Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 16.03.2012, Az.: VgK-06/2012

Überprüfung der Angemessenheit der Angebotspreise gem. § 19 Abs. 6 VOL/A-EG bei Unterschreiten der zweitplazierten Angebotspreise um mehr als 20 Prozent; Ersetzen der in § 19 Abs. 6 S. 1 VOL/A-EG vorgeschriebenen Kalkulationsaufklärung durch Heranziehung von Vergleichszahlen bei der Angemessenheitsprüfung; Beteiligung eines kommunalen Unternehmens an einem Wettbewerb als unlauter i.S.d § 2 Abs.1 VOL/A; Zulässigkeit des Ausschlusses eines Angebotes bei fehlender Betriebsstätte im Kreisgebiet

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
16.03.2012
Aktenzeichen
VgK-06/2012
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 19665
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
den xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegner und Auftraggeber -
beigeladen:
xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
VOL-Vergabeverfahren "Sammlung und Transport von verschiedenen Abfallfraktionen sowie Verwerten von PPK-Abfällen und Lieferung sowie Bereitstellung von Abfallbehältern"
Lose 1 - 4,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden MR Gause, die hauptamtliche Beisitzerin Dipl.-Ing. Rohn und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Sameluck, auf die mündliche Verhandlung vom 16.03.2012
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Der Antragsgegner wird verpflichtet, erneut in die Angebotswertung einzutreten, die Angemessenheit der von der Beigeladenen geforderten Angebotspreise zu den einzelnen Losen durchzuführen und Prüfung und Ergebnis in einer den Anforderungen des § 24 VOL/A-EG genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Ferner ist der Antragsgegner verpflichtet, bei der Überprüfung der von ihm in der Vergabeakte angesprochenen, bislang aber offen gelassenen Zweifel an der Berücksichtigungsfähigkeit des Angebotes der Antragstellerin, die aus der Begründung ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

    Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens haben der Antragsgegner zu 2/3 und die Antragstellerin zu 1/3 zu tragen. Der Antragsgegner ist jedoch von der Entrichtung des auf ihn entfallenden Kostenanteils befreit.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Der Antragsgegner, ist verpflichtet, der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu 2/3 zu erstatten. Die Antragstellerin ist ihrerseits verpflichtet, dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu 1/3 zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war sowohl für die Antragstellerin als auch für den Antragsgegner notwendig.

Begründung

1

I.

Mit europaweiter Bekanntmachung vom xxxxxx.2011 hat der Landkreis xxxxxx als Auftraggeber den Dienstleistungsauftrag "Sammlung und Transport von verschiedenen Abfallfraktionen sowie Verwertung von PPK-Abfällen und Lieferung sowie Bereitstellung von Abfallbehältern" als offenes Verfahren in 5 Losen ausgeschrieben. Gegenstand der streitbefangenen Lose sind Sammlung und Transport verschiedener Abfallfraktionen sowie die Verwertung von Papier, Pappe und Kartonagen (PPK). Angebote sind möglich für ein oder mehrere Lose. Varianten/Alternativangebote sind nicht zulässig. Vorgesehen ist eine Vertragslaufzeit von 5 Jahren mit der Option einer zweimaligen Verlängerung um jeweils ein Jahr. Als Zuschlagskriterium wurde der niedrigste Preis bekannt gemacht.

2

In Bekanntmachung und Vergabeunterlagen wird gefordert, dass die Auftragnehmer während des gesamten Leistungszeitraumes eine Niederlassung im Gebiet des Auftraggebers unterhalten. Sofern Bieter bereits über eine solche Niederlassung verfügen, hatten sie deren Anschrift anzugeben. Andernfalls hatten sie sich für die Lose 1, 3 und 4 durch Ankreuzen zu verpflichten, diese spätestens bis zum 01.01.2013 zu eröffnen.

3

Die Besonderen Vertragsbedingungen sehen für die Lose 1 - 4 die Möglichkeit einer Preisanpassung vor. Das anzupassende Entgelt teilt sich auf in Personalkosten, Dieselkraftstoffkosten, Technische Kosten LKW/ggf. Maschinen/Elektrizität und Fixkosten. Die prozentuale Gewichtung dieser Kostenbestandteile, welche der tatsächlichen Gewichtung entsprechen muss, wurde von den Bietern abgefragt.

4

Nach Maßgabe der Bewerbungsbedingungen sind mit dem Angebot für den zu vergebenden Auftrag ausgestellte Bereitschaftserklärungen eines Kreditinstituts bzw. eines Kreditversicherers zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft über 5% der Bruttoauftragssumme und der Nachweis einer Betriebshaftpflichtversicherung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden vorzulegen. Der Versicherungsnachweis kann durch Bestätigung einer Versicherung oder Kopie des Versicherungsscheins erbracht werden. Gleichwertig ist die Bereitschaftserklärung eines Versicherungsunternehmens zum Abschluss einer solchen Versicherung. Bei Angebotsfrist nicht vorgelegte Erklärungen und Nachweise können nachgefordert werden, ein Anspruch auf Nachforderung besteht aber grundsätzlich nicht.

5

Einziges Zuschlagskriterium sind die aufgrund der Angebote entstehenden Gesamtkosten für die Grundlaufzeit des Vertrages von 5 Jahren. Diese sollen nach den von den Bietern abgefragten zeitraum- und mengenabhängigen Entgelten und den im Leistungsverzeichnis zu den einzelnen Losen vorgegebenen Prognosewerten unter Berücksichtigung jährlicher Preisanpassungen ermittelt werden.

6

Nach den Regelungen der Bewerbungsbedingungen kann der Bieter Rabatte für die Lose 1 - 4 anbieten für den Fall, dass er den Zuschlag für mehrere Lose erhält. Der Bieter muss hierbei sowohl den Rabatt als auch das bzw. die anderen Lose benennen, bei deren Zuschlag der Rabatt gewährt wird. Die Rabatte finden bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes nur dann Berücksichtigung, wenn unter Einstellung der Rabatte das Angebot in allenrabattierten Losen das günstigste der wertbaren Angebote ist.

7

Die Submission fand am 16.11.2011 statt. Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene hatten fristgerecht ein Angebot für alle streitbefangenen Lose vorgelegt.

8

Für die Angebotswertung bediente sich der Auftraggeber der Dienste der Kanzlei xxxxxx, die ihr Ergebnis im Zwischenbericht, Stand: 24.11.2011, und im Abschlussbericht, Stand: 05.12.2011, festhielt. Im Zwischenbericht wird vermerkt, dass u.a. das Angebot der Antragstellerin in einer Ordnerversandverpackung vorgelegt worden war, die eine unbemerkte Einsichtnahme über die Seiten der Verpackung zugelassen hätte. Diesbezüglich sollte gesondert geprüft werden, ob diese Angebote im Sinne von § 16 EG Abs. 2 Satz 2 VOL/A "verschlossen" waren.

9

Das Angebot der Beigeladenen erwies sich als vollständig und fachlich und rechnerisch richtig. Im Angebot der Antragstellerin fielen Unklarheiten bezüglich ihrer Angaben zur Preisanpassung auf, auch bestanden Zweifel, ob die Antragstellerin mit den von ihr vorgelegten Nachweisen die gestellten Anforderungen bezüglich der Vertragserfüllungsbürgschaft und der Berufshaftpflichtversicherung erfüllt.

10

Im Rahmen der rechnerischen Prüfung der Angebote wurden die angebotenen Preise, die abgefragten Gewichtungsangaben und evtl. Rabatte für jedes Angebot in einer Excel-Tabelle erfasst. Nach den Vorgaben der Bewerbungsbedingungen wurde hiernach für jedes angebotene Los das für den Auftraggeber zu erwartende jeweilige Gesamtentgelt für 5 Jahre ermittelt. Ebenfalls ermittelt wurden ggf. die rabattierten Angebotspreise.

11

Beim Vergleich der Gesamtentgelte ohne Rabattierungen hatten bei den Losen 1 bis 3 die Beigeladene und bei Los 4 die Antragstellerin die preislich niedrigsten Angebote vorgelegt. Unter Einbeziehung der Rabatte hat die Beigeladene bei den Losen 1 bis 4 das günstigste Angebot abgegeben, das Angebot der Antragstellerin liegt bei Berücksichtigung der Rabatte für alle vier Lose auf Rang 2.

12

Zur Verfahrensvereinfachung und Vermeidung von Aufwand wurde beschlossen, für die nachrangigen Angebote zunächst auf die Nachforderung von Unterlagen bzw. die weitere Aufklärung von Angebotsinhalten zu verzichten.

13

Hiernach wurde für die Lose 1 bis 4 lediglich das Angebot der Beigeladenen weiter geprüft. Im Rahmen der Eignungsprüfung wurde die Eignung der Beigeladenen festgestellt. Eine Tätigkeit der Beigeladenen im Gebiet des Auftraggebers wurde nicht als unlauteres Verhalten gewertet, weil es sich bei dem Mutterunternehmen der Beigeladenen nicht um eine kommunale Mehrheitsgesellschaft handelt, und die Regelungen des kommunalen Wirtschaftsrechts des Landes Sachsen-Anhalt für Tochtergesellschaften kommunaler Minderheitsgesellschaften kein Betätigungsverbot enthalten. Auch wurde bei diesen Regelungen kein Bieterschutz erkannt.

