Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 26.11.2012, Az.: VgK-40/2012

Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens bei Verstoß gegen das Transparenzgebot aufgrund fehlender rechtzeitiger Anzeige der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung gegenüber den Bietern; Durchführung der Wertung des finalen Angebotes des Bieters in intransparenter Weise und Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
26.11.2012
Aktenzeichen
VgK-40/2012
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 31146
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der BieGE xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die Stadt xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene zu 1 -
BieGE xxxx,
- Beigeladene zu 2 -
wegen
des wettbewerblichen Dialogs zur Suche eines Kooperationspartners für die örtliche Energieversorgung in der Stadt xxxxxx,
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, die hauptamtliche Beisitzerin BOR'in Schulte und den ehrenamtlichen Beisitzer Diplomvolkswirt Nierychlo auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.2012
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist. Das Vergabeverfahren wird zurückversetzt in den Stand vor der Versendung der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog. Das Vergabeverfahren ist bei fortbestehender Vergabeabsicht ab diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

  2. 2.

    Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten trägt die Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Entrichtung der Kosten befreit.

  4. 4.

    Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Antragstellerin notwendig.

Begründung

1

I.

Die Antragsgegnerin beabsichtigt, die Energieversorgung in ihrem Gemeindegebiet zu rekommunalisieren. Das schließt die Energieerzeugung, deren Vertrieb und vorbehaltlich des Ergebnisses der Wegenutzungsvergaben nach EnWG auch den Betrieb der örtlichen Energienetze ein. Hierzu sucht sie seit 2011 einen Partner, der Minderheitsgesellschafter der zwischenzeitlich von ihr gegründeten xxxxxx wird. In der Verwaltungsvorlage, Drucksache xxxxxx, vom xxxxxx.2011 "Ausschreibung zur Vergabe eines Konzessionsvertrages und zur Gründung eines Stadtwerkes" stellt die Verwaltung u.a. fest, dass es zu Beginn des Verfahrens sinnvoll ist, Zuschlagskriterien festzulegen. Im Sachverhalt der Vorlage wird dazu wörtlich ausgeführt:

"Anhand dieser Kriterien wird die Verwaltung die Dialoggespräche führen und werden anschließend die Angebote der Bewerber bewertet. Eine Liste der für die Stadt wesentlichen Auswahlkriterien ist dieser Vorlage im Entwurf als Anlage 2 beigefügt. Um eine nachprüfbare Bewertung vornehmen zu können, sind diese Kriterien auch zu gewichten, wie in Anlage 2 geschehen. Im Hinblick auf die o.g. Unsicherheiten im Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass die Kriterien noch unter einem gewissen Vorbehalt stehen. Je nach Entwicklung der rechtlichen Vorgaben, z.B. durch die Kartellbehörde kann es erforderlich sein, hierzu in einer späteren Ratssitzung einen weiteren Beschluss zu fassen."

2

Am 22.08.2011 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die Verwaltung zu beauftragen, das Verfahren nach § 46 EnWG (Wegenutzungsverträge) fortzusetzen und zur Gründung eines Stadtwerkes im Kooperationsmodell einen wettbewerblichen Dialog durchzuführen. Die Dialoggespräche sollten anhand folgender acht Zuschlagskriterien geführt werden:

"Rangfolge Kriterium Einfluss auf Preisgestaltung Eigener Vertrieb von Energie Sichere und verbraucherfreundliche EV durch Arbeitsplätze in GF4 Umweltverträgliche Energieversorgung Geringes Kaufpreisrisiko Kommunalfreundlicher Konzessionsvertrag Bestmögliches Jahresergebnis Möglichkeit steuerlicher Querverbund"

3

Mit Datum vom xxxxxx.2011, veröffentlicht am xxxxxx.2011, forderte die Antragsgegnerin europaweit zur Teilnahme auf, um im Verfahren des wettbewerblichen Dialogs (IV1.1) einen Partner für ein Kooperationsmodell für die örtliche Energieversorgung zu finden. Sie wies darauf hin, dass Varianten zulässig sind. Ferner erklärte sie unter IV.2.1) zu den Zuschlagskriterien, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag aufgrund der Kriterien erhalten soll, die in der Beschreibung zum wettbewerblichen Dialog aufgeführt sind.

4

Fünf Bieter/Bietergemeinschaften bewarben sich um die Teilnahme. Die Antragsgegnerin hielt alle für geeignet und versandte am xxxxxx.2011 die Leistungsbeschreibung mit Anlagen. Als Abgabetermin war der xxxxxx.2011 genannt.

5

Der beigefügten Leistungsbeschreibung ist auf Seite 12 Folgendes zu entnehmen:

"Teil D Zuschlagskriterien

Die Zuschlagskriterien der Stadt xxxxx können im jetzigen Stadium des Verfahrens noch nicht weiter untergliedert und mit einer detaillierten Gewichtung versehen werden. Die nachfolgenden Kriterien verstehen sich in der Reihenfolge ihrer Gewichtung:

Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen

Mittelzufluss für die Stadt xxxxxx

Risikobegrenzung für die Stadt xxxxxx

Eine Untergliederung und detaillierte Gewichtung erfolgt im Laufe des weiteren Verfahrens und wird den Teilnehmern des Verfahrens unter Beachtung von Transparenz und Gleichbehandlung mitgeteilt."

6

Andererseits führt sie auf Seite 3 unter

"Teil A Grundlegende Informationen,

I. Bedürfnisse und Anforderungen"

7

u.a. aus:

"Das Stadtwerk xxxxxx soll einen Beitrag leisten für eine sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Strom und Gas. Es soll eine örtliche Wertschöpfung erzielen. In dem Kooperationsmodell sollen auch denkbare Möglichkeiten für die Nutzung des steuerlichen Querverbunds Berücksichtigung finden; weitere Rahmenbedingungen für das Stadtwerk sind unter Teil B Ziffer II genannt. Die Möglichkeit einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung des Kooperationspartners an dem Stadtwerk xxxxxx ist gegeben und wird von der Stadt xxxxxx befürwortet. Die Beteiligungsquote des Kooperationspartners soll dabei höchstens 49% betragen. Ein ausreichender kommunaler Einfluss auf die Tätigkeit des Stadtwerkes xxxxxx soll auch im Übrigen gewährleistet sein."

8

Ferner ist der Leistungsbeschreibung auf Seite 4 unter "II. Informationen zum Verfahren, 2. Zulassung von Nebenangeboten" zu entnehmen, dass die Mindestanforderungen an Nebenangebote nach Abschluss der Dialogphase festgelegt und den Bietern mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe mitgeteilt werden.

9

Mit Schreiben vom 12.12.2011 rügte die Antragstellerin, dass das Zuschlagskriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" nicht transparent sei und die Mindestanforderungen an Nebenangebote nicht erst festgelegt werden dürfen, wenn die Lösungsvorschläge bekannt seien. Nachdem die Antragsgegnerin erklärte, dass sie den beiden Rügepunkten nicht abhelfen werde und auf die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens hingewiesen hatte, vertrat die Antragstellerin mit Schreiben vom 23.12.2011 die Auffassung, dass die Präklusionsvorschrift mangels entsprechender Bestimmung in der Vergabebekanntmachung aus ihrer Sicht nicht verfange.

10

Zum Termin xxxxxx.2011 reichten die ausgewählten fünf Teilnehmer ihre Lösungsvorschläge zur ersten Dialogrunde ein. Den Ergebnisprotokollen ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin entweder eine Kooperation mit Rückpachtmodell oder aber eine Antragstellerinnen-Beteiligung mit Projektgesellschaft vorschlug. Die anderen Teilnehmer schlugen verschiedene Varianten eines Betriebsführungsmodells vor, bei denen die Stadtwerke alle Aufgaben übernehmen und die Antragsgegnerin zwischen 51 und 74% der Anteile halten würde.

11

Die Verwaltung schlug dem Rat vor, für die nächsten beiden Dialogphasen nur noch "echte" Vertriebs- und keine Provisionsmodelle zuzulassen (Seite 15 der Präsentation). In der Präsentation der Verwaltung ist auf Seite 17 ausgeführt, dass die Berater der Stadt die vom Rat beschlossenen Kriterien i.S.d. Vergaberechts noch ausformuliert und mit Unterkriterien versehen hätten. In der Präsentation wird ausgeführt, dass die Aus- bzw. Umformulierung bereits beim Ratsbeschluss ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen war. Es würden daher nur die Änderungen gezeigt und um die Zustimmung gebeten, so zu verfahren.

12

Es wurden sodann in der Präsentation die den Bewerbern bekannten drei Zuschlagskriterien mit den Unterkriterien vorgestellt und dazu erläutert, warum einzelne Zuschlagskriterien umbenannt und einem der drei Zuschlagskriterien zugeordnet wurden bzw. jetzt einzelne Zuschlagskriterien entfallen sollten. Abschließend wurde festgehalten, dass die Berater alle Punkte mit einer Gewichtung versehen und eine Bewertungsmatrix erstellt haben. Wörtlich:

"Es sind alle von Rat genannten Kriterien enthalten, es sind keine neuen Kriterien hinzu gekommen und auch die Reihenfolge und Gewichtung, wie der Rat sie beschlossen hat, findet sich in den einzelnen Gewichtungen in dieser Bewertungsmatrix wieder."

13

Mit Schreiben vom 30.01.2012 lud die Antragsgegnerin alle Bewerber zu der zweiten Dialogphase ein und erläuterte unter III. Zuschlagskriterien:

"In der Anlage 1 übersende ich Ihnen eine Konkretisierung der mitgeteilten Zuschlagskriterien mit einer kurzen Erläuterung."

