Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 21.12.2022, Az.: VgK-21/2022

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
21.12.2022
Aktenzeichen
VgK-21/2022
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 57403
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
den xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: 1. xxxxxx,
2. xxxxxx,
- Antragsgegner -
wegen
Vergabeverfahren "Errichtung eines FTTB-Netzes im xxxxxx", Los 2
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, den hauptamtlichen Beisitzer Dipl.-Sozialwirt Tiede und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Dierks im schriftlichen Verfahren beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx € festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Hinzuziehung einer verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwaltskanzlei (Verfahrensbevollmächtigte zu 1) war für den Antragsgegner notwendig.

Begründung

I.

Der Antragsgegner hat mit EU-Bekanntmachung vom xxxxxx.2021 einen Bauauftrag über die Errichtung eines FTTB-Netzes im xxxxxx im offenen Verfahren ausgeschrieben. Der Auftraggeber beabsichtigt, in den unterversorgten Gebieten des xxxxxx ein passives Glasfasernetz zu errichten. Zur Finanzierung dieses Vorhabens werden Fördermittel des Landes Niedersachsen und eines Bundesförderprogramms in Anspruch genommen.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Ausschluss ihres Angebots auf Los 2 (xxxxxx) der Ausschreibung, die Errichtung eines FTTB-Netzes in Teilen der xxxxxx, Teilen der xxxxxx und Teilen der xxxxxx. Außerdem wendet sie sich gegen die vom Antragsgegner inzwischen erklärte Teilaufhebung bezüglich des verfahrensgegenständlichen Loses.

Nach Ziffer 9.2 der Angebots-, Bewerbungs- und Vertragsbedingungen gilt für Form und Inhalte der Angebote:

[...] Eine Leistung, die von den vorgesehenen technischen Spezifikationen nach § 7a EU Absatz 1 Nummer 1 VOB/A abweicht, kann angeboten werden, wenn sie mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist.

Die Abweichung muss im Angebot eindeutig bezeichnet sein. Die Gleichwertigkeit ist mit dem Angebot nachzuweisen. [...]

Das gegenständliche Vergabeverfahren war bereits Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens zwischen den Parteien (Az.: VgK-20/2021). Gegenstand war die Vergaberechtswidrigkeit des Ausschlusses des Angebotes der Antragstellerin wegen vermeintlich fehlender Eignung. Die Vergabekammer hatte dazu mit Beschluss vom 12.07.2021 festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei. Der Antragsgegner wurde verpflichtet, das Vergabeverfahren in das Stadium vor der Vollständigkeitsprüfung der Angebote zurückzuversetzen, die gesamte Angebotswertung vollständig erneut durchzuführen und dabei die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG Celle mit Beschluss vom 12.10.2021 zurückgewiesen (Az.: 13 Verg 7/21).

Daraufhin hat der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.11.2021 zur Vorlage nachgeforderter und zur erstmaligen Vorlage von zur Nachforderung vorbehaltener Unterlagen aufgefordert. Mit Schreiben vom 30.11.2021 hat die Antragstellerin die nachgeforderten und erstmals geforderten Unterlagen vorgelegt.

Mit Schreiben vom 11.01.2022 teilte der Antragsgegner mit, dass er das Angebot der Antragstellerin werde ausschließen müssen, und bat zudem um Aufklärung. Nach eigenem Bekunden erfolge dies zur Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen, ob vor einem Ausschluss stets eine Aufklärung zu erfolgen habe. Gefragt wurde, ob die Antragstellerin über eine aktuelle Berufshaftpflichtversicherung über den 01.09.2021 hinaus verfüge. Zudem seien die Umsatzangaben des benannten Nachunternehmens zu validieren. Ferner seien die Nachweise zu den angebotenen technischen Spezifikationen der Leistungspositionen OZ 3.2.20, OZ 3.2.30, OZ 3.2.40, 3.2.50 und OZ 3.2.60 zu führen.

Es seien auch Abweichungen vom Leistungsverzeichnis festgestellt worden. Diese seien für die OZ 2.3.3.30 und OZ 3.2.60 derart wesentlich, dass sie zum Ausschluss führen dürften. Hinsichtlich OZ 2.3.3.30 seien insbesondere die Anforderungen von zwei Fasern pro Wohneinheit zu berücksichtigen. Der xxxxxx habe zur Validierung der Angaben zu OZ 3.2.60 eine zweite, unabhängige technische Expertise eingeholt, die zu dem Ergebnis komme, dass jedwede materialseitige Abweichung der zulässigen Wertebereiche zu temperaturbedingten Korrosionserscheinungen führe, die nachträgliche Beeinträchtigung des Materials bis hin zur Änderung der Kabeleigenschaften mit sich bringen könne und somit die Gefahr berge, den Betrieb des Netzes dauerhaft zu stören. Es bestehe ein potenzielles Risiko für eine nachhaltige Gebrauchstauglichkeit. Der xxxxxx sehe hierin eine dem Leistungsverzeichnis entgegenstehende Abweichung. Mit den festgestellten wesentlichen Abweichungen sei es der Antragstellerin nicht gelungen, die geforderten Datenblätter gemäß Leistungsverzeichnis fristgerecht nachzureichen. Zudem fehle es an Angaben zur CE-Kennzeichnung, die ausdrücklich an verschiedenen Stellen eingefordert worden seien.

Mit Schreiben vom 11.01.2022 beantwortete die Antragstellerin die Aufklärungsfragen und rügte mit weiterem Schreiben vom 21.01.2022 einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da keine ergebnisoffene Aufklärung erfolgt sei.

Im weiteren Verlauf rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.09.2022 und vom 04.10.2022 die Verzögerung des Vergabeverfahrens und die ständig wiederkehrenden Bitten um Bindefristverlängerung als vergaberechtswidrig.

Am 07.10.2022 teilte der Antragsgegner über die Vergabeplattform mit, dass er den Rügen nicht abhelfe und das Angebot der Antragstellerin aufgrund von § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A sowie auch § 16a EU Abs. 5 VOB/A ausgeschlossen werde. Der Antragsgegner sei zwischenzeitlich zu einer neuen Auffassung wegen der Abweichungen vom Leistungsverzeichnis gelangt. Bisher habe der Antragsgegner den Schluss gezogen, dass er die Gebrauchstauglichkeit nicht beeinträchtigender Abweichungen vom Leistungsverzeichnis tolerieren könne und stellte daher die Zuschlagsfähigkeit von Angeboten der Wettbewerber fest und habe dies auch in der Vergabeakte entsprechend dokumentiert. Das OLG Celle habe hingegen den im Prüfbericht verfolgten Ansatz "Tolerieren nicht wesentlicher Abweichungen" für nicht zuschlagsfähig erklärt. Insofern sei der Antragsgegner wieder insgesamt in den Prozess der Angebotswertung eingetreten, ohne dass es etwaige Vorentscheidungen hinsichtlich irgendeines Bieters gegeben habe. Der Pflicht zur Nachforderung fehlender Unterlagen sei der Antragsgegner als erstes nachgekommen. Das Angebot der Antragstellerin sei dann prioritär bearbeitet worden, denn wenn sich das Angebot als zuschlagsfähig erwiesen hätte, wäre die Prüfung der übrigen Angebote obsolet gewesen.

Bei der Aufklärung zu den nach seiner Angebotsprüfung ausschlussbedürftigen Tatsachen habe der Antragsgegner seine Einschätzung der Ausschlussbedürftigkeit zu den OZ 2.3.3.30 sowie 3.2.60 mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, um an der Verfahrenserheblichkeit dieser Tatsachen keinerlei Zweifel zu lassen.

Die Antragstellerin sei über ihren Rechtsvertreter über den Stand eines eigenwirtschaftlichen Breitbandausbaus und sich daraus ergebenen Folgeprüfungen informiert worden. Aufgrund der Sommerpause sowie der Tragweite der sich daraus ergebenden weiteren Schritte sei mehr Zeit als avisiert vergangen.

Es sei der Antragstellerin nicht gelungen, die dargestellten ausschlussbedürftigen Tatsachen vergaberechtssicher aufzuklären. Zu OZ 2.3.3.30 sei festgestellt worden, dass das angebotene Produkt nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entsprochen habe. Hierbei sei insbesondere die Anforderung von zwei Fasern pro Wohneinheit zu berücksichtigen. Die Ausführung, die Mengenangabe "1 St" beziehe sich auf die effektiv anzuschließenden Gebäude und nicht auf die zu liefernde Stückzahl je Wohnung, sei sehr stark vom gewünschten Ergebnis her argumentiert und entbehre jedweder Grundlage. Aus dem Leistungsverzeichnis zu Los 2 vom 15.01.2021 ergebe sich, dass für jedes Gebäude nur eine Wandabschlussbox/APL vorgesehen sei. Besonders die Passagen zu der OZ 3.4.2.100, OZ 3.4.2.160, 3.4.2.220 und 3.4.2.280 würden allesamt ausdrücklich ein APL pro Gebäude voraussetzen. Dass der Wandabschluss nur funktional beschrieben worden sei, werde ausdrücklich bestritten. Eine nachträgliche Zusicherung einer ausschreibungskonformen Leistung würde zudem gegen die gegebenen Hinweise des OLG Celle verstoßen. Die Berücksichtigung der durch die Antragstellerin angebotenen Box sei mit Blick auf die für das weitere Vergabeverfahren gegebenen Hinweise des OLG Celle zurückzuweisen, da dies einen vergaberechtswidrigen Austausch eines vom Bieter benannten Produktes durch ein anderes ausschreibungskonformes im Rahmen der Angebotsaufklärung hinausliefe.

Zur OZ 2.4.2.40 (Maße Set Kleinmuffe Turtle) sei es unerheblich, ob die Außenmaße der Muffe kleiner seien als der benötigte Freiraum. Die angebotene Haubenmuffe entspreche nicht den geforderten Abmessungen. Zudem würden deren Attribute den geforderten und geplanten Einsatzzweck überschreiten.

Das eingereichte Datenblatt zu den OZ 2.4.1.20 / 2.4.2.50 (Einbindung Überwachungssensor) enthalte gar nichts zum LoRaWAN/NB-IoT, somit entspreche das Produkt nicht den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses. Die geforderte Einbindung in LoRaWAN werde nicht angeboten.

Hinsichtlich der OZ 3.2.40, 3.2.50 und 3.2.60 (Mindestbiegeradien) werde den Ausführungen zu den Biegeradien der angebotenen Kabel mit 48, 72 und 144 Fasern zugestimmt. Hier würden die geforderten Biegeradien unterboten, was positiv zu bewerten sei. Allerdings würden die geforderten Mindestbiegeradien in den Positionen 3.2.10 bis 3.2.30 nicht eingehalten.

Zur OZ 3.2.60 (Betriebstemperatur) ergebe sich ein Unterschreiten der geforderten Betriebstemperatur um xxxxxx° C. Die Zusicherung der Leistungsverzeichniskonformität entgegen der im Datenblatt gemachten Angaben von xxxxxx° C sei unzulässig, weil dann die Kabeleigenschaften bei Betrieb auch nur bis zu dieser Temperatur als gesichert angesehen werden könnten. Der Beurteilung, das angebotene Produkt erfülle die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses vollumfänglich, obwohl sich aus dem hierzu eingereichten Datenblatt etwas anderes ergebe, könne sich der Antragsgegner nicht anschließen.

Erneut rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.10.2022, dass eine Teilaufhebung gegen das Vergaberecht verstoße. Für einen Ausschlussgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A sei es nicht ausreichend, dass die Vergabeunterlagen überhaupt geändert werden, sondern dies müsse auch erforderlich sein. Eine Abwägung zur Ermessensentscheidung sei offensichtlich unterblieben. Es liege auch kein sachlicher Grund für eine Aufhebung vor. Zudem würden die benannten Ausschlusstatbestände nicht vorliegen. Die zu den Positionen 2.3.3.30, 2.4.2.40, 2.4.1.20/2.4.2.50 angebotenen Produkte erfüllen bzw. übertreffen alle Anforderungen des Leistungsverzeichnisses. Zu den in den LV-Positionen 3.2.40, 3.2.50 und 3.2.60 geforderten Biegeradien würden keine Angaben zur anzuwendenden Prüfmethode enthalten sein. Auch die angebotenen Kabel in der LV-Position 3.2.60 würden alle Angaben des Leistungsverzeichnisses erfüllen. Zumindest stehe eine Gleichwertigkeit im Sinne von § 13 EU Abs. 2 VOB/A in Bezug auf Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit nicht in Frage.

