanlage ohne zusätzliche Schnittstelle möglich ist.

Antwort zu Ihrer Frage 3; Wir können Ihnen bestätigen, dass wir sämtliche Bestandskomponenten mit einfachster Modifikation weiterverwenden können, selbstverständlich sofern sie nach wie vor einwandfrei funktionsfähig sind.

Antwort zu Ihrer Frage 4; Die genannten technischen Vorgaben 9-stellige Zieladresseneingabe, Touch Screen und PIN-Sperre sind in unserem Angebot berücksichtigt.

Antwort zu Ihrer Frage 5; Nach der in Frage 3 beschriebenen Modifikation können wir die vorhandenen Geräte ansteuern.

Mit Informationsschreiben nach § 134 GWB vom 10.07.2023 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass deren Angebot ausgeschlossen werden müsse. Es würden nicht alle im LV vorgegebenen Bedingungen/Mindestanforderungen erfüllt. Für die Erweiterung seien xxxxxx-Produkte anzubieten gewesen. Die Antworten auf die vom xxxxxx gestellten technischen Fragen würden belegen, dass z. B. für die Sende-/Empfangsstationen keine xxxxxx-Geräte angeboten worden seien. Zudem sei geplant an den Bestands-Rohrpoststationen Modifikationen vorzunehmen, die zu Ausfallzeiten führen würden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.07.2023 den Ausschluss und die unberechtigte produktbezogene Ausschreibung. Ihr Angebot würde dem Leistungsverzeichnis vollständig entsprechen. Zudem dürfe eine technische Spezifikation nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren ausgerichtet werden, es sei denn der Auftragsgegenstand würde dies rechtfertigen.

Mit Schriftsatz vom 18.07.2023 teilte die Antragsgegnerin mit, dass den Rügen nicht abgeholfen und der Ausschluss aufrechterhalten werde. Im Rahmen der Angebotsaufklärung habe die Antragstellerin erklärt, dass sie - entgegen den Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis - für die systemrelevanten Anlagenteile keine Original xxxxxx-Geräte verwende und somit von den Ausschreibungsvorgaben abgewichen sei. Die Bieterantwort auf die Frage Nr. 3 dokumentiere den vorgesehenen Eingriff in das Bestandssystem "mit einfachsten Modifikationen". Dabei handele es sich um Umbauarbeiten an der Bestandsanlage, die gemäß den Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis ausgeschlossen seien. Die Produktvorgabe sei aus folgenden Gründen vergaberechtlich zulässig:

- Aufgrund der hohen Anzahl an Transporten und der zeitlich kritischen Transportzeit (z.B. Probeergebnisse während laufender OPs), sei die Verfügbarkeit des Systems von hoher Relevanz für die medizinische Behandlung.

- Um eine hohe Resilienz gegenüber äußeren Einflüssen zu besitzen.

- Ein Standard, welcher eine Integration von Komponenten unterschiedlicher Rohrposthersteller in einem gemeinsamen System ermöglicht, sei in der Industrie zurzeit nicht vorhanden.

- Bei Stromausfällen oder Brandereignissen werde das System in klar definierte Zustände versetzt, um danach schnellstmöglich und ohne Datenverlust (Zieladressen) die medizinische Versorgung des Klinikums wiederherzustellen.

Da die Komponenten eines Fremdherstellers nicht kompatibel zum verwendeten Bussystem im Bestand seien, würden hier zwei parallele Systeme entstehen müssen. Die Auswirkungen wären im Detail wie folgt:

- Gefahr von Fehlfunktionen durch nur noch periodischen Datenaustausch an der Schnittstelle der Steuerrechner gegenüber einer permanenten Überwachung aller Systemkomponenten und deren Zustände innerhalb eines integrierten Systems

- Schwächung der technischen und Anlagen- und Zugriffssicherheit durch Aufbrechen eines geschlossenen Kommunikationssystems

- Unvollständige Datenmigration an der Schnittstelle durch unterschiedliche Datenmodelle (Umsetzung des kleinsten gemeinsamer Nenners) und damit einhergehender Verfügbarkeits- und Sicherheitsverlust

- Erschwerte Handhabung und Fehlersuche für die Mitarbeiter der Betriebstechnik durch zwei Systeme mit jeweils unterschiedlichen Bedien- und Problemlösungskonzepten, hierdurch entsteht zudem eine erhöhte Gefahr für Fehlbedienungen

- Erhöhter Schulungsbedarf und Betreuungsaufwand für die Mitarbeiter der Betriebstechnik durch den Betrieb zweier unterschiedlicher Systeme mit unterschiedlichen Bedienkonzepten

- Deutlich erhöhte Betriebskosten durch notwendigerweise zwei zu beauftragende Servicedienstleister für zwei Systeme (ggfs. zeitgleiche Inanspruchnahme bei unklarer Störungsquelle), hierdurch entstehen zusätzlich erhöhte Personalkosten für den erhöhten Betreuungsaufwand durch die Mitarbeiter der Betriebstechnik

- Erhöhung der Betriebskosten durch jeweils wechselseitige Anpassung/Migration der Systeme im Falle von Änderungen/Anpassungen und System- /Software-Updates eines einzelnen Systems - Verlangsamung der Instandsetzungsprozesse durch getrennte Bedienung der Systeme und geteilte Verantwortlichkeiten von zwei Servicedienstleistern für die jeweiligen Systembereiche, hierdurch entstehen erfahrungsgemäß erhebliche (Termin-) Probleme bei einer notwendigen gleichzeitigen Verfügbarkeit

- Erhöhung/Verdopplung der notwendigen Lagerhaltung von Ersatzteilen durch den Parallelbetrieb zweier Systeme

- Vermeidbare Erhöhung der Anschaffungskosten für die Erweiterung des Bestandssystems in den Neubauten durch einen zusätzlichen zentralen Steuerrechner inkl. aller zusätzlichen Dienstleistungen für die Schaffung von Schnittstellen und durch zusätzlichem Koordinationsaufwand, etc., inkl. der notwendigen Anpassungen des Bestandssystems an ein neues Parallelsystem

Durch eine Konstellation mit zwei unterschiedlichen Produkten/Systemen ergebe sich eine signifikante Erhöhung der Anschaffungs-, Betriebs- und Personalkosten, eine Verringerung der technischen Sicherheit sowie eine geringere Verfügbarkeit und hierdurch unmittelbar eine Verschlechterung der medizinischen Versorgungssicherheit.

Am 20.07.2023 reichte die Antragstellerin daraufhin ihren Nachprüfungsantrag ein. Durch den unberechtigten Ausschluss ihres Angebotes sei die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt. Der Antrag sei zulässig und begründet.

Der Ausschluss der Antragstellerin sei rechtswidrig, da deren Angebot keine unzulässigen Abweichungen der Vergabeunterlagen enthalten habe und gerade nicht inhaltlich etwas anderes angeboten, als in den Vergabeunterlagen verlangt worden sei.

Die Annahme, dass sich aus der Antwort der Antragstellerin zu Frage 1 ergebe, dass diese Anforderungen nicht erfüllt würden, sei irrig. Die Antwort sei dahin gehend zu verstehen, dass die Leistungsbeschreibung produktscharf verstanden worden sei. Die systemrelevanten Anlagenteile seien von den Modifikationen jedoch nicht betroffen. Das Kabelnetz/Bus-Netz, Netzteile, Verdichter etc. müssen im Rahmen der Modifikationen nicht angegriffen werden.

Die Aufklärungsfrage Nr. 3 würde hingegen von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses abweichen. Dort sei nur gefordert worden, dass die vorhandenen Anlagenteile weiterzuverwenden seien, Umbauten seien hingegen nicht ausgeschlossen worden. Die Antragstellerin habe ausgeführt, dass vernachlässigbare Ausfallzeiten anfallen würden, die das Leistungsverzeichnis auch zulasse. Es handele sich bei den Modifikationen gerade nicht um "Umbauarbeiten an der Bestandsanlage". Ein Umbau würde nur bei einer deutlichen Veränderung der Beschaffenheit und Erscheinung einer Bestandskomponente vorliegen, was bei der angebotenen Modifikation nicht der Fall sei.

Die Antragstellerin habe ein Angebot abgegeben, welches dem Leistungsverzeichnis gänzlich entspreche. Insbesondere erlaube das Leistungsverzeichnis kleinere Modifikationen, bevor die Bestandskomponenten weiterverwendet würden, sowie in einem beschränkten Umfang auch Ausfallzeiten. Unzumutbarer höherer Personal- und Kostenaufwand sowie eine Gefährdung der Patientenversorgung oder gar der Patientensicherheit seien damit nicht verbunden. Die Antragstellerin habe die Ausführung im Sinne der Leistungsbeschreibung zugesagt und mithin ein Leistungsversprechen abgegeben.