14

Da festgestellt wurde, dass die Abweichungen der Angebotspreise der Beigeladenen und der Antragstellerin die sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Aufgreifschwellen von 20% bzw. 10% bei allen vier Losen überschreiten, wurden die Angebotspreise der Beigeladenen anhand von Vergleichen mit vom Auftraggeber nach aktuellen Marktkenntnissen ermittelten Referenzpreisen auf ihre Auskömmlichkeit überprüft.

15

Die Angebotspreise der Beigeladenen für die Lose 1 und 4 erwiesen sich als höher als die hierzu ermittelten Referenzpreise. Deshalb wurde festgestellt, dass die Preise auskömmlich bzw. nicht ungewöhnlich niedrig sind.

16

Der rabattierte Angebotspreis der Beigeladenen für Los 3 war geringfügig niedriger als der ermittelte Referenzpreis. Auch hier wurde kein Anlass für weitere Aufklärung gesehen, weil der nicht rabattierte Preis der Beigeladenen über dem ermittelten Referenzpreis liegt und bei Ermittlung des Referenzpreises zu erwartende Synergieeffekte nicht berücksichtigt worden sind. Der Angebotspreis für Los 2 der Beigeladenen lag deutlich unter dem ermittelten Referenzpreis. Hier wurde anhand eines Vergleichs mit Wettbewerbsergebnissen anderer nieder-sächsischer Landkreise und den Ergebnissen einer Marktanalyse festgestellt, dass der knapp kalkulierte Angebotspreis dennoch marktüblich und nicht ungewöhnlich niedrig ist. Im Ergebnis dieser Betrachtungen wurde bei allen vier Losen darauf verzichtet, die Angebotspreise durch die Beigeladene aufklären zu lassen.

17

Die Auswahl der wirtschaftlichsten Angebote nach Maßgabe der niedrigsten Angebotspreise wurde im Schlussbericht tabellarisch dokumentiert. Hiernach hatte für die Lose 1 bis 4 die Beigeladene unter Berücksichtigung der von ihr angebotenen Rabattierungen jeweils den niedrigsten Preis angeboten. Den Feststellungen folgend wird empfohlen, den Zuschlag auf die Lose 1 bis 4 unter Berücksichtigung der gewährten Rabatte auf die Angebote der Beigeladenen zu erteilen.

18

Zur Prüfung des Angebotes der Antragstellerin wurde festgehalten, dass ihre Angaben zur Gewichtung der technischen Kosten LKW mit 0% aufklärungsbedürftig sind und erhebliche Zweifel daran bestehen, dass diese Gewichtung ihre tatsächliche Kostenstruktur abbildet. Zumindest aufklärungsbedürftig sei auch, ob der beigefügte Nachweis einer Betriebshaftpflichtversicherungsdeckung den Vergabeunterlagen genügt. Außerdem wird festgestellt, dass für Los 1 keine den Vergabeunterlagen entsprechende qualifizierte Bereitschaftserklärung eines Kreditinstituts bzw. Kreditversicherers zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft vorgelegt wurde. Die Antragstellerin habe demnach kein vollständiges Angebot abgegeben. Die Problematik der seitlich öffenbaren Ordnerversandverpackungen wurde im Abschlussbericht ausführlich erörtert.

19

Die Vergabeunterlagen wurden dem Rechnungsprüfungsamt vorgelegt. Nach Auseinandersetzung mit dem Prüfvermerk des Rechnungsprüfungsamtes hat sich der Auftraggeber den Vergabevorschlag zu Eigen gemacht. Zum Problem der Ordnerversandverpackungen wird im Vermerk der Vergabestelle vom 03.02.2012 für das Angebot der Antragstellerin festgehalten, dass dieses am Tag der Submission persönlich in der Poststelle abgegeben, dort bis zur Abholung durch die Schriftführerin der Submission unter Verschluss gehalten worden ist und folglich eine Einsichtnahme durch Dritte auszuschließen ist.

20

Mit Informationsschreiben vom 08.02.2012 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste gewesen sei und dass der Zuschlag für die Lose 1 bis 4 auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden soll. Vorsorglich wurde sie darauf hingewiesen, dass ihr Angebot verschiedene Mängel enthalte. Ihre Angabe von 0% für die technischen Kosten LKW lasse darauf schließen, dass diese Kosten bei der Aufteilung der Kostenbestandteile vernachlässigt wurden. Die vorgelegte Erklärung für die im Auftragsfall erforderliche Vertragserfüllungsbürgschaft sei auf einen Maximalbetrag begrenzt, welcher für Los 1 nicht ausreiche. Die nachgewiesene Betriebshaftpflichtversicherung beziehe sich auf französisches Recht und lasse an ihrer Gültigkeit für die Auftragserfüllung zweifeln. Das Angebot sei diesbezüglich unklar bzw. aufklärungsbedürftig und unvollständig gewesen.

21

Zudem sei das Angebot nicht formgerecht eingegangen, die verwendete Ordnerversandpackung sei an den Seiten unbemerkt öffenbar und lediglich an der oberen Verschlusslasche mit Kleber verschlossen worden. Im Hinblick darauf, dass es ohnehin nicht das wirtschaftlichste gewesen sei, sei auf eine Aufklärung verzichtet und nicht abschließend über seinen Ausschluss entschieden worden.

22

Mit Rügeschreiben vom 10.02.2012 trug die Antragstellerin vor, die Beigeladene dürfe den Zuschlag nicht erhalten, denn sie sei nicht geeignet und erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht. Sie verfüge nicht über die mit der Ausschreibung geforderte Betriebsstätte im Gebiet des Auftraggebers. Außerdem verstoße sie mit der beabsichtigten Betätigung gegen das kommunale Wirtschaftsrecht des Landes Sachsen-Anhalt. Mangels tatsächlicher Leistungsfähigkeit und wegen Verstoßes gegen das Verbot wettbewerbswidriger Verhaltensweisen sei sie vom Wettbewerb auszuschließen. Die Beigeladene habe die geforderte Betriebsstätte im Kreisgebiet auch nicht einkalkuliert. Ihr Angebot sei ungewöhnlich niedrig und hätte gemäß § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A EG überprüft werden müssen. Das mitgeteilte Ergebnis lasse auf eine fehlerhafte und von den festgelegten Zuschlagskriterien abweichende Angebotswertung schließen.

23

Bezüglich ihres eigenen Angebotes gebe es weder Unklarheiten noch Ausschlussgründe. Für die Erbringung der Leistung habe sie in hohem Umfang den Einsatz von LKW kalkuliert, was sich dem Angebot auch entnehmen lasse. Anstelle der - ohnehin unverbindlichen - Bürgschaftsbereitschaftserklärung könne sie, soweit der nachrichtlich eingetragene Betrag der Korrektur bedarf, jederzeit eine für die Auftragserfüllung erforderliche Bürgschaft in der jeweils geforderten Höhe beibringen.

24

Die von ihr nachgewiesene Betriebshaftpflichtversicherung entspreche den Vorgaben der Vergabeunterlagen. Die hierzu vorgetragenen rechtlichen Bedenken seien unbegründet. Ihr Angebot sei auch formgerecht eingegangen, es sei durch einen Mitarbeiter eine Stunde vor Angebotsschluss unbeschädigt und ordnungsgemäß verschlossen übergeben worden.

25

Mit Rügeantwort vom 15.02.2012 wies der Antragsgegner die Rügen der Antragstellerin als unsubstantiiert und unbegründet zurück. Es bestehe kein Anlass für eine weitergehende Prüfung des von der Beigeladenen angebotenen Preises. Eine Betriebsstätte im Bereich des Auftraggebers sei nach den Vorgaben der Vergabeunterlagen nicht bereits zur Angebotsabgabe nachzuweisen, sondern erst zum Leistungsbeginn erforderlich. Aus den in Bezug genommenen Vorschriften des § 65 LKO Sachsen-Anhalt i.V.m. §§ 116, 117 GO Sachsen-Anhalt lasse sich kein Betätigungsverbot für die Beigeladene herleiten. Allein die Gesellschafterstruktur biete keine Anhaltspunkte für die Annahme wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen der Beigeladenen. Für einen Ausschluss ihres Angebotes gebe es keinen Grund. Die Angebotswertung sei nach den Vorgaben der Ausschreibung nach Maßgabe der festgelegten Zuschlagskriterien erfolgt und nicht zu beanstanden.

26

Die Antragstellerin habe die mitgeteilten Zweifel an der Wertbarkeit ihres eigenen Angebotes mit ihrem Vortrag auch nicht vollständig ausräumen können.

27

Mit Schreiben vom 17.02.2012 wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer. Unter Verweis auf ihre Rüge vom 10.02.2012 beanstandete sie den beabsichtigten Zuschlag als vergaberechtswidrig. Sie verlangt den Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen. Diese sei ein Tochterunternehmen der xxxxxx GmbH, einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, dessen Anteile der Landkreis xxxxxx und der xxxxxx-Konzern halten. Damit unterliege die Beigeladene dem kommunalen Wirtschaftsrecht des Landes Sachsen-Anhalt. Nach den Regelungen in § 65 der Landkreisordnung Sachsen-Anhalt und in §§ 116 ff der Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt sei ihre wirtschaftliche Betätigung außerhalb des Gemeindegebietes nur ausnahmsweise zulässig, wenn der öffentliche Zweck dies rechtfertigt. Dies gelte gemäß § 117 Abs. 2 Satz 2 GO Sachsen-Anhalt auch für kommunale Minderheitsgesellschaften. Im vorliegenden Fall diene die Betätigung keinem öffentlichen Zweck, sondern ausschließlich der Gewinnerzielung. Folglich sei die Beigeladene daran gehindert, die ausgeschriebene Leistung in rechtlich zulässiger Weise zu erbringen, es mangele ihr daher an der erforderlichen Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit.