Der Ausschlussgrund des § 16a EU Abs. 5 VOB/A liege nicht vor. Es bleibe unklar, welche nachgeforderten Unterlagen innerhalb welcher Frist nicht vorgelegt worden seien.

Mit Schreiben vom 02.11.2022 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass er ihrer Rüge nicht abhelfe könne. Der Ausschluss des Angebotes sei wegen der Abweichungen zum Leistungsverzeichnis begründet. Zudem habe die Aufhebung wegen einer grundlegenden Änderung der Vergabeunterlagen erfolgen müssen.

Daraufhin reichte die Antragstellerin am 17.11.2022 einen Nachprüfungsantrag ein. Um die Zuschlagserteilung auf ihr Angebot zu vermeiden, habe der Antragsgegner den bisher nicht beanstandeten Prüfungsmaßstab des § 13 EU Abs. 2 VOB/A, wonach "gleichwertige" Leistungen angeboten werden können, ohne vorherige Anhörung verschärft. Zudem habe er das Vergabeverfahren aus erkennbar konstruierten Gründen und mit der pauschalen Behauptung, es sei eine "Umplanung" erforderlich, aufgehoben. Diese Aufhebung könne allerdings weder auf einen gesetzlichen Aufhebungsgrund gestützt werden, noch liege ein sachlicher Grund für die Aufhebung vor.

Der Nachprüfungsantrag sei sowohl zulässig als auch begründet. Die (Teil-) Aufhebung des Vergabeverfahrens sei vergaberechtswidrig, denn es liege keiner der in § 17 EU Abs. 1 VOB/A abschließend genannten Aufhebungsgründe vor. Es sei nicht ausreichend, dass die Vergabeunterlagen überhaupt geändert werden, sondern dies müsse auch erforderlich sein. Hier sei eine ganz entscheidende Abänderung der beabsichtigten Leistungserbringung nicht notwendig, weil ein eigenwirtschaftlicher Ausbau eines privatwirtschaftlichen Telekommunikationsunternehmens keine Änderungen an den Vergabeunterlagen erforderlich mache. Der ausgeschriebene Ausbau sei ohne Weiteres durchführbar. Der Antragsgegner habe im Zeitpunkt der Ausschreibung offenbar bewusst in Kauf genommen, die Ausschreibung zu einem späteren Zeitpunkt aufheben zu müssen, wenn sich die ihr bekannten Ausbaupläne eines privaten Unternehmens ändern würden.

Der Antragsgegner könne sich nicht auf § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A berufen, wenn keine Vergabereife vorgelegen habe. Im Zeitpunkt der Ausschreibung habe er damit rechnen müssen, dass sich wegen eines möglichen eigenwirtschaftlichen Ausbaus Änderungen am Beschaffungsbedarf ergeben. Demnach hatte der Antragsgegner den Beschaffungsbedarf nicht sorgfältig und abschließend bestimmt. Zudem dürfe nach Einleitung einer öffentlichen Ausschreibung ein eigenwirtschaftlicher Netzausbau nicht mehr genehmigt werden, um den vom Antragsgegner jetzt aufgezeigten und als Begründung für die Aufhebung herangezogenen "Wettbewerb der Infrastrukturen" zu vermeiden.

Eine Umplanung sei auch nicht erforderlich. Selbst wenn, wäre dies für den Antragsgegner in jedem Fall voraussehbar gewesen. Somit liege auch der Aufhebungsgrund des § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nicht vor.

Sofern vom Vorliegen eines Aufhebungsgrundes ausgegangen würde, träfe den Antragsgegner an dessen Vorliegen jedenfalls ein Verschuldensvorwurf. Eine rechtmäßige Aufhebung komme in selbst verschuldeten Fällen nicht in Betracht. Der Antragsgegner habe mit der Fortführung des Vergabeverfahrens so lange zugewartet, bis der ihm gegenwärtige eigenwirtschaftliche Netzausbau dann im Sommer 2022 tatsächlich im Raum gestanden habe. Das Zuwarten stehe in krassem Widerspruch zu der vom Antragsgegner im Verfahren vor dem OLG Celle selbst behaupteten Eilbedürftigkeit der Vergabe. Vom Zeitpunkt der Ausschreibung am xxxxxx.2021 bis zum Zeitpunkt der Aufhebung am xxxxxx.2022 seien hier 645 (!) Tage, also fast zwei Jahre vergangen und es würde gegen die Pflicht zur Förderung der Vergabeverfahrens verstoßen. Selbst nach der gerichtlichen Feststellung rechtswidriger Handlungen seien über einen längeren Zeitraum von mehr als 6 Monaten überhaupt gar keine Entscheidungen mehr getroffen worden. Weil Auftraggeber verpflichtet sind, Ausschreibungen so schnell wie möglich nach Bekanntwerden der Gründe aufzuheben, wäre die erst jetzt erfolgte Aufhebung auch aus diesem Grunde rechtswidrig. Zudem wären so besonders langsame Auftraggeber gegenüber gewissenhaften und zügig arbeitenden Auftraggebern privilegiert.

Gegen eine Aufhebung sprechende Gründe hätten in einer Ermessensentscheidung berücksichtigt werden müssen. Eine Abwägung sei vorliegend offensichtlich unterblieben. Andernfalls hätte insbesondere der weit fortgeschrittene Verfahrensstand zwingend gegen eine Teilaufhebung gesprochen. Dieses im Wettbewerb erarbeitete Vertrauen eines Bieters auf Zuschlagserteilung und die Möglichkeit erbrachte Aufwände zu amortisieren, sei wegen der besonders langen Verfahrensdauer als so hoch zu erachten, dass alle denkbaren Gründe, die für eine Aufhebung sprechen könnten, jedenfalls dahinter zurückzutreten hätten. Auch der im Verfahren vor dem OLG Celle vorgetragene Eilbedarf spreche gegen die jetzt angeblich erforderliche "Umplanung" und die Aufhebung der Ausschreibung. Offenbar habe der Antragsgegner den vermeintlichen Umplanungsaufwand auch gar nicht selbst geprüft, sondern sich allein auf Aussagen von technischen Beratern gestützt. Zudem seien die vorliegend langen Bindefristen unzumutbar und würden die Antragstellerin in ihrer Dispositionsfreiheit einschränken.

Die Aufhebung sei auch unwirksam, weil sie nicht auf vernünftige, sachliche und nichtdiskriminierende Gründe gestützt werden könne, so dass ein Anspruch auf Aufhebung der Aufhebung und Weiterführung des Vergabeverfahrens bestehe. Der Antragsgegner habe in seinem Nichtabhilfeschreiben keine sachlichen Gründe für die Aufhebung angegeben, sondern sich nur auf den nicht vorliegenden Aufhebungsgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/ A EU gestützt. Andere Gründe, als "sachlicher Grund" einer Aufhebung, seien nicht erkennbar. Zudem würden auch am Fortbestehen des Beschaffungsbedarfs keine Zweifel bestehen. Da keine Änderungen an den Grundlagen des Vergabeverfahrens vorliegen würden, könne das Verfahren nicht rechtmäßig aufgehoben werden. Ein Änderungsbedarf sei nicht ansatzweise ersichtlich und substantiiert vorgetragen, denn der Antragsgegner habe bislang nicht dargelegt, in welchem Ortsteil und in welchem Umfang der xxxxxx ein eigenwirtschaftlicher Ausbau erfolgt, zugesagt oder nur geplant worden sei.

Es sei insbesondere zu prüfen, ob das private Unternehmen durch Abschluss eines Wegenutzungsvertrages überhaupt schon in die Lage versetzt worden sei, ein Breitbandnetz zu errichten. Wenn nicht, wäre die behauptete Notwendigkeit einer Umplanung ohnehin nicht nachzuvollziehen.

Das ganze Verfahren sei darauf ausgelegt, die Antragstellerin von einer Bezuschlagung fernzuhalten. Weil das über den Ausschluss ihres Angebotes trotz Verschärfung des Prüfungsmaßstabes unter bewusster Missdeutung der Rechtsprechung des OLG Celle nicht funktioniert habe, sei das Verfahren aufgehoben worden. Der Antragstellerin sei damit eine im Wettbewerb erzielte, gesicherte Vermögensposition entzogen worden.

Die vom Antragsgegner identifizierten Abweichungen vom Leistungsverzeichnis würden von vornherein Leistungspositionen betreffen, die wertmäßig in Bezug auf die Ausschreibung vollkommen unerheblich seien. Abweichungen vom Leistungsverzeichnis würden in keinem einzigen Fall vorliegen. Es handele sich, wenn überhaupt, in allen Fällen um Abweichungen von technischen Spezifikationen nach § 13 EU Abs. 2 VOB/A, welche der Antragsgegner in seinen Angebots-, Bewerbungs- und Vertragsbedingungen sogar ausdrücklich zugelassen habe. Er habe deshalb den Versuch unternommen, den Prüfungsmaßstab für die Angebotsprüfung nachträglich und im laufenden Verfahren zu verschärfen. Er könne diese über Monate vertretene Auffassung nicht einfach revidieren, weil er zuvor während des gesamten Verfahrens unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH dargestellt habe, geringfügige Abweichungen vom Leistungsverzeichnis zu tolerieren.

Der vom Antragsgegner ausgesprochene Angebotsausschluss sei vergaberechtswidrig, da keine Abweichungen, insbesondere keine wesentlichen Abweichungen, vom Leistungsverzeichnis vorliegen würden. Die LV-Position 2.3.3.30 verlange die Herstellung eines Wandabschlusses in einem Haus mit 12 bis 23 Wohneinheiten. Die Kosten für die Herstellung eines solchen Wandabschlusses würden sich auf ca. xxxxxx €, also ca. xxxxxx % des streitgegenständlichen Angebotes belaufen. Hierzu teilte der Antragsgegner am 07.10.2022 mit, dass das Leistungsverzeichnis keine Aufteilung des Wandabschlusses gestatte. Der Anschluss sei mit einer Box zu bewerkstelligen. Das ginge aus der Bezeichnung "1 St." hervor. Dabei übersehe er, dass das Leistungsverzeichnis bei objektiver Betrachtung und aus Sicht eines durchschnittlichen Bieters mit "1 St." nicht die Abschlussbox, sondern den Wandabschluss an sich meine. Die Antragstellerin beabsichtige, die erforderliche Anzahl an Anschlussboxen, wie technisch durchaus üblich und wie gefordert, in Abstimmung mit dem Hauseigentümer im Haus zu verteilen. Sollte die Auffassung des Antragsgegners wider jede Erwartung zutreffen, wäre das Leistungsverzeichnis insoweit jedenfalls nicht hinreichend klar gewesen. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners würden auch individuelle, auf das konkrete Vorhaben bezogene Leistungsvorgaben dem Begriff einer "technischen Spezifikation" unterfallen, von denen bei entsprechendem Gleichwertigkeitsnachweis abgewichen werden könne.

Selbst wenn Abweichungen vom Leistungsverzeichnis vorliegen würden, wären solche allenfalls geringfügigen Abweichungen von "technischen Spezifikationen" des Leistungsverzeichnisses nach § 13 EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 7a EU Abs. 1 VOB/A i.V.m. dem Anhang TS zur VOB/A sowie Nr. 9.2 der Angebots-, Bewerbungs- und Vertragsbedingungen ausdrücklich zulässig, sofern damit keine Abweichungen in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit verbunden wären. Der Antragsgegner störe sich daran, dass die von der Antragstellerin vorgesehene Box die im Leistungsverzeichnis vorgegebenen Maße von 36,0 x 17,5 x 48,0 cm durch das angebotene Produkt mit den Maßen xxxxxx x xxxxxx x xxxxxx cm geringfügig überschreite, jedenfalls wenn zwei Boxen verbaut würden. Der EuGH hat dazu klar ausgeführt, dass auch alle technischen Vorgaben in den Auftragsunterlagen des konkreten Verfahrens technische Spezifikationen seien, um zu verhindern, dass durch ganz besonders detaillierte technische Spezifikationen Produkte eines bestimmten Herstellers bevorzugt würden. Das hier angebotene Produkt sei, nachgewiesen durch sachverständige Stellungnahme, jedenfalls vollkommen gleichwertig.