Bei der produktscharfen Ausschreibung würde es sich nicht um eine zulässige Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung handeln. Die Anforderungen an eine produktspezifische Ausschreibung seien vorliegend nicht erfüllt gewesen. Die enge Auslegung der Bestimmungen der Leistungsbeschreibung bzgl. Produkten des einen Herstellers seien sachlich nicht gerechtfertigt, da es keine technischen Gründe hierfür gebe. Mit einer minimalen Modifikation könne ein wesentlich günstigeres und mindestens gleich gutes Ergebnis erzielt werden. Zudem seinen Modifikationen an den bereits im Bestand befindlichen Komponenten bereits in der Vergangenheit durch die ursprüngliche Errichterfirma vorgenommen worden.

Die von der Antragsgegnerin im Nichtabhilfeschreiben aufgeführten Gründe für die produktscharfe Ausschreibung würden kein Hindernis für die Zulassung der Modifikationen an den Komponenten darstellen.

Die gestellten hohen Anforderungen an einen störungsfreien Betrieb des Rohrpostsystems würden auch durch die Verwendung modifizierter Komponenten anforderungsgerecht erfüllt. Zudem seien die Anforderungen der Leistung im Allgemeinen geschuldet und einem Rohrpostsystem in einem Krankenhaus immanent. Durch die einfache Modifikation der Antragstellerin werde ein einheitliches System geschaffen, so dass eine Steuerung von unterschiedlichen Systemen damit nicht erforderlich sei.

Auch die besonderen Anforderungen bei Stromausfällen und Brandereignissen seien nicht spezifisch für den konkreten Beschaffungsvorgang, sondern gerade im Klinikumfeld immanent.

Entgegen der Annahme, dass unterschiedliche Systeme verbunden werden müssten, wäre durch die Modifikation im Bestand eine Anbindung von Fremdsystemen nicht gegeben, und es werde ein einheitliches System geschaffen. Bezüglich der erhöhten Arbeitsbelastung bleibe es am Ende dabei, dass ein schnittstellenfreies System mit einem einzigen Servicepartner gegeben sei. Gleiches gelte auch für die Befürchtungen, dass es eine "signifikante Erhöhung der Anschaffungs-, Betriebs- und Personalkosten, eine Verringerung der technischen Sicherheit sowie eine geringere Verfügbarkeit und hierdurch unmittelbar eine Verschlechterung der medizinischen Versorgungssicherheit" gäbe.

Selbst wenn die Produktvorgabe als zulässig erachtet werden sollte, wäre eine noch weitergehende Einschränkung des Auftragsgegenstandes unter Ausschluss von Modifikationen nicht mehr vom Bestimmungsrecht des Auftraggebers bezüglich des Beschaffungsgegenstandes zu rechtfertigen, da die genannten Gründe tatsächlich hier gar nicht gelten würden.

Durch die enge Auslegung der Leistungsbeschreibung würden zudem andere Wirtschaftsteilnehmer diskriminiert. Denn dies führe letztlich dazu, dass nur ein einziger Hersteller die Produkte anbieten könne und jeder verbleibende Rest eines Wettbewerbs zunichtegemacht würde.

Soweit es nur das eine Unternehmen am Markt gäbe, welches die Leistung ausführen kann, hätte ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen nahegelegen, um den Markt nicht zu täuschen. Auch das an die Antragstellerin gestellte Aufklärungsverlangen hätte nicht nahe gelegen, da bereits mit dem Angebot erkennbar war, dass dieses der engen Interpretation der Leistungsbeschreibung nicht gerecht werden könne. Da die Erwägungsgründe der Antragsgegnerin nicht greifen sei auch der Wettbewerbsgrundsatz verletzt. Eine zu enge Detaillierung der Leistungsbeschreibung nehme dem Bieter die ihm werkvertraglich zustehende "Dispositionsfreiheit".

Zudem spreche gegen ein transparentes Verfahren, dass die Antragsgegnerin nicht das Aufklärungsgespräch zu den technischen Fragen gesucht habe.

Mit Schriftsatz vom 04.08.2023 trägt die Antragstellerin ergänzend und vertiefend vor, dass sie nicht präkludiert sei, da sie erst durch das Vorabinformationsschreiben erkennen konnte, dass die Antragsgegnerin ihre Leistungsbeschreibung in einer solch engen Art und Weise auszulegen gedenkt, dass nur ein Unternehmen für die Leistungsausführung in Betracht komme. Die Leistungsbeschreibung hätte Modifikationen an den einzusetzenden xxxxxx-Geräten gerade nicht ausgeschlossen. Das Leistungsbestimmungsrecht dürfe nicht zur Diskriminierung einzelner Bieter führen. Der Leistungsbeschreibung sei an keiner Stelle zu entnehmen gewesen, dass alle systemrelevanten Anlagenteile xxxxxx-Geräte sein müssten, und dass allenfalls Umschlussarbeiten bei der Bestandsanlage zulässig seien, was gerade keine baulichen Modifikationen beinhalten würde. Bei den durchzuführenden Modifikationen handele es sich aber gerade um solche Umschlussarbeiten, denn der neue Teil der Rohrpostanlage könne losgelöst und autark vom Bestand aufgebaut und realisiert werden.

Diese enge Auslegung der Leistungsbeschreibung auf ein Produkt finde in den technischen oder wirtschaftlichen Gründen keine Rechtfertigung. Die Dokumentation weise eine Sammlung an allgemeinen Argumenten ohne jeden Nachweis auf, die zeigen, dass die Antragsgegnerin sich eben nicht mit anderen Systemen bzw. Produkten auseinandergesetzt habe. Es würden nicht verschiedene Systeme miteinander in Vergleich gestellt, sondern lediglich potentielle Gefahren oder Fehlfunktionen benannt, ohne konkret auf die Systeme anderer Hersteller oder Produkte überhaupt einzugehen. Zudem zeige der Vergleich der Angebotspreise, dass die These, die Kosten seien günstiger, nicht richtig sei. Im Übrigen nehme das xxxxxx nur Bezug auf "Förderschädliches Verhalten" und habe explizit kein Vergaberecht geprüft.

Der behauptete erhöhte Zeitaufwand bleibe allgemein. Die vermeintlich erhöhten Betriebskosten würden nicht beziffert und keine konkreten Daten zu einer angeblichen "Verlangsamung" der Prozesse und möglichen Terminproblemen genannt. Die Vermeidung bzw. technische Lösung zur Herstellung eines kompatiblen Systems ohne Schnittstellen sei gerade Leistungsinhalt der Ausschreibung und könne damit keine produktbezogene Ausschreibung rechtfertigen. Im Hinblick auf das benannte Risiko von Ausfallzeiten, sei dieses schon deswegen hinzunehmen, da solche Ausfallzeiten auch bei einer hersteller- bzw. produktbezogenen Ausschreibung anfallen würden.

Auch ein Ausschluss jedweder Modifikationen lasse sich aus der Mitteilung der Vergabestelle vom 15.05.2023 nicht ableiten und erwarten, da es möglich sei, die xxxxxx-Geräte mit einer Modifikation zu verwenden, ohne dass es zu technischen Komplikationen komme.

Das Gesprächsangebot der Antragstellerin habe kein von der Leistungsbeschreibung abweichendes Angebot, beinhaltet. Zweck sei die Vorstellung ihrer Leistung, ggf. die Abstimmung von Terminplänen und der Austausch von Kontaktdaten gewesen. Das Gesprächsangebot der Antragsgegnerin habe vielmehr gezeigt, dass die Antragsgegnerin sich über die Leistung, und damit auch über die Modifikation der xxxxxx-Geräte, habe informieren wollen.

Bei der Auslegung der Beantwortung der technischen Fragen würde es nicht zutreffen, dass die Antragstellerin auf eigene Technik zurückgreife. Der Vorwurf einer schweren Verfehlung werde entschieden zurückgewiesen. Dass sie Modifikationen an den Bestandsanlagen durchführen werde, habe sie vielmehr offen dargestellt. Genauere Erläuterungen zur technischen Ausführung wären aufzuklären gewesen.