28

Die Beigeladene werde die zum Leistungsbeginn geforderte Betriebsstätte im Gebiet des Auftraggebers nicht einrichten können und habe die hiermit verbundenen hohen zusätzlichen Kosten offenbar auch gar nicht einkalkuliert. Deshalb - und möglicherweise auch wegen Quersubventionierung aus ihrer Tätigkeit für ihren öffentlichen Anteilseigner - sei ihr Angebot ungewöhnlich niedrig. Die begrenzte Akteneinsicht habe gezeigt, dass der Antragsgegner bei allen vier Losen Preisabstände zum rangnächsten Angebot festgestellt habe, welche die mit der Rechtsprechung entwickelte Aufgreifschwelle überschreiten. Dennoch habe er auf die gemäß § 19 EG Abs. 6 VOL/A gebotene Aufklärung verzichtet. Seine Erwägungen hierzu könnten die erforderliche eingehende, fallbezogene Bewertung im Rahmen einer Aufklärung nicht ersetzen. Die Besonderheiten sowohl des Abfuhrgebietes als auch der Ausschreibungsmodalitäten schlössen eine Vergleichbarkeit von anderen Wettbewerbsergebnissen und die Übertragung von Kalkulationserfahrungen weitgehend aus. Die Vernachlässigung dieser Prüfpflicht verletze die konkurrierenden Bieter in ihren Rechten.

29

Die Akteneinsicht habe auch ihre Zweifel an der Einhaltung der Vorgaben unter Ziffer 13.2.2 der Bewerbungsbedingungen für die Wertung der Lose 3 und 4 bestärkt.

30

Ihr vollständiges Angebot sei ordnungsgemäß verschlossen eingegangen. Wie in der Vergabeakte vermerkt, wurde seine vorzeitige Öffnung sicher ausgeschlossen. Die in der Vergabeakte enthaltenen Fotos der über die Seiten geöffneten Verpackung ließen gerade nicht darauf schließen, dass eine vorzeitige widerrechtliche Öffnung unbemerkt geblieben wäre. Die hinsichtlich des Nachweises der Betriebshaftpflichtversicherung geltend gemachten Rechtsunsicherheiten seien unbegründet. Die Haftpflichtversicherung unterliege nicht dem französischen Recht. Selbst wenn dies so wäre, wäre dies kein Grund für einen Angebotsausschluss. Für die geforderte - ohnehin unverbindliche - Bankerklärung zur Übernahme einer Bürgschaft war im Formblatt F5 die Eintragung einer Bürgschaftssumme nicht vorgesehen. Die zusätzliche Nennung einer konkreten Summe dürfe der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen. Da dieser Nachweis der Aufklärung und ggf. auch der Nachforderung zugänglich sei, liege auch hierin kein Grund für einen Angebotsausschluss.

31

Die Gewichtung der Preisanpassungsfaktoren in der Preisgleitklausel habe der Antragsgegner in das Ermessen der Bieter gestellt. Sie habe den Anteil der "technischen Kosten LKW" mit 0% gewichtet, weil die Kosten für die Neubeschaffung für LKW bereits im Preis einkalkuliert seien und insoweit keine Steigerung entstehe.

32

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist;

  2. 2.

    dem Antragsgegner für die Lose 1 bis 4 des Vergabeverfahrens zu untersagen, den Zuschlag zu erteilen und ihn zu verpflichten die Angebote der Beigeladenen vom Vergabeverfahren auszuschließen sowie die Angebotswertung nach Maßgabe der notwendigen Anordnungen der Vergabekammer zu wiederholen;

  3. 3.

    hilfsweise, andere zur Wahrung der Rechte der Antragstellerin gebotene Anordnungen zu treffen;

  4. 4.

    dem Antragsgegner die Kosten des Nachprüfungsverfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Antragstellerin, aufzuerlegen;

  5. 5.

    festzustellen, dass die Hinzuziehung von Rechtsanwälten durch die Antragstellerin erforderlich war.

33

Der Antragsgegner beantragt,

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen;

  2. 2.

    die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Antragsgegners festzustellen und

  3. 3.

    die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragsgegners der Antragstellerin aufzuerlegen.

34

Er hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig und für unbegründet.

35

Soweit die Antragstellerin Mängel des Angebotes der Beigeladenen unterstelle, erfolgten diese Rügen ins Blaue hinein und seien unsubstantiiert. Mit einer Kritik an den Wertungskriterien sei die Antragstellerin präkludiert.

36

Der Nachprüfungsantrag sei auch unbegründet. Die Beigeladene sei Tochter einer kommunalen Minderheitsgesellschaft, denn deren kommunale Anteile betrügen lediglich 33%. Die Gründung der Beigeladenen sei kommunalwirtschaftsrechtlich zulässig. Im Kommunalwirtschaftsrecht des Landes Sachsen-Anhalt gebe es für mittelbare Beteiligungen einer kommunalen Gebietskörperschaft keine Beschränkungen. § 117 Abs. 1 Nrn. 2-6 GO LSA enthalte für kommunalen Minderheitsgesellschafter lediglich die Pflicht, auf eine Umsetzung der Regelungen für kommunale Unternehmen in Privatrechtsform hinzuwirken. Selbst wenn die Regelungen des § 116 LSA auch für die Beigeladene beachtlich wären, wäre ihre Betätigung im Bereich der Abfallwirtschaft gemäß § 116 Abs. 2 LSA privilegiert. In diesem Fall käme es lediglich darauf an, ob Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und zum Bedarf stehen. Es bestehe kein Anlass, der Beigeladenen diesbezüglich die Eignung abzusprechen. Schließlich komme den Regelungen des § 116 Abs. 1 Nr. 3 LSA nach der aktuellen Rechtsprechung des OVG Magdeburg gar keine drittschützende Wirkung zu. Im Rahmen der ordnungsgemäßen Prüfung der Angebotspreise der Beigeladenen sei kein ungewöhnlich niedriger, im Missverhältnis zur Leistung stehender Angebotspreis festgestellt worden, auch sei keine Marktverdrängungsabsicht erkennbar. Darüber hinaus entfalteten die Regelung des § 19 Abs. 6 VOL/A keinen Bieterschutz. Nach den Vorgaben der Ausschreibung sei eine Betriebsstätte im Kreisgebiet erst zum Leistungsbeginn erforderlich. Die diesbezüglich geforderte Verpflichtung sei die Beigeladene, wie gefordert, in ihrem Angebotsschreiben eingegangen. Ihr Angebot sei nach alledem nicht auszuschließen.

37

Das Angebot der Antragstellerin enthalte durchaus Unklarheiten und Mängel, die seine Wertbarkeit in Frage stellen. Die Angaben zur Gewichtung der technischen Kosten LKW mit "0"% seien im Hinblick auf im Laufe der Vertragsdauer anfallende Kosten für Reparaturen und Wartung von LKW nicht plausibel. Nach wie vor bestünden begründete Zweifel am vorgelegten Nachweis der Betriebshaftpflichtversicherung. Auch die vorgelegte Bürgschaftsbereitschaftserklärung sei unzureichend, denn sie enthalte eine Begrenzung auf einen Maximalbetrag, der als Bürgschaft für Los 1 nicht ausreichen würde. Schließlich sei bereits die von der Antragstellerin gewählte, nicht formgerechte Versandverpackung ein Grund zum Ausschluss gemäß § 19 EG Abs. 3 lit e) VOL/A.

38

Da das Angebot der Antragstellerin ohnehin nicht das wirtschaftlichste gewesen sei, habe man auf eine Nachforderung von Nachweisen und Erklärung, eine Aufklärung des Angebotes und auf eine abschließende Entscheidung über seinen Ausschluss verzichtet.

39

Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

40

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 16.03.2012 Bezug genommen.

41

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil der Antragsgegner die Angebote der Beigeladenen zu allen streitgegenständlichen Losen als wirtschaftlichste Angebote im Sinne des § 21 Abs. 1 VOL/A-EG ermittelt hat, ohne zuvor die Angemessenheit der Angebotspreise gemäß § 19 Abs. 6 VOL/A-EG zu überprüfen. Zu einer derartigen Überprüfung hatte und hat der Antragsgegner zumindest hinsichtlich der Lose 1, 3 und 4 Anlass, da die diesbezüglichen Angebote der Beigeladenen insbesondere unter Berücksichtigung der angebotenen Rabattierung die preislich zweitplatzierten Angebotspreise der Antragstellerin um mehr als 20% unterschreiten. Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag dagegen unbegründet. Der Antragsgegner ist weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen wegen eines Verstoßes gegen kommunales Wirtschaftsrecht und einer damit verbundenen wettbewerbswidrigen Beteiligung am Vergabeverfahren gemäß § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG i.V.m. § 2 Abs. 1 VOL/A-EG und § 97 Abs. 1 GWB oder damit verbundener Eignungsmängel gemäß § 19 Abs. 5 VOL/A-EG von der Angebotswertung auszuschließen. Die Beteiligung der Beigeladenen am Vergabeverfahren verstößt nicht gegen die kommunalrechtlichen Schranken der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen gemäß §§ 116, 117 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (GO LSA). Der Antragsgegner hat auch keinen Anlass, einen Ausschluss des Angebotes der Beigeladenen zu prüfen, weil diese bislang noch nicht über eine Betriebsstätte im Kreisgebiet verfügt. Nach den Vorgaben der Ausschreibung war eine solche Betriebsstätte nicht bereits zur Angebotsabgabe nachzuweisen. Die von den Bietern geforderte Verpflichtungserklärung, im Zuschlagsfall rechtzeitig eine Niederlassung im Gebiet des Auftraggebers einzurichten und während des gesamten Leistungszeitraumes zu unterhalten, hat die Beigeladene abgegeben.