14

Dort ist ausgeführt:

"Kriterien und Gewichtung der Stadt xxxxxx für die

Auswahl des Kooperationspartners für ein kommunales Energieversorgungsunternehmen

Nr.AuswahlkriteriumGewichtungUnterkriterienGewichtung
1.Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen66
1a.Kommunaler Einfluss auf Entscheidungen der Stadtwerke
1. Einfluss in den Stadtwerken xxxxxx
2. Einfluss auf die Höhe der Strom- und Gaspreise
3. Einfluss auf die Höhe der Netzentgelte
15
6
6
1b.Sichere, verbraucherfreundliche und effiziente Energieversorgung (inklusive Betriebssitz der Stadtwerke xxxxxx in xxxxxx mit ausreichender Mitarbeiterzahl zur Sicherstellung der vorgenannten Ziele) 10
1c.Vertrieb von eigenen Energieprodukten durch die Stadtwerke xxxxxx mit eigenen Kundenbeziehungen (inklusive Kundenbüro in xxxxxx mit ausreichender Mitarbeiterzahl zur Sicherstellung eines verbraucherfreundlichen Energievertriebs)10
1d.Umweltverträgliche Energieversorgung
1. Angebot von Ökostrom im Vertrieb
2. Bau und Betrieb von EEG- und KWKG-Anlagen
7
7
1e.Option für steuerlichen Querverbund und perspektivische Entwicklung neuer Geschäftsfelder
1. Option für steuerlichen Querverbund
2. perspektivische Entwicklung neuer Geschäftsfelder
2
3
2.Mittelzufluss für die Stadt xxxxxx (Höhe des plausibilisierten voraussichtlichen Jahresergebnisses der Stadtwerke xxxxxx) 18
3.Risikobegrenzung für die Stadt xxxxxx16
3a.Begrenzung der Risiken aus eventuellen Energienetzübernahmen6
3b.Begrenzung der Risiken aus Vertriebsverlusten5
3c.Höhe des Kapitalbedarfs der Stadt5
100

Bewertung

Das Angebot, das die höchste Punktzahl erreicht, wird als bestes Angebot gewertet. Bei der Bewertung des Grads der Erfüllung der einzelnen Kriterien wird die nachfolgende Punkteskala verwendet. Die Punkte werden mit dem Prozentwert multipliziert, so dass sich eine Punktzahl von Maximal 500 ergeben kann.

Skala

Kriterium wird gar nicht erfüllt Kriterium wird sehr schlecht erfüllt Kriterium wird schlecht erfüllt Kriterium wird durchschnittlich gut erfüllt Kriterium wird gut erfüllt Kriterium wird sehr gut erfüllt

Die Möglichkeit der Stadt xxxxxx, Pflichtvorgaben für die einzureichenden Angebote zu machen, die von den Angeboten zwingend erfüllt werden müssen, bleibt unberührt."

15

Den Ergebnisprotokollen der zweiten Dialogrunde ist zu entnehmen, dass grundsätzlich zwei Modelle zur Auswahl stehen. Die Antragstellerin schlägt die Stadtwerke als Holding vor, die sich zu 100% im Eigentum der Stadt befindet. Operativ tätig werden eine xxxxxx, die das Netz von einem Mitglied der Bieterin erwirbt und an dieses rückverpachtet, sowie die Bieterin. Dagegen favorisierten die anderen Bewerber grundsätzlich ein Betreibermodell mit für die Bürger einheitlichem Partner und der Antragsgegnerin als Mehrheitsgesellschafter.

16

Zwischenzeitlich hatte die Antragsgegnerin am 14.03.2012 einen Gesellschaftsvertrag zur Gründung der xxxxxx mit einem Stammkapital von 25.000 EUR abgeschlossen, deren Gesellschaftsanteile zzt. sie allein hält.

17

Mit Schreiben vom 11.04.2012 lud die Antragsgegnerin die Bewerber zu einer dritten Dialogrunde ein, wies auf die neue Gesellschaft hin und teilte den Bietern weitere Informationen mit.

18

Vor der Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen Angebotes teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass sie aufgrund der Erkenntnisse aus den bisherigen Dialogphasen ihre Bietergemeinschaft erweitere und stellte das neue Mitglied vor. Mit Schreiben vom 18.06.2012 forderte die Antragsgegnerin die verbliebenen Bewerber zur Abgabe des endgültigen, verbindlichen Angebots auf. Sie gab dabei u.a. noch weitere Hinweise zu den einzelnen Kriterien, Ausgestaltung des Aufsichtsrats einer gemeinsamen Gesellschaft und dem ergebnisoffenen Konzessionsverfahren Strom und Gas. Ferner wies sie darauf hin, sofern Nebenangebote für sinnvoll erachtet würden, gelten für diese die in Teil A Ziffer I. der Leistungsbeschreibung genannten Bedürfnisse und Anforderungen. Die in dem Schreiben genannten Aussagen zum ergebnisoffenen Konzessionsverfahren Strom und Gas (Ziffer IV) gelten auch für Nebenangebote.

19

Zwei Bewerber zogen im Laufe der Dialogphasen ihre Bewerbung freiwillig zurück. Die Antragstellerin und die beiden Beigeladenen reichten zum Termin am 02.08.2012 fristgerecht jeweils ein endgültiges, verbindliches Angebot ein. In dem abschließenden Vergabevermerk erfolgte die Auswertung der Angebote in den vier Wertungsstufen. In der vierten Wertungsstufe wurde zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes auf die beigefügte Bewertungsmatrix verwiesen. Der ausgefüllten Bewertungsmatrix mit den drei Zuschlagskriterien ist zu entnehmen, dass die Antragstellerin bei dem mit 66% gewichteten Zuschlagskriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" nur 256 Punkte von 330 Punkten erzielte, während die Beigeladene zu 1 auf 319 Punkte kam und die Beigeladene zu 2 auf 296 Punkte. Beim zweiten Zuschlagskriterium "Mittelzufluss für die Stadt" erzielten Antragstellerin und Beigeladene zu 1 je 72 von möglichen 90 Punkten. Beim dritten Zuschlagskriterium erhielt die Antragstellerin 50 von 80 Punkten, während die beiden Beigeladenen 46 bzw. 42 Punkte erreichten. Insgesamt kam die Antragstellerin auf 378 von möglichen 500 Punkten, die Beigeladene zu 1 erzielte 437 Punkte und die Beigeladene zu 2 kam auf 392 Punkte. Die Antragsgegnerin begründete in ihrer Bewertungsmatrix, warum welcher Bieter wie viele Punkte in den Unterkriterien erzielte.

20

Der Rat der Antragsgegnerin beschloss in seiner Sitzung am xxxxxx.2012 einstimmig, dass im Vergabeverfahren "Kooperationsmodell für die örtliche Energieversorgung in der Stadt xxxxxx" das am besten bewertete Angebot, nämlich das finale Angebot der Beigeladenen zu 1 den Zuschlag erhalten soll. Ferner beschloss er, dass in den Verträgen noch folgende Änderungen vorgenommen werden:

  • In § 2 (vierter Spiegelstrich) des Konsortialvertrages und in § 2 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages sollen jeweils die Worte "im Gebiet der Stadt xxxxxx" gestrichen werden.

  • In § 14 Abs. 2 Satz 2 des Konsortialvertrages sollen die Worte "zum Auslaufen der jeweiligen Vertragslaufzeit" ersetzt werden durch die Worte "zum 31.12. des Folgejahres".

21

Die Antragsgegnerin informierte am 11.09.2012 die Antragstellerin und die zweite Beigeladene, dass sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 1 zu erteilen. Sie führte dabei aus, dass sich das Angebot der Antragstellerin insbesondere bei den Unterkriterien Gesellschaftereinfluss, Einfluss auf die Höhe der Netzentgelte und Höhe des Kapitalbedarfs wesentliche Unterschiede ergaben.

22

Mit Rügeschreiben vom 14.09.2012, eingegangen bei der Antragsgegnerin am selben Tage, beanstandete die Antragstellerin die beabsichtigte Vergabe an die Beigeladene zu 1. Sie teilt unter Bezugnahme auf den Beschluss des OLG Celle vom 04.03.2010, Az. 13 Verg 1/10, mit, dass die ursprüngliche Rüge nicht präkludiert sei. Die Antragsgegnerin habe in der Bekanntmachung versäumt, auf die Ausschlussfrist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hinzuweisen.

23

Die Antragstellerin beanstandete unter Bezugnahme auf ihr Rügeschreiben vom 12.12.2011 die Entwicklung von Zuschlagskriterien im Vergabeverfahren als nicht transparent. Sie geht davon aus, dass die Antragsgegnerin die Zuschlagskriterien während des Verfahrens geändert hat. Ferner rügt sie unter Bezugnahme auf die Verwaltungsvorlage xxxxxx vom xxxxxx.2011, dass die wesentlichen Zuschlagskriterien und deren Rangfolge dem Rat vorgelegt wurden und damit insoweit intern bekannt waren. Es sei nicht nachvollziehbar, warum den Bietern die Kriterien und deren Gewichtung nicht zu einem früheren Zeitpunkt mitgeteilt wurden, damit sie ihre Angebote entsprechend von vornherein darauf ausrichten konnte.