Es gäbe auch keine technischen Gründe, die es ausschließen würden, dass eine Modifikation möglich sei. Die Modifikationen würden lediglich zu, nach der Leistungsbeschreibung zulässigen, Ausfallzeiten im Rahmen der Umschlussarbeiten führen. Bei der Modifikation handele es sich um ein vorbereitetes Modifikationskit, das aus einem oder zwei Elektronikblechen bestehe, die mit elektronischen Komponenten, wie den erforderlichen Platinen, bestückt seien. Diese würden gegen die vorhandenen Elektronikbleche ausgetauscht und das vorhandene Steuerkabel, sowie alle vorhandenen elektrischen Komponenten, wie Sensoren, Motore etc. per Plug & Play an die Kits angeschlossen. Bei einer Modifikation handele es sich gerade um keine grundlegenden Änderungen des Gerätes, wie es bei einer Umrüstung oder einem Umbau der Fall wäre. Bei der Modifikation an einer Rohrpoststation, wie hier vorgesehen, würden im inneren der Station Platinen gegen Platinen ausgetauscht. Um eine bauliche Modifikation würde es sich dagegen nur handeln, wenn die Bestandsgeräte oder deren Umgebung in Form, Gestalt und/oder Konstruktion mit Hilfe von bspw. spannender oder umformender Werkzeuge einschneidend geändert würden.

Zudem obliege die Darlegungs- und Beweislast der Antragsgegnerin, dass die Modifikationen nachteiligen Auswirkungen hätten. Insoweit habe diese auch nicht substantiiert nachgewiesen, dass die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes für eine produktbezogene Ausschreibung erfüllt seien.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, im offenen Verfahren (EU Amtsblatt xxxxxx) den Zuschlag an das Unternehmen xxxxxx nicht zu erteilen;

  2. 2.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, das von der Antragstellerin im offenen Verfahren abgegebene Angebot nicht auszuschließen und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der erkennenden Vergabekammer zu werten;

  3. 3.

    hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten, das offene Verfahren in den Stand von der Bekanntmachung zurückzuversetzen und unter Auffassung der Rechtsauffassung der erkennenden Vergabekammer neu durchzuführen;

  4. 4.

    der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren;

  5. 5.

    die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären;

  6. 6.

    der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag mit seinen 6 Einzelanträgen vom 20.07.2023 wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.

  3. 3.

    Der Antragstellerin werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin auferlegt.

Bereits im Leistungsverzeichnis sei klargestellt worden, dass produktscharf bezogen auf die Herstellergeräte der Beigeladenen ausgeschrieben werde. Zulässig seien lediglich Umschlussarbeiten an der Bestandsanlage mit nur diesbezüglichen Ausfallzeiten, bezogen auf die Erweiterungen und die Software-Integration. Modifikationen seien gerade nicht zulässig gewesen. Dies sei auch auf die Bieterfragen hin nochmals mit Antwort der Antragsgegnerin vom 15.05.2023 wiederholt worden. Mit dem Einwand einer vergaberechtlich unzulässigen, produktscharfen Ausschreibung sei die Antragstellerin daher präkludiert.

Bis zum Ablauf der Angebotsfrist sei keine Rüge auf eine angeblich unzulässige produktscharfe Ausschreibung erfolgt. Auch der bieterseitige Hinweis auf eine mögliche Unzulässigkeit, sei mit der Bieterantwort vom 15.05.2023 abschlägig beschieden worden. Da binnen 15 Kalendertagen kein Nachprüfungsantrag gestellt worden sei, könne die Antragstellerin jetzt hierzu nicht mehr gehört werden. Entsprechend könne sie auch nicht mehr mit ihrem Einwand gehört werden, Modifikationen an der Bestandsanlage seien zulässig.

Es sei auch keine spätere "enge Interpretation" erfolgt, sondern von Anfang an die klare Ansage einer produktscharfen Ausschreibung auf xxxxxx mit allenfalls zulässigen Umschlussarbeiten an der Bestandsanlage. Auch den Begriff "Umschlussarbeiten" habe die Antragsgegnerin nicht enger interpretiert, sondern genauso behandelt wie ausgeschrieben. Diese würden hier den Anschlussbereich an die Bestandsanlage beinhalten und gerade keine etwaigen Modifikationen an der Bestandsanlage selbst bedeuten.

Mit der Antwort auf die technische Frage Nr. 1 habe die Antragstellerin ausweichend mit "Rückgriff auf ihre bewährte Technik" geantwortet. Dies besage gerade kein eindeutiges "ja" zum Angebot der einzig zulässigen xxxxxx-Geräte und es gäbe daher keine Möglichkeit einer Auslegung. Vielmehr hätte die Antragsgegnerin die Antragstellerin aufgrund der mit dieser ausweichenden Antwort einhergehenden Verschleierung wegen einer schweren Verfehlung ausschließen können.

Da die Antwort der Antragstellerin eindeutig genug gewesen sei um festzustellen, dass sie ausschreibungswidrig gerade keine xxxxxx-Geräte angeboten habe, sei dies nicht nachverhandlungsfähig und ein Aufklärungsgespräch schon nicht mehr erforderlich gewesen.

Auch mit der Antwort auf die Frage Nr. 3 bestätigt die Antragstellerin, dass sie selbstverständlich Modifikationen, und das seien gewisse Umbauarbeiten, an der Bestandsanlage vornehmen müsse. Das sei aber gerade nicht erlaubt gewesen. Erlaubt seien lediglich Umschlussarbeiten im Sinne von Anschlussarbeiten, ohne jedwede Modifikation oder Umbauarbeit an den Bestandskomponenten. Die Antragsgegnerin könne die wörtliche Antwort der Antragstellerin nur so nehmen wie sie liegt, nämlich gerade nicht als Bestätigung von keinerlei Umbauarbeiten bzw. maximal Umschlussarbeiten an den Bestandskomponenten

Auch die 5. technische Frage, ob die Antragstellerin mit ihrer Steuer-Software die Bestandsstationen ohne Austausch von Komponenten ansteuern könne, habe die Antragstellerin im Ergebnis verneint, weil sie geantwortet habe, das Ansteuern sei nur mit den in Frage 3 beschriebenen Modifikationen möglich, sonst nicht. Auch das sei wörtlich dahin gehend zu verstehen, dass eben Modifikationen erforderlich seien, um überhaupt eine funktionsfähige Rohrpostanlage herstellen zu können.

Die Meinung, dass dem Leistungsversprechen der Antragstellerin vertraut werden könne, gehe vergaberechtlich fehl. Die zitierte Entscheidung habe mit dem vorliegenden Fall bei einer Abweichung von Leistungsbeschreibungen nichts zu tun, da es dort nur um ein datenschutzrechtskonformes Leistungsversprechen des Bieters im Sinne der DSGVO gegangen sei. Ein etwaiges "Leistungsversprechen" dahin gehend, sie werde mit ihrer eigenen Technik und ihren ominösen Modifikationen eine funktionsfähige Rohrpostanlage für die Antragsgegnerin herstellen, stelle eine unzulässige Nachverhandlung dar.

Die Antragstellerin habe bis zum Nachprüfungsverfahren mit keinem Wort in technischer Hinsicht erläutert, was denn die benannten "Modifikationen" bzw. in Wahrheit Umbauarbeiten sein sollen. Der Vortrag sei keiner technischen Argumentation zugänglich, weil nicht offengelegt werde, was denn die "modifizierten Komponenten"überhaupt sein sollen.

Zutreffend sei allein, dass die xxxxxx mit ihren ehemaligen Mitarbeitern in die Firma der Antragstellerin übergegangen sei und es sich im Hinblick auf die Bestandsanlage bei der Antragsgegnerin um ein und dieselbe Anlage handele. An dieser sei von der Antragstellerin keine "Steuerungsumrüstung" in den letzten Jahren vorgenommen worden.

Zudem widerlege die Antragstellerin nicht die detailliert im Nichtabhilfeschreiben aufgeführten, nachteiligen Auswirkungen. Ausgangspunkt der produktscharfen Ausschreibung, sei die Verfügbarkeit der Rohrpostanlage, unabhängig von Stromausfällen oder Brandereignissen. Bei etwaigen Stromausfällen oder Brandereignissen werde die Rohrpostanlage in klar definierte Zustände versetzt, um danach schnellstmöglich und ohne Datenverlust die medizinische Versorgung des Klinikums wiederherzustellen. Aufgrund der hohen Anzahl von Transporten und den zeitlich kritischen Transportzeiten, z.B. von Probeergebnissen während laufender Operationen, sei dies von eminent medizinisch wichtiger Bedeutung und vertrage sich nicht mit einer irgendwie gearteten und von der Antragstellerin gar nicht näher beschriebenen "Modifikation" an den Bestandskomponenten.