Die für die LV-Position 2.4.2.40 (Set Kleinmuffe Turtle) beanstandete angebotene Produktgröße mit der Abmessung von xxxxxx mm x xxxxxx mm x xxxxxx mm statt 295 mm x 220 mm x 90 mm erkläre sich damit, dass die Angaben im Datenblatt nicht die Außenmaße der Muffe darstellen würden, sondern den für den Einbau benötigten Freiraum. Der Antragsgegner habe mit Schreiben vom 07.10.2022 die Interpretation des Leistungsverzeichnisses dahin gehend geändert, dass die im Leistungsverzeichnis angegebenen Maße - entgegen dem klaren Wortlaut - den für die Montage der Muffe zur Verfügung stehenden Raum darstellen würden. Sollte dies zutreffen, würde auch hier erkennbar, dass das Leistungsverzeichnis auch insoweit nicht hinreichend klar gewesen sei. Es sei zudem vollkommen realitätsfern, dass der notwendige Erdraum, wie vom Antragsgegner behauptet, nicht zur Verfügung stehen solle. Vielmehr würden bestimmte Produkte bevorzugt, wenn ein in der Erde zu vergrabendes Teil millimetergenau spezifiziert werde.

Nach LV Position 2.4.1.20/2.4.2.50 (Sensor zur Überwachung) sei ein optisches Überwachungssystem für oberirdische und unterirdische Verteileinrichtungen zu liefern. Aus dem von der Antragstellerin vorgelegten Datenblatt gehe hervor, dass genau ein solches "optisches Überwachungssystem" angeboten worden sei. Der Antragsgegner ziehe aus dem Datenblatt den falschen Schluss, der Sensor könne entgegen der Vorgaben des Leistungsverzeichnisses nicht über LoRaWAN oder NB-loT kommunizieren. Zu dieser Einbindung des Managements verhalte sich das Datenblatt der Antragstellerin aber gar nicht, weil das nicht den optischen Sensor an sich betreffe. Es liegt damit keine Abweichung vom Leistungsverzeichnis vor. Genau das verlangte Datenblatt habe die Antragstellerin eingereicht und den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses damit genügt. Selbstverständlich habe die Antragstellerin die verlangte Einbindung des Managements uneingeschränkt angeboten. Auf das Leistungsverspechen eines Bieters dürften Auftraggeber auch vertrauen. Zudem wäre die unterstellte Abweichung vom Leistungsverzeichnis unerheblich im Sinne des § 13 EU Abs. 2 VOB/A sowie Nr. 9.2 der Angebots-, Bewerbungs- und Vertragsbedingungen. § 13 EU Abs. 2 VOB/A diene unter anderem dem Zweck, dass den Bietern hinsichtlich technischer Spezifikationen ermöglicht werden solle, unabhängig von der genauen Bezeichnung oder dem Aussteller der betreffenden Nachweise die Gleichwertigkeit ihres Produkts oder ihrer technischen Lösung zu belegen.

Entgegen der Annahme, dass die nach den LV-Positionen 3.2.10, 3.2.20, 3.2.30 und 3.2.60 angebotenen Glasfaserkabel die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses nicht erfüllen, weil die vorgegebenen Biegeradien und (für Pos. 3.2.60) die vorgegebene Betriebstemperatur nicht eingehalten würden, würden diese jedoch alle Anforderungen erfüllen. Das Leistungsverzeichnis enthalte eine völlig beliebige Angabe zum Biegeradius, weil keine Angaben zur anzuwendenden Prüfmethode enthalten seien, sondern nur ein abstrakter Wert. Der zu erreichende Wert richtet sich aber insbesondere nach der Anzahl der Windungen und der Zyklen, unter denen der Biegeradius geprüft werde. Da diese Angaben im Leistungsverzeichnis fehlen würden, könne mit den vorhandenen Angaben der vom Antragsgegner jetzt erwünschte Vergleich nicht stattfinden.

Sollte die Vergabekammer die Auffassung des Antragsgegners gleichwohl für zutreffend erachten, wäre das Leistungsverzeichnis für die benannten Positionen nicht hinreichend klar gewesen. Ein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin könne auf unklare Vorgaben im Leistungsverzeichnis nicht gestützt werden, denn Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten würden nach ständiger Rechtsprechung zu Lasten des Auftraggebers gehen.

Mit der Auffassung, das zu LV-Position 3.2.60 angebotene Glasfaserkabel unterschreite die geforderte Betriebstemperatur von + 70° C um xxxxxx° C, übersehe der Antragsgegner, dass bei xxxxxx° C noch "viel Luft" bis zu dem im Leistungsverzeichnis maximal angegebenen Dämpfungsänderungswert von 0,1 db/km sei. Wie sachverständig dargelegt, wäre der maximal mögliche Dämpfungsänderungswert von 0,1 db/km auch bei 70° C sicher unterschritten.

Die vom Antragsgegner identifizierten Abweichungen vom Leistungsverzeichnis betreffen Leistungspositionen, die wertmäßig in Bezug auf die Ausschreibung vollkommen unerheblich seien. Abweichungen vom Leistungsverzeichnis lägen in keinem einzigen Fall vor. Es handele sich, wenn überhaupt, in allen Fällen um Abweichungen von technischen Spezifikationen, welche der Antragsgegner sogar ausdrücklich zugelassen habe.

Auch ein Ausschlussgrund des § 16a EU Abs. 5 VOB/A liege nicht vor, denn die Antragstellerin habe alle von ihr geforderten Unterlagen innerhalb der gesetzten Fristen vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 19.12.2022 trägt die Antragstellerin ergänzend vor, dass das Vorgehen des Antragsgegners in seiner Gesamtheit zeige, dass die Antragstellerin mit ihrem wirtschaftlichen Angebot nicht bezuschlagt werden solle.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners leide das abgegebene Angebot nicht an dem zentralen Mangel, zu dem Beschluss des OLG Celle im Widerspruch zu stehen, denn aus den Formulierungen der Vergabenachprüfungsinstanzen lasse sich nicht ableiten, dass der Prüfungsmaßstab der Angebotswertung zu verschärfen wäre. Zudem erfülle das Angebot der Antragstellerin alle Anforderungen des Leistungsverzeichnisses vollumfänglich. Zu den Wandabschlüssen sei der Urkalkulation nur zu entnehmen, dass die Antragstellerin diese herstellen werde, aber nicht wie dies erfolgen werde.

Das Datenblatt zur Kleinmuffe Turtle gebe nur den für den Einbau benötigten Raum wieder, die Abmessungen würden den Vorgaben entsprechen.

Die Teilaufhebung des Vergabeverfahrens bleibe auch nach der Antragserwiderung offensichtlich rechtswidrig und unwirksam. Warum der eigenwirtschaftliche Ausbau den ausgeschriebenen Auftrag tangiere, werde nicht substantiiert mitgeteilt. Ihrer Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Aufhebungsgrundes komme der Antragsgegner nicht im Ansatz nach. Die vermeintlich erheblichen Umplanungserfordernisse seien weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit geeignet, einen grundlegenden Änderungsbedarf an den Vergabeunterlagen im Sinne des § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A EU zu begründen.

Der eigenwirtschaftliche Ausbau von gerade einmal 7 Hausanschlüssen, somit weniger als 0,5 % der ursprünglich angegebenen Hausanschlüsse, könne sicher keinen grundlegenden Änderungsbedarf an den Vergabeunterlagen begründen. Zudem würde die genaue Anzahl der herzustellenden Hausanschlüsse im Leistungsverzeichnis gar nicht vorgegeben. Auch die dargestellten Massenmehrungen Mikrorohrverbände ohne Faserkonzept würden nur ca. 0,15 % der Angebotssumme entsprechen und keine wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens darstellen. Gleiches gelte für die Massenmehrungen von etwa 0,9 % zur Position 2.2.3.1.20 sowie für die geringfügige Mengenmehrung bei der Tiefbautrasse. Das Erfordernis einer neuen Bahnquerung sowie zweier neuer Gewässerquerungen werde bislang nur unsubstantiiert behauptet. Eine Abweichung von der vorgesehenen Verlegetiefe könne der Antragsgegner zulassen, habe dies aber offenbar nicht in Erwägung gezogen.

Die Aufhebung sei durch den Antragsgegner verschuldet. Das Vergabeverfahren sei auf Grundlage einer vollkommen veralteten Markterkundung eingeleitet worden, so dass offenbar keine Vergabereife vorgelegen habe. Die hier verfahrensgegenständliche Ausschreibung sei erst 58 Monate nach Durchführung des Markterkundungsverfahrens erfolgt. Vorzusehen seien dafür 12 Monate. Die Pläne für den eigenwirtschaftlichen Ausbau in 2021/2022 konnten somit in der Markterkundung gar nicht erfasst werden. Der Antragsgegner versuche jetzt durch die Aufhebung nachträglich sicherzustellen, dass es nicht zu einer Überlagerung bestehender Infrastruktur komme.

Auch das Ermessen über die Aufhebung des Verfahrens sei nicht korrekt ausgeübt worden, denn es sei offenbar keine Heilung des Vergabeverfahrens geprüft worden. Die Stellungnahme des technischen Beraters sei derart überbewertet worden, dass alle anderen gegen die Aufhebung sprechenden Gründe dahinter zurücktreten müssten.

Es sei auch nicht dokumentiert, dass der Antragsgegner die rechtliche Feststellung und Bewertung selbst getroffen habe.

In der Aufhebungsentscheidung habe sich der Antragsgegner auch nicht mit den langen, insbesondere in Zeiten erheblicher Preissteigerungen vergaberechtlich unzulässigen, Bindefristen befasst. Zudem könnten Mengenänderungen bei Einheitspreisverträgen keinen sachlichen Grund für eine Aufhebung darstellen, denn dafür biete ein VOB-Bauvertrag ausreichende Regelungsinstrumente. Der Antragsgegner übersehe, dass die VOB/B genau dieses Risiko in § 2 VOB/B adressiert und eine Abweichung von der in der VOB/B enthaltenen Risikozuweisung zulasten der Antragstellerin gehen würde, was nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11.05.2009, VII ZR 11 /08) gerade nicht zulässig sei. Sowohl die Belastung mit Mehrkosten als auch die Möglichkeit, dass sich der wirtschaftlichste Bieter im Nachhinein nicht als solcher erweist, seien zudem typische Risiken von Bauverträgen.

Hinsichtlich des Vortrages ergänzender Gründe, die für eine Aufhebung streiten würden, gehe es eher um Zweckmäßigkeitserwägungen. Die vom Antragsgegner genannten Gründe würden allesamt nicht vorliegen und könnten deshalb im Rahmen einer Abwägung auch nicht für eine Aufhebung streiten.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    dem Antragsgegner aufzugeben, die Teilaufhebung von Los 2 des Vergabeverfahrens "Errichtung eines FTTB-Netzes im xxxxxx" aufzuheben, das Vergabeverfahren in den Stand vor der Teilaufhebung zurückzuversetzen und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung des Angebots der Antragstellerin und der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen;

  2. 2.

    hilfsweise nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens und der Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin rechtswidrig waren und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt worden ist;

  3. 3.

    der Antragstellerin Einsicht in die Vergabeakte zu gewähren;

  4. 4.

    die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 182 Abs. 4 GWB für notwendig zu erklären;

  5. 5.

    dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin aufzuerlegen.

Der Antragsgegner beantragt:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

  3. 3.

    Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners wird für notwendig erklärt.

  4. 4.

