Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 21.06.2016, Az.: VgK-10/2016

Kostentragung nach der Zurückweisung des Nachprüfungsantrags im Vergabeverfahren

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
21.06.2016
Aktenzeichen
VgK-10/2016
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 25298
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
Vergabeverfahren Baugutachten für das 380-kV-Leitungsbauprojekt xxxxxx
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, den hauptamtlichen Beisitzer BOR Peter und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.- Biologe Sameluck ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss der Vergabekammer vom 13.05.2016 (Az.: VgK-10/2016) wird um Ziffer 4 ergänzt, die wie folgt lautet:

  1. 4.

    Die Antragstellerin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragsgegnerin notwendig.

Begründung

I.

Mit Beschluss vom 13.05.2016 (VgK-10/2016) hatte die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen und ihr die Gebühr für das Verfahren vor der Vergabekammer auferlegt. Eine Regelung zur Erstattung der notwendigen Auslagen der anwaltlich vertretenen Antragsgegnerin und eine Aussage, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für die Antragsgegnerin notwendig war, enthielt der Beschluss nicht, obgleich die Antragsgegnerin diesbezügliche Anträge gestellt hatte. Insoweit unterschied sich die Kostenregelung von der sehr ähnlichen Entscheidung im Verfahren VgK-30/2015, die den Verfahrensbeteiligten bekannt war.

Bei der unterlassenen Feststellung der Vergabekammer zur Erstattungsfähigkeit der Auslagen der Antragsgegnerin handelte es sich um ein Versehen. Eine inhaltliche Abweichung von der Sachentscheidung im Verfahren VgK-30/2015 war nicht beabsichtigt.

Der Antragsgegnerin ging der Beschluss der Vergabekammer erst am 23.05.2016 zu. Mit Schriftsatz vom 02.06.2016, also vor Ablauf der Rechtsmittelfrist nach § 117 GWB, beantragte die Antragsgegnerin eine Berichtigung bzw. Ergänzung des Beschlusses. Die Antragstellerin erhielt die Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie widersprach der Notwendigkeit, dass die Antragsgegnerin anwaltlichen Bestands bedürfte. Vielmehr sei die Antragsgegnerin routinierte öffentliche Auftraggeberin.

II.

Eine nachträgliche Abänderung oder Ergänzung des Beschlusses ist möglich. Gemäß § 114 Abs. 3 Satz 1 GWB entscheidet die Vergabekammer durch Verwaltungsakt. Soweit hinsichtlich der Rechtsmittel der Verfahrensbeteiligten in den §§ 116 ff. GWB besondere, die Rechtsmittel des VwVfG und der VwGO verdrängende Regelungen bestehen, lässt dies gleichwohl der Behörde jedenfalls für Nebenentscheidungen zur Kostentragungspflicht den Weg offen, gemäß § 48 VwVfG auch ohne förmliches Rechtsmittel eine als rechtswidrig erkannte Entscheidung zurückzunehmen oder abzuändern.

Des kostenintensiven Umwegs einer Beschwerde gegen den Beschluss bedarf es hierzu nicht (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 14.11.2013, VgK-33/2013; Beschluss vom 05.06.2014, VgK-13/2014; a.A. grundsätzlich OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.05.2011, VII-Verg 32/11, jedoch mit Vorbehalt für Kostenbeschlüsse).

Die Antragstellerin wird durch die Abänderungsentscheidung zwar formal zusätzlich beschwert, jedoch nicht in ihren Rechten verletzt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.02.2009 - 11 Verg 17/08). Zwar erhöht die Vergabekammer die finanzielle Belastung der Antragstellerin mit der Abänderung des Beschlusses, jedoch handelt es sich dabei nicht um eine materielle Mehrbelastung, da die Antragsgegnerin aufgrund des gemäß § 128 Abs. 4 Satz 5 GWB nicht vorgesehenen Kostenfestsetzungsverfahrens andernfalls die Möglichkeit hätte, im Zivilverfahren die angemessenen Rechtsanwaltskosten gegenüber der Antragstellerin einzuklagen.

Die Vergabekammer bleibt gemäß § 48 Abs. 5 VwVfG sachlich zuständig.

Die Vergabekammer muss über die Kosten nicht zeitgleich mit der Hauptsache entscheiden. Es hätte ihr auch freigestanden, die Kostenentscheidung später zu treffen (Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs § 114, Rn. 75.). Die VK Niedersachsen verbindet zwar Hauptsache- und Kostenentscheidung regelmäßig, allerdings gibt es keine Sperrwirkung für eine nachträgliche Kostenteilentscheidung, sofern diese nicht überraschende Ergebnisse hätte.