Da die Antragsgegnerin nicht über juristisch hinreichend geschultes Personal verfügt, sei die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten notwendig gewesen. Zudem sei dies auch aus Gründen der prozessualen "Waffengleichheit" im Hinblick auf die anwaltlich vertretene Antragstellerin gerechtfertigt.

Mit Schriftsatz vom 07.08.2023 trägt die Antraggegnerin ergänzend und vertiefend vor, dass die Festlegungen in der Leistungsbeschreibung ein jedwedes Verbot in die Bestandsanlage technisch einzugreifen oder dort Teile auszutauschen bedeuten würde. "Umschlussarbeiten" meine dabei lediglich "reine Andockungsarbeiten" an die Bestandsanlage. Ein Austausch der Platinen bedeute bereits einen verbotenen technischen Eingriff. Dem technischen Sachbearbeiter des xxxxxx sei aus Erfahrung bekannt, dass die Antragstellerin gerade nicht mit xxxxxx-Geräten arbeite, und dies in einem konkreten Fall mehrere Wochen gedauert habe, bis eine funktionsfähige Anpassung erfolgt sei. Dieser Vorgang sei dabei durch zahlreiche Nachtragsangebote begleitet worden.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.08.2023 Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig. Er ist wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB unzulässig, soweit die Antragstellerin die offenkundige und für sie wie jeden anderen fachkundigen Bieter auch aus den Vergabeunterlagen erkennbare produktscharfe Ausschreibung auf Basis von Produkten und Komponenten der Beigeladenen erst aufgrund der Information gemäß § 134 GWB und damit nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat (im Folgenden 1). Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Erwägungen der Antragsgegnerin, das vorhandene Rohrpostsystem durch die im Zuge des neuen Erweiterungsbaus xxxxxx erforderliche Erweiterung des Rohrpostsystems ohne Eingriffe in die Bestandsanlage zu realisieren und die Gefahr möglicher Betriebsstörungen zu minimieren, tragen die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die vorliegende produktscharfe Ausschreibung i. S. des § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (im Folgenden 2 a). Die Antragsgegnerin hat das Angebot der Antragstellerin auch zu Recht aufgrund von unzulässigen Änderungen an den Vergabeunterlagen von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A ausgeschlossen. Dies folgt zum einen aus dem nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin erforderlichen Austausch von Platinen an mehreren Stellen der Bestandsanlage im Falle einer Realisierung der Erweiterung auf Basis des Rohrpostsystems der Antragstellerin. Es folgt aber auch bereits daraus, dass die Antragstellerin die produktscharfen Positionen des Leistungsverzeichnisses bepreist hat, obwohl sie im Zuge der Angebotsaufklärung der Antragsgegnerin und auf Nachfrage im Nachprüfungsverfahren erklärt hat, im Falle des Zuschlags auf ihr Angebot davon abweichende, eigene Produkte zu verwenden (im Folgenden 2 b).

1. Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig.

Die Antragsgegnerin ist öffentliche Auftraggeberin i. S. des § 99 Nr. 2a GWB. Sie ist eine Anstalt öffentlichen Rechts in der Trägerschaft der xxxxxx und damit einer Gebietskörperschaft. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der seit 01.01.2022 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.382.000 € gilt. Die geschätzten Kosten für die Gesamtbaumaßnahme Erweiterungsbau xxxxxx - xxxxxx überschreiten ausweislich des Vergabevermerks vom 17.07.2023 (dort Seite 1) diesen Schwellenwert deutlich.

Zwar erreicht der Wert der verfahrensgegenständlichen Teilbaumaßnahme "Vergabeeinheit xxxxxx Rohrpostanlage" den Teilschwellenwert von 1 Mio. € gemäß § 3 Abs. 8 VgV nicht. Die Antragsgegnerin hat jedoch auch den verfahrensgegenständlichen Teilauftrag EU-weit im offenen Verfahren gemäß § 3 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A ausgeschrieben und die Vergabekammer Niedersachsen als zuständige Stelle für das Nachprüfungsverfahren in der europaweiten Bekanntmachung angegeben. Dadurch hat die Antragsgegnerin den rechtlichen Rahmen (§§ 160 ff. GWB) für die Nachprüfung festgelegt. Die Wirkung dieser Festlegung besteht in einer Selbstbindung der Antragsgegnerin, dass sie den verfahrensgegenständlichen Auftrag nicht dem 20 %-Kontingent nach § 3 Abs. 9 VgV zuordnet, für welche das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnet wäre (vgl. BayObLG, Beschluss vom 23.05.2002, Verg 7/02; Wieddekind in: Willenbruch/Wieddekind Hübner, Kompaktkonnentar Vergaberecht, 5. Aufl., § 3 VgV, Rn 26; Beurskens in: Hattig/Maibaum, Kartellvergaberecht, § 2 VgV, Rz. 19, m. w. N.). Der Wert des verfahrensgegenständlichen Auftrages steht daher einer Nachprüfung durch die Vergabekammer nicht entgegen.

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie beanstandet, dass die Antragsgegnerin entschieden hat, das Angebot der Antragstellerin wegen vermeintlicher Änderungen an den Vergabeunterlagen von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A auszuschließen. Ihr Angebot sei in jeder Hinsicht ausschreibungskonform.

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/ Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 34; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Soweit sich die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Ausschluss ihres Angebots wendet, hat die Antragstellerin ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen nach positiver Kenntniserlangung gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.

Mit Informationsschreiben nach § 134 GWB vom 10.07.2023 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, dass deren Angebot ausgeschlossen werden müsse. Es würden nicht alle im LV vorgegebenen Bedingungen/Mindestanforderungen erfüllt. Für die Erweiterung seien xxxxxx-Produkte anzubieten gewesen. Die Antworten auf die vom xxxxxx gestellten technischen Fragen würden belegen, dass z. B. für die Sende-/Empfangsstationen keine xxxxxx-Geräte angeboten worden seien. Zudem sei geplant an den Bestands-Rohrpoststationen Modifikationen vorzunehmen, die zu Ausfallzeiten führen würden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.07.2023 den Ausschluss ihres Angebotes. Ihr Angebot würde dem Leistungsverzeichnis vollständig entsprechen.

Diese Rüge erfolgte innerhalb der gesetzlichen 10-Tages-Frist nach positiver Kenntniserlangung vom vermeintlichen Vergaberechtsverstoß und damit rechtzeitig.

Bezüglich dieser geltend gemacht Vergaberechtsverletzung ist der Nachprüfungsantrag somit zulässig.

Der Nachprüfungsantrag ist jedoch wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB unzulässig, soweit die Antragstellerin die offenkundige und für sie wie jeden anderen fachkundigen Bieter auch aus den Vergabeunterlagen erkennbare produktscharfe Ausschreibung auf Basis von Produkten und Komponenten der Beigeladenen erst aufgrund der Information gemäß § 134 GWB und damit nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat.

Gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit er sich auf Verstöße gegen Vergabevorschriften stützt, die aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbar sind, aber nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt worden sind.

Es kommt bei der Präklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB auf die objektive Erkennbarkeit für einen durchschnittlichen Anbieter an, nicht auf die tatsächliche Erkenntnis beim Antragsteller. Bei der Feststellung der Erkennbarkeit wird daher nach herrschender Meinung auf einen objektiven Maßstab abgestellt. Beim Maßstab der Erkennbarkeit ist nicht auf den Vergaberechtsexperten, sondern auf diejenigen abzustellen, die Adressaten der Bekanntmachung sind, nämlich die fachkundigen Bieter; diese prägen den objektiven Empfängerhorizont, aus dem die Erkennbarkeit zu beurteilen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 03.07.2018 - Verg 2/18; VK Lüneburg, Beschluss vom 14.05.2018 - VgK11/2018; Hofmann in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 160, Rn. 70, m. w. N.). Erkennbar ist daher, was dem fachkundigen Anbieter bei Erstellung des Angebots auffallen muss.

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs war vorliegend eine Erkennbarkeit der produktscharfen und damit wettbewerbsbeschränkenden Ausschreibung für die Antragstellerin als fachkundigem Unternehmen, das sich nach eigenem Bekunden bereits an mehreren Vergabeverfahren beteiligt hat, nach Auffassung der Vergabekammer bereits bei der Kalkulation und Legung des Angebots gegeben.

Nach der Leistungsbeschreibung wird unter anderem zu den Leistungen des Auftragnehmers bereits unter "Allgemeine Beschreibung der Baumaßnahme" festgelegt (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 25):

"Der Leistungsumfang beinhaltet die Erweiterung des vorhandenen pneumatischen Rohrpostsystems mit Microcontrollersteuerung auf Basis von xxxxxx mit der Nennweite 110°mm in folgenden Gebäudeteilen: [...]