    Die Vergabekammer möge zur Leistungsposition OZ 2.3.3.30 (Wandabschluss 12 bis 23 WE) Einsicht in die Urkalkulation der Antragstellerin nehmen.

Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig und unbegründet. Den Beschlüssen der VK Niedersachsen vom 12.07.2021 - VgK-20/2021 - und des OLG Celle vom 12.10.2021 - 13 Verg 7/21 - sei zu entnehmen, dass der Antragsgegner verpflichtet wurde, das Vergabeverfahren in das Stadium vor der Vollständigkeitsprüfung der Angebote zurückzuversetzen, die gesamte Angebotswertung vollständig erneut durchzuführen und dabei die Rechtsauffassungen der Rechtsschutzinstanzen zu beachten. Eine Pflicht zur Zuschlagserteilung sei nicht entschieden worden.

Die Einschätzung, dass Angebote bei Tolerierung von unwesentlichen Abweichungen zuschlagfähig seien, habe der Antragsgegner im Rahmen der Vollständigkeits- und Angebotsprüfung überdacht und letztlich fallengelassen, da das OLG Celle in Kenntnis einer inhaltlich entgegengesetzten und in der Vergabeakte dokumentierten Auffassung des Antragsgegners den Schluss gezogen habe, es habe noch keine abschließende Prüfung der Zuschlagsfähigkeit der Angebote der weiteren Bieter stattgefunden und ein "aufhebungsgerichteter" Nachprüfungsantrag mit der Begründung, es liege kein zuschlagsfähiges Angebot vor, zumindest nicht von vornherein aussichtslos sei. Diesem könne sich der Antragsgegner nicht entziehen und dürfe daher keine Abweichungen vom Leistungsverzeichnis mehr akzeptieren. Auch die Vergabekammer habe umfassend die Verpflichtung formuliert, die gesamte Angebotsprüfung, also auch die bereits als mit einem zuschlagsfähigen Angebot festgestellten Teile, erneut durchzuführen.

Die Antragstellerin sei mit ihrem Angebot aufgrund der festgestellten Abweichungen vom Leistungsverzeichnis zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Sie habe keine Aussicht mehr auf den Zuschlag und erfahre durch die Aufhebung keine Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition.

Das Angebot der Antragstellerin sei abschließend und in Abweichung zum Leistungsverzeichnis konkretisiert worden. Ausschließlich diese Unterlagen und deren Inhalt dürften für die Angebotsprüfung herangezogen werden. Das Auswechseln von Produkten sei somit ausgeschlossen. Zusicherungen, die Produkte seien entgegen der im Angebot festgelegten technischen Werte mit dem Leistungsverzeichnis vereinbar, seien unzulässig. Jedwede solche nachträgliche Änderung von konkret vorliegenden Angebotsinhalten stelle eine verbotene Nachverhandlung dar. Die Abweichungen hätten im Angebot zumindest eindeutig gekennzeichnet werden müssen.

Die von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente, weswegen keine Abweichungen vom Leistungsverzeichnis vorliegen würden, treffen zudem nicht zu. Diese angebotene Wandabschlussbox entspreche nicht der Konfiguration nach dem Leistungsverzeichnis, da sie nicht die geforderten Kapazitäten für die Glasfaserabschlüsse aufweise. Als mögliches Doppel-bzw. Viererpack scheitere sie an den im Leistungsverzeichnis vorgegebenen Maximalmaßen. Aus dem Leistungsverzeichnis zu Los 2 ergebe sich, dass für jedes Gebäude nur eine Wandabschlussbox/APL vorzusehen ist. Die im Leistungsverzeichnis zur OZ 2.3.3.30 angegebene Mengenangabe "1 St" sei dahin gehend auch eindeutig, dass es nicht egal sei mit wie vielen Wandabschlüssen ein Gebäude anzuschließen sei. Auch in anderen Passagen (insbesondere zu den OZs 3.4.2.100, 02 3.4.2.160, 3.4.2.220 und 3.4.2.280) würde ausdrücklich ein APL pro Gebäude vorausgesetzt. Ebenso unzutreffend sei die Argumentation, dass die Menge der für das Haus eingesetzten Wandabschlussboxen im Rahmen einer funktionalen Öffnung den Verhandlungen zwischen Hauseigentümer und Bauunternehmer überlassen worden sei. Dass der Antragsgegner seine Beschaffungshoheit an einen Aushandlungsprozess des Tiefbauunternehmens mit dem, nicht vertraglich am Bauauftrag beteiligten, Hauseigentümer delegiert habe, sei realitätsfern und entbehre jedweder Grundlage.

Die Überprüfung des Mengenverständnisses der Antragstellerin für die OZ 2.3.3.30 bei der Angebotskalkulation könnte einen weiteren eigenständigen Ausschlussgrund begründen. Wahrheitswidrige Angaben eines Bieters im Rahmen von Angebotsaufklärungen können sich als wesentlich für einen Ausschluss erweisen. Sollte sich das Mengenverständnis nicht durch entsprechende Mengenansätze von vier Wandabschlussboxen in der Urkalkulation bestätigen, so hätte die Antragstellerin durch eine Falschbehauptung versucht, ihr Angebot als zuschlagsfähig erscheinen zu lassen. Die Behauptung der Antragstellerin, sie wolle die Wandabschluss-Montage mit zwei oder vier Boxen vornehmen, scheitere schon an einem Verstoß gegen die in Ziffer 2.2.1.2 ausgeführte abschließende Angebotskonkretisierung durch Nachreichung. Weiterhin könnten durch die Anordnung der vier oder auch nur zwei der angebotenen Wandabschlussboxen die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses zu den maximalen Abmessungen nicht eingehalten werden. Die vorgeschriebenen und zwingend einzuhaltenden Maximalmaße für deren Abmessung würden überschritten.

Auch die angebotene Turtlemuffe (OZ 2.4.2.40) entspreche nicht den im Leistungsverzeichnis geforderten Abmessungen von 295 mm x 220 mm x 90 mm. Nach den Angaben zu den Überwachungssensoren (OZs 2.4.1.20 und 2.4.2.50) sei keine Einbindung des Managements über LoRa-WAN oder NB-loT enthalten, sondern erfolge eine nicht geforderte Einbindung über LWL. Das durch die Nachreichungen konkretisierte Angebot könne die vom Leistungsverzeichnis abweichenden Angaben nicht mehr ändern. Den Ausführungen, dass die Biegeradien im Angebot ausschreibungskonform seien, schließe sich der Antragsgegner an.

Für das Gf-Kabel 144 (OZ 3.2.60) können anhand des eingereichten Datenblatts für die Kabeleigenschaften, z.B. des Dämpfungswertes, nur die herstellerseitigen Werte als gesichert angesehen werden. Damit werde die gemäß Leistungsverzeichnis geforderte Betriebstemperatur von +70° C um xxxxxx° C unterschritten. Eine gutachterliche Stellungnahme ändere daran nichts, denn dies könne die Prüfung der Kabeleigenschaften durch die Temperaturwechselprüfung nicht ersetzen.

Die Teilaufhebung sei rechtmäßig, da der Antragsgegner die Ausschreibung nach ordnungsgemäßer Ausübung des Ermessens und unter angemessener Würdigung der hiervon betroffenen Interessen und Aspekte aus einem nachvollziehbaren Sachgrund aufgehoben habe. Der Antragsgegner habe auch keine rechtliche Möglichkeit, den eigenwirtschaftlichen Glasfaserausbau eines privaten Telekommunikationsunternehmens zu verhindern, dies habe hierauf vielmehr einen Anspruch. Dieser bestehe unabhängig davon, ob eine Kommune einen geförderten Ausbau vornehme oder nicht. Eine überholende eigenwirtschaftliche Erschließung könne nicht verhindert werden. Wegen der Aufgrabegenehmigungen sehen sich die Träger der Straßenbaulast einer gebundenen Entscheidung ausgesetzt. Aus der vorgelegten Presseinformation komme keinesfalls zum Ausdruck, der Antragsgegner habe seinen Ausbaugegenstand dort bereits aufgegeben und dennoch die Weißen Flecken zur Erschließung ausgeschrieben. Der dort behandelte eigenwirtschaftliche Ausbau betreffe nur die Schwarzen Flecken.

Es fehle der Teilaufhebung nicht an vernünftigen, sachlichen, begründeten und diskriminierungsfreien Gründen. Bei angemessener Würdigung der gegen eine Teilaufhebung sprechenden Gründe habe der Antragsgegner die Folgen des eigenwirtschaftlichen Ausbaus abgewogen. Die Aufhebungsentscheidung sei sachlich fundiert und folge vernünftigen, validen Gründen. Aufgrund der noch auszuführenden Planungsschritte der Genehmigungs- und Ausführungsplanung (Leistungsphasen 4 und 5 HOAI) sei nicht mit einer zeitnahen Neuausschreibung zu rechnen, und zudem werden die erheblichen Umplanungen zu einem deutlich veränderten Leistungsbild führen, so dass eine Scheinaufhebung nicht behauptet werden könne.

Die Aufhebung sei Folge, nicht Voraussetzung des eigenwirtschaftlichen Ausbaus gewesen. Der Antragsgegner sei den sich verdichtenden Hinweisen auf einen eigenwirtschaftlichen Ausbau zum Jahresanfang 2022 nachgegangen, was dem Rechtsvertreter der Antragstellerin im Telefonat vom 06.07.2022 mitgeteilt worden sei. Der Antragsgegner beziehe sich bei seiner Aufhebung ausdrücklich nicht auf den erfolgten Zeitverzug, sondern auf eine zwischenzeitlich eingetretene äußere Entwicklung.

Da sich der Ausschreibungsgegenstand grundlegend geändert habe, sei die Planung grundlegend zu ändern. Eine Zuschlagserteilung auf Grundlage des aktuellen Leistungsverzeichnisses sei nicht möglich, da nicht beurteilt werden könne, welche der ausgeschriebenen Leistungen tatsächlich noch benötigt würden. Klar sei, dass angesichts der Mengenanpassungen auch Veränderungen bei den Tiefbauarbeiten stattfinden werden. Ein Festhalten am Bestehenden sei dann unzumutbar, wenn die Ausschreibung insgesamt sinnlos geworden sei oder eine Anpassung der Angebote nicht in Betracht komme. Die öffentliche Hand sei zur sparsamen und effizienten Verwendung der Haushaltsmittel verpflichtet. Nach diesem Grundsatz wäre eine Verpflichtung zur Vergabe von Aufträgen, für deren Durchführung kein öffentliches Interesse mehr bestehe, unvereinbar.

Auf Grundlage des aktuellen Leistungsverzeichnisses sei die Breitbanderschließung im Los 2 somit keinesfalls möglich, da sich weitere Veränderungen durch die erforderliche Ausführungs- und Genehmigungsplanung einstellen werden. Der Antragsgegner habe versucht ein milderes Mittel als die Teilaufhebung abzuschätzen, allerdings würde insbesondere die drohende Änderung der Bieterreihenfolge die bauvertragsrechtlichen und vergaberechtlichen Grenzen einer Vertragsanpassung sprengen.

Es habe eine umfassende Abwägung aller für die Aufhebung relevanten Aspekte stattgefunden, in die auch die Interessen der Bieter mit einem hohen Gewicht eingeflossen seien. Weitere gegen eine Aufhebung sprechende und in die Abwägung einbezogene Gründe seien die von der Antragstellerin angemahnte Ausbaugeschwindigkeit sowie die weitere Preisentwicklung gewesen. Die vorgebliche Möglichkeit eines parallel geförderten Überbaus des eigenwirtschaftlichen Ausbaus spreche nicht gegen die Teilaufhebung, denn dieser könne wegen der in Mindertiefe eigenwirtschaftlich verlegten Leitung nicht mit der bisherigen Ausschreibung sachgerecht abgebildet werden. Zudem führe es zu massiven Verschiebungen im Leistungsbild, da äußerst zeit-, personal- und kostenintensive Handschachtungen erforderlich seien.