42

1.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Antragsgegner handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und damit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die Sammlung, den Transport und die Verwertung von Abfällen im Landkreis xxxxxx und damit um einen Dienstleistungsauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 2 der Vergabeverordnung (VgV) ein Schwellenwert von 193.000 EUR gilt. Werden Dienstleistungsaufträge, wie vorliegend, losweise ausgeschrieben, so beträgt der Schwellenwert 80.000 EUR oder bei Losen von unterhalb 80.000 EUR deren addierter Wert ab 20 v. H. des Gesamtwertes aller Lose. Ausweislich des in der Vergabeakte (Ordner Teil 5, Register 14 - 31, Anlage 14, Bl. 2358) dokumentierten Überblicks über die wertungsrelevanten Gesamtentgelte übersteigt bereits der Wert jedes einzelnen Loses für sich genommen deutlich den relevanten Schwellenwert.

43

Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt gemäß § 107 Abs. 2 GWB, da sie als Bieterunternehmen ein Interesse am Auftrag hat und die Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie die Auffassung vertritt, dass der Antragsgegner die Angebote der Beigeladenen für die verfahrensgegenständlichen Lose zu Unrecht als wirtschaftlichste Angebote ermittelt hat. Die Beteiligung der Beigeladenen als kommunale PPP-Gesellschaft verstoße gegen kommunales Wirtschaftsrecht und verstoße daher gegen den Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB. Das Angebot sei daher gemäß § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG i.V.m. § 2 Abs. 1 VOL/A-EG auszuschließen. Ferner habe der Antragsgegner versäumt, die Angemessenheit der von der Beigeladenen angebotenen Preise zu überprüfen, obwohl ihr diese Preise unangemessen niedrig erscheinen mussten. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners steht dieser Vortrag der Antragstellerin einer Antragsbefugnis nicht entgegen. Zwar dient § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG ebenso wie § 16 Abs. 6 Satz 2 VOL/A in erster Linie dem Schutz des Auftraggebers, der davor bewahrt werden soll, Verträge mit Auftragnehmern einzugehen, die wegen einer unauskömmlichen Preiskalkulation in Gefahr geraten, ihren Leistungsverpflichtungen nicht auftragsgemäß nachkommen zu können. Einen Bieterschutz entfaltet diese Vorschrift daher grundsätzlich nur, wenn das an den Auftraggeber gerichtete Gebot, wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen zu bekämpfen, den Ausschluss des als unangemessen niedrig gerügten Preisangebotes fordert (vgl. Dicks in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 16, Rdnr. 224). Diese Voraussetzungen sind zum einen gegeben, wenn Angebote mit einem unverhältnismäßig niedrigen Preis in der zielgerichteten Absicht einer Marktverdrängung abgegeben werden oder zumindest die Gefahr begründen, dass bestimmte Wettbewerber vom Markt ganz (und nicht nur von einer einzelnen Auftragsvergabe) verdrängt werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2006 - Verg 49/06, zitiert nach VERIS). Für eine derartige, zielgerichtete Marktverdrängungsabsicht der Beigeladenen bietet der vorliegende Sachverhalt allerdings keinen Anhaltspunkt. Der Bieterrechtschutz des § 19 Abs. 6 VOL/A beschränkt sich jedoch entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nur auf die Fallgruppe des marktverdrängenden Dumpingpreises. Die Vorschriften schützen auch den Mitbewerber, der sich gleichfalls an der Ausschreibung beteiligt hat und zu Recht erwartet, dass seinem Angebot nicht ein unseriös kalkuliertes Angebot vorgezogen wird, bei dem die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung möglicherweise nicht sichergestellt ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18.12.2003, Az.: 13 Verg 22/03 = VergabeR 3/2004, S. 397 ff., S. 405). Die Bieter im Vergabeverfahren haben deshalb einen Anspruch darauf, dass der Zuschlag nicht auf ein Angebot erteilt wird, bei dem die Preisgestaltung den Auftragnehmer voraussichtlich in so große wirtschaftliche Schwierigkeiten bringt, dass er die Vertragsausführung abbrechen muss. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung ist in jenen Fällen in der begründeten Besorgnis zu sehen, dass die am Vergabeverfahren beteiligten Wettbewerber, welche die Leistung zu einem angemessenen Preis angeboten haben, nicht mehr in die Ausführung des Auftrags eintreten können, weil die Übernahme wegen der weiteren Entwicklung ihrer geschäftlichen Verhältnisse, insbesondere einer anderweitigen Bindung der Leistungskapazitäten, ausgeschlossen ist (vgl. Dicks, a.a.O., § 16 VOL/A, Rdnr. 224, m.w.N.). Einen derartigen Sachverhalt macht die Antragstellerin geltend, indem sie als derzeit im verfahrensgegenständlichen Bereich eingesetztes Unternehmen darauf hinweist, dass die Beigeladene erheblich niedrigere Preise als sie selbst gefordert habe, obwohl die Beigeladene im Gegensatz zur Antragstellerin bei ihrer Kalkulation noch die Investitionen für eine neu zu schaffende Betriebsstätte berücksichtigen müsse. Die Frage, ob der Antragsgegner tatsächlich Anlass gehabt hat, die Angemessenheit der Angebotspreise der Beigeladenen gemäß § 19 Abs. 6 VOL/A-EG zu prüfen, ist im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Nachprüfungsantrags zu entscheiden.

44

Voraussetzung für die Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist lediglich, dass das Antrag stellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich schlüssig die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt (vgl. Boesen, Vergaberecht, § 107, Rdnr. 52). Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung sind an diese Voraussetzung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, wenn der Bieter schlüssig einen durch die Rechtsverletzung drohenden oder eingetretenen Schaden behauptet, also darlegt, dass durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß seine Chancen auf den Zuschlag zumindest verschlechtert sein können (vgl. BVerfG vom 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 107, Rdnr. 35 ff.). Ob tatsächlich der vom Bieter behauptete Schaden droht, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. BGH, Beschluss vom 29.06.2006 - X ZB 14/06). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtschutzbedürfnis dargelegt.

45

Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer den geltend gemachten Verstoß gegen die Vergabe-vorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber der Antragsgegnerin unverzüglich zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht aus § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Bieters von den Tatsachen. Der Antragsgegner hatte die Antragstellerin mit Schreiben vom 08.02.2012 darüber informiert, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste gewesen sei und der Zuschlag für die Lose 1 - 4 auf das Angebot der Beigeladenen erteilt werden soll. Vorsorglich hatte der Antragsgegner darüber hinaus darauf hingewiesen, dass das Angebot der Antragstellerin verschiedene Mängel enthalte, man aber im Hinblick darauf, dass es ohnehin nicht das wirtschaftlichste gewesen sei, nicht abschließend über einen Ausschluss entschieden habe. Bezüglich der technischen Kosten Lkw bei der Aufteilung der Kostenbestandteile, einer in der Höhe unzureichenden Bereitschaftserklärung für eine Vertragserfüllungsbürgschaft für Los 1 und eines mangelhaften Nachweises der geforderten Betriebshaftpflichtversicherung sei das Angebot unklar bzw. aufklärungsbedürftig und unvollständig gewesen. Ferner sei das Angebot nicht formgerecht eingegangen, weil die verwendete Ordnerversandpackung an den Seiten ohne Weiteres zu öffnen und auch wieder zu verschließen gewesen sei. Bereits mit Schreiben vom 10.02.2012 rügte die Antragstellerin daraufhin die beabsichtigte Vergabe unter Darlegung ihrer Auffassung, dass sie die vergaberechtlichen Bewertungen als vergaberechtswidrig erachtet. So erfülle ihrer Auffassung nach die Beigeladene die formalen Anforderungen der Ausschreibung und die materiellen Anforderungen an die Eignung nicht, weil sie nicht über die mit der Ausschreibung geforderte Betriebsstätte auf dem Gebiet des Auftraggebers verfüge. Ferner verstoße die Beigeladene als kommunales Unternehmen mit ihrer Beteiligung am Vergabeverfahren gegen das kommunale Wirtschaftsrecht des Landes Sachsen-Anhalt und damit auch gegen das Verbot wettbewerbswidriger Verhaltensweisen. Auch sei das Angebot der Beigeladenen u.a. deswegen ungewöhnlich niedrig, weil sie die geforderte Betriebsstätte im Kreisgebiet des Antragsgegners nicht einkalkuliert habe. Diese nur innerhalb von zwei Tagen nach Erhalt der Information abgesetzte Rüge erfolgte unverzüglich im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB. Es kann daher vorliegend dahin stehen, ob die Präklusionsregel gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom 08.01.2010 in den Rs. C-406/08 und C-456/08) überhaupt noch anwendbar ist (bejahend OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, Az.: WVerg 6/2010 und OLG Rostock, Beschluss vom 20.10.2010, Az.: 17 Verg 5/10, zitiert nach ibr-online; offen gelassen noch OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2010, Az.: 13 Verg 8/10).