24

Sie vertritt auch die Auffassung, dass die Antragsgegnerin eine unzulässige Verknüpfung von Suche nach einem Kooperationspartner mit Konzessionsverfahren vorgenommen hat, da eine Vielzahl von Gesichtspunkten im Vergabeverfahren eine Rolle spielen, die erst im Konzessionsverfahren nach EnWG zu klären sind. Das zweite Kriterium "Mittelzufluss für die Stadt xxxxxx" sei davon abhängig, ob es gelinge, den Stadtwerken die Konzession zu erteilen. Ebenso seien die Unterkriterien 3a "Begrenzung der Risiken aus eventuellen Energienetzübernehmen" und 3c "Höhe des Kapitalbedarfs der Stadt" ausschließlich im Zusammenhang mit einer etwaigen Netzübernahme im Anschluss an eine Konzessionsvergabe zu sehen.

25

Soweit sie monierte, die Information nach § 101 a GWB sei nicht ausreichend, half die Antragsgegnerin dem am 18.09.2012 ab.

26

Die Antragstellerin rügte, der Rat habe auf Vorschlag der Verwaltung vor der Abstimmung über das Angebot der Beigeladenen zu 1 den Konsortialvertrag im Hinblick auf das Vertriebsgebiet geändert. Es solle keine Beschränkung auf das Gebiet der Stadt xxxxxx erfolgen. Die positive Ratsabstimmung erfolgte auf der Basis des - nachträglich - geänderten Konsortialvertrages. Das Angebot der Beigeladenen zu 1 hätte abgewertet werden müssen, da dessen Betriebsstruktur sich nicht auf das Stadtgebiet beschränkt hat.

27

Die Antragstellerin hält auch die Bewertung der Angebote in den Unterkriterien Gesellschaftereinfluss der Stadt xxxxxx in den Stadtwerken xxxxxx, Einfluss der Stadtwerke auf die Höhe der Netzentgelte, Höhe des Kapitalbedarfs der Stadt, Mittelzufluss an die Stadt xxxxx und sichere, verbraucherfreundliche und effiziente Energieversorgung für fehlerhaft und begründet ihre Auffassung.

28

Aufgrund des Rügeschreibens der Antragstellerin teilte der Bevollmächtigte der Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass eine Zuschlagserteilung für den 05.10.2012 vorgesehen sei.

29

Nachdem die Antragsgegnerin zu der Rüge mit Schreiben vom 26.09.2012 Stellung genommen hatte, beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 02.10.2012, eingegangen in der Vergabekammer per Telefax am selben Tage, die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.

30

Die Antragstellerin ergänzt und vertieft ihren Vortrag in Bezug auf die bereits im Rügeschreiben gegenüber der Antragsgegnerin monierte Entwicklung von Zuschlagskriterien im Vergabeverfahren und der Wertung ihres Angebotes. Sie vertritt ferner die Auffassung, dass die Antragsgegnerin erst in Kenntnis der ersten Lösungsvorschläge einzelne Kriterien und deren Gewichtung entwickelt habe. Außerdem habe die Antragsgegnerin die zu erörternden "Lösungen für ihre Bedürfnisse und Anforderungen" mit der Festlegung von Zuschlagskriterien vermischt und sich nicht an den Wortlaut und die Systematik des § 3 EG Abs. 7 VOL/A gehalten. Es sei von der Vergabekammer nicht gesondert zu prüfen, ob der Verstoß kausal sei, im Übrigen bestünde eine Kausalitätsvermutung zugunsten der Antragstellerin und eine Darlegungspflicht der Antragsgegnerin zu nicht bestehenden Kausalität.

31

Die Antragsgegnerin habe die Suche nach einem Kooperationspartner vergaberechtswidrig mit dem Konzessionsverfahren verknüpft, weil die Wirtschaftlichkeit des Projektes davon abhänge, welche Entscheidung in einem anderen Verfahren getroffen werde. Zur Begründung Ihrer Auffassung verweist sie mit nachgelassenem Schriftsatz vom 14.11.2012 darauf, dass im vorhandenen Konzessionsvertrag Strom (Offenlegung der Daten der Antragstellerin) eine rechtliche Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erwerb des Netzes bei Auslaufen des Konzessionsvertrages enthalten sei. Über die Leistungsbeschreibung des wettbewerblichen Dialogs habe daher nicht nur eine tatsächliche, sondern auch eine unzulässige rechtliche Verknüpfung mit dem Verfahren zur Konzessionsvergabe stattgefunden.

32

Nach Durchführung der eingeschränkten Akteneinsicht vertritt die Antragstellerin ferner die Auffassung, dass die Antragsgegnerin für die Vergabe des Auftrages nicht den wettbewerblichen Dialog hätte wählen dürfen. Sie bezieht sich auf die Ausführungen der erkennenden Vergabekammer in dem verfahrensbegleitenden Schreiben vom 16.10.2012 an die Antragsgegnerin. In jedem Fall hätte die Antragsgegnerin aber die Gründe gemäß § 24 EG Abs. 2 lit. f VOL/A dokumentieren müssen, die sie zu der Wahl der Vergabeart veranlasst haben. Da die Ausnahmegründe für die Durchführung des wettbewerblichen Dialogs nicht dokumentiert sind, läge ein nicht heilbarer Dokumentationsmangel vor.

33

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens gemäß den §§ 107 ff GWB wg. Verstoßes gegen Vergabevorschriften,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Antragstellerin in ihrem Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren verletzt ist,

  3. 3.

    die Antragsgegnerin zu verpflichten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die geltend gemachten Verstöße gegen Vergabevorschriften zu beseitigen,

  4. 4.

    die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragstellerin für notwendig zu erklären,

  5. 5.

    die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

34

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 02.10.2012 zurückzuweisen;

  2. 2.

    die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für die Antragsgegnerin für notwendig zu erklären;

  3. 3.

    die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.

35

Die Antragsgegnerin tritt den Behauptungen und der Rechtsauffassung der Antragstellerin entgegen.

36

Sie hält den Nachprüfungsantrag teilweise für unzulässig, da die Antragstellerin beim Zuschlagskriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" präkludiert sei. Die Antragstellerin habe den Nachprüfungsantrag nicht fristgerecht nach dem Nichtabhilfeschreiben eingereicht und sei somit mangels Beschwer nicht antragsbefugt. Hinzu käme, dass die Antragstellerin es auch versäumt habe, den vermeintlichen Verstoß unverzüglich zu rügen. Die Antragsgegnerin, habe zudem durch ihr Antwortschreiben vom 22.12.2011 vermeintliche Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung ausgeräumt. Die Antragstellerin sei auch ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen, soweit sie eine angebliche "Änderung" von Zuschlagskriterien beanstande, die angeblich nach der ersten Dialogphase vorgenommen wurde. Ferner habe die Antragstellerin nicht unverzüglich eine vermeintliche Verknüpfung der Suche nach einem Kooperationspartner mit dem Konzessionsverfahren gerügt. Im Übrigen hätte sie die in der Bekanntmachung versäumte Rechtsbehelfsbelehrung im o.g. Antwortschreiben nachholen dürfen.

37

Soweit der Nachprüfungsantrag nicht unzulässig ist, sei er aber unbegründet.

38

Unter Bezugnahme auf das verfahrensbegleitende Schreiben der Vergabekammer vom 16.10.2012 weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Antragstellerin die Wahl der Verfahrensart zu keiner Zeit gerügt habe. Soweit die Antragstellerin sich hier unter Bezugnahme auf § 24 EG Abs. 2 lit. f VOL/A einen Dokumentationsmangel sieht, weist sie darauf hin, dass sie in Ihrem ersten Verfahrensvermerk vom 12.09.2011 die Wahl begründet habe.

39

Die Entwicklung der Zuschlagskriterien durfte aus ihrer Sicht so im Vergabeverfahren erfolgen. Sie habe ihre Bedürfnisse und Anforderungen auf Seite 3 der Leistungsbeschreibung dargestellt und die drei Zuschlagskriterien auf Seite 12 genannt, die sie mit Verfahrensbrief vom 30.01.2012 weiter konkretisiert habe. Hinzu käme, dass sie das streitgegenständige Zuschlagskriterium zu Beginn zwar weit formuliert habe, es aber durch den Verweis auf die Bedürfnisse und Anforderungen nicht unbestimmt war. Zudem ließen sich aus den in der Leistungsbeschreibung bekannt gemachten Bedürfnissen und Anforderungen die Zuschlagskriterien ableiten. Außerdem sieht sie die Gefahr, durch früh genannte detaillierte Kriterien falsche Anreize zu setzen, die dazu führen würden, dass ihre Bedürfnisse und Anforderungen nicht optimal erfüllt werden. Es habe der Antragstellerin während des gesamten Verfahrens frei gestanden, ihre Lösung an den Bedürfnissen und Anforderungen der Antragsgegnerin und den Zuschlagskriterien auszurichten.