Auch ein Überbau zur zweifachen Versorgung der Endkunden sei wirtschaftlich unsinnig und stehe der förder- und kommunalhaushaltsrechtlichen Beachtung der Grundsätze der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung diametral entgegen.

Mit Schriftsatz vom 12.12.2022 trägt der Antragsgegner ergänzend vor, dass es bei der vorliegend starken Verschiebung der Ausführungszeiträume unter Berücksichtigung der aktuell stark schwankenden Baupreise angezeigt sei, den relevanten Markt neu zu befragen, denn es sei fiskalisch unverantwortlich, das laufende Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abzuschließen.

Die Verpflichtung zur Einhaltung der Fertigstellungsfrist zum 01.08.2022 habe unter der Voraussetzung gestanden, dass spätestens zum 30.04.2021 Baufreiheit hergestellt worden sei. Da es an dieser Voraussetzung bei einer Fortsetzung des Verfahrens offenkundig fehlen würde, würde die vorgenannte Fertigstellungsfrist keinerlei Steuerungs- und Kontrollfunktion mehr erfüllen. Aktuell liege noch keine Baufreiheit vor, nach Angaben der technischen Berater sei noch ein Zeitraum von ca. fünf Monaten bis zur deren Erreichung erforderlich. Mit der Baufreiheit sei mithin frühestens zu Anfang Mai 2023 zu rechnen, also 24 Monate nach der ursprünglich avisierten Baufreiheit. Die Fertigstellungsfrist würde sich somit auch mindestens um 24 Monate verschieben. Bei einer Fortsetzung des Vergabeverfahrens würden die terminlichen Steuerungsinstrumente des Antragsgegners stark reduziert werden. Da der Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr sicher bestimmen werden könnte, liefe der Antragsgegner Gefahr, vor Fälligkeit zu mahnen, so dass immer die Unsicherheit verbliebe, ob tatsächlich Schuldnerverzug vorliegt und daher etwaig erforderliche Folgemaßnahmen wie Ersatzvornahme, Kündigung etc. möglich werden oder nicht. Insbesondere bestehe das Risiko, dass sich Ersatzvornahmen oder sogar Auftragskündigungen im Nachhinein als unberechtigte freie (Teil-)Kündigungen darstellen könnten.

Zudem ließe sich das mit einem Zuschlag verfolgte Ziel einer für beide Seiten verbindlichen Vertragsbeziehung nicht mehr erreichen, denn dem Auftragnehmer stünde das Kündigungsrecht gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B zu, wenn der Antragsgegner das Vergabeverfahren fortsetzen und mit einem Zuschlag beenden würde.

Die erforderlichen Umplanungen würden auch zu grundlegenden Veränderungen des Bausolls führen. Für über 10 Prozent hinausgehende Überschreitungen des Mengenansatzes sei auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren, der nach den tatsächlich erforderlichen Kosten mit angemessenen Zuschlägen für Allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn zu ermitteln sei. Der gesamte von Mengenänderungen von > 10 % betroffene Leistungsteil müsste somit nach tatsächlich erforderlichen Kosten abgerechnet werden. Auch die geänderte Trassenführung sowie die in Teilen zu ändernden Verlegetiefen bedingen erhebliche Leistungsänderungen, die ebenfalls zu einer Abrechnung nach tatsächlich erforderlichen Kosten führen würden. Dadurch könnten die Preisdifferenzen der Bieter nach Submission deutlich überschritten werden und es wäre dem Zufall überlassen, ob der Bestbieter in der Abwicklung tatsächlich der wirtschaftlichste Auftragnehmer sei. Auch die Berücksichtigung des Preisanstieges mache deutlich, dass vorliegend eine Aufhebung und Neuausschreibung zwingend geboten sei.

Die Verfahrensbeteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach Lage der Akten gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB zugestimmt.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Ausschreibung aufzuheben, nicht in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt. Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht aufgrund von unzulässigen Änderungen an den Vergabeunterlagen von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A ausgeschlossen (im Folgenden 2 a). Es ist daher vorliegend nicht entscheidungserheblich, dass der Antragsgegner nach Auffassung der Vergabekammer die Voraussetzungen für eine Aufhebung wegen vermeintlich grundlegenden Änderungsbedarfs bezüglich der Vergabeunterlagen und damit einer gemäß § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A gerechtfertigten Aufhebung nicht dargelegt hat. Der vorgesehene eigenwirtschaftliche Ausbau betrifft nur einen geringen Anteil der Hausanschlüsse, die Gegenstand des verfahrensgegenständlichen Loses 2 sind. Zudem steht die Möglichkeit eines partiellen eigenwirtschaftlichen Ausbaus bereits seit 2020 im Raum. Die vom Antragsgegner als Argument angeführten Konsequenzen des inzwischen auf fast zwei Jahre angewachsenen Zeitabstandes zwischen der Veröffentlichung der Ausschreibung und der realistischen Erreichung der Baufreiheit und Umsetzung der Baumaßnahmen bewertet die Vergabekammer dagegen als durchaus erheblich. Die Zeitverzögerung liegt jedoch in der Sphäre des Antragsgegners und ist von ihm zu vertreten. Die Aufhebung ist daher im Ergebnis nicht durch § 17 EU VOB/A gerechtfertigt. Sie ist aber aus einem sachlichen Grund und daher wirksam erfolgt (im Folgenden 2 b).

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Antragsgegner handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber i. S. d. § 99 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, deren geschätzte Auftrags- oder Vertragswerte ohne Umsatzsteuer die jeweiligen Schwellenwerte erreichen oder überschreiten, die nach den EU-Richtlinien festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um einen Bauauftrag i. S. des § 1 EU VOB/A, für den gemäß § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i. V. m. Art. 4 der Richtlinie 2004/24/EU in der seit 01.01.2020 und damit zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltenden Fassung ein Schwellenwert von 5.350.000 € gilt.

Die geschätzten und bekannt gemachten Kosten sowohl für die Gesamtbaumaßnahme als auch bereits für das vorliegend streitbefangene Los 2 (xxxxxx) überschreiten ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte (Vergabevermerk des Antragsgegners vom 03.12.2020, S. 3, Nr.3) den Schwellenwert deutlich.

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie beanstandet, dass der Antragsgegner ihr Angebot zu Unrecht wegen vermeintlicher Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen habe. Zudem sei die anschließend vom Antragsgegner erklärte (Teil-)Aufhebung des Vergabeverfahrens weder durch § 17 EU VOB/A gerechtfertigt noch aus einem von der Rechtsprechung anerkannten sachlichen Grund erfolgt.

Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB, § 160, Rn. 23, Boesen, Vergaberecht, § 107 GWB, Rn. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzungen keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags, wenn der Bieter schlüssig einen durch die behauptete Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (BVerfG, Urteil vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/04; Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB, § 160, Rn. 43; vgl. Beck VergabeR/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160, Rn. 34; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 160, Rn. 30 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06, zitiert nach VERIS). Die Antragstellerin hat eine mögliche Beeinträchtigung ihrer Chancen auf den Zuschlag und damit einen möglichen Schaden schlüssig dargelegt.

Die Antragstellerin hat auch ihrer Pflicht genügt, den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergaberechtsvorschriften gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB vor Einreichen des Nachprüfungsantrags innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen nach positiver Kenntniserlangung gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Bei der Vorschrift des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen.

Vorliegend teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Schreiben vom 11.01.2022 mit, dass er das Angebot der Antragstellerin werde ausschließen müssen. Es seien auch Abweichungen vom Leistungsverzeichnis festgestellt worden. Diese seien für die OZ 2.3.3.30 und OZ 3.2.60 derart wesentlich, dass sie zum Ausschluss führen dürften. Hinsichtlich OZ 2.3.3.30 seien insbesondere die Anforderungen von zwei Fasern pro Wohneinheit zu berücksichtigen. Der xxxxxx habe zur Validierung der Angaben zu OZ 3.2.60 eine zweite, unabhängige technische Expertise eingeholt, die zu dem Ergebnis komme, dass jedwede materialseitige Abweichung der zulässigen Wertebereiche zu temperaturbedingten Korrosionserscheinungen führe, die nachträgliche Beeinträchtigung des Materials bis hin zur Änderung der Kabeleigenschaften mit sich bringen könne und somit die Gefahr berge, den Betrieb des Netzes dauerhaft zu stören. Gleichzeitig stellte der Auftraggeber Fragen zur Aufklärung des Angebotes.

Mit Schreiben vom 21.01.2022 rügte die Antragstellerin einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da keine ergebnisoffene Aufklärung erfolgt sei, und verwahrte sich gegen den angedrohten, aber offenbar noch nicht endgültig entschiedenen Ausschluss ihres Angebotes. Gleichzeitig beantwortete die Antragstellerin die Fragen zur Angebotsaufklärung.

Mit Schreiben vom 07.10.2022, eingegangen bei der Antragstellerin am 14.10.2021, teilte der Antragsgegner über die Vergabeplattform mit, dass er den Rügen nicht abhelfe und das Angebot der Antragstellerin aufgrund von § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A sowie auch § 16a EU Abs. 5 VOB/A ausgeschlossen werde.

Mit weiterem Schreiben vom xxxxxx.2022 teilte der Antragsgegner den Bietern über die Vergabeplattform mit, dass er das Vergabeverfahren bezüglich des Loses 2 (xxxxxx) aufhebe. Zur Begründung erklärte der Antragsgegner, die Teilaufhebung sei aufgrund eines eigenwirtschaftlichen Ausbaus eines privatwirtschaftlichen Telekommunikationsunternehmens in der xxxxxx in Konkurrenz zum mit den ausgeschriebenen Bauleistungen verfolgten geförderten Breibandausbau erfolgt. Es sei eine umfassende Umplanung erforderlich geworden.

Daraufhin rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 24.10.2022, dass die Teilaufhebung gegen das Vergaberecht verstoße. Für einen Ausschlussgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A sei es nicht ausreichend, dass die Vergabeunterlagen überhaupt geändert werden, sondern dies müsse auch erforderlich sein. Eine Abwägung zur Ermessensentscheidung sei offensichtlich unterblieben. Es liege auch kein sachlicher Grund für eine Aufhebung vor. Mit gleichem Schreiben rügte die Antragstellerin zudem ausführlich den Ausschluss ihres Angebotes.

Die Rügen erfolgten jeweils innerhalb der gesetzlichen 10-Tages-Frist und damit rechtzeitig.

Der Nachprüfungsantrag ist somit zulässig.

2. Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet. Die Antragstellerin ist durch die Entscheidung des Antragsgegners, die Ausschreibung aufzuheben, im Ergebnis nicht in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB verletzt:

a. Der Antragsgegner hat das Angebot der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht aufgrund von unzulässigen Änderungen an den Vergabeunterlagen von der weiteren Wertung gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A ausgeschlossen.

Gemäß § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A und § 53 Abs. 7 Satz 1 VgV sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig. Das betreffende Angebot ist gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A zwingend von der Wertung auszuschließen. Der Regelungszweck dieser Vorschriften besteht darin, das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages mit übereinstimmenden Willenserklärungen zu gewährleisten (OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 02.12.2014 - 11 Verg 7/14 = VergabeR 2015, Seite 591 ff., 595). Der öffentliche Auftraggeber braucht sich nicht auf einen Streit über den Inhalt des Angebots bzw. des gegebenenfalls abgeschlossenen Vertrages einzulassen. Gleichermaßen betrifft diese Regelung jedoch auch die Transparenz des Vergabeverfahrens und die Gleichbehandlung der Bieter: Dadurch, dass jeder Bieter nur das anbieten darf, was der öffentliche Auftraggeber auch tatsächlich nachgefragt hat, und sich keinen Wettbewerbsvorteil dadurch verschaffen darf, dass er von den Ausschreibungsvorgaben abweicht (Ausnahme: Nebenangebot), ist gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht miteinander vergleichbar sind (BGH, Urteil vom 16.04.2002 - X ZR 67/00). Andernfalls wäre es dem Auftraggeber nicht möglich, unter sämtlichen Angeboten dasjenige zu ermitteln, dass im Vergleich zu den anderen das wirtschaftlichste im Sinne der §§ 16d EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A, 58 Abs. 2 VgV, 127 GWB ist (vgl. Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 VgV, Rn. 50, m. w. N.).