46

2.

Der Nachprüfungsantrag ist teilweise begründet. Die Antragstellerin ist i. S. der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt, weil der Antragsgegner es versäumt hat, vor der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes die Angemessenheit der Angebotspreise der Beigeladenen gem. § 19 Abs. 6 VOL/A-EG zu überprüfen. Zu einer derartigen Überprüfung hatte der Antragsgegner zumindest hinsichtlich der Lose 1, 3 und 4 Anlass, da die diesbezüglichen Angebote der Beigeladenen insbesondere unter Berücksichtigung der angebotenen Rabattierung die preislich zweitplatzierten Angebotspreise der Antragstellerin um mehr als 20% unterschreiten (im Folgenden a). Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag dagegen unbegründet. Der Antragsgegner ist weder gehalten noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen wegen eines Verstoßes gegen kommunales Wirtschaftsrecht und einer damit verbundenen wettbewerbswidrigen Beteiligung am Vergabeverfahren gem. § 19 Abs. 3 lit. f VOL/A-EG i.V.m. § 2 Abs. 1 VOL/A-EG und § 97 Abs. 1 GWB oder damit verbundener Eignungsmängel gem. § 19 Abs. 5 VOL/A-EG von der Angebotswertung auszuschließen (im Folgenden b). Schließlich hat die Beigeladene auch die von den Bietern geforderte Verpflichtungserklärung, im Zuschlagsfall rechtzeitig eine Niederlassung im Gebiet des Auftraggebers einzurichten und während des gesamten Leistungszeitraumes zu unterhalten, mit ihrem Angebot abgegeben (im Folgenden c).

47

a)

Der Antragsgegner hat es versäumt, die Angemessenheit der von der Beigeladenen für die Lose 1, 3 und 4 geforderten Preise gem. § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG unter Beteiligung der Beigeladenen aufzuklären und zu prüfen, obwohl er angesichts des erheblichen Preisabstandes zu den nächsthöheren Angeboten der Antragstellerin dazu Anlass hatte. Gemäß § 19 Abs. 6 Satz 2 VOL/A-EG darf auf Angebote, deren Preise im offenbaren Missverhältnis zur Leistung stehen, der Zuschlag nicht erteilt werden. Erscheint dem Auftraggeber ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, so hat er gem. § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG vom Bieter Aufklärung zu verlangen. Die Prüfung der Angemessenheit der Preise auf der dritten Wertungsstufe verfolgt den Zweck, auf der vierten und letzten Wertungsstufe, die die abschließende Angebotswertung zum Gegenstand hat, nur ernsthaft kalkulierte Angebote zuzulassen (vgl. Müller-Wrede/Horn, VOL/A, 3. Auflage, § 19 EG, Rdnr. 172). Zu diesem Zweck muss der Auftraggeber vom Bieter die Erläuterung der Kalkulation des Angebotspreises verlangen und bei der Entscheidung über die Berücksichtigungsfähigkeit des Angebotes das Ergebnis dieser Überprüfung berücksichtigen. Der Eindruck eines unangemessen niedrigen Preises kann auf Grund eines Vergleiches mit den Preisen eingegangener Konkurrenzangebote, aber auch auf Grund der Grundlage von Erfahrungswerten bei wettbewerblicher Preisbildung - z.B. anhand früherer vergleichbarer Ausschreibungen - gewonnen werden (vgl. Dicks in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 16, Rdnr. 213 und § 19 EG, Rdnr. 225).

48

Die Frage, ab welchem Preisabstand der Auftraggeber Anlass zu zweifeln an der Angemessenheit des Preises haben muss, hängt vom Einzelfall, insbesondere vom Auftragsgegenstand und von der Marktsituation ab. Bezugspunkt für die prozentuale Abweichung ist das nächsthöhere Angebot (= 100%). Eine Vereinheitlichung dieser Werte ist zwar nicht geboten. Es kommt vielmehr auf den Einzelfall an (vgl. Müller-Wrede/Horn, VOL/A, 3. Auflage, § 19 EG, Rdnr. 178). Gemäß § 5 Abs. 1 des Nieder-sächsischen Landesvergabegesetzes (LVergabeG) i.d.F. vom 15.12.2088 (Nds. GVBl., Seite 411) kann die Vergabestelle die Kalkulation eines unangemessen niedrigen Angebotes, auf das der Zuschlag erteilt werden könnte, überprüfen; bei einer Abweichung von mindestens 10 vom Hundert vom nächsthöheren Angebot ist sie hierzu verpflichtet. Das Landesvergabegesetz gilt jedoch ausweislich seiner Präambel und seiner Regelung in § 2 Abs. 1 LVergabeG ausdrücklich nur für öffentliche Bauaufträge. Für Liefer- und Dienstleistungen i. S. der VOL/A gibt es eine derart verbindliche Aufgreifschwelle nicht. Rechtsprechung und Schrifttum orientieren sich zumindest für den Liefer- und Dienstleistungsbereich mehrheitlich an einer 20%-Schwelle (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 17.11.2011, 13 Verg 6/11, zitiert nach ibr-online; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.03.2005, VII-Verg 77/04; OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 30.03.2004, 11 Verg 4/04; BayObLG, VergabeR 2004, Seite 842 ff.; Dicks in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 16, Rdnr. 215, m.w.N.; Müller-Wrede/Horn, a.a.O., § 19 EG, Rdnr. 178). Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 23.01.2008 (VII-Verg 36/07) entschieden, dass in einem Fall, in dem Abstand des Angebotes der dort erstplatzierten Beigeladenen zu 1) zu dem nächsthöheren Angebot der Beigeladenen zu 2) sowie der Abstand zwischen diesem und dem nächstplatzierten Angebot eines dritten Bieters weniger als 20% betrug, die Aufgreifschwelle, die einen im Verhältnis zur angebotenen Leistung ungewöhnlich niedrigen Angebotspreis indiziert, nicht erreicht ist.

49

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs war und ist der Antragsgegner vorliegend gehalten, die Angemessenheit der von der Beigeladenen in ihren Angeboten zu den Losen 1, 3 und 4 geforderten Preise gem. § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG zu überprüfen, indem er von der Beigeladenen Aufklärung zu ihrer Kalkulation verlangt. Bereits nach den Feststellungen des Antragsgegners (Vergabeakte, Teil 5, Register 14-31, Abschlussbericht, Stand: 5.12.2011, Bl. 2392) wird die Aufgreifschwelle von 20% vorliegend bei einigen Losen deutlich überschritten. So beträgt der Abstand zwischen der Beigeladenen und der Antragstellerin bei Los 1 24,80%, bei Los 2 bei 19,22%, bei Los 3 35,45% und bei Los 4 35,25%. Somit wird unter Berücksichtigung der Rabattierung zumindest bei den Losen 1, 3 und 4 die Aufgreifschwelle von 20% erreicht bzw. deutlich überschritten. Auch wenn dem Auftraggeber gem. § 16 Abs. 6 Satz 1 VOL/A und § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zusteht, ob er ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung als ungewöhnlich niedrig einstuft (vgl. Vavra in: Ziekow, Völlink, VergabeR, § 16 VOL/A, Rdnr. 8 mit Verweis auf § 16 VOB/A, Rdnr. 47), so mussten dem Antragsgegner vorliegend zumindest bezüglich dieser Lose die Angebotspreise der Beigeladenen un-gewöhnlich niedrig und damit aufklärungsbedürftig erscheinen. Erscheint ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, so ist der Auftraggeber hinsichtlich der Art und Weise der Überprüfung nicht völlig frei. Vielmehr muss der Auftraggeber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG vom Bieter Aufklärung verlangen.

50

Dies hat der Antragsgegner vorliegend ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte unterlassen. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, die Plausibilität der von der Beigeladenen angebotenen Preise anhand von ihm selbst zur Verfügung stehenden Vergleichszahlen und Kalkulationsansätzen zu überprüfen (Vergabedokumentation, Teil 5, Register 14 - 31, Abschlussbericht Stand: 05.12.2011, Nr. 7.3, Seite 26 ff., Blatt 2393 ff. der Vergabeakte). Die Heranziehung derartiger Vergleichszahlen bei der Angemessenheitsprüfung ist durchaus zweckmäßig. Sie kann aber nicht die in § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG zwingend vorgeschriebene Kalkulationsaufklärung durch den Bieter ersetzen. Sie kann vielmehr dazu dienen, die im Rahmen der Aufklärung eingeholten Erläuterungen des Bieters zur Preisgestaltung auf ihre Plausibilität zu prüfen. In Ermangelung einer derartigen Bieteraufklärung war der Antragsgegner daher vorliegend zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten, die Angemessenheitsprüfung zumindest bezüglich der Lose 1, 3 und 4 zu wiederholen und die Beigeladene um Aufklärung ihrer Angebotskalkulation aufzufordern. Dabei hat der Antragsgegner Prüfung und Ergebnis der Angemessenheitsprüfung in einer den Anforderungen des § 24 VOL/A-EG genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren.