Die systemrelevanten Anlagenteile müssen xxxxxx Geräte sein, damit eine Erweiterung der Rohrpostanlage, ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich ist.

Die vorhanden Anlagenteile der bestehenden Rohrpostanlage (wie z.B. Stationen, Weichen, Kabelnetz-BUS usw.) inkl. elektrischen Komponenten sind weiter zu verwenden. Ausfallzeiten an der Bestandsanlage sind nur durch Umschlussarbeiten bezogen auf der Erweiterung und Softwareintegration zulässig. [...]"

(Hervorhebungen durch die Vergabekammer)

In Konsequenz zu diesen Festlegungen in der "Allgemeinen Beschreibung der Baumaßnahme" enthält das Leistungsverzeichnis dann auch in allen streitbefangenen Positionen eine unmissverständliche, produktscharfe Festlegung auf "xxxxxx".

Soweit die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer erklärt hat, sie sei, auch aufgrund positiver Erfahrungen in anderen Vergabeverfahren anderer öffentlicher Auftraggeber, davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin die Produktschärfe nicht zu streng gemeint habe und deshalb auch abweichend davon Produkte der Antragstellerin akzeptieren würde, solange nur gewährleistet sei, dass keine Schnittstellenproblematik zur Bestandsanlage entstehe, gaben die eindeutigen Vorgaben im LV keinen Anlass für eine solche Einschätzung.

Denn nicht eine einzige produktscharf formulierte Position enthielt den Zusatz "oder gleichwertig", wie es etwa § 7 EU Abs. Satz 2 letzter Halbsatz VOB/A verlangt.

Zudem hatte die Antragsgegnerin gemäß Ziffer II.2.10) und II.2.11) festgelegt, dass Varianten/Alternativangebote und Optionen nicht zulässig sind.

Wenn die Antragstellerin gleichwohl trotz des eindeutig hersteller- und produktscharf formulierten Leistungsverzeichnisses noch keinen Anlass für eine Rüge gegenüber der Antragsgegnerin gesehen haben will, so musste sie spätestens auf die diesbezügliche Bieterfrage und ihre ebenso eindeutige Beantwortung durch die Antragsgegnerin reagieren: Am 09.05.2023 wurde durch einen Bieter folgender Hinweis gegeben (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 72):

"Bezüglich der Ausschreibung Rohrpostanlage - xxxxxx - Erweiterungsbau xxxxxx besteht die Anforderung das "systemrelevante Anlagenteile müssen xxxxxx Geräte sein, damit eine Erweiterung der Rohrpostanlage ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich ist". Zudem haben eine hohe Anzahl an Positionen die herstellerbezogene Benennung "xxxxxx" im Leistungsverzeichnis.

Die Aussage der Schnittstellenvermeidung ist nachvollziehbar und verständlich, jedoch ist (die) Art der Umsetzung, durch eine herstellerspezifische Anforderung, unzulässig.

Da die Bestandslange von uns installiert wurde, ist eine Kompatibilität der Geräte durch geringen bzw. keinen Mehraufwand für uns gedeckt. Auch da eine neue zentrale Steuerung im LV gefordert ist, sehen wir keinen Grund nicht unsere Komponenten hier anbieten zu dürfen. Wir bitten um Freigabe unserer Lösung.

Dazu teilte die Antragsgegnerin über die Bieterkommunikation am 15.05.2023 an alle Bieter mit (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 71):

"Im späteren Anlagenbetrieb ist es elementar wichtig ein Gesamtsystem ohne zusätzliche technische und organisatorische Schnittstellen zu betreiben. Gegenüber des im Altbau betriebenen Bestandssystem handelt es sich im Neubau um eine kleine Erweiterung, und muss deshalb zwingend und vollständig in das vorhandene System integriert werden können. Die ursprünglich von xxxxxx installierte Rohrpostanlage im Bestandsgebäude unterlag in den letzten Jahren kontinuierlich einem Umbau.

Eine produktscharfe Ausschreibung ist unter den gegebenen und detailliert betrachteten Rahmenbedingungen vergaberechtlich zulässig und wurde explizit geprüft.

Der in der Ausschreibung enthaltene neue Steuerrechner beschreibt lediglich eine erforderliche Ressourcenanpassung und keine zusätzliche/erneute Projektierung, Programmierung und Inbetriebnahme der Bestandsanlage. Diese im Vergleich zu einer begrenzten Erweiterung deutlich umfangreichere Leistung gehört eindeutig nicht zum Neubauprojekt und ist kostenseitig auch nicht vorgesehen."

(Hervorhebung durch die Vergabekammer)

Soweit die Antragstellerin die offenkundige und für sie wie jeden anderen fachkundigen Bieter aus den Vergabeunterlagen erkennbare produktscharfe Ausschreibung auf Basis von Produkten und Komponenten der Beigeladenen erst aufgrund der Information gemäß § 134 GWB und damit nach Ablauf der Frist zur Angebotsabgabe gegenüber der Antragsgegnerin gerügt hat, ist der Nachprüfungsantrag daher wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bereits unzulässig.

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch unbegründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Ausschreibung mit ihrem Leistungsverzeichnis produktscharf durchzuführen und in der Folge das nicht ausschreibungskonforme Angebot der Antragstellerin wegen Änderung an den Vergabeunterlagen § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A von der Wertung auszuschließen, nicht in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt:

a. Da der Nachprüfungsantrag, soweit die Antragstellerin die produktscharfe und herstellerbezogene Ausschreibung an sich beanstandet, wegen Präklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB bereits unzulässig ist, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, ob diese Beanstandung im Falle einer rechtzeitigen Rüge begründet wäre. Die Vergabekammer weist jedoch der Vollständigkeit halber darauf hin, dass sie die Auffassung vertritt, dass die Erwägungen der Antragsgegnerin, das vorhandene Rohrpostsystem durch die im Zuge des neuen Erweiterungsbaus xxxxxx erforderliche Erweiterung des Rohrpostsystems ohne Eingriffe in die Bestandsanlage zu realisieren und die Gefahr möglicher Betriebsstörungen zu minimieren, die Einschätzung der Antragsgegnerin tragen, dass die vorliegende produktscharfe Ausschreibung i. S. des § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist.

Grundsätzlich ist der öffentliche Auftraggeber bei der Beschaffungsentscheidung für eine bestimmte Leistung frei (sog. Bestimmungsfreiheit). Diese Entscheidung erfolgt vor dem eigentlichen Vergabeverfahren. Das Vergaberecht regelt demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur wie (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 08.07.2021 - 19 Verg 2/21). Konsequenz dessen ist, dass die Vergabenachprüfungsinstanzen grundsätzlich auch nur das "wie" ins Auge fassen.

Da das Vergaberecht jedoch den Zweck erfüllt, das öffentliche Beschaffungswesen für den Wettbewerb zu öffnen und die Warenverkehrsfreiheit im europäischen Binnenmarkt zu gewährleisten, sind der Bestimmungsfreiheit Grenzen gesetzt. Vor diesem Hintergrund statuiert § 36 Absatz 6 VgV sowie die korrespondierenden Vorschriften - etwa § 7 Absatz 2 VOB/A - das Gebot der produktneutralen und das Verbot der produktspezifischen Ausschreibung (vgl. BT-Drs. 18/7318, Seite 172; VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022 - VK 2-7/22). Nach dieser Vorschrift darf in der Leistungsbeschreibung nicht auf eine bestimmte Produktion oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die Erzeugnisse oder Dienstleistungen eines bestimmten Unternehmens kennzeichnet, oder auf gewerbliche Schutzrechte, Typen oder einen bestimmten Ursprung verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte begünstigt oder ausgeschlossen werden, es sei denn, dieser Verweis ist durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt oder der Auftragsgegenstand kann nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden.

Eine produktspezifische Ausschreibung ist daher nur dann vergaberechtskonform, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden - daher festzustellen und notfalls erwiesen - sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18 sowie Beschluss vom 13.04.2016, Verg 47/15 und Beschluss vom 01.08.2012, Verg 10/12; OLG München, Beschluss vom 26.03.2020, Verg 22/19; OLG Jena, Beschluss vom 25.06.2014, 2 Verg 1/14; OLG Celle Beschluss vom 31.03.2020, 13 Verg 13/19).