Unzulässige Änderungen an den Vergabeunterlagen liegen immer dann vor, wenn ein Bieter etwas anderes anbietet, als vom öffentlichen Auftraggeber nachgefragt. In solchen Fällen ist nicht gewährleistet, dass nur solche Angebote gewertet werden, die in jeder Hinsicht miteinander vergleichbar sind, vgl. Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/ Portz/Prieß, VgV, 2017, § 57 VgV, Rn. 50 ff. Irrelevant ist, ob sich die Änderungen in den Vergabeunterlagen selbst manifestieren oder in anderer Weise, etwa dadurch, dass in einem zusätzlichen Begleitschreiben Vorbehalte oder Einschränkungen (dieses Angebot gilt unter der Annahme, dass ...) formuliert werden (vgl. Voppel in Voppel/Osenbrück/Bubert, VgV, 4. Auflage 2018, § 53, Rn. 33).

Wie bereits aus dem Wortlaut der §§ 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2, 16 EU Nr. 2 VOB/A deutlich wird, kommt es bei diesem Tatbestand auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit einer Änderung der Vergabeunterlagen nicht an (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015 - 13 Verg 12/14 = VergabeR 2015, S. 580 ff., 587, m. w. N.). Der Bieter ist vielmehr ohne Einschränkungen an die in den Vergabeunterlagen im Einzelnen präzisierte Nachfrage des öffentlichen Auftraggebers gebunden (vgl. Dittmann in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 57 VgV, Rn. 56).

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs bewertet die Vergabekammer einige vom Antragsgegner beanstandete Positionen als unzulässige Abweichung von den Vergabeunterlagen. Die Vergabekammer teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass das Angebot im Hinblick auf die OZ 2.3.3.30 (Glasfaser APL 12-23 WE), OZ 2.4.2.40 (Turtlemuffe) und OZ 3.2.60 (Gf-Kabel 144 Fasern) von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Dazu im Einzelnen:

OZ 2.3.3.30 Glasfaser-APL 12 bis 23 WE

Bezüglich dieser OZ hat der AG im Leistungsverzeichnis auf S. 60 und 61 folgende Vorgaben festgelegt (Hervorhebungen durch die Vergabekammer):

"Glasfaser-APL 12 bis 23 WE

Glasfaser-Wandabschluss zur Aufnahme von bis zu 48

Steckern SFF (LC-APC 8°) liefern und im Gebäude nach Absprache mit dem

Hauseigentümer montieren.

Die Abschlussbox wird eingesetzt in Gebäuden mit bis zu 23

Wohneinheiten.

Technische Merkmale/Ausstattung APL:

- Maße (max): BxTxH = 36,0 x 17,5 x 48,0 cm

- Deckel mit verschiedenen Schließungen, Auslieferung mit unverlierbarer Kreuzschlitzschraube

- Einführungsmöglichkeit für Mikrorohre oder Gf-Kabel gemäß Ausführungsplanung

- Montagezubehör

- Patchkabeleinführung und Zugabfangung

- Aufnahme von bis 24 LC Duplex-Kupplungen

- Kabelabfangung für 2 Mikrorohre

- 2x Kassettenmodul zur Aufnahme von 8 Stück SC-Kassetten

- 8x SC Kassette

- 48x LC/APC Pigtail Faser: G657.A1 / mindestens grade B2 oder besser

- 24x LC-Duplex-Kupplung

Eingeschlossene Leistungen:

- Absprachen und Terminvereinbarung mit Hauseigentümer

- Einführung Mikrorohr aus Hauseinführung

- Anfahrt und einrichten Arbeitsstelle

- Lieferung und Verlegung Mikroröhrchen bis 5m ins Gebäude

- Alle notwendigen Nebenarbeiten

- Verlassen der Arbeitsstelle besenrein

- Fachgerechte Entsorgung von Verpackungen und Restmaterial

Angebotenes Fabrikat: '....................................................'

Typ: '....................................................'

Vom Bieter verbindlich einzutragen; das entsprechende Datenblatt des

angebotenen Fabrikates ist zwingend in deutscher Sprache beizulegen.

1 St .................... ...................."

In den technischen Vorbemerkungen (TVB) zur OZ 2.3 - Tief- und Rohrleitungsbau Hausanschlüsse heißt es auf Seite 51 des LV korrespondierend dazu:

"Die Position des Abschlussgehäuses (Abschlusspunkt Linienführung, kurz APL) ist in unmittelbarer Nähe der Gebäudeeinführung, höchstens jedoch 2 Meter von dieser entfernt, festzulegen. Ein Elektroanschluss (220V) sollte sich in der Nähe des LWL-Netzabschlusses befinden, damit aktive Netzkomponenten des Netzbetreibers angeschlossen werden können."

Die Vergabeunterlagen sind hinsichtlich des wirklichen und erkennbaren Willens des öffentlichen Auftraggebers aus der objektiven Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist, auszulegen. D.h., entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive des potentiellen Bieterkreises (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013, X ZR 155/10; Urteil vom 20.11.2012 - X ZR 108/10, und Urteil vom 10.06.2008 - X ZR 78/07; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.01.2022 - Verg 23/21, S. 14 BA, Beschluss vom 17.02.2016, Verg 41/15, und Beschluss vom 05.11.2014 - Verg 21/14; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.12.2014 - 11 Verg 7/14).

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabs konnte diese Leistungsbeschreibung nach Auffassung der Vergabekammer aus der Sicht eines fachkundigen Bieters (wie im übrigen auch eines Laien) nur so verstanden werden, dass je Gebäude mit bis zu 23 Wohneinheiten eine einzelne Anschlussbox ("Die Abschlussbox = Singular) mit eindeutig festgelegten Maximalmaßen (nicht etwa "circa-Maßen") zu liefern und zu montieren waren. Dies kommt darüber hinaus dadurch zum Ausdruck, dass vom Bieter unter Angabe des angebotenen Fabrikats und Typs der Preis für "1 St" und damit eine einzelne Anschlussbox einzutragen war.

Die Antragstellerin hat demgegenüber im Nachprüfungsantrag wie auch schon in der mit Anwaltsschriftsatz vom 21.01.2022 erfolgten Beantwortung des Aufklärungsersuchens des Antragsgegners vom 11.01.2022 erklärt, dass sie diese Anforderungen nicht mit einer einzelnen Anschlussbox pro Gebäude, sondern mit "der zur Zweckerreichung ausreichenden Anzahl von Wandabschlussboxen" realisieren will. Sie hat darauf hingewiesen, dass, wie von ihr vorgesehen und angeboten, vier der angebotenen Wandabschlussboxen im Haus installiert werden, wodurch die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses eingehalten würden. Dies habe den Vorteil, dass man die Boxen bedarfsgerecht im Mehrfamilienhaus positionieren kann.

Die Antragstellerin hat im Vergleich zur ausgeschriebenen Realisierung des Glasfaser-Wandabschlusses ein Aliud angeboten. Diese Abweichung ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht als zulässige, gleichwertige Abweichung von den technischen Spezifikationen i. S. d. § 13 EU Abs. 2 VOB/A einzustufen. Danach kann eine Leistung, die von den vorgesehenen technischen Spezifikationen nach § 7a EU Abs. 1 VOB/A abweicht, angeboten werden, wenn sie mit dem geforderten Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig ist. Die Abweichung ist dann aber ausdrücklich im Angebot zu bezeichnen und die Gleichwertigkeit mit dem Angebot nachzuweisen.

Technische Spezifikationen sind technische Regelwerke, Normen oder allgemeine Eigenschafts- oder Funktionsbeschreibungen (vgl. Ziffer 1 der Anlage TS zur VOB/AEU), nicht jedoch die individuell auf das konkrete Bauvorhaben bezogenen technischen Angaben (vgl. OLG München, NZBau 2008, 794, zitiert nach juris.de; OLG Düsseldorf, VergabeR 2005, 188, zitiert nach juris.de; ebenso OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.01.2014 - Verg W 2/14, zitiert nach ibr-online). Überdies hat die Antragstellerin eine vermeintliche Gleichwertigkeit auch nicht, wie von § 13 EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A gefordert, mit dem Angebot nachgewiesen.

Schließlich bietet der Wortlaut der streitbefangenen Position im Leistungsverzeichnis auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass vorliegend lediglich eine funktional beschriebene Teilleistung zu erbringen war. Es handelt sich eindeutig auch bezüglich dieser Position um eine klassische Leitungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis. Dies kommt auch durch die Festlegung der Maximalmaße (B x T x H = 36,0 x 17,5 x 48,0 cm) zum Ausdruck, die die anzubietende Wandabschlussbox aufweisen durfte. Auch diese Maximalmaße hält der von der Antragstellerin angebotene Wandabschluss, jedenfalls bei der von ihr vorgesehenen Konfiguration mit vier oder auch nur zwei Wandabschlussboxen, nicht ein.

Der Ausschlusstatbestand des § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A greift in Fällen, in denen im Angebot etwas anderes offeriert wird als in den Vergabeunterlagen verlangt, d.h. inhaltliche Abweichungen von den verbindlichen fachlichen Vorgaben der Ausschreibung vorliegen. Dabei ist unerheblich, ob es sich um wichtige oder eher weniger bedeutende Änderungen handelt (vgl. VK Rheinland, Beschluss vom 20.05.2022 - VK 7/22, zitiert nach ibr-online). Der Angebotsausschluss ist zwingend, dem Auftraggeber steht kein Ermessen zu (vgl. BGH, 01.08.2006 - X ZR 115/04; OLG Düsseldorf, 22.03.2017 - Verg 54/16).

Eine den Angebotsausschluss begründende Änderung an den Vergabeunterlagen liegt bereits dann vor, wenn das Angebot von einer einzigen Vorgabe der Leistungsbeschreibung inhaltlich abweicht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.06.2011 - 15 Verg 7/11), wobei unbeachtlich ist, ob die Vorgabe als fachlich richtig, zweckmäßig oder technisch sinnvoll angesehen wird oder nicht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2015 - 13 Verg 12/14), und ob die Änderung absichtlich oder versehentlich erfolgte (vgl. VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.05.2011 - 1 VK 17/11).

OZ 2.4.2.40 - Turtlemuffe

Bezüglich dieser Position legt das LV auf den Seiten 70 und 71 fest (Hervorhebungen durch die Vergabekammer):

"Set Kleinmuffe Turtle

Splicebox

Abmessungen: 295mm x 220mm x 90mm.

Zur Aufnahme von 3 Stk. 10/6mm Röhrchen (HA) -> max. 3

Hausanschlüsse, sowie 1 Stk. 16/12mm Röhrchen (HK) inkl. Röhrchen-Adapter 16mm->20mm.

Zur Aufnahme der Spleiße kommt das muffeneigene

Spleißmodul (3 HD Kassetten a 12 Fasern) zum Einsatz.

HA werden von unten nach oben abgelegt.

Spleißpläne sind für 100% der in der jeweiligen Muffe anschließbaren Haushalte

zu erstellen. Die letzten 5% der Gesamtkapazität

(= 2 Spleißplätze) sind für die GF-TAL im Rahmen des Open Access zu

reservieren. Die Kleinmuffe

Turtle Splicebox ist in Vollbestückung mit 3 HD Kassetten zu liefern.

Eingeschlossene Leistungen:

- einmessen und mit Kugelmarker

kennzeichnen.

- inkl. Lieferung Kugelmarker

Angebotenes Fabrikat: '....................................................'

Typ: '....................................................'

Das von der Antragstellerin eingereichte Datenblatt zum von ihr angebotenen Produkt gibt einen benötigten Freiraum ("required space envelope" von "(l) xxxxxx(approx.) x (w) xxxxxx x (d) xxxxxx") in mm an. Die angebotene Haubenmuffe, bei der der Spannring ein essenzieller Bestandteil ist, entspricht somit nicht den im Leistungsverzeichnis geforderten Abmessungen von 295 mm x 220 mm x 90 mm. Die beschriebenen Anforderungen zur Anbindung von maximal 3 Hausanschlüssen (3 x 10/6 mm Röhrchen, 3 x HD Kassetten) wird von dem angebotenen Produkt ebenfalls nicht eingehalten.