51

b)

Die Beteiligung der Beigeladenen am vorliegenden Vergabeverfahren und die Berücksichtigung ihres Angebotes verstößt entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht gegen den vergaberechtlichen Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB. Sie verstößt nicht gegen das kommunale Wirtschaftsrecht des Landes Sachsen-Anhalt. Aus den Vorschriften des § 65 LKO des Landes Sachsen-Anhalt i.V.m. §§ 116, 117 GO des Landes Sachsen-Anhalt lässt sich kein Betätigungsverbot der Beigeladenen herleiten.

52

Gem. § 97 Abs.1 GWB müssen sich öffentliche Auftraggeber Lieferung und Leistungen, sofern die Schwellenwerte erreicht sind, "im Wettbewerb" beschaffen. Öffentliche Auftraggeber dürfen Wettbewerbsverfälschungen oder "wettbewerbswidrige" Vergabepraktiken" nicht zulassen oder ihnen Vorschub leisten. Eine Wettbewerbsverfälschung kann auch darin bestehen, dass ein Unternehmen der öffentlichen Hand kraft gesetzlicher Anordnung eine wirtschaftliche und damit wettbewerbsrelevante Tätigkeit auf einem bestimmten Markt gar nicht aufnehmen darf, es aber dennoch tut und von einem öffentlichen Auftraggeber darin durch die Auftragsvergabe noch unterstützt wird. Die schon aus § 97 Abs.1 GWB abzuleitende Pflicht des öffentlichen Auftraggebers, derartige Wettbewerbsverfälschungen zu unterbinden, ergibt sich auch aus den "Grundsätzen der Vergabe" in § 2 Abs.1 VOL/A, die für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte (§ 100 Abs.1 GWB) gemäß den §§ 1, 4 Abs.1 VgV Rechtsnormqualität haben. Abs.1 des § 2 VOL/A entspricht § 97 Abs.1 GWB: Leistungen sind in der Regel "im Wettbewerb" zu vergeben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.05.2009, Az.: VII-Verg 68/08; Beschluss vom 17.06.2002, Az.: Verg 18/02; VK Münster, Beschluss vom 09.10.2009, Az.: VK 19/09).

53

Die Beteiligung eines kommunalen Unternehmens an einem Wettbewerb kann unlauter im Sinne des § 2 Abs.1 VOL/A sein, wenn diese Teilnahme am Wettbewerb nicht durch die entsprechende Gemeindeordnung gedeckt ist (vgl. LG München I, Urteil vom 19.05.1999, 1 HK O 3922/99; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.1999, Az: 2 U 7/99; Beschluss vom 12.01.2000).

54

Im vorliegenden Fall wird jedoch weder die Errichtung noch die konkrete Geschäftstätigkeit der Beigeladenen von dem Regelungsgehalt der vorliegend einschlägigen Normen des kommunalen Wirtschaftsrecht des Landes Sachsen-Anhalt, § 65 LKO LSA i. V .m. §§ 116, 117 Abs. 1 GO LSA, erfasst.

55

Gem. § 116 Abs.1 GO LSA dürfen sich die Gemeinden in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft auch außerhalb ihrer öffentlichen Verwaltung in den Rechtsformen des Eigenbetriebs, der Anstalt des öffentlichen Rechts oder in einer Rechtsform des Privatrechts wirtschaftlich betätigen, wenn

  1. 1.

    ein öffentlicher Zweck die Betätigung rechtfertigt,

  2. 2.

    wirtschaftliche Betätigungen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehen und

  3. 3.

    der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann.

56

Bei der Beigeladenen handelt es sich aber nicht um ein kommunales Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift. Denn die in § 116 GO LSA geregelten Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung und die in § 117 Abs.1 GO LSA normierten Regelungen für die Führung von Unternehmen gelten ihrem Wortlaut nach zunächst einmal ausdrücklich nur für unmittelbare Gesellschaften oder entsprechende sonstige Unternehmen und Einrichtungen in Privatrechtsform. Die Beigeladene wird aber nicht von kommunalen Gesellschaftern getragen. Sie ist vielmehr eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der xxxxxx GmbH. Deren Anteile wiederum werden zu 67% von der xxxxxx GmbH und zu 33% vom Landkreis xxxxxx gehalten. Bei der Beigeladenen handelt es sich somit um ein "Enkelunternehmen" des Landkreises xxxxxx.

57

Die Vergabekammer hatte aber auch zu prüfen, ob die Beigeladene durch die Regelung des § 117 Abs.2 GO LSA gleichwohl an die in den §§ 116, 117 Abs. 1 GO LSA normierten Schranken für eine wirtschaftliche Betätigung gebunden ist. Gemäß § 117 Abs. 2 S.1 GO LSA gelten die Regelungen des Absatzes 1 und damit auch von § 116 GO LSA entsprechend, wenn ein Unternehmen in einer Rechtsform des Privatrechts, an dem eine Gemeinde allein oder zusammen mit anderen kommunalen Körperschaften mit mehr als 50 v. H. beteiligt ist, eine Gesellschaft oder eine anderen Vereinigung in einer Rechtsform des privaten Rechts unterhalten, erreichten, übernehmen, wesentlich erweitern, sich daran beteiligen oder eine Beteiligung aufrechterhalten will. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 117 Abs.2 GO LSA gelten die kommunal-rechtlichen Schranken für die wirtschaftliche Betätigung also entsprechend auch für die mittelbare Gründung einer Gesellschaft oder sonstigen privatrechtlichen Vereinigungen oder die Beteiligung daran. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Unternehmen oder andere Einrichtungen in Privatrechtsform, an denen eine Gemeinde allein oder zusammen mit anderen kommunalen Körperschaften (Gemeinden, Landkreisen, Zweckverbänden) mit mehr als 50 von Hundert beteiligt ist, sich an anderen privat-rechtlichen Unternehmen oder Einrichtungen beteiligen oder Tochterunternehmen in Privatrechtsform gründen wollen. Sie verpflichtet die Gemeinde, ihre Vertreter in den zuständigen Organen des Unternehmens oder der Einrichtung ggf. anzuweisen, die Beteiligung an weiteren Unternehmen und Einrichtungen und die Gründung von Tochterunternehmen nur zu beschließen, wenn die Voraussetzungen des § 117 Abs.1 Nr.2-6, bezogen auf das zu gründende Tochterunternehmen oder die Beteiligung daran, erfüllt sind.

58

Vorliegend ist die Gemeinde aber mit weniger als 50 v. H. an einem Unternehmen, das eine Tochtergesellschaft - die Beigeladene- errichtet hat, beteiligt. Somit findet nicht § 117 Abs.2 S.1, sondern vielmehr S.2 Anwendung.

59

Demnach hat die Kommune bzw. über § 65 LKO der Kreis darauf hinzuwirken, dass die Regelungen des § 117 Abs.1 Nr.2-6 und damit auch § 116 umgesetzt werden, wenn das Tochterunternehmen seinerseits eine Gesellschaft oder eine andere Vereinigung in einer Rechtsform des privaten Rechts unterhalten, errichten, übernehmen, wesentlich erweitern, sich daran beteiligen oder eine Beteiligung aufrechterhalten will.

60

Der Gesetzgeber hat dabei lediglich eine Einwirkungsmöglichkeit der Kommunen vorgesehen, um die privaten Mehrheitseigner nicht restriktiv vom Wettbewerb auszuschließen. Der Gesetzgeber hätte ohne Weiteres auch kommunale Minderheitsbeteiligungen den strengen Regelungen des §§ 116, 117 Abs.1, Abs.2 S.1 unterwerfen können. Er hat jedoch bewusst von dieser Möglichkeit Abstand genommen, um Gesellschaften mit kommunaler Minderheitsbeteiligung einen größeren Betätigungsspielraum zu geben und somit die privaten Mehrheitseigner nicht unangemessen zu benachteiligen. Auch vor dem Hintergrund, dass in § 116 Abs. 3 und Abs.4 GO LSA geregelt ist, dass wirtschaftliche Betätigungen in allen anderen als den in Abs.3 genannten Wirtschaftsbereichen außerhalb des Gemeindegebiets nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig sind, wenn ein öffentlicher Zweck die Betätigung rechtfertigt, die Betätigung nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit steht und berechtigte Interessen der Gemeinde gewahrt werden, ändert sich bezüglich der Rechtmäßigkeit des Handelns der Beigeladenen nichts. Zwar ist die Abfallentsorgung nicht eine nach Abs. 3 privilegierte Tätigkeit; der Gesetzgeber hat jedoch, wie oben bereits ausgeführt, mit Schaffung des § 117 Abs. 2 S. 2 GO LSA die Möglichkeit der wirtschaftlichen Betätigung von Tochtergesellschaften, an denen Kommunen nur mittelbar mit einem Minderheitsanteil beteiligt sind, erkannt und lediglich die nicht zwingende Möglichkeit des "Hinwirkens" vorgesehen. Von einer strikteren Regelung hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen.

61

Somit ist es der Beigeladenen auch aus kommunalrechtlichen Gründen nicht verwehrt, sich am vorliegenden Vergabeverfahren zu beteiligen.