Dem öffentlichen Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob die Vorgabe eines bestimmten Herstellers gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser ist durch die Nachprüfungsinstanzen voll überprüfbar (vgl. VK Bund, Beschluss vom 16.03.2015 - VK 2-9/15). Die Entscheidung muss allerdings "lediglich" nachvollziehbar begründet und dokumentiert - mithin plausibel - sein (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 30.08.2016, Verg 47/15, und Beschluss vom 16.09.2015, 3 VK LSA 62/15). Wird die Plausibilität der Erwägungen des öffentlichen Auftraggebers bejaht, beanstanden die Nachprüfungsinstanzen die Entscheidung nicht mehr in fachlicher Hinsicht (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, 01.08.2012, Verg 10/12, VK Westfalen, Beschluss vom 16.03.2022 - VK 2-7/22). Der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehalten, Ausschreibungen so zu gestalten, dass sämtliche interessierten Unternehmen mit den von ihnen favorisierten Produkten bieten oder sich bewerben dürfen.

Allerdings müssen die Gründe, die aus Sicht des Auftraggebers für eine produktscharfe Ausschreibung streiten, dokumentiert und die Erwägungen, die zu den maßgeblichen Entscheidungen geführt haben, niedergelegt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18). Denn die Darlegungslast für die Notwendigkeit einer herstellerbezogenen Leistungsbeschreibung liegt beim öffentlichen Auftraggeber (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 66/18; OLG Celle, Beschluss vom 31.03.2020 - 13 Verg 13/19).

Diesen Anforderungen an die Plausibilität der Gründe für die Hersteller- und Produktvorgabe genügen die von der Antragsgegnerin in der Vergabeakte dokumentierten und im Nachprüfungsverfahren vorgetragenen Erwägungen. Die Antragsgegnerin hat bereits eingangs des Vergabevermerks vom 17.07.2023 auf die bewusste Vorgabe von Produkten des Herstellers xxxxxx für einzelne LV-Positionen hingewiesen und zur Begründung dafür, dass sie diese Produktvorgabe mit § 7 EU Abs. 2 VOB/A vereinbar sieht, auf ein Schreiben an das xxxxxx vom 24.02.2023 (Anl. 9 zum Vergabevermerk) und die per E-Mail am 02.03.2023 erfolgte Antwort und Zustimmung dieser Behörde (Anl. 10 zum Vergabevermerk) verwiesen. Die beabsichtigte Vorgabe von Produkten des Herstellers xxxxxx und damit der Beigeladenen hat die Antragsgegnerin in dem Schreiben damit begründet, dass das im xxxxxx verwendete Rohrpostsystem im Bestand als logistische Infrastruktur zum Transport von Gewebe- und Blutproben zum Zentrallabor dient. Die für die beiden Neubauten vorgesehenen zusätzlichen neuen Rohrpostlinien stellten hierbei die Erweiterung des Bestandssystems auf dem Campus dar. Aufgrund der hohen Anzahl an Transporten und der zeitlich kritischen Transportzeit (z.B. Probeergebnisse während laufender OPs), sei die Verfügbarkeit des Systems von hoher Relevanz für die medizinische Behandlung. Eine Störung des Rohrpostsystems stelle somit auch immer eine empfindliche Störung der Gesundheitsversorgung dar. Das im Bestand verwendete Kommunikationsprotokoll (Feldebene) des Herstellers xxxxxx sei proprietär, also herstellerspezifisch. Ein Standard, welcher eine Integration von Komponenten unterschiedlicher Rohrposthersteller in einem gemeinsamen System ermöglicht, sei in der Industrie zurzeit nicht vorhanden.

Bei Stromausfällen oder Brandereignissen werde das System in klar definierte Zustände versetzt, um danach schnellstmöglich und ohne Datenverlust (Zieladressen) die medizinische Versorgung des Klinikums wieder zu herzustellen.

Da die Komponenten eines Fremdherstellers nicht kompatibel zum verwendeten Bussystem im Bestand seien, würden hier zwei parallele Systeme entstehen müssen. Die Auswirkungen wären im Detail wie folgt:

o Gefahr von Fehlfunktionen durch nur noch periodischen Datenaustausch an der Schnittstelle der Steuerrechner gegenüber einer permanenten Überwachung aller Systemkomponenten und deren Zustände innerhalb eines integrierten Systems

o Schwächung der technischen und Anlagen- und Zugriffssicherheit durch Aufbrechen eines geschlossenen Kommunikationssystems

o Unvollständige Datenmigration an der Schnittstelle durch unterschiedliche Datenmodelle (Umsetzung des kleinsten gemeinsamer Nenners) und damit einhergehender Verfügbarkeits- und Sicherheitsverlust

o Erschwerte Handhabung und Fehlersuche für die Mitarbeiter der Betriebstechnik durch zwei Systeme mit jeweils unterschiedlichen Bedien- und Problemlösungskonzepten, hierdurch entsteht zudem eine erhöhte Gefahr für Fehlbedienungen

o Erhöhter Schulungsbedarf und Betreuungsaufwand für die Mitarbeiter der Betriebstechnik durch den Betrieb zweier unterschiedlicher Systeme mit unterschiedlichen Bedienkonzepten

o Deutlich erhöhte Betriebskosten durch notwendigerweise zwei zu beauftragende Servicedienstleister für zwei Systeme (ggfs. zeitgleiche Inanspruchnahme bei unklarer Störungsquelle), hierdurch entstehen zusätzlich erhöhte Personalkosten für den erhöhten Betreuungsaufwand durch die Mitarbeiter der Betriebstechnik

o Erhöhung der Betriebskosten durch jeweils wechselseitige Anpassung/Migration der Systeme im Falle von Änderungen/Anpassungen und System-/Software-Updates eines einzelnen Systems

o Verlangsamung der Instandsetzungsprozesse durch getrennte Bedienung der Systeme und geteilte Verantwortlichkeiten von zwei Servicedienstleistern für die jeweiligen Systembereiche, hierdurch entstehen erfahrungsgemäß erhebliche (Termin-) Probleme bei einer notwendigen gleichzeitigen Verfügbarkeit

o Erhöhung/Verdopplung der notwendigen Lagerhaltung von Ersatzteilen durch den Parallelbetrieb zweier Systeme

o Vermeidbare Erhöhung der Anschaffungskosten für die Erweiterung des Bestandssystems in den Neubauten durch einen zusätzlichen zentralen Steuerrechner inkl. aller zusätzlichen Dienstleistungen für die Schaffung von Schnittstellen und durch zusätzlichem Koordinationsaufwand, etc., inkl. der notwendigen Anpassungen des Bestandssystems an ein neues Parallelsystem

Durch eine Konstellation mit zwei unterschiedlichen Produkten/Systemen ergebe sich letztlich eine signifikante Erhöhung der Anschaffungs-, Betriebs- und Personalkosten, eine Verringerung der technischen Sicherheit sowie eine geringere Verfügbarkeit und hierdurch unmittelbar eine Verschlechterung der medizinischen Versorgungssicherheit.

Die Antragsgegnerin begründet die Produktvorgaben in der Dokumentation zusammenfassend in erster Linie damit, dass sie dadurch eine Verringerung wesentlicher Sicherheitsrisiken erreicht, um im täglichen Klinikbetrieb durchgehend eine reibungslose medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Diese Begründung ist zumindest plausibel, tragfähig und nach Auffassung der Vergabekammer ausreichend, um eine Ausnahme vom grundsätzlichen Verbot der hersteller- und produktbezogenen Ausschreibung in Bezug auf die streitbefangenen Positionen des Leistungsverzeichnisses gemäß § 7 EU Abs. 2 VOB/A zu rechtfertigen. Die vorliegende Produktvorgabe ist daher vergaberechtlich nicht zu beanstanden.

b. Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht aufgrund von unzulässigen Änderungen an den Vergabeunterlagen von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A ausgeschlossen.

Gemäß § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A und § 53 Abs. 7 Satz 1 VgV sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig. Das betreffende Angebot ist gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A zwingend von der Wertung auszuschließen. Der Regelungszweck dieser Vorschriften besteht darin, das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages mit übereinstimmenden Willenserklärungen zu gewährleisten (OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 02.12.2014 - 11 Verg 7/14 = VergabeR 2015, Seite 591 ff., 595). Der öffentliche Auftraggeber braucht sich nicht auf einen Streit über den Inhalt des Angebots bzw. des gegebenenfalls abgeschlossenen Vertrages einzulassen. Gleichermaßen betrifft diese Regelung jedoch auch die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Gleichbehandlung der Bieter: Dadurch, dass jeder Bieter nur das anbieten darf, was der öffentliche Auftraggeber auch tatsächlich nachgefragt hat, und sich keinen Wettbewerbsvorteil dadurch verschaffen darf, dass er von den Ausschreibungsvorgaben abweicht (Ausnahme: Nebenangebot), ist gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht miteinander vergleichbar sind (BGH, Urteil vom 16.04.2002 - X ZR 67/00). Andernfalls wäre es dem Auftraggeber nicht möglich, unter sämtlichen Angeboten dasjenige zu ermitteln, dass im Vergleich zu den anderen das wirtschaftlichste im Sinne der §§ 16d EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A, 58 Abs. 2 VgV, 127 GWB ist (vgl. Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 VgV, Rn. 50, m. w. N.).

Unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen liegen immer dann vor, wenn ein Bieter etwas anderes anbietet, als vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragt. In solchen Fällen ist nicht gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder Hinsicht miteinander vergleichbar sind, vgl. Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/ Portz/Prieß, VgV, 2017, § 57 VgV, Rn. 50 ff. Irrelevant ist, ob sich die Änderungen in den Vergabeunterlagen selbst manifestieren oder in anderer Weise, etwa dadurch, dass in einem zusätzlichen Begleitschreiben Vorbehalte oder Einschränkungen (dieses Angebot gilt unter der Annahme, dass ...) formuliert werden (vgl. Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, 4. Auflage 2018, § 53, Rn. 33).

Wie bereits aus dem Wortlaut der §§ 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2, 16 EU Nr. 2 VOB/A deutlich wird, kommt es bei diesem Tatbestand auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit einer Änderung der Vergabeunterlagen nicht an (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015 - 13 Verg 12/14 = VergabeR 2015, S. 580 ff., 587, m. w. N.). Der Bieter ist vielmehr ohne Einschränkungen an die in den Vergabeunterlagen im einzelnen präzisierte Nachfrage des öffentlichen Auftraggebers gebunden (vgl. Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 VgV, Rn. 56).

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs bewertet die Vergabekammer die von der Antragsgegnerin beanstandeten Positionen und insbesondere auch die Tatsache, dass die Antragstellerin im Zuschlagsfall die Kompatibilität zur bereits vorhandenen Rohrpostanlage durch den Austausch von Platinen an mehreren Stellen der Bestandsanlage gewährleisten will, als unzulässige Abweichung von den Vergabeunterlagen. Die Vergabekammer teilt die Auffassung der Antragsgegnerin, dass das Angebot der Antragstellerin von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Dazu im Einzelnen:

Die Vergabeunterlagen sind hinsichtlich des wirklichen und erkennbaren Willens des öffentlichen Auftraggebers aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen. Das heißt, entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive des potentiellen Bieterkreises (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013, X ZR 155/10; Urteil vom 20.11.2012 - X ZR 108/10, und Urteil vom 10.06.2008 - X ZR 78/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.01.2022 - Verg 23/21, S. 14 BA, Beschluss vom 17.02.2016, Verg 41/15, und Beschluss vom 05.11.2014 - Verg 21/14; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.12.2014 - 11 Verg 7/14).

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs konnte diese Leistungsbeschreibung nach Auffassung der Vergabekammer aus der Sicht eines fachkundigen Bieters (wie im Übrigen auch eines Laien) nur so verstanden werden, dass die Antragsgegnerin, wie bereits oben unter II.1. ausführlich erörtert, in den streitbefangenen Positionen des Leistungsverzeichnisses ausschließlich Produkte des Herstellers xxxxxx und damit der Beigeladenen verlangt hat.

Die Antragstellerin hat in ihrem Angebot zwar auch bei den hersteller- und produktscharfen Positionen unkommentiert Preise eingetragen. Sie hat jedoch abweichend dazu im Rahmen der von der Antragsgegnerin durchgeführten Angebotsaufklärung wie auch im Nachprüfungsverfahren schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer erklärt, dass sie auch für die produktscharfen Positionen auf andere, eigene Technik und Produkte zurückgreifen will und dabei letztlich auch keine Kompatibilitätsprobleme zur Bestandsanlage sieht. Sie verweist auf Referenzprojekte und erklärt, sie habe eine derartige Integration ihrer Technik in Bestandsanlagen schon mehrfach erfolgreich realisiert. Durch die im Rahmen der Angebotsaufklärung gegenüber der Antragsgegnerin erfolgte Erläuterung, entgegen der durchgängigen Preisangaben in ihrem schriftlichen Angebot auch für die produktscharfen Positionen des Leistungsverzeichnisses auf eigene Technik zurückzugreifen, hat die Antragstellerin bereits Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen.

Eine weitere Abweichung von den Vorgaben der Vergabeunterlagen liegt durch den nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin erforderlichen Austausch von Platinen an mehreren Stellen der Bestandsanlage im Falle einer Realisierung der Erweiterung auf Basis des Rohrpostsystems der Antragstellerin vor.

In der Leistungsbeschreibung wird unter anderem zu den Leistungen des Auftragnehmers unter "Allgemeine Beschreibung der Baumaßnahme" festgelegt (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 25):

"Die systemrelevanten Anlagenteile müssen xxxxxx Geräte sein, damit eine Erweiterung der Rohrpostanlage, ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich ist.

Die vorhanden Anlagenteile der bestehenden Rohrpostanlage (wie z.B. Stationen, Weichen, Kabelnetz-BUS usw.) inkl. elektrischen Komponenten sind weiter zu verwenden. Ausfallzeiten an der Bestandsanlage sind nur durch Umschlussarbeiten bezogen auf der Erweiterungen und Softwareintegration zulässig. [...]

(Hervorhebung durch die Vergabekammer)

Am 09.05.2023 wurde durch einen Bieter folgender Hinweis gegeben (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 72):

"Bezüglich der Ausschreibung Rohrpostanlage - xxxxxx - Erweiterungsbau xxxxxx. besteht die Anforderung das "systemrelevante Anlagenteile müssen xxxxxx Geräte sein, damit eine Erweiterung der Rohrpostanlage ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich ist". Zudem haben eine hohe Anzahl an Positionen die herstellerbezogene Benennung "xxxxxx" im Leistungsverzeichnis.

Die Aussage der Schnittstellenvermeidung ist nachvollziehbar und verständlich, jedoch ist (die) Art der Umsetzung, durch eine herstellerspezifische Anforderung, unzulässig. Da die Bestandslange von uns installiert wurde, ist eine Kompatibilität der Geräte durch geringen bzw. keinen Mehraufwand für uns gedeckt. Auch da eine neue zentrale Steuerung im LV gefordert ist, sehen wir keinen Grund nicht unsere Komponenten hier anbieten zu dürfen. Wir bitten um Freigabe unserer Lösung."

Dazu teilte die Antragsgegnerin über die Bieterkommunikation am 15.05.2023 an alle Bieter mit (siehe Anlage 1 Elektronische Vergabedokumentation.pdf, Seite 71):

Im späteren Anlagenbetrieb ist es elementar wichtig ein Gesamtsystem ohne zusätzliche technische und organisatorische Schnittstellen zu betreiben. Gegenüber des im Altbau betriebenen Bestandssystem handelt es sich im Neubau um eine kleine Erweiterung, und muss deshalb zwingend und vollständig in das vorhandene System integriert werden können. Die ursprünglich von xxxxxx installierte Rohrpostanlage im Bestandsgebäude unterlag in den letzten Jahren kontinuierlich einem Umbau.

Eine produktscharfe Ausschreibung ist unter den gegebenen und detailliert betrachteten Rahmenbedingungen vergaberechtlich zulässig und wurde explizit geprüft.

Der in der Ausschreibung enthaltene neue Steuerrechner beschreibt lediglich eine erforderliche Ressourcenanpassung und keine zusätzliche/erneute Projektierung, Programmierung und Inbetriebnahme der Bestandsanlage. Diese im Vergleich zu einer begrenzten Erweiterung deutlich umfangreichere Leistung gehört eindeutig nicht zum Neubauprojekt und ist kostenseitig auch nicht vorgesehen."

(Hervorhebung durch die Vergabekammer)

Trotz dieser eindeutigen Vorgabe der Antragsgegnerin, dass die Erweiterung ohne jeden technischen Eingriff in die Bestandsanlange realisiert werden muss, hat die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin im Rahmen der Aufklärung erklärt, dass die Realisierung auf Basis ihres Angebots "Modifikationen" an der Bestandanlage erforderlich mache.

Mit der Nachforderung fehlender Bestätigungen und Nachweise vom 13.06.2023 wurde die Antragstellerin gebeten, technische Fragestellungen zu beantworten:

2. Gemäß LV soll die Erweiterung der Rohrpostanlage, ohne eine zusätzliche Schnittstelle möglich sein.

Frage: Können Sie diese Vorgabe bestätigen?