Der Beschluss ist daher in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG insoweit gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen, als in der unterlassenen aber noch nicht abgelehnten Feststellung zur Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin eine konkludente Begünstigung zu sehen wäre. Die Antragstellerin hat keine Leistungen erhalten, die verbraucht sein könnten. Ein etwaiges Vertrauen auf den Verzicht der Festsetzung ist wegen der alsbaldigen Geltendmachung durch die Antragsgegnerin noch in der Rechtsmittelfrist auch im Übrigen nicht schutzwürdig.

Gemäß der ergänzten Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin der Auftraggeberin als Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 128 Abs. 4 GWB zu erstatten. Die Antragstellerin hat als Unterlegene im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich die Kosten gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB zu tragen.

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Antragsgegnerin erforderlich. Die anwaltliche Vertretung der Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren gehört nicht grundsätzlich zu den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Grundsätzlich ist der Auftraggeber gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandenes juristisch geschultes Personal auch im Nachprüfungsverfahren einzusetzen. Andererseits ist das Vergaberecht eine komplexe Rechtsmaterie mit Vorschriften aus sowohl nationalem Recht als auch dem Europarecht, die nicht immer im Gleichklang stehen. Soweit der Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens daher hauptsächlich rechtliche Probleme des GWB umfasst, ist im Einzelfall die anwaltliche Vertretung des Antragsgegners durchaus angemessen.

Hier hat die Antragstellerin durchaus eindrucksvoll nachgewiesen, dass die Antragsgegnerin entgegen ihrer eigenen Annahme, sie sei als juristische Person des Privatrechts nicht verpflichtet, das Vergaberecht anzuwenden, beachtliche Übung in der Durchführung öffentlich bekannt gemachter Vergabeverfahren hat. Somit liegt es zunächst nahe, dass die Antragsgegnerin eigenes Personal schulen und vorhalten muss, um gegebenenfalls auch ohne Hinzuziehung anwaltlicher Hilfe zumindest einfach gelagerte vergaberechtliche Probleme zu lösen.

Allerdings handelt es sich hier um einen außergewöhnlich schwierigen Fall, für dessen Lösung sich die Antragstellerin zweier verschiedener Anwaltskanzleien bedient hat. Die Antragsgegnerin hat sich dagegen nur auf eine Rechtsanwaltskanzlei beschränkt. Sowohl Antragstellerin, als auch Antragsgegnerin waren in der mündlichen Verhandlung mit jeweils zwei Rechtsanwälten anwesend, die Antragsgegnerin zusätzlich mit einer Justiziarin. Diese hohe Bearbeitungstiefe auf beiden Seiten der Parteien belegt, dass niemand annahm, es handele sich hier um eine Routineangelegenheit.

Es ging zunächst um das nach altem Recht nicht gesetzlich verankerte Instrument einer Vergabesperre mit einer Doppelzuständigkeit in der Zivilgerichtsbarkeit und vor den Vergabekammern. Dieses Instrument wird äußerst selten angewandt, sodass es nicht möglich ist, Routine mit diesem Instrument zu entwickeln. Es ging darüber hinaus nicht nur um den Zuschlag in einem aktuellen Vergabeverfahren, sondern um Wechselbeziehungen aus der Abwicklung älterer Verfahren und einer aktuell anhängigen Vergabe. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war daher für die Antragsgegnerin insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit in diesem Einzelfall als notwendig anzuerkennen (vgl. VgK Niedersachsen, Beschluss vom 31.01.2012, VgK-58/2011; Beschluss vom 18.09.2012, VgK 36/2012; Beschluss vom 30.09.2015, VgK-30/2015; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.01.2011, VII Verg 60/10; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2012, W1/12).

Die Erstattungsfähigkeit der Auslagen der Antragsgegnerin war daher antragsgemäß neu festzusetzen. Es handelt sich um die geeignete Maßnahme mit der für alle Verfahrensbeteiligten geringsten Eingriffstiefe, um einen rechtmäßigen Zustand herzustellen. Die Abänderung ist auch nicht unverhältnismäßig.

Für die Abänderungsentscheidung werden gemäß § 128 Abs. 3 Satz 6 GWB keine Gebühren erhoben.

IV. Rechtsbehelf

...

Gaus
Peter
Sameluck