62

Wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, wird die Beigeladene ohnehin auch in Zukunft ihren Tätigkeitsschwerpunkt im Landkreis ihrer Muttergesellschaft haben. Nach Aussage der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung würde eine Überschreitung eines exterritorialen Anteils von 10% am Gesamtumsatz auch unter Berücksichtigung des streitbefangenen Auftrages nicht eintreten.

63

Da die Regelungen der §§ 116, 117 Abs.1 GO LSA für die Beigeladene aber nicht gelten, ist ihre unternehmerische Ausrichtung vergaberechtlich ohnehin unschädlich.

64

Der Auftraggeber ist daher weder gehalten, noch berechtigt, das Angebot der Beigeladenen von der Wertung auszuschließen.

65

c)

Der Antragsgegner hatte entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch keinen Anlass, die Leistungsfähigkeit und damit die Eignung der Beigeladenen für die ausgeschriebenen vertraglichen Verpflichtungen gem. § 19 Abs. 5 VOL/A-EG i.V.m. § 7 Abs. 1 VOL/A-EG in Zweifel zu ziehen, weil die Beigeladene bislang unstreitig noch keine Betriebsstätte auf dem Gebiet des Antragsgegners vorhält. Zu Recht hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass er unter III.1.4 unter "Sonstige besondere Bedingungen" lediglich festgelegt hat, dass der Auftragnehmer in den Losen 1, 3 und 4 spätestens ab Leistungsaufnahme für den gesamten Leistungszeitraum eine Niederlassung im Gebiet des Landkreises xxxxxx zu unterhalten hat. Auf Seite 59 der Leistungsbeschreibung wird diese Anforderung unter Nr. 15 näher erläutert (Blatt 1333 der Vergabeakte). Dort heißt es:

"Der Auftragnehmer ist in den Losen 1, 3 und 4 verpflichtet, im Landkreis xxxxxx spätestens zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns (01.01.2013) eine Betriebsstätte/Niederlassung zu unterhalten und diese für die Dauer der Vertragserfüllung aufrecht zu erhalten. Die Betriebsstätten müssen für die Kreisbevölkerung ansprechbar sein, mindestens während der Zeiten der einzelnen Sammeltouren....."

66

Auf Seite 360 der Vergabeunterlagen (IV Angebotsschreiben) wird der Bieter unter Nr. 4 verpflichtet, zu erklären, ob er bereits über eine Betriebsstätte/Niederlassung im Landkreis xxxxxx verfügt und diese für die Dauer der Vertragserfüllung aufrecht erhält. Anderenfalls müsste er folgende Erklärung durch Ankreuzen abgeben:

"Wir verfügen derzeit noch über keine Betriebsstätte/Niederlassung im Landkreis xxxxxx, verpflichten uns aber spätestens zum 01.01.2013 eine Betriebsstätte/Niederlassung im Landkreis xxxxxx zu eröffnen."

67

Diese Erklärung war mit dem Hinweis versehen, dass die Verpflichtung zwingend erforderlich für Angebote auf Los 1, 3 und 4 ist. Die Beigeladene hat diese geforderte Erklärung mit ihrem Angebotsschreiben vom 14.11.2011 ausdrücklich abgegeben. Der Antragsgegner hatte keinen Anlass, diese Erklärung in Zweifel zu ziehen.

68

d)

Soweit der Antragsgegner die Antragstellerin mit Informationsschreiben gem. § 101 a GWB vom 08.02.2012 drauf hingewiesen hat, dass sich im Rahmen der formalen Prüfung ihrer Angebote gezeigt habe, dass Zweifel an der Vollständigkeit der von ihr eingereichten Unterlagen und auch an der fachlichen Richtigkeit ihrer Angebote für die Lose 1 - 4 bestehen, ist zu berücksichtigen, dass der Auftraggeber bereits im Rahmen der Vollständigkeitsprüfung der Angebote ausweislich des in der Vergabeakte enthaltenen Zwischenberichts über die Prüfung der Angebote (Stand: 24.11.2011, Blatt 2278 ff., Blatt 2288 der Vergabeakte) mehrere vermeintliche Mängel bzw. aufklärungsbedürftige Zweifel am Angebot der Antragstellerin angesprochen und dokumentiert hat. Da nach der Wertung des Antragsgegners ein Zuschlag auf die Angebote der Antragstellerin jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht in Betracht kommt, hat der Antragsgegner bislang ausdrücklich davon abgesehen, den Zweifeln und vermeintlichen Mängeln im Wege der Aufklärung nachzugehen und über einen Angebotsausschluss zu entscheiden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Feststellungen des Auftraggebers:

69

Die Antragstellerin habe zwar sämtliche Preisangaben gemacht. Es sei aber nicht nachvollziehbar, wieso für die Lose 1 - 4, die u.a. eine Sammel- und Transportleistung zum Gegenstand haben, nach der angebotenen Aufteilung der Kostenbestandteile keine technischen Kosten anfallen sollen. Dies begründe Zweifel an der fachlichen Richtigkeit der Angaben.

70

Die dem Angebot beizufügende, qualifizierte Bereitschaftserklärung eines Kreditinstitutes bzw. Kreditversicherers zur Stellung einer Vertragsbürgschaft ist im Falle des Angebotes der Antragstellerin auf einen Maximalbetrag begrenzt. Dieser Betrag sei für Los 1 unter Berücksichtigung der Vorgaben in Ziff. 7.10 der Bewerbungsbedingungen i.V.m. § 12 BVB (5% der prognostizierten Bruttoauftragssumme) nicht ausreichend.

71

Ferner sei zweifelhaft, ob der von der Antragstellerin beigefügte Nachweis einer Betriebshaftpflichtversicherungsabdeckung den Vergabeanforderungen der Vergabeunterlagen genügt. Zum einen finde entgegen der Vorgaben in den Vergabeunterlagen, wonach auf das Vertragsverhältnis deutsches Recht anzuwenden ist, auf das Versicherungsverhältnis französisches Recht Anwendung. Zum anderen sei ein aufklärungsbedürftiger Hinweis in der Bereitschaftserklärung enthalten, wonach die Versicherung ihre Gültigkeit verliert für Risiken im Ausland, sofern die Versicherung dieser Risiken gem. der lokalen Rechtsprechung nur bei einer in der betroffenen Nation zugelassenen Versicherungsgesellschaft abgeschlossen werden kann.

72

Die Vergabekammer weist darauf hin, dass sofern die nachzuholende Angemessenheitsprüfung der Angebote der Beigeladenen ergeben sollte, dass gem. § 19 Abs. 6 Satz 2 VOL/A-EG darauf der Zuschlag nicht erteilt werden darf, weil diese unangemessen niedrig sind, so dass die nächst niedrigeren Angebote der Antragstellerin auf Rang 1 nachrücken würden, vor Entscheidung über die Zuschlagserteilung gem. § 21 Abs. 1 VOL/A-EG die offen gelassene Prüfung über den Ausschluss der Angebote der Antragstellerin gem. § 19 Abs. 3 lit. a VOL/A-EG vom Auftraggeber nachgeholt werden müsste. Über einen Angebotsauschluss der Antragstellerin kann er bei der dokumentierten Sachlage im Ergebnis nicht entscheiden, ohne zuvor gem. § 18 VOL/A-EG von der Antragstellerin hinsichtlich ihrer Zweifel am Angebot Aufklärung zu verlangen. Gemäß § 18 VOL/A-EG dürfen die Auftraggeber im offenen und im nicht offenen Verfahren von den Bietern Aufklärungen über das Angebot oder deren Eignung verlangen. Verhandlungen, insbesondere über Preise, sind dagegen unzulässig. Der Auftraggeber ist daher nicht befugt, den Bieter zu Handlungen zu bewegen, die eine Änderung des Inhaltes seines Angebotes, insbesondere seiner Preisgestaltung, bedeuten. Die Informationsgewinnung darf nur dahingehend erfolgen, um sich über die Eignung des Bieters, insbesondere seine technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das Angebot selbst zu unterrichten. Keinesfalls darf jedoch einem nicht annahmefähigen Angebot nachträglich zur Annahmefähigkeit verholfen werden, indem fehlende Angaben, die zwingend gefordert waren, im Angebot nachgeholt werden (vgl. Zeise in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 18 EG, Rdnr. 6). Dabei darf sich der Auftraggeber ausdrücklich auch über den Inhalt des Angebotes selbst beim Bieter informieren. Die Unterrichtung ist jedoch nur dann zulässig, wenn sie erforderlich ist, um Restzweifel auszuräumen und dem Auftraggeber somit eine ordnungsgemäße Bewertung des Angebotes durch die nachgereichten Angaben bzw. Unterlagen zu ermöglichen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 22.05.2003, 13 Verg 10/03; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.10.2009, Verg 9/09, zitiert nach Veris).

73

Ferner hat der Auftraggeber im Informationsschreiben vom 08.02.2011 und in der Vergabeakte (Abschlussbericht über die Prüfung und Wertung der Angebote, Stand: 05.12.2011, Nr. 4.1.5, Blatt 2379 - 2381 der Vergabeakte) darauf hingewiesen, dass das Angebot der Antragstellerin möglicherweise gem. § 19 Abs. 3 lit. e VOL/A-EG von der Angebotswertung ausgeschlossen werden muss, weil es nicht in einem ordnungsgemäß verschlossenen Behältnis und damit nicht formgerecht eingegangen sei. Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass die Angebote der Antragstellerin zwar rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist eingegangen, aber in einer sog. "Ordnerversandverpackung" abgegeben wurden. Diese sei lediglich an der oberen Verschlusslasche zusätzlich zugeklebt gewesen. Fraglich sei in diesem Zusammenhang, ob diese Angebote als "verschlossen" i. S. von § 16 Abs. 2 Satz 2 VOL/A-EG gelten könnten.