3. Gemäß LV müssen die vorhanden Anlagenteile der bestehenden Rohrpostanlage (wie z.B. Stationen, Weichen, Kabelnetz-BUS usw.) inkl. elektrischen Komponenten weiter verwendet werden.

Frage: Können Sie diese Vorgabe bestätigen und dass Sie auch keine Umbauten an diesen Bestandskomponenten vornehmen müssen?

Mit Schreiben vom 20.06.2023 hat die Antragstellerin die Fragen wie folgt beantwortet:

"Antwort zur Ihrer Frage 2; Wir können bestätigen, dass die Erweiterung der Rohrpostanlage ohne zusätzliche Schnittstelle möglich ist.

Antwort zu Ihrer Frage 3; Wir können Ihnen bestätigen, dass wir sämtliche Bestandskomponenten mit einfachster Modifikation weiterverwenden können, selbstverständlich sofern sie nach wie vor einwandfrei funktionsfähig sind."

Eine Erläuterung, um welche Maßnahmen es sich bei der vorgesehenen, vermeintlich "einfachsten Modifikation" an den Bestandskomponenten handelt, enthielt die Antwort der Antragstellerin nicht.

Erst im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens hat die Antragstellerin schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass es sich bei der Modifikation um ein vorbereitetes Modifikationskit handelt, das aus einem oder zwei Elektronikblechen bestehe, die mit elektronischen Komponenten, wie den erforderlichen Platinen, bestückt seien. Diese würden gegen die vorhandenen Elektronikbleche ausgetauscht und das vorhandene Steuerkabel, sowie alle vorhandenen elektrischen Komponenten, wie Sensoren, Motore etc. per Plug & Play an die Kits angeschlossen. Bei einer Modifikation handele es sich gerade um keine grundlegenden Änderungen des Gerätes, wie es bei einer Umrüstung oder einem Umbau der Fall wäre. Bei der Modifikation an einer Rohrpoststation, wie hier vorgesehen, würden im Inneren der Station Platinen gegen Platinen ausgetauscht.

Die Antragsgegnerin hat daraufhin erklärt, dass die Festlegungen in der Leistungsbeschreibung ein jedwedes Verbot in die Bestandsanlage technisch einzugreifen oder dort Teile auszutauschen bedeuten würde. "Umschlussarbeiten" meine dabei lediglich "reine Andockungsarbeiten" an die Bestandsanlage. Ein Austausch der Platinen bedeute bereits einen verbotenen technischen Eingriff. Dem technischen Sachbearbeiter des xxxxxx sei aus Erfahrung bekannt, dass die Antragstellerin gerade nicht mit xxxxxx-Geräten arbeite, und dies in einem konkreten Fall mehrere Wochen gedauert habe, bis eine funktionsfähige Anpassung erfolgt sei. Dieser Vorgang sei dabei durch zahlreiche Nachtragsangebote begleitet worden. Entscheidend sei, dass durch die nach Aussage der Antragstellerin erforderliche Auswechselung der Platinen vorliegend ins Bestandssystem eingegriffen werde. Dabei handele es sich um das Herzstück. Grundsätzlich handele es sich zum einen vorrangig um Hardware - mit ein bisschen Intelligenz bestückt. Gleichzeitig werde aber damit massiv Einfluss auf das Steuerungsprotokoll genommen und diese Einflussnahme sollte gerade vermieden werden dadurch, dass die Antragsgegnerin ihre Ausschreibung so konzipiert habe, dass der Bestand völlig außen vor bleibe und nicht verändert werden dürfe.

Die Antragstellerin könne ihr System nur anwenden, wenn sämtliche Komponenten der Bestandsanlage angefasst werden, indem die entsprechenden Platinen an sämtlichen Stellen ausgetauscht werden müssten. Gerade so einen Eingriff habe man durch die vorliegende Ausschreibung vermeiden wollen.

Auch dieser Einwand der Antragsgegnerin ist plausibel und trägt ihre Entscheidung, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen.

Die Antragstellerin hat im Vergleich zur ausgeschriebenen Realisierung ein Aliud angeboten. Diese Abweichung ist vorliegend auch nicht als zulässige, gleichwertige Abweichung von den technischen Spezifikationen i. S. d. § 13 EU Abs. 2 VOB/A einzustufen. Danach kann eine Leistung, die von den vorgesehenen technischen Spezifikationen nach § 7a EU Abs. 1 VOB/A abweicht, angeboten werden, wenn sie mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist. Die Abweichung ist dann aber ausdrücklich im Angebot zu bezeichnen und die Gleichwertigkeit mit dem Angebot nachzuweisen.

Technische Spezifikationen sind technische Regelwerke, Normen oder allgemeine Eigenschafts- oder Funktionsbeschreibungen (vgl. Ziffer 1 der Anlage TS zur VOB/AEU), nicht jedoch die individuell auf das konkrete Bauvorhaben bezogenen technischen Angaben (vgl. OLG München, NZBau 2008, 794, zitiert nach juris.de; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, 188, zitiert nach juris.de; ebenso OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.01.2014 - Verg W 2/14, zitiert nach ibr-online). Überdies hat die Antragstellerin eine vermeintliche Gleichwertigkeit auch nicht, wie von § 13 EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A gefordert, mit dem Angebot nachgewiesen.

Der Ausschlusstatbestand des § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A greift in Fällen, in denen im Angebot etwas anderes offeriert wird als in den Vergabeunterlagen verlangt, d.h. inhaltliche Abweichungen von den verbindlichen fachlichen Vorgaben der Ausschreibung vorliegen. Dabei ist unerheblich, ob es sich um wichtige oder eher weniger bedeutende Änderungen handelt (vgl. VK Rheinland, Beschluss vom 20.05.2022 - VK 7/22, zitiert nach ibr-online). Der Angebotsausschluss ist zwingend, dem Auftraggeber steht kein Ermessen zu (vgl. BGH, 01.08.2006 - X ZR 115/04; OLG Düsseldorf, 22.03.2017 - Verg 54/16).

Eine den Angebotsausschluss begründende Änderung an den Vergabeunterlagen liegt bereits dann vor, wenn das Angebot von einer einzigen Vorgabe der Leistungsbeschreibung inhaltlich abweicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 10.06.2011 - 15 Verg 7/11), wobei unbeachtlich ist, ob die Vorgabe als fachlich richtig, zweckmäßig oder technisch sinnvoll angesehen wird oder nicht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015 - 13 Verg 12/14), und ob die Änderung absichtlich oder versehentlich erfolgte (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.05.2011 - 1 VK 17/11).

Es liegen demnach unzulässige Änderungen der Vergabeunterlagen vor. Die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Angebot der Antragstellerin wegen unzulässiger Änderungen der Vergabeunterlagen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A auszuschließen, ist daher nicht zu beanstanden.

Der Nachprüfungsantrag war daher, soweit er zulässig ist, als unbegründet zurückzuweisen.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zugrunde zu legende Gegenstandswertwert beträgt xxxxxx € (brutto). Dieser Betrag entspricht der von der Antragsgegnerin geprüften Gesamtsumme des Angebotes der Antragstellerin inkl. Umsatzsteuer unter Berücksichtigung des von der Antragstellerin angebotenen Rabatts (Anlage 5 Auswertung Kosten zum Vergabevermerk vom 17.07.2023) und damit ihrem Interesse am Auftrag.

Bei einer Gesamtsumme von xxxxxx € ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg hatte.

Aufwendungen der Antragsgegnerin:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Die Hinzuziehung einer Rechtsanwaltskanzlei war erforderlich. Die anwaltliche Vertretung des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren gehört nicht grundsätzlich zu den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Grundsätzlich ist der Auftraggeber gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandenes juristisch geschultes Personal auch im Nachprüfungsverfahren einzusetzen. Daher kann die Vergabekammer die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Antragsgegnerin regelmäßig nicht als notwendig ansehen.

Das vorliegende Nachprüfungsverfahren betrifft jedoch rechtlich wie tatsächlich komplexe und anspruchsvolle Fragestellungen. Insbesondere waren vorliegend nicht nur Bereiche des materiellen Vergaberechts, sondern auch Fragen der Präklusion und damit der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags betroffen. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war daher für die Antragsgegnerin insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit in diesem Fall als notwendig anzuerkennen (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 31.01.2012 - VgK-58/2011; Beschluss vom 18.09.2012 - VgK-36/2012).

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses die Gebühr in Höhe von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

xxxxxx

IV. Rechtsbehelf

...

Gause
Tiede
Gottwald