40

Sie weist darauf hin, dass sie die Zuschlagskriterien und deren Rangfolge nicht vorher bekanntgeben konnte. Sie müssen ihrer Meinung nach auch erst vor der Abgabe des verbindlichen Angebots abschließend vorgegeben werden. Aus den Ratsvorlagen ergäbe sich, dass zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses noch nicht feststand, ob und inwieweit daran noch aus Rechtsgründen Änderungen und Ergänzungen vorzunehmen waren. Außerdem handelte es sich um Kriterien, anhand derer die Dialoggespräche zu führen waren, und nicht um Zuschlagskriterien im förmlichen vergaberechtlichen Sinne. Ihrer Meinung nach stand es der Verwaltung frei, wie sie die in den Kriterien zum Ausdruck kommenden Zielvorstellungen des Rates in das Verfahren einbringt. Die internen Vorarbeiten in der Verwaltung und die Abstimmungsprozesse zwischen Verwaltung und politischen Gremien hätten keine Außenwirkung gehabt. Sie habe entsprechend dem Wortlaut des § 10 EG Abs. 2 VOL/A die Zuschlagskriterien in absteigender Reihenfolge bekannt gegeben. Im Übrigen habe die Antragstellerin nach Bekanntgabe der Zuschlagskriterien sechs Monate Zeit gehabt, ihr Angebot an die bestehenden Zuschlagskriterien auszurichten. Diese Chance habe sie nicht genutzt.

41

Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass eine unzulässige Verknüpfung von Suche nach einem Kooperationspartner mit dem Konzessionsverfahren nicht vorliegt. Aus den Protokollen über die einzelnen Dialogrunden ergäbe sich, dass sie die Teilnehmer mehrfach ausdrücklich auf die gesonderte und eigenständige Durchführung des Konzessionsverfahrens hingewiesen habe, das nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens sein könne. Die Antragsgegnerin könne nach Entscheidung über den Minderheitsgesellschafter frei entscheiden, ob sie die Netze zu dem dann endverhandelten Preis übernehme. Die dieser Freiheit entgegenstehende Regelung im Netzvertrag Strom sei rechtlich obsolet.

42

Sie habe aus ihrer Sicht auch den Konsortialvertrag und damit das Angebot der Beigeladenen zu 1 nicht nachträglich verändert. Es handele sich dabei lediglich um eine Aufklärung bzw. redaktionelle Klarstellung zum Inhalt des Angebots.

43

Zu der von der Antragstellerin beanstandeten Bewertung der Angebote führt sie aus, dass im Betriebsführungsmodell der Beigeladenen zu 1 die Stadtwerke selbst Netzbetreiber sind und sie über den Aufsichtsrat entsprechend Einfluss auf die Durchführung von Investitionen nehmen könne. Ferner oblag es den Bietern, darzustellen, zu welchen Konditionen eine Netzübernahme umgesetzt werden soll. Die Beigeladene zu 1 habe in ihrem Angebot eine Absicherung gegen das Risiko von Kürzungen der anfallenden Betriebsführungskosten angeboten und zudem eine Anerkennungsfähigkeit von Investitionen gegeben.

44

Im Übrigen habe es der Antragstellerin freigestanden, ihr Angebot über einen längeren Zeitraum den Zuschlagskriterien anzupassen. Da sie dies versäumt habe, seien etwaige Vergabeverstöße nicht kausal für die Bewertung der Antragstellerin.

45

Nachdem die Vergabekammer mit verfahrensbegleitendem Schreiben vom 16.10.2012 bei der Antragsgegnerin die Zulässigkeit des wettbewerblichen Dialogs und Zuständigkeit der Vergabekammer bei der Energieveräußerung hinterfragte, erläuterte diese aus ihrer Sicht Sinn und Zweck des Vorgaben und welche Lösungen sie sich für einen eigenen Energienetzbetrieb vorstellen könne.

46

Die Beigeladenen zu 1 und 2 haben keine Anträge gestellt und sich auch nicht zum Verfahren geäußert.

47

Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 24.10.2012 gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 27.11.2012 verlängert.

48

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 09.11.2012 Bezug genommen.

49

II.

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin ist im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Die Rechtsbehelfsfrist gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB kann nur durch einen Hinweis in der Vergabebekanntmachung in Kraft gesetzt werden. Die Vergabekammer ist ohne vorherige Rüge auch bei der Wahl des falschen Vergabeverfahrens daran gehindert, darauf ihre Entscheidung zu stützen (nachfolgend zu 1.). Die Antragsgegnerin hat die Zuschlagkriterien entgegen ihrer Verpflichtung aus § 10 EG Abs. 2 c) VOL/A nicht mit Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog den Bietern mitgeteilt. Das Kriterium "bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" hat keinen Sachverhaltsbezug und ist daher kein geeignetes Zuschlagskriterium (nachfolgend zu 2.a.). Die Antragsgegnerin hat mit der Wertung von Angeboten, die keine verbindlichen Angaben zu dem aufzuwendenden Kapitalbedarf enthalten, gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen (nachfolgend zu 2.b.). Außerdem hat die Antragsgegnerin die ihr obliegende Dokumentationspflicht gemäß § 24 EG VOL/A verletzt (nachfolgend zu 2.c.). Die dargestellten Verstöße gegen drittschützende Normen sind auch hinreichend kausal für die Wertung des finalen Angebotes der Antragstellerin (nachfolgend zu 2.d.).

50

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Die Antragsgegnerin ist als Gebietskörperschaft öffentlicher Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB.

51

2.

Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist nicht die Vergabe eines Auftrags zur Erzeugung von Energie für den Bedarf der Einwohner der Antragsgegnerin. Auch ein etwaiger Auftrag für den Vertrieb von Energie für den Bedarf der im Gebiet der Antragsgegnerin lebenden Einwohner ist nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens. Die gegründete xxxxxx, für die in dem hier vorliegenden Vergabeverfahren ein strategischer Partner gesucht wird, soll zwar in die Lage versetzt werden, entgeltliche Verträge über die Erzeugung von Energie sowie die Belieferung von Einwohnern der Antragsgegnerin mit Energie zu schließen. Jedoch handelt es sich bei beiden Geschäftsfeldern nicht um öffentliche Aufträge im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB, da sie keinen Beschaffungszweck der Antragsgegnerin erfüllen. Der in § 99 Abs. 1 GWB erwähnte und in § 99 Abs. 3 GWB definierte Begriff der Beschaffung setzt voraus, dass der entgeltliche Vertrag eine Dienstleistung beinhaltet, die dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugute kommt (Willenbruch in: Willenbruch/ Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Auflage, 2. Los, § 99 GWB, Rdnr. 11). Daran fehlt es, wenn die erzeugte bzw. gelieferte Energie nicht der Antragsgegnerin als öffentliche Auftraggeberin, sondern den Einwohnern im Gebiet der Stadt xxxxxx zugute kommen soll.

52

Gegenstand des Vergabeverfahrens ist auch nicht die Vergabe einer Wegerechtsnutzung gemäß § 46 EnWG. Dabei kann es hier offen bleiben, ob derartige Verträge entweder als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind, die nicht dem Begriff des öffentlichen Auftrages gemäß § 99 Abs. 1 GWB unterfallen, oder ob es sich um eine zivilrechtliche Beziehung betreffend die Nutzung der kommunalen Vermögenssubstanz handelt (Büdenbender, Materialrechtliche Entscheidungskriterien der Gemeinden bei der Auswahl des Netzbetreibers in energiewirtschaftlichen Konzessionsverträgen, 2011, S. 11 f., m.w.N., Burgi, Nds. VBl., 2012, S. 231). Auch nach letztgenannter Auffassung ist für die Vergabe von Wegenutzungsverträgen nicht der Vierte Teil des GWB anzuwenden, sondern das Verfahren ausschließlich nach § 46 EnWG abzuwickeln.

53

Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist vielmehr ausschließlich die Suche eines strategischen Partners unter der Annahme der Antragsgegnerin, dass sich die von ihr gegründete xxxxxx mit Erfolg um die Wegenutzungsverträge der im Gebiet der Antragsgegnerin jetzt und in den kommenden Jahren frei werdenden Strom- und Gasnetze bewerben könnte. In diesem Fall würde die Antragsgegnerin aufgrund des dem neuen Konzessionsinhaber zuwachsenden Übereignungsanspruchs aus § 46 Abs. 2 EnWG auf die notwendigen Verteilungsanlagen in die Lage versetzt, eine Entscheidung zu treffen, ob sie das Eigentum am Netz erwerben will. Als Netzbetreiber wäre die Antragsgegnerin öffentlicher Auftraggeber und würde etwaige Dienstleistungsaufträge oder Bauaufträge im Zusammenhang mit dem Netz in Beschaffungsabsicht vergeben. Der Betrieb eines Energienetzes ist nämlich die Ausübung an einer hoheitlichen Tätigkeit, welche die Gemeinde aufgrund ihres Selbstverwaltungsrechtes entweder selbst übernimmt, oder gemäß den Vorgaben des § 46 EnWG an Dritte vergeben kann. Aus der Verpflichtung des Netzbetreibers, gemäß den §§ 18 und 19 EnWG jedermann an sein Energieversorgungsnetz anzuschließen und die Nutzung des Anschlusses zur Entnahme von Energie zu gestatten, sowie aus den weiteren technischen Mindestanforderung gemäß § 19 Abs. 3 EnWG ergibt sich, dass es sich um eine originär hoheitliche Tätigkeit im Rahmen der Daseinsvorsorge handelt.

54

Der späteren Beauftragung von Dienstleistungen oder Bauaufträgen in Beschaffungsabsicht steht nach allgemein herrschender Meinung die Veräußerung von Geschäftsanteilen im Zusammenhang mit einer Beauftragung der Gesellschaft gleich, wenn der oben genannte Beschaffungszweck besteht (Gnittke/Rude in Hattig/Maibaum, § 99 GWB, Rdnr. 45; Weber, Kommunale Energieversorgungsunternehmen aus der Sicht des Vergaberechtes, Lüneburger Schriften zum Wirtschaftsrecht, Bd. 16, 2010, S. 51). Da die Antragsgegnerin bereits jetzt die Bewerbung der xxxxxx um die Wegenutzungsverträge beabsichtigt und zugleich Geschäftsanteile an ihrer Gesellschaft veräußern möchte, ist es aus Sicht der Vergabekammer nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin trotz der erforderlichen Zwischenschritte bereits diese Veräußerung von Geschäftsanteilen als vergaberechtlich relevanten Beschaffungsvorgang eingeschätzt hat (im Ergebnis so auch VK Münster, Beschluss vom 08.06.2012, VK 6/12).