Auch hier handelt es sich um eine eindeutige Abweichung von den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses. Diese Vorgaben hatte die Antragstellerin - wie die übrigen Bieter auch - rügelos akzeptiert. Sie war bei der Legung ihres Angebotes daran gebunden. Auch bezüglich dieser Position des LV hat die Antragstellerin die vermeintliche Gleichwertigkeit mit dem Angebot nicht nachgewiesen, wie dies nach § 13 EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A erforderlich gewesen wäre.

OZ 3.2.60 - Gf-Kabel 144 Fasern

Zu dieser Position ist im LV vorgegeben:

"Gfk A-DQ(ZN)2Y 12x12 144 Fasern

LWL-Außenkabel, A-DQ(ZN)2Y 12x12, G657.A1 oder G652.D

Kabel für Röhrchen 14X2,0mm

Liefern, Lagern und Transportieren.

Merkmale

verdrillte Adern, UV-beständig, längswasserdicht, einblasbar, geringes Gewicht

Produktdaten

Faseranzahl: 144

Aussendurchmesser: 7,8mm+/-0,3mm

Faser pro Bündel: 12

min. Biegeradius: 160mm

max. Zugkraft Verlegung (Mindestanforderung): 1.000N

Betriebstemperatur: -30 bis +70°C

Installationstemperatur: -5 bis +50°C

Angebotenes Fabrikat: '....................................................'

Typ: '....................................................'

Vom Bieter verbindlich einzutragen; das entsprechende Datenblatt des angebotenen Fabrikates ist zwingend in deutscher Sprache beizulegen. Kabel aller OZ sind vom gleichen Hersteller zu beziehen. 278457 m"

Die Antragstellerin hat zu der OZ 3.2.60 ein Datenblatt eingereicht. Daraus ergibt sich, dass die Temperaturwechselprüfung gemäß DIN EN IEC 60794-1-22Fl nur bis zu einer Höchsttemperatur von xxxxxx° C bei einem Prüfungsmaßstab für die Dämpfung von 0,05 DB durchgeführt wurde bzw. wird.

Der Antragsgegner hat zur Relevanz dieser Abweichung ausgeführt, dass gemäß den Zweckvorgaben der in dem Datenblatt genannten technischen Norm (deutschsprachige Fassung DIN EN IEC 60794-1-22[Fl] VDE 0888-100-22: 2019-05, Ziffer 4.1.), die Temperaturwechselprüfung der Ermittlung des Stabilitätsverhaltens der Dämpfung im Kabel dient. Hierzu werde in einem Temperaturkorridor die Stabilität der Dämpfung für Lagerung, Transport und Einsatz, also der Betrieb, ermittelt. Die Temperaturwechselprüfung sei eine der wichtigsten Prüfungen zur Ermittlung der Kabel-Qualität.

Demgegenüber hat die Antragstellerin bereits in ihrer Antwort vom 21.01.2022 (Anlagekonvolut ASt 7) auf das Aufklärungsersuchen des Antragsgegners vom 11.01.2022 eine Abweichung in Abrede gestellt und auf die von ihr beigefügte sachverständige Stellungnahme des Herrn xxxxxx, verwiesen.

Dieser hat ausgeführt:

"Gf-Kabel 144F

Das von Ihnen im Datenblatt angebotene Kabel erfüllt die Vorgaben des Leistungsverzeichnisses. Abweichungen vom Leistungsverzeichnis liegen nicht vor. Ich kann bestätigen, dass bei einer erhöhten Prüftemperatur von bis zu +70°C der geforderte Dämpfungszuwachs kleiner 0,1 dB/km sein wird und damit den Vorgaben des Leistungsverzeichnisses genügt. Im Datenblatt gibt der Hersteller bei einem Temperaturzyklus von xxxxxx°C bis xxxxxx°C eine Dämpfungszunahme von kleiner 0,05 dB/km an. Dies lässt erwarten, dass die Dämpfungszunahme auch bei 70°C weit unter dem geforderten Wert von kleiner 0,1 dB/km ist. Temperaturbedingte Korrosionserscheinungen sind nicht zu erwarten und im LWL-Kabel Bereich unbekannt. Jedenfalls ist das angebotene Kabel in Bezug auf das geforderte Schutzniveau, Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit gleichwertig. Die Anforderung des Leistungsverzeichnisses können damit vollumfänglich erfüllt werden."

Auch der von der Antragstellerin befasste Sachverständige geht somit davon aus, dass sich aus dem "Temperaturzyklus" der gesicherte Bereich der angegebenen Kabeleigenschaft "Betriebstemperatur" ergibt. Indem er prognostiziert,,,bei einer erhöhten Prüftemperatur von bis zu +70° C" werden die gemäß Leistungsverzeichnis geforderten Dämpfungswerte durch das angebotene Produkt ebenfalls erfüllt, sieht er die Temperaturwechselprüfung als letztlich entscheidend an für die Betriebstemperatur und die Dämpfungseigenschaften.

Diese Prognose des Sachverständigen, dass die notwendigen Dämpfungswerte auch durch das von der Antragstellerin angebotene Kabel erreicht werden, ändert aber nichts daran, dass ausweislich des eingereichten Datenblatts herstellerseitig nur bis zu der angegebenen Grenze die Kabeleigenschaften als gesichert angesehen werden. Damit wird die gemäß Leistungsverzeichnis geforderte Betriebstemperatur von +70° C um xxxxxx° C unterschritten.

Eine Dämpfungsvorgabe von "0,1 dB/km" ergibt sich im Übrigen aus dem Leistungsverzeichnis nicht. Damit kann entgegen des Vortrages der Antragstellerin nicht auf einen solchen Wert durch die im Angebot angegebenen Rahmenbedingungen der Temperaturwechselprüfung bis xxxxxx° C für die geforderte Obergrenze der Betriebstemperatur von +70° C rückgeschlossen/extrapoliert werden.

Es liegen demnach unzulässige Änderungen der Vergabeunterlagen vor. Die Entscheidung des Antragsgegners, das Angebot der Antragstellerin wegen unzulässiger Änderungen der Vergabeunterlagen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A auszuschließen, ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

b. Es ist daher vorliegend nicht entscheidungserheblich, dass der Antragsgegner nach Auffassung der Vergabekammer die Voraussetzungen für eine Aufhebung wegen vermeintlich grundlegenden Änderungsbedarfs bezüglich der Vergabeunterlagen und damit einer gemäß § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A gerechtfertigten Aufhebung nicht dargelegt hat. Der vorgesehene eigenwirtschaftliche Ausbau betrifft nur einen geringen Anteil der Hausanschlüsse, die Gegenstand des verfahrensgegenständlichen Loses 2 sind. Zudem steht die Möglichkeit eines partiellen eigenwirtschaftlichen Ausbaus bereits seit 2020 im Raum.

Das Erfordernis strenger Anforderungen folgt insbesondere daraus, weil sich Bewerber und Bieter im Vertrauen darauf auf die Ausschreibung eingelassen haben, dass auch tatsächlich eine Vergabe erfolgt. Sie sollen daher in ihren Aufwendungen von Zeit und Kosten für die Erstellung ihrer Angebote nicht enttäuscht werden (vgl. Portz in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 17, Rn. 28, m.w.N.).

- Der Antragsgegner hat die Aufhebung auf § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A gestützt. Danach kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, wenn die Vergabeunterlagen im Nachhinein, also nach der Einleitung des Vergabeverfahrens, grundlegend geändert werden müssen. Mit der Möglichkeit (Ermessen des Auftraggebers) zur Aufhebung in diesen Fällen sollen Vergaben durch den Auftraggeber verhindert werden, in denen aufgrund nicht vorhersehbarer Entwicklungen die vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungsanforderungen von den Unternehmen nicht mehr einhaltbar sind (Portz in: Ingenstau/Korbion, VOB, 21. Aufl., § 17 VOB/A, Rn. 26).

Der Aufhebungsgrund des § 17 Abs. 1 Nr. 2 greift dann, wenn sich die Verhältnisse so grundlegend geändert haben, dass eine Auftragsvergabe auf der Grundlage der bisherigen Vergabeunterlagen für den Auftraggeber oder die Bieter unzumutbar geworden oder nicht mehr möglich ist (Pünder/Schellenberg, 3. Aufl. 2019, VOB/A § 17, Rn. 12, vgl. OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 - Verg 4/13). Ein Festhalten am Bestehenden ist jedenfalls dann unzumutbar, wenn die Ausschreibung insgesamt sinnlos geworden ist oder eine Anpassung der Angebote nicht in Betracht kommt, da ein Großteil der ausgeschriebenen Leistungen in geänderter Form auszuführen wäre, d.h. wenn eine ganz entscheidende Abänderung der Leistungsbeschreibung notwendig wäre (Pünder/Schellenberg, 3. Aufl. 2019, VOB/A § 17, Rn. 12; OLG München, Beschluss vom 06.12.2012 - Verg 29/12; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.02.2013 - VK 1-35/12).

Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass die Vergabeunterlagen nach seinen Feststellungen grundlegend geändert werden müssen, weil inzwischen ein Teil der im verfahrensgegenständlichen Los 2 (xxxxxx) liegenden Hausanschlüsse nunmehr entgegen den Erkenntnissen und der Ausgangslage bei Ausschreibungsbeginn doch von einem eigenwirtschaftlichen Unternehmen realisiert wurden bzw. werden.

Daher seien die Planung und die bislang veranschlagten Mengen und somit die Vergabeunterlagen grundlegend zu ändern. Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass er eine zurückhaltende Beurteilung der mengenmäßigen Veränderung vorgenommen habe. So seien - trotz der veränderten Materialmengen - noch keine angepassten Tiefbauansätze berücksichtigt worden. Der Grund hierfür sei, dass diese erst nach der Genehmigungsplanung seriös abgeschätzt werden könnten. Es sei aber für ihn klar, dass angesichts der Mengenanpassungen auch Veränderungen bei den Tiefbauarbeiten stattfinden werden, die das Bild wegen der Mengenänderungen weiter verschärfen werden. Eine Zuschlagserteilung auf Grundlage des aktuellen Leistungsverzeichnisses sei somit keinesfalls möglich, da zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden kann, welche der ausgeschriebenen Leistungen tatsächlich noch benötigt werden.

Dieser Einschätzung des Antragsgegners stehen jedoch die in der Vergabeakte dokumentierten geringen Auswirkungen der festgestellten eigenwirtschaftlichen Realisierungen auf das verfahrensgegenständliche, ausgeschriebene Auftragsvolumen entgegen.

Danach (Anlage 20. 7) sollen zunächst 7 zu den verfahrensgegenständlichen sog. "Weißen Flecken" gehörende Hausanschlüsse entfallen sein. Diese 7 Hausanschlüsse sind im Wege des eigenwirtschaftlichen Netzausbaus ausgebaut worden, obwohl sie an sich mit dem vorliegenden Auftrag erschlossen werden sollten. Der Entfall von 7 Hausanschlüssen stellt bei insgesamt ca. 1.358 herzustellenden Hausanschlüssen keine wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens im Sinne von § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A dar. Es handelt sich damit um knapp 0,5% der ursprünglich angegebenen Hausanschlüsse.

Hinzu kommt, dass es in der Leistungsbeschreibung ohnehin heißt (Hinweise zu Aufmaß und Abrechnung, S. 3 von 106):

"Die Hausanschlüsse müssen von den Grundstückseigentümern dem Netzbetreiber gegenüber noch beauftragt werden. Die Herstellung von Hausanschlüssen kommt daher nur in dem Umfang zur Ausführung, wie diese gegenüber dem Netzbetreiber beauftragt werden. Es wird derzeit davon ausgegangen, dass ca. 70% der möglichen förderfähigen Hausanschlüsse realisiert werden."