74

Die Vergabekammer weist darauf hin, dass die gewählte Verpackungs- und Versendungsform ihrer Auffassung nach den Anforderungen an ein verschlossenes Behältnis i. S. des § 16 Abs. 2 Satz 2 VOL/A-EG genügt. Gemäß § 16 Abs. 2, Satz 2 VOL/A-EG sind auf dem Postweg oder direkt zu übermittelnde Angebote in einem verschlossenen Umschlag einzureichen, als solche zu kennzeichnen und bis zum Ablauf der Angebotsfrist unter Verschluss zu halten. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der öffentliche Auftraggeber die Angebote bis zum Ablauf der Angebotsfrist unter Verschluss hält und sie nicht wie seine übrigen Posteingänge öffnet und etwa mit einem Eingangsvermerk versehen in den Geschäftsgang gibt, sondern so aufbewahrt, dass sie vor Verlust, Beschädigung und unbefugter Einsichtnahme geschützt sind (vgl. Dittmann in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 16 EG, Rdnr. 45). In der Praxis gibt es häufig Fälle, in denen umfangreiche Angebote nicht in einen Umschlag passen. Dann ist es durchaus zulässig, eine andere Art der Verpackung zu wählen. Dabei muss aber zwingend sichergestellt sein, dass die Möglichkeit der Einsichtnahme in das Angebot durch die Art der Verpackung ausgeschlossen ist. Das heißt, das Angebot muss von allen Seiten verschlossen und nicht einsehbar sein (vgl. VK Bund, Beschluss vom 13.05.2003 - VK 1-31/03). Dabei reicht es regelmäßig nicht aus, wenn Angebote in einem Behältnis, beispielsweise einem Karton, verpackt werden, das sich, ohne Spuren zu hinterlassen, öffnen lässt. Vielmehr gilt ein Behältnis nur dann als verschlossen, wenn es mit Vorkehrungen versehen ist, die für die Kenntnisnahme ein deutliches Hindernis darstellen (vgl. VK Lüneburg, Beschluss vom 20.08.2002 - 203-VgK-12/2002). Es muss daher prüfbar sein, ob das Behältnis tatsächlich nicht geöffnet wurde. Deshalb muss die Art der Verpackung so gewählt werden, dass sofort bemerkt wird, ob sie geöffnet wurde. Das kann z.B. durch Verschließen mit festem Klebeband geschehen, das beim Abziehen Spuren hinterlässt (vgl. Lause in: Müller-Wrede, VOL/A, 3. Auflage, § 16 EG, Rdnr. 43).

75

Vorliegend hat die Antragstellerin ausweislich der Dokumentation in der Vergabeakte (Fotos 9 - 11, Blatt 2236) handelsübliche Versandkartons für Aktenordner und Bücher verwendet. Sie hat diese zwar nicht rundum mit Klebeband versiegelt, sondern nur an der für die Öffnung der Kartons bestimmten Lasche. Der Auftraggeber hat deshalb in seinem Abschlussbericht (Stand: 05.12.2011, Blatt 2379 ff., Blatt 2381) darauf hingewiesen, dass der Verhandlungsleiter bei der Angebotsöffnung die Angebote mehrerer Bieter, darunter auch die der Antragstellerin, nicht an der vorgesehenen, aber verklebten Öffnungslasche, sondern an den Seitenlaschen öffnen konnte. Der Antragsgegner geht daher vorläufig davon aus, dass diese Behältnisse nicht ordnungsgemäß verschlossen i. S. des § 16 Abs. 2 Satz 2 VOL/A-EG gewesen sind. Auf dem Foto Nr. 11 auf Blatt 2236 der Vergabeakte, das einen geöffneten Versandkarton der Antragstellerin abbildet, ist jedoch klar ersichtlich, dass auch die Seitenlasche des Kartons ursprünglich offenbar so fest verschlossen war, dass jetzt noch die Spuren der Öffnung (Knicke) erkennbar sind. Da der Antragsgegner zudem dokumentiert hat, dass erst der Verhandlungsleiter am Tage der Angebotsöffnung den Kartons geöffnet hat, ist somit eine vorzeitige, unbemerkte Öffnung des Kartons und damit eine vorzeitige, unbefugte Öffnung und Manipulation des Angebotes in der Vergabestelle ausgeschlossen.

76

Gemäß § 114 Abs. 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Auf Grund der unter II. 2. a festgestellten Tatsache, dass die Angebotspreise der Beigeladenen die Angebotspreise der nächst günstigeren Antragstellerin bei einigen Losen um mehr als 20% unterschreiten, war der Antragsgegner zu verpflichten, erneut in die Angebotswertung einzutreten, die Angemessenheitsprüfung zu wiederholen, dabei die Beigeladene zur Aufklärung der Preise aufzufordern und Prüfung und Ergebnisse in einer den Anforderungen des § 20 VOL/A-EG genügenden Weise in der Vergabeakte zu dokumentieren. Im Übrigen war der Nachprüfungsantrag dagegen zurückzuweisen.

77

III.

Kosten

78

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt nach wie vor 2.500 EUR, die Höchstgebühr nunmehr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

79

Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

80

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR (brutto). Dieser Wert ergibt sich als Summe der vom Antragsgegner für die Vertragslaufzeit von 5 Jahren errechneten Angebotssummen für die streitbefangenen Lose 1 bis 4 unter Berücksichtigung der angebotenen Rabattierung.

81

Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

82

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt.

83

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR.

84

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

85

Die in Ziffer 2 des Tenors verfügte Aufteilung der Kosten auf die Antragstellerin und den Antragsgegner folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin in einem entscheidenden Punkt begründet ist und zur Verpflichtung des Antragsgegners zum Wiedereintritt in die Wertung geführt hat.

86

Hinsichtlich ihres Ziels, den Antragsgegner zu verpflichten, das preislich vor ihrem eigenen Angebot rangierende Angebot der Beigeladenen auszuschließen, war der Nachprüfungsantrag dagegen erfolglos. Die anteilige Kostentragungspflicht von 2/3 zu 1/3 entspricht daher dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens im Nachprüfungsverfahren (vgl. Beschluss des OLG Celle vom 06.06.2003, Az.: 13 Verg 5/03).

87

Der Antragsgegner ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung der Kosten gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

88

Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auf die Anträge der Antragstellerin und des Antragsgegners gem. Ziffer 4 des Tenors auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Nachprüfungsverfahren sowohl für die Antragstellerin als auch für den Antragsgegner notwendig war.

89

Ungeachtet der Tatsache, dass das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, bedurfte die Antragstellerin gleichwohl wegen der Komplexität des Vergaberechts und des das Nachprüfungsverfahren regelnden Verfahrensrechts einerseits sowie auch der Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens rechtsanwaltlicher Beratung und Begleitung.

90

Wie das OLG Celle in seinem Beschluss, AZ.13 Verg 20/10, vom 09.02.2011 ausführt, ist bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung des Antragsgegners neben den Umständen des Einzelfalls auch zu berücksichtigen, dass Nachprüfungsverfahren unter einem enormen Beschleunigungs- und Zeitdruck stehen und das Vergaberecht eine komplexe Rechtsmaterie mit Vorschriften aus dem Nationalen Recht und dem Europarecht darstellt, welche nicht immer im Gleichklang stehen. Dieser Gesichtspunkt i. V. mit der Gewährleistung der Waffengleichheit kann es notwendig machen, einen Rechtsanwalt beizuziehen, um der Vergabestelle eine sachgerechte Vertretung zu ermöglichen.

91

Im vorliegenden Fall war über die Einhaltung des materiellen Vergaberechts und im Zusammenhang hiermit über Fragen der kommunalwirtschaftsrechtlichen Zulässigkeit einer Leistungserbringung durch die Beigeladene zu entscheiden. Zwar ist zu unterstellen, dass der Antragsgegner mit dem kommunalen Wirtschaftsrecht vertraut ist. Allerdings sind die Restriktionen der wirtschaftlichen Betätigung kommunaler / gemischtwirtschaftlicher Unternehmen in Privatrechtsform in den Vergabeordnungen der Länder nicht einheitlich geregelt. Dazu kommt, dass es hierzu derzeit keine gefestigte Rechtsprechung gibt.

92

Deshalb und im Hinblick darauf, dass sich auch die Antragstellerin durch eine auf das Vergaberecht spezialisierte Kanzlei vertreten ließ, erscheint eine anwaltlichen Vertretung auch für den Antragsgegner notwendig.

93

Angesichts der Tatsache, dass der Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren überwiegend unterlegen ist, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu 2/3 zu tragen. Unter Anwendung des gleichen Maßstabes hat die Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten des Antragsgegners zu 1/3 zu tragen.

94

Die Antragstellerin wird aufgefordert, die anteilige Gebühr von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens

95

xxxxxx

innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen:

96

xxxxxx.

Gause
Rohn
Sameluck