55

Der hier streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der Vierte Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, welche durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um Dienstleistungsaufträge im Sinne des § 1 EG VOL/A, da ein Baubezug oder ein ähnlicher Zusammenhang mit freiberuflichen Leistungen nicht erkennbar ist. Für diese Aufträge gilt gemäß § 2 Nr. 2 VgV in der zur Zeit der Bekanntmachung dieses Auftrages geltenden Fassung ein Schwellenwert von 200.000 EUR. Auch wenn die Antragsgegnerin in ihrer Vergabedokumentation keinen Schätzwert gemäß § 2 VgV festgehalten hat, so hat sie doch dargelegt, dass dieser Wert auf jeden Fall überschritten wird. In ihrem ersten Verfahrensvermerk hat sie auf Blatt 3 dargestellt, dass das Auftragsvolumen auf mindestens xxxxxx EUR pro Jahr geschätzt werde. Darin ist die an anderer Stelle (Ergebnisprotokoll zur ersten Dialogrunde mit der Antragstellerin, Blatt 2) aufgeführte Einschätzung zum Wert des Stromnetzes der Ortsteile sowie eine Bewertung der anderen Gas- und Stromnetze noch nicht enthalten.

56

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von materiellen Vergabevorschriften geltend macht. Sie hat insbesondere bereits in der Dialogphase 1 gerügt, dass das Zuschlagskriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" nicht transparent sei und es den Bietern nicht ermögliche, ihre Lösungsmöglichkeiten auf die Bedürfnisse des Auftraggebers auszugestalten. Die Zuschlagskriterien müssten auch im wettbewerblichen Dialog spätestens nach Absendung der Aufforderung zur Teilnahme am Dialog feststehen und mitgeteilt werden.

57

Nach Erhalt der Bieterinformation gemäß § 101 a GWB hat sie weitere Rügen erhoben. Die Gefährdung der Interessen der Antragstellerin habe sich durch die nachträgliche Konkretisierung der Zuschlagskriterien im Januar 2012 bestätigt. Die Antragsgegnerin habe in Kenntnis der Lösungsvorschläge aus dem ursprünglichen Oberpunkt ein Unterkriterium "Einfluss der Stadtwerke auf die Höhe der Netzentgelte" entwickelt, welches die Antragstellerin benachteilige. Dies sei diskriminierend. Darüber hinaus finde eine unzulässige Verknüpfung der Suche nach einem Kooperationspartner mit dem Konzessionsverfahren über die Netzvergabe statt. Die Antragstellerin kritisiert substantiiert die Bewertung der einzelnen Zuschlagskriterien. Dies genügt im Rahmen der Zulässigkeit für die Darlegung des möglichen Schadens. Die Antragstellerin hat in der Wertung der Antragsgegnerin deutlich weniger Punkte erhalten als die Beigeladene zu 1. Angesichts der substantiiert behaupteten Rechtsverletzungen ist jedoch keineswegs sicher, dass das Angebot der Antragstellerin auch bei Berücksichtigung der von der Antragstellerin gerügten Vergabeverstöße chancenlos geblieben wäre. Es ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerin auch schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten der Antragsgegnerin den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.04.1999, Az.: 1/99, S.24). Ob sich die dargestellte Rechtsverletzung bestätigt und für die schlechte Bewertung kausal gewesen sein kann, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrags (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.07.2006, VII Verg 23/06, Ziff. 1a, zitiert nach VERIS).

58

Erst wenn die Zuschlagerteilung auf das Angebot der jeweiligen Antragstellerin von vornherein und offensichtlich ausgeschlossen ist, weil z.B. etwaige Gründe zum Ausschluss der Antragstellerin evident vorliegen, führt dies zum Wegfall der Antragsbefugnis gemäß § 107 Abs.2 GWB (Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Auflage, 11. Los, § 107 Rdnr. 39; Ruhland in Müller-Wrede, § 107, Rdnr.11; Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Auflage, § 107, Rdnr.36 m.w.N.). Das ist hier nicht ersichtlich, so dass auf der Ebene der Zulässigkeitsprüfung von einer Kausalität auszugehen ist.

59

Die Antragstellerin hat die von ihr im Nachprüfungsantrag geltend gemachten Vergabeverstöße auch rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 GWB gerügt. Die Rüge vom 12. Dezember 2011 erfolgte gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB rechtzeitig. Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag unzulässig, soweit die Antragstellerin den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Die Antragsgegnerin legt dar, dass sie die Antragstellerin bereits mit Verfahrensbrief vom 10. November 2011 unter Versendung der Leistungsbeschreibung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog aufgefordert habe. Es sei lebensfern, dass die Unbestimmtheit eines Zuschlagskriteriums erst neun Tage vor Ablauf der Frist zur Abgabe eines Lösungsvorschlages auffallen würde. Dies habe der Antragstellerin früher auffallen müssen. Wegen der anzunehmenden frühen Kenntnis habe die Antragstellerin ihre Rüge nicht unverzüglich erhoben. Die Antragstellerin widerspricht dem. Hier wie auch sonst sei eine Konzentration der Aufmerksamkeit des Bieters auf die Kalkulation erst in der Schlussphase der Angebotsabgabe möglich gewesen. Sie habe erst spät den Verstoß erkannt.

60

Der Einwand der Antragsgegnerin überzeugt nicht. Als unverzüglich gilt grundsätzlich ein Zeitraum innerhalb von ein bis drei Tagen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Bei Einschaltung eines Anwaltes bzw. Prüfung schwieriger Rechtsfragen wird die Frist regelmäßig auf eine Woche ausgedehnt (VK Nordbayern, Beschluss vom 08.06.2011, 21.VK3194-14/11; OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, WVerg 6/10; OLG München, Beschluss vom 15.03.2012, Verg 2/12). Diese Frist beginnt allerdings erst, wenn der Antragsteller sowohl von den tatsächlichen Umständen, auf die er seinen Vorwurf einer Vergaberechtsverletzung stützt, Erkenntnis erlangt, als auch aufgrund einer zumindest laienhaften Wertung wusste, dass sich aus ihnen eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren ergibt, ohne dass die Vergabestelle mit dem betreffenden Verhalten gegen solche ihn als bieterschützende Vorschriften des Vergaberechtes verstößt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.09.2009, VII Verg 12/09; Kadenbach in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Auflage, 11. Los, § 107 GWB, Rdnr. 58). Die Antragsgegnerin hat den Vortrag der Antragstellerin, sie habe erst spät erkannt, dass das Zuschlagskriterium in vergaberechtlich relevanter Form unbestimmt sei, nicht substantiiert widerlegt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Antragsgegnerin darlegungspflichtig, wenn sie behauptet, eine Rüge sei nicht rechtzeitig im obigen Sinne erhoben worden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.02.2012, Verg 75/11). Ein solcher substantiierter Sachvortrag ist dem jeweiligen Antragsgegner kaum jemals möglich. Auch die Antragsgegnerin vermochte hier keinen konkreten Sachverhalt vorzutragen. Daher kann die Vergabekammer eine positive Kenntnis der Antragstellerin von der Unbestimmtheit des Zuschlagskriteriums erst ab dem von ihr umschriebenen Zeitpunkt kurz vor dem 12.12.2011 annehmen. Es gibt keine Obliegenheit eines Bieters, sich frühzeitig sachkundig zu machen, auch nicht, wenn diese Obliegenheit sich auf die Durchsicht der zur Verfügung gestellten Unterlagen beschränkt (OLG Dresden, Beschluss vom 23.04.2009, WVerg 11/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.12.2008; VII Verg 55/08; OLG Naumburg, Beschlüsse vom 13.05.2008 und vom 05.12.2008, 1 Verg 3/08 und 1 Verg 9/08; Kadenbach in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107, Rdnr. 60). Eine Verpflichtung zur zeitnahen Durchsicht der Vertragsunterlagen im Hinblick auf etwaige Vergabeverstöße besteht nicht.

61

Die Antragstellerin hat ihre Rüge vom 12. Dezember 2011 auch rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB erhoben. Danach ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden. Der Bewerbungsabgabe steht hier die Abgabe des ersten Lösungsvorschlags im wettbewerblichen Dialog gleich. Die Antragstellerin hat ihre Rüge vom 12.12.2011 vor Ablauf der Frist zur Abgabe der Lösungsvorschläge am xxxxxx.2011 erhoben, somit rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB.

62

Die Antragstellerin hat auch ihre weitere Rüge gegen die Wertung vom 14.09.2012 rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB erhoben. Da sie am 11.09.2012 die Bieterinformation gemäß § 101a GWB erhielt, erfolgte die Rüge am 14.09.2012 innerhalb der oben genannten 3-Tages-Frist, war also ohne weiteres als unverzüglich anzusehen.