Auf derartig geringe Folgen eines eigenwirtschaftlichen Ausbaus auf das Volumen des Auftragsgegenstandes hätte der Antragsgegner im Zuschlagsfalle bei Bedarf auch nach Vertragsschluss durch Vertragsanpassung gemäß §§ 1 Abs. 3 i. V. m. 2 Abs. 5, 6 VOB/B, § 2 Abs. 3 VOB/B reagieren können.

Die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte Aufhebung nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A liegen dadurch jedenfalls nicht vor.

- Die vom Antragsgegner als Argument angeführten Konsequenzen des inzwischen auf fast zwei Jahre angewachsenen Zeitabstandes zwischen der Veröffentlichung der Ausschreibung und der realistischen Erreichung der Baufreiheit und Umsetzung der Baumaßnahmen bewertet die Vergabekammer dagegen als durchaus erheblich. Die Zeitverzögerung liegt jedoch in der Sphäre des Antragsgegners und ist von ihm zu vertreten. Die Aufhebung ist daher im Ergebnis nicht durch § 17 EU VOB/A gerechtfertigt. Sie ist aber aus einem sachlichen, nicht willkürlichen Grund und daher wirksam erfolgt (vgl. Dieck-Bogatzke, Probleme bei der Aufhebung der Ausschreibung, VergabeR 2a/2008, S. 392 ff., 396, m.w.N.).

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 12.12.2022 ergänzend vorgetragen, dass es bei der vorliegend starken Verschiebung der Ausführungszeiträume unter Berücksichtigung der aktuell stark schwankenden Baupreise angezeigt sei, den relevanten Markt neu zu befragen, denn es sei fiskalisch unverantwortlich, das laufende Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abzuschließen.

Die Verpflichtung zur Einhaltung der Fertigstellungsfrist zum 01.08.2022 habe unter der Voraussetzung gestanden, dass spätestens zum 30.04.2021 Baufreiheit hergestellt worden sei. Da es an dieser Voraussetzung bei einer Fortsetzung des Verfahrens offenkundig fehlen würde, würde die vorgenannte Fertigstellungsfrist keinerlei Steuerungs- und Kontrollfunktion mehr erfüllen. Aktuell liege noch keine Baufreiheit vor, nach Angaben der technischen Berater sei noch ein Zeitraum von ca. fünf Monaten bis zur deren Erreichung erforderlich. Mit der Baufreiheit sei mithin frühestens zu Anfang Mai 2023 zu rechnen, also 24 Monate nach der ursprünglich avisierten Baufreiheit. Die Fertigstellungsfrist würde sich somit auch mindestens um 24 Monate verschieben. Bei einer Fortsetzung des Vergabeverfahrens würden die terminlichen Steuerungsinstrumente des Antragsgegners stark reduziert werden. Da der Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr sicher bestimmt werden könnte, liefe der Antragsgegner Gefahr, vor Fälligkeit zu mahnen, so dass immer die Unsicherheit verbliebe, ob tatsächlich Schuldnerverzug vorliegt und daher etwaig erforderliche Folgemaßnahmen wie Ersatzvornahme, Kündigung etc. möglich werden oder nicht. Insbesondere bestehe das Risiko, dass sich Ersatzvornahmen oder sogar Auftragskündigungen im Nachhinein als unberechtigte freie (Teil-)Kündigungen darstellen könnten.

Zudem ließe sich das mit einem Zuschlag verfolgte Ziel einer für beide Seiten verbindlichen Vertragsbeziehung nicht mehr erreichen, denn dem Auftragnehmer stünde das Kündigungsrecht gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B zu, wenn der Antragsgegner das Vergabeverfahren fortsetzen und mit einem Zuschlag beenden würde.

Eine rechtmäßige Aufhebung nach § 17 EU VOB/A (hier käme überhaupt nur die Fallgruppe der "anderen schwerwiegenden Gründe" gemäß Abs. 1 Nr. 3 in Betracht) lässt sich im Ergebnis allerdings auch nicht darauf stützen. Denn die inzwischen bei diesem Vergabeverfahren angewachsene erhebliche Zeitverzögerung liegt allein in der Sphäre des Antragsgegners begründet und ist von diesem daher zu vertreten.

Die Rechtsprechung geht nahezu einhellig davon aus, dass die Aufhebung gemäß § 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A voraussetzt, dass der Auftraggeber bei Beginn des Verfahrens das Vorhandensein oder den nachträglichen Eintritt des maßgeblichen Umstandes nicht erwartet hat bzw. ihn nicht schuldhaft herbeigeführt hat (vgl. Glahs in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 3. Auflage, § 17 VOB/A, Rn. 12; Dieck-Bogatzke, Probleme bei der Aufhebung der Ausschreibung, VergabeR 2a/2008, S. 392 ff., 393, m.w.N.).

Die Vergabekammer hatte im seinerzeitigen Nachprüfungsverfahren VgK-20/2021 mit Beschluss vom 12.07.2021 festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei. Der Antragsgegner wurde verpflichtet, das Vergabeverfahren in das Stadium vor der Vollständigkeitsprüfung der Angebote zurückzuversetzen, die gesamte Angebotswertung vollständig erneut durchzuführen und dabei die aus den Entscheidungsgründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG Celle bereits mit Beschluss vom 12.10.2021 - 13 Verg 7/21 - zurückgewiesen. Der Antragsgegner bedurfte daher keines weiteren Jahres, um das Vergabeverfahren zum Abschluss zu bringen.

Die Feststellung der Rechtswidrigkeit führt allerdings nicht zu einer Verpflichtung des Auftraggebers, die Aufhebung aufzuheben und das Vergabeverfahren fortzusetzen, wie von der Antragstellerin beantragt. Der Antragsgegner darf daher den von ihm eingeschlagenen Weg der Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens fortsetzen.

Grundsätzlich gilt, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht verpflichtet werden kann, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat. Dies ist Folge der Vertragsfreiheit, die auch für im Wege öffentlicher Ausschreibungen vergebene Aufträge gilt. Notwendige Voraussetzung für eine vollständige oder auch nur teilweise Aufhebung einer Ausschreibung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine (Teil)Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder nur zum Schein erfolgt, vgl. BGH, Beschluss vom 18.02.2003, X ZB 43/02; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.11.2010 - Verg 28/10; Beschluss vom 08.07.2009; VK Sachsen, Beschluss vom 26.04.2018, 1/SVK/005-18.

Diese Befugnis ergibt sich auch aus § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV. Dort heißt es, dass der öffentliche Auftraggeber im Übrigen grundsätzlich nicht verpflichtet ist, den Zuschlag zu erteilen. Dieser in der Vorgängervorschrift und in § 17 EU VOB/A nicht ausdrücklich enthaltene, gleichwohl auch für Bauvergabeverfahren geltende Grundsatz trägt aus Gründen der Rechtsklarheit der in diesem Zusammenhang ergangenen Rechtsprechung Rechnung, dass es keinen Kontrahierungszwang gibt (BGH, Beschluss vom 20.03.2014 - X ZB 18/13 = VergabeR 2014, S. 538 ff., OLG Celle, Beschluss vom 10.03.2016, 13 Verg 5/15; Portz in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 63 VgV, Rn. 18). Folglich gibt es - abgesehen von den Fällen deutlich erkennbar rechtsmissbräuchlichem Verhaltens eines Auftraggebers - keinen vergaberechtlichen Anspruch eines Bieters, den Auftraggeber am begonnenen Vergabeverfahren festzuhalten und daran zu hindern, ein mängelbehaftetes Vergabeverfahren zu überarbeiten und neu zu beginnen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021 - Verg 22/20; OLG Rostock, Beschluss vom 02.10.2019, 17 Verg 3/19). Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Er kann jederzeit auf die Vergabe eines Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob die gesetzlich normierten Aufhebungsgründe erfüllt sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.02.2021 - Verg 22/20). Ein Bieter hat nur dann einen Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens, wenn der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit einer Beendigung des Vergabeverfahrens in rechtlich zu missbilligender Weise dazu einsetzt, durch die Beendigung die formalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den Auftrag außerhalb des Vergabeverfahrens an einen bestimmten Bieter vergeben zu können (OLG Rostock, Beschluss vom 02.10.2019, 17 Verg 3/19).

Eine Auffassung im Schrifttum (Portz in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV Kommentar, § 63 VgV, Rn. 23) nimmt noch einen Kontrahierungszwang ausnahmsweise bei Ermessensreduzierung auf null an, wenn der Beschaffungswille unverändert besteht und die Entscheidung zur Aufhebung gegen die Grundprinzipien des Vergaberechtes verstieße. Die Vergabekammer teilt diese Auffassung.

Die Einschränkung "grundsätzlich" in § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV hat nur die Funktion, rechtsmissbräuchliche Aufhebungen zu verhindern (Portz in: Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 63 VgV, Rn. 23). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bietet der vorliegende Sachverhalt keinen Anlass, von einer rechtsmissbräuchlichen Aufhebung auszugehen. Denn der Antragsgegner hat das alte Vergabeverfahren förmlich aufgehoben und beabsichtigt, ein neues Vergabeverfahren durchzuführen, an dem sich eben auch alle Bieter des aufgehobenen Vergabeverfahrens beteiligen können.

Damit wird auch die nach den oben unter II. 2. a ausgeführten Gründen im streitbefangenen Vergabeverfahren zu Recht mit ihrem Angebot ausgeschlossene Antragstellerin in die Lage versetzt, sich mit einem neuen Angebot um den erneut ausgeschriebenen Auftrag zu bewerben.

Der Nachprüfungsantrag war daher als unbegründet zurückzuweisen.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 182 GWB in der seit dem 18.04.2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz - VergRModG) vom 17.02.2016 (BGBl. I, S. 203), in Kraft getreten gemäß dessen Art. 3 am 18.04.2016).

Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung aus Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 182 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der Gegenstandswert wird auf xxxxxx € (brutto) festgelegt. Dieser Betrag entspricht der vom Antragsgegner geprüften Angebotssumme des Angebotes der Antragstellerin für das verfahrensgegenständliche Los 2 unter Berücksichtigung des angebotenen Nachlasses und damit ihrem Interesse am Auftrag.

Bei einer Gesamtsumme von xxxxxx € ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 182 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag in der Hauptsache keinen Erfolg hatte.

Aufwendungen des Antragsgegners:

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 182 Abs. 4 GWB zu erstatten. Die Hinzuziehung einer Rechtsanwaltskanzlei war erforderlich. Die anwaltliche Vertretung des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren gehört nicht grundsätzlich zu den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Grundsätzlich ist der Auftraggeber gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandenes juristisch geschultes Personal auch im Nachprüfungsverfahren einzusetzen. Daher kann die Vergabekammer die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch den Antragsgegner regelmäßig nicht als notwendig ansehen.

Das vorliegende Nachprüfungsverfahren betrifft rechtlich wie tatsächlich komplexe und anspruchsvolle Fragestellungen. Zudem hatte der Antragsgegner die Verfahrensbevollmächtigte zu 1 bereits für die rechtliche Begleitung des Vergabeverfahrens hinzugezogen. Es erscheint zur Abarbeitung des Nachprüfungsverfahrens daher angemessen, das anhand der regelmäßigen Linienarbeit bemessene Personal für das Nachprüfungsverfahren ebenfalls anwaltlich zu verstärken. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war daher für den Antragsgegner insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit in diesem Fall als notwendig anzuerkennen (vgl. VK Niedersachsen, Beschluss vom 31.01.2012, VgK58/2011; Beschluss vom 18.09.2012, VgK-36/2012).

Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren in der Hauptsache unterlegen ist, hat sie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung erforderlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen. Die aufwands- und kostenerhöhende parallele Befassung einer zweiten Rechtsanwaltskanzlei kann der Antragsgegner dagegen der Antragstellerin nicht in Rechnung stellen. Diese Kosten hat der Antragsgegner selbst zu tragen.

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses die Gebühr in Höhe von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

xxxxxx

IV. Rechtsbehelf

...

Gause
Herr Tiede kann aufgrund krankheitsbedingter Abwesenheit nicht selbst unterschreiben.
Gause
Dierks