63

Soweit die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 6. November 2012 und in der mündlichen Verhandlung auch auf Hinweis der Vergabekammer die Auffassung vertritt, dass die Wahl des wettbewerblichen Dialogs als Vergabeverfahren unzulässig sei, ist dies zutreffend, kann aber im vorliegenden Nachprüfungsverfahren nicht Grundlage der Entscheidung der Vergabekammer sein. Die Antragsgegnerin hat bereits in der öffentlichen Bekanntmachung unter IV.1.1. auf die vorgesehene Verfahrensart des wettbewerblichen Dialogs hingewiesen, dies auch auf Blatt 4 der Leistungsbeschreibung dargestellt, die mit der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog übersandt wurde. Die Antragsgegnerin hat diese Verstöße nicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Abgabe der Teilnahmeanträge 24.10.2011 gerügt, ist damit zunächst mit diesem Einwand präkludiert.

64

Allerdings handelt es sich bei einer Wahl des falschen Vergabeverfahrens um einen schwerwiegenden Vergabeverstoß (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 03.09.2012 - 8 LA 187/11). Die Antragsgegnerin hätte, da sie anders als in den sonst üblichen Fällen kein Auftraggeber nach § 98 Nr. 4 GWB ist, gemäß § 101 Abs. 4 GWB den wettbewerblichen Dialog nicht als Vergabeverfahren auswählen dürfen. Danach ist ein wettbewerblicher Dialog ein Verfahren zur Vergabe besonders komplexer Aufträge durch Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis Nr. 3 GWB, soweit sie nicht auf dem Gebiet u.a. der Energieversorgung tätig sind. Die Antragsgegnerin beabsichtigt als Auftraggeberin nach § 98 Nr. 1 GWB, mit dem hier zu vergebenden Auftrag in einem in der Anlage zu § 98 Nr. 4 GWB genannten Vergabegebiet der Energieversorgung tätig zu werden, nämlich dem Bereitstellen und Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, dem Transport oder der Verteilung von Strom oder der Gewinnung von Gas sowie die Versorgung dieser Netze mit Strom oder Gas. Damit ist das Verfahren des wettbewerblichen Dialogs für Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 GWB gemäß § 101 Abs. 4 GWB nicht zulässig. Aus der sorgfältigen und guten Darstellung auf Bl. 2 im ersten Vergabevermerk, in der die Antragsgegnerin die Wahl des Vergabeverfahrens dokumentiert hat, ist erkennbar, dass sie diese komplizierte besondere Regelung nicht gesehen hat.

65

Die aus dem Wort "sind" abgeleitete rechtliche Auffassung der Antragsgegnerin, dass dieses Verbot bereits eine bestehende Tätigkeit auf dem Gebiet der Energieversorgung voraussetze, daher für ein erstmaliges Tätigwerden auf dem Gebiet der Energieversorgung nicht gelte, wird durch § 1 der Sektorenversordnung in der Fassung vom 23.09.2009, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 07.12.2011, nicht gestützt. Danach gilt diese Verordnung für Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 - 4 GWB und trifft mehrere Bestimmungen über die Vergabe von Aufträgen, die im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet u.a. der Energieversorgung vergeben werden. Eine Differenzierung zwischen erstmaliger Tätigkeit und Folgetätigkeiten ist nicht erkennbar. Es wäre darüber hinaus nicht nachvollziehbar, warum die erstmalige Tätigkeit auf dem Gebiet der Energieversorgung von den grundsätzlich für diese Tätigkeit bestehenden Beschränkungen befreit sein soll. Nach Auffassung von Müller-Wrede (Sektorenverordnung, Kommentar, Einleitung, Rdnr. 4) findet die Sektorenverordnung auch auf Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB Anwendung, wenn sie in den Sektoren der Trinkwasser-, Energieversorgung oder des Verkehrs tätig sind.

66

Somit ist der wettbewerbliche Dialog im Bereich der Energieversorgung kein zulässiges Verfahren (vgl. auch Weyer in ibr-online, Kommentar, § 101, Rdnr. 90; Maibaum in: Hattig/Maibaum, § 101 GWB, Rdnr. 38; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Auflage, § 101, Rdnr. 20). Die Möglichkeit, den wettbewerblichen Dialog als Vergabeverfahren für eine Tätigkeit im Bereich der Energieversorgung zu wählen, ist in der Richtlinie 2004/17 EG nicht enthalten und in § 101 Abs. 4 GWB ausdrücklich untersagt.

67

Die Vergabekammer hat geprüft, ob hier ein ausnahmsweise ein Einschreiten von Amts wegen gemäß § 110 GWB geboten ist. Dies setzt voraus, dass zunächst ein rechtlicher Mangel vorliegt, der darüber hinaus so schwer ist, dass sich die Vergabekammer entgegen § 110 Abs. 1 Satz 2 GWB nicht darauf beschränken kann, was von den Beteiligten vorgebracht oder der Vergabekammer sonst bekannt sein muss. Der Mangel muss so schwer sein, dass er die gemäß § 110 Abs. 1 Satz 3 GWB regelmäßig nicht vorgesehene umfassende Rechtmäßigkeitskontrollpflicht der Vergabekammer auslöst. Außerdem muss die Maßnahme gemäß § 110 Abs. 1 Satz 4 GWB im Einklang mit der Verpflichtung der Vergabekammer stehen, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird. Hier ist zu berücksichtigen, dass der BGH einerseits mit Beschluss vom 10.11.2009 XZB 8/09 einer Antragsgegnerin untersagt hat, wegen einer falscher Verfahrenswahl, auf der Grundlage der bis dahin erfolgten Ausschreibung den Zuschlag zu erteilen, andererseits mit Beschluss vom 08.02.2011 (X ZB 4/10, Rdnr. 71 - 73) in besonderem Maße auf den vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz verwiesen hat, der es verbiete, bei jedem Rechtsfehler eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen. Aufgrund der Würdigung dieser Rechtsprechung und der Umstände des hier vorliegenden Falles kommt die Vergabekammer zu dem Ergebnis, dass zwar ein erheblicher Verfahrensverstoß vorliegt, dieser aber hier in diesem konkreten Einzelfall es jedoch noch nicht verbietet, das Vergabeverfahren fortzusetzen, daher für die Vergabekammer ohne eine vorliegende Rüge keine unabweisbare Notwendigkeit besteht, diesen Mangel von Amts wegen aufzugreifen.

68

Die Schwelle, ab der die Vergabekammer verpflichtet ist, aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 110 GWB Vergaberechtsfehler von Amts wegen aufzugreifen, beschränkt sich auf besondere Einzelfälle. Nach der Rechtsprechung des OLG Celle kommt ein Einschreiten der Vergabekammer von Amts wegen nur in Betracht, wenn ein Fehler vorliegt, der es unmöglich macht, das Vergabeverfahren fortzusetzen, z.B. weil eine vergaberechtskonforme Wertung der vorliegenden Angebote und ein entsprechender Zuschlag auf der Grundlage der vorliegenden Ausschreibung nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 17. November 2011, 13 Verg 6/11; Beschluss vom 11.02.2010, 13 Verg 16/9, jeweils unter II.4, beide zitiert nach VERIS; Tahal in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, Kompaktkommentar, 2. Auflage, 11. Los, § 110, Rdnr. 3). Der Beschluss des BGH vom 10.11.2009 XZB 8/09 betraf einen Sachverhalt, in dem ohne Begründung vom Vorrang des offenen Verfahrens abgewichen und rechtzeitig Rüge erhoben worden ist. Hier besteht kein Zwang zu einem bestimmten Verfahren, sondern die Möglichkeit, aus mehreren in § 101 Abs. 4 GWB angebotenen Verfahren frei auszuwählen. Außerdem fehlt es an der Rüge. Gleichwohl ist die Überschreitung des eingeräumten Entscheidungsermessens ein schwerer Vergabefehler. Nach Überzeugung der Vergabekammer resultieren die Fehler, die es hier unmöglich machen, die Angebote vergaberechtskonform zu werten, nicht auf der Wahl des falschen Verfahrens, sondern auf der verfahrensunabhängig vorgenommenen nachträglichen Festlegung von Zuschlagskriterien und einer falschen Wertung. Daher sieht die Vergabekammer im Ergebnis nach sorgfältiger Prüfung hier keine Veranlassung, ihre Entscheidung maßgeblich auf ein nur im Ausnahmefall zulässiges Einschreiten von Amts wegen zu stützen.

69

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist nicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB präkludiert. Danach ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Die Antragsgegnerin hat am 26.09.2012 die Rüge vom 14.09.2012 zurückgewiesen. Da der Nachprüfungsantrag am 02.10.2012 erhoben wurde, ist hinsichtlich dieser Rügezurückweisung die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB eingehalten, ohne dass es hier auf die Frage ankäme, ob die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB wirksam in Kraft gesetzt worden ist.

70

Die Antragsgegnerin hat aber auch mit Schreiben vom 22.12.2011 die Rüge vom 12.12.2011 zurückgewiesen. Hinsichtlich dieser Rüge ist die 15-Tages-Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB deutlich überschritten. Gleichwohl sieht die Vergabekammer, wie bereits im verfahrensbegleitenden Schreiben vom 16.10.2012 angekündigt, keine Fristversäumnis der Antragstellerin. Die Frist des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB ist eine echte Rechtsbehelfsfrist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.12.2009, VII-Verg 37/09; Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 2. Auflage, § 107, Rdnr. 87), die nur dann in Kraft gesetzt wird, wenn darauf in der Vergabebekanntmachung hingewiesen wird. Hierfür ist im europaweit einheitlichen TED-Formular das Feld unter Ziffer VI.4.2. vorgesehen. Die VKR 2004/18 EG setzt in Anhang VII Nr. 24 unter den Angaben, die in den Bekanntmachungen enthalten sein müssen, fest, dass Name, Anschrift des für ein Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Organs sowie genaue Hinweise in Bezug auf die Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen dort aufzuführen sind. Die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG der EU sieht eine Information an anderer Stelle nicht vor. In der Richtlinie gibt es keine Regelung zur Nachholung, weil die Information nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Bekanntmachung ist. Sie ist gleichwohl Voraussetzung für den Beginn der in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB genannten Frist.

71

Die Antragsgegnerin hat, wie in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, vergessen, diese Frist in der öffentlichen Bekanntmachung bekanntzugeben und damit in Gang zu setzen. Sie hat sich bemüht, diesen Fehler auszugleichen, indem sie auf Blatt 13 der Leistungsbeschreibung unter Teil E die Vergabekammer als zuständige Stelle für Nachprüfungsverfahren angab, allerdings ohne auf die Frist gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB hinzuweisen. Auf die Frist hat sie in der Rügezurückweisung vom 22. Dezember 2011 auf Blatt 3 hingewiesen und hinsichtlich der Adresse der Vergabekammer auf die Leistungsbeschreibung verwiesen. Dies genügt nicht, um die in der Bekanntmachung erforderliche Angabe des für das Rechtsbehelfsverfahren zuständigen Organs sowie genaue Hinweise in Bezug auf die Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen rechtswirksam nachzuholen. Die Rechtsbehelfsbelehrung in einem individuellen Schreiben an einzelne Bieter birgt die abstrakte Gefahr der Ungleichbehandlung der Bieter und damit eines Verstoßes gegen § 97 Abs. 2 GWB, weil damit das Entstehen der Rügepflicht individuell steuerbar wäre. Das OLG Celle hat mit Verweis auf weitere Rechtsprechungen dargestellt, dass ein Hinweis in der Bekanntmachung im Amtsblatt der EU Voraussetzung für die Präklusion ist (OLG Celle, Beschluss vom 04.03.2010, 13 Verg 1/10, Ziffern B 2. b bb aa). Auch das OLG Brandenburg hat mit Beschluss vom 07.10.2010, Verg W 12/10, unter B.3. keinen rechtlichen Grund genannt, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die Vergabekammer sieht durchaus die Möglichkeit, dass ein Bieter, der die Präklusionsregel und die formalen Vorgaben zu deren Inkraftsetzung genau kennt, entgegen dem allgemeinen an Treu und Glauben orientierten teleologischen Zweck des § 107 Abs. 3 GWB Rügen auf Vorrat zu sammeln vermag. Es bedarf jedoch zusätzlich eines Auftraggebers, der diese Möglichkeit entweder fahrlässig oder aus taktischen Gründen, um frühzeitige und nicht zielorientierte Nachprüfungsverfahren zu vermeiden (vgl. Beschluss VK Niedersachsen vom 18.09.2012, VgK-36/2012), ermöglicht.

72

Ob es der Antragsgegnerin möglich gewesen wäre, für eine bereits erhobene Rüge durch eine nachträgliche korrigierende Bekanntmachung im EU-Amtsblatt die Präklusion des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in Kraft zu setzen, kann hier offen bleiben. Rechtsbehelfsfristen sind nach der hier zu beachtenden Rechtsprechung des OLG Celle streng formgebunden und lassen sich nicht durch Informationen auf sonstigem Wege in Gang setzen.

73

2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

74

a) Die Antragsgegnerin hat gegen das in § 97 Abs. 1 GWB enthaltende Transparenzgebot verstoßen, indem sie entgegen der sie verpflichtenden Vorgabe aus § 10 EG Abs. 2c VOL/A, die sowohl für das Verhandlungsverfahren, als auch für den wettbewerblichen Dialog gilt, weder die zur abschließenden Entscheidung erforderlichen Zuschlagskriterien, noch deren Gewichtung den Bietern rechtzeitig bekannt gegeben hat. Die Antragsgegnerin hat als öffentlichen Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB die VOL/A gemäß § 4 VgV auch im Sektorenbereich anzuwenden. Nur Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 4 GWB sind gemäß § 4 Abs. 1 VgV von der Anwendung der VOL/A befreit. Nach § 10 EG Abs. 2c VOL/A enthalten die Vergabeunterlagen bei Aufforderung zur Teilnahme an einem Verhandlungsverfahren oder zur Teilnahme an einem wettbewerblichen Dialog mindestens alle vorgesehenen Zuschlagskriterien, einschließlich deren Gewichtung, oder, sofern diese aus nachvollziehbaren Gründen nicht angegeben werden können, die absteigende Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung. Mit der Pflicht des Auftraggebers, die Zuschlagskriterien frühestmöglichst zu benennen, wäre eine Benennung erst zum Zeitpunkt des finalen Angebotes nicht vereinbar (vgl. Stolz in Willenbruch/ Wieddekind, 7. Los, § 10 EG Rdnr. 23).

75

aa) Das mit der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog übersandte Zuschlagskriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" ist kein geeignetes Zuschlagskriterium im Sinne des § 10 EG Abs. 2 VOL/A. Zuschlagskriterien sind einzelne Kriterien mit einem konkreten, sachlichen Bezug zum Auftragsgegenstand (Frenz in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Auflage, 1. Los, § 97 GWB, Rdnr. 40). Sie müssen sich auf Tatsachen beziehen, die einer Bewertung zugänglich sind (Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 4. Auflage, Rdnr. 229). Geeignete Zuschlagskriterien im Sinne des Art. 55 Abs. 1 Richtlinie 2004/17/EG, § 97 Abs. 5 GWB sind daher z.B. der Preis im Sinne der geringsten erforderlichen Kapitalaufwendung, um das gesetzte wirtschaftliche Ziel zu erreichen, oder technische Werte, deren Höchstmaß mit der als gegeben anzusetzenden Kapitalaufwendung die beste Bewertung sichert, oder der Regelfall einer wechselseitige Kombination aus beiden Kriterien, aber auch individuell zu beurteilende Werte des Beschaffungsgegenstandes wie Ästhetik, Kundendienst, Handhabbarkeit und dergleichen mehr. Bei der Festlegung der Zuschlagskriterien steht dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu (Frenz in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Auflage, 1. Los, § 97, Rdnr. 49), der dem öffentlichen Auftraggeber eine subjektive Perspektive eröffnet. Diese subjektive Perspektive findet allerdings in der notwendigen Nachvollziehbarkeit der vorgebrachten Gründe ihre Grenze und wird damit einem objektiven Korrektiv unterworfen.

76

bb)

cc) Das Kriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" lässt einen fassbaren Inhalt nicht erkennen. Es wäre, wenn es denn als Zuschlagskriterium geeignet wäre, für jedes nur denkbare Vergabeverfahren uneingeschränkt anwendbar, da es keinen Sachverhaltsbezug enthält. Daher ist aufgrund dieses Kriteriums für keinen potentiellen Bieter erkennbar, was Gegenstand dieses Zuschlagskriteriums sein soll, welche Bedürfnisse und Anforderungen gemeint sind. Es ist dem potentiellen Bieter daher auch nicht möglich, sein Angebot, hier seinen Lösungsvorschlag, auf das geforderte Leistungsprofil auszurichten. Ein Zuschlagskriterium muss so präzise sein, dass für die Bieter erkennbar ist, worauf es dem Auftraggeber ankommt, so dass sie ihre Präsentation und ihr Angebot optimal gestalten können (vgl. VK Südbayern, Beschluss vom 16.05.2011 - Z3-3-3194-1-09-03/11). Um dem Anbieter das zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass beim wettbewerblichen Dialog in der Leistungsbeschreibung die Leistungskriterien genannt und gewichtet bzw. in der Reihenfolge ihrer Bedeutung genannt werden. Fehlt diese Angabe, liegt ein Vergaberechtsverstoß vor (Frenz in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 2. Auflage, 1. Los, § 97, Rdnr. 46; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05.2008, Verg 19/08 zur VOF; Völlink, Vergaberecht 2009, S. 352, S. 359). Somit hat die Antragsgegnerin ihre Verpflichtung, das gewollte Lösungsziel einschließlich der ihr möglichen Zuschlagskriterien spätestens zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe im wettbewerblichen Dialog zu benennen, nicht erfüllt.

77

Soweit die Antragsgegnerin darstellt, sie sei nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Ritzek-Seidl in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht § 10 EG/VOL/A, Rdnr. 15; Gnittke-Hattig in Müller-Wrede, VOL/A, § 10 EG, Rdnr. 20, mit Verweis auf die Kommentierung zu § 9 EG, Rdnr. 53) nicht verpflichtet gewesen, in den Vergabeunterlagen mindestens alle vorgesehenen Zuschlagskriterien zu benennen, weil sie im Ergebnis keine Teilnehmer im Rahmen der ersten Dialogphase ausgeschlossen habe, ist dies nicht überzeugend. Auch nach dieser Meinung ist die spätere Benennung der Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung nur dann zulässig, wenn nach den Vorgaben der Vergabeunterlagen die Zahl der Lösungen nicht verringert werden sollte (Ritzek-Seidl in Pünder/Schellenberg, VergR, § 10 EG/VOL/A, Rdnr. 16), bzw. alle Bieter am weiteren Verfahren beteiligt werden, also der geplante und bestimmungsgemäße Ablauf des wettbewerblichen Dialogverfahrens einen frühen Ausschluss von Bietern bzw. Lösungen nicht vorsah. Hier ist jedoch nach Blatt 5 der Leistungsbeschreibung unter Ziff. 4 "weiteres Verfahren" vorgesehen, dass bereits zum 25.01.2012 zumindest möglicherweise einzelne Lösungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden sollten. Erst am 30.01.2012, also nach dem möglichen Ausschluss einzelner Lösungsmöglichkeiten hat jedoch die Antragsgegnerin die Zuschlagskriterien in einer hinreichend konkreten Form dargelegt. Dem Ausschluss von Lösungsmöglichkeiten steht nach Auffassung der Vergabekammer ein Ausschluss von Teilnehmern inhaltlich gleich, da nicht jeder Teilnehmer in der Lage sein wird, von dem bis dahin entwickelten Lösungsvorschlag auf ein völlig anderes Lösungsmodell umzusteigen. Auch die Antragstellerin hat sich nicht in der Lage gesehen, nach Offenlegung der Zuschlagskriterien ihr Angebot grundlegend an die Zuschlagskriterien anzupassen, obwohl die Phase der Unklarheit vom 10.11.2011 bis zum 30.01.2012 nur zehn Wochen dauerte, die Phase der Klarheit hinsichtlich der Zuschlagskriterien dagegen sechs Monate (31.01.2012 bis 02.08.2012). Daher ist sowohl nach der von der Antragsgegnerin angeführten Literaturmeinung als auch vom Wortlaut des § 10 EG Abs. 2 c VOL/A die abschließende Benennung der Zuschlagskriterien spätestens mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe erforderlich gewesen. Es handelt sich lediglich um eine zufällige Wendung des Vergabeverfahrens, dass bis zur Benennung der Zuschlagskriterien kein Teilnehmer bzw. dessen Lösungsmöglichkeit ausgeschlossen worden ist.

78

bb) Eine nachträgliche Konkretisierung gesetzter Vergabekriterien ist grundsätzlich möglich, setzt aber voraus, dass rechtzeitig taugliche und konkretisierbare Kriterien gesetzt worden sind. Die Konkretisierung ist allgemein anerkannt, wenn den Bietern bzw. Teilnehmern anschließend die Gelegenheit gegeben wird, ihre Angebote darauf einrichten zu können (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.03.2010, VII Verg 48/09; OLG Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2011, Verg W 17/11; VK Sachsen, Beschluss vom 24.03.2011 - 1/SVK/005-11, zitiert jeweils nach ibr-online; OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.10.2010, 11 Verg 7/10, zitiert nach VERIS). Die Konkretisierung der gesetzten Zuschlagskriterien setzt jedoch voraus, dass bereits zu dem gemäß § 10 EG Abs. 2 VOL/A gesetzten Zeitpunkt überhaupt taugliche Zuschlagskriterien benannt werden. Dies ist ausweislich der Leistungsbeschreibung nur für die Kriterien Mittelzufluss für die Stadt xxxxxx und Risikobegrenzung für die Stadt xxxxxx der Fall, nicht jedoch hinsichtlich des Kriteriums "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen". Somit sind die aufgrund dieses Kriteriums im Januar 2012 generierten Kriterien in unzulässiger Weise nach Vorliegen der ersten Lösungsvorschläge entwickelt worden.

79

Auch die Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 24.11.2005 (Az.: C 331/04) führt zu keiner anderen Beurteilung. Danach verwehrt das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 36 der Richtlinie 92/50/EWG der Vergabekommission nicht, Unterkriterien eines zuvor festgelegten Zuschlagskriteriums besonders zu gewichten. Dies kann auch durch nachträgliche Verteilung der für das Kriterium vorgesehenen Punkte auf die Unterkriterien geschehen. Allerdings darf eine solche Entscheidung die in den Verdingungsunterlagen bestimmten Zuschlagskriterien für den Auftrag nicht ändern, sowie nichts enthalten, was, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitungen hätte beeinflussen können. Außerdem dürfen die Unterkriterien nicht unter Berücksichtigung von Umständen erlassen worden sein, die einen der Bieter diskriminieren können.

80

Der EuGH führt unter Rdnr. 24 der genannten Entscheidung aus, die Beachtung der Grundsätze "Gleichbehandlung und Transparenz" erfordern, dass den potentiellen Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote alle Kriterien, die vom öffentlichen Auftraggeber bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes berücksichtigt werden und wenn möglich, deren relative Bedeutung bekannt sind. Nach Auffassung der Vergabekammer meint "Vorbereitung" in diesem Sinne im wettbewerblichen Dialog oder Verhandlungsverfahren nicht die Vorbereitung der finalen Angebote, sondern in Anlehnung an die in § 10 EG Abs. 2 c) VOL/A getroffene Vorgabe zum Zeitpunkt der Nennung der Zuschlagskriterien die Vorbereitung der ersten Lösungsvorschläge.

81

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da die Antragsgegnerin erstmals am 30.01.2012 überhaupt Gewichtungen bekannt gegeben und damit Faktoren preisgegeben hat, welche die Angebote bei der Vorbereitung hätten ohne weiteres beeinflussen können. Da das in der Aufforderung zur Teilnahme am Dialog genannte Zuschlagskriterium "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" nicht hinreichend konkret war, handelt es sich bei der geänderten Darstellung vom 31.01.2012 nicht um eine zulässige Konkretisierung des Zuschlagskriteriums, sondern um eine Veränderung in Form einer Neugenerierung. Hierzu führt die Europäische Kommission im Dokument CCR005/04-REV1 vom 05.10.2005 unter Ziffer 3.1 am Ende aus, dass die Zuschlagskriterien im Laufe des Dialogs (d.h. spätestens nach Absendung der Aufforderung zur Teilnahme am Dialog) nicht mehr geändert werden können. Dies geschehe aus Gründen der Gleichbehandlung, da der Auftraggeber die Zuschlagskriterien dann zu einem Zeitpunkt ändern würde, an dem er bereits Kenntnis von den Lösungsvorschlägen der einzelnen Bewerber haben könnte. Die Möglichkeiten, das Verfahren im Sinne des einen oder anderen zu steuern, seien nur allzu offensichtlich, umso mehr in den Fällen, in denen eben diese Zuschlagskriterien dazu dienen, die Zahl der zu erörternden Lösungen schrittweise zu verringern. Aus diesem Hinweis der EU ergibt sich, dass es nicht auf die tatsächliche Verringerung der zu erörternden Lösungen ankommt, sondern auf die vom Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung dokumentierte Absicht, die Zahl der Lösungen auch in frühen Dialogphasen zu verringern. Das Argument der Antragsgegnerin, sie habe Zuschlagskriterien nicht früher konkretisieren können, um in den Zuschlagskriterien nicht einzelne Lösungsansätze zu bevorzugen, überzeugt nicht. Zuschlagskriterien können und müssen durchaus so abstrakt formuliert werden, dass sie lösungsunabhängig sind und zugleich den o.g. Sachverhaltsbezug beibehalten.

82

cc) Die Antragsgegnerin hat nicht hinreichend überzeugend darzulegen vermocht, warum die von ihr am 30.01.2012 bekannt gegebenen Zuschlagskriterien nicht bereits früher, z.B. mit der Aufforderung zur Abgabe der Teilnahmeanträge am xxxxxx.2011 hätten bekannt gegeben werden können. Der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog war die Leistungsbeschreibung vom xxxxxx.2011 beigefügt, in deren Teil A I die zu diesem Zeitpunkt nach Darstellung der Antragsgegnerin noch nicht konkretisierbare bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen festgelegt war. Auch die am 22.08.2011 beschlossenen Drucksache xxxxxx vom xxxxxx.2011 "Ausschreibung zur Vergabe eines Konzessionsvertrags und zur Gründung eines Stadtwerks enthielt bereits in deutlich konkreterer Form wesentliche Inhalte der späteren Zuschlagskriterien, als das in der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog geschildert wurde. Eine Analyse des Textes ergibt, dass die am 30.01.2012 bekannt gegebenen Kriterien und Gewichtung der Stadt xxxxxx für die Auswahl des Kooperationspartners für ein kommunales Energieversorgungsunternehmen bereits weitgehend in diesen Aufstellungen enthalten, wenngleich nicht als Zuschlagskriterium formuliert und mit einer bestimmten Gewichtung versehen waren. Das fasst die nachfolgende Synopse zusammen:

Drucksache xxxxxx vom xxxxxx.2011, Konzessionsvertrag und Gründung StadtwerkAuszüge aus der Leistungsbeschreibung September 2011 Bl. 3 Bedürfnisse und AnforderungenGliederung des Zuschlagskriteriums "Bestmögliche Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen" vom 30.01.2012
6 kommunalfreundlicher Konzessionsvertrag
1 Einfluss auf Preisgestaltung
Ein ausreichender kommunaler Einfluss auf die Tätigkeit des Stadtwerks soll auch im Übrigen gewährleistet sein.
...soll einen Beitrag leisten für eine sichere, preisgünstige verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung mit Strom und Gas.
1.a) Kommunaler Einfluss
1.Gesellschaftereinfluss der Stadt xxxxxx,
2.Einfluss der Stadtwerke auf die Höhe der Strom- u. Gaspreise,
3.Einfluss der Stadtwerke auf die Höhe der Netzentgelte
2 sichere und verbraucherfreundliche Energieversorgung durch Arbeitsplätze in xxxxxxBeitrag für sichere verbraucherfreundliche, effiziente Versorgung1b) Sichere verbraucherfreundliche und effiziente Energieversorgung (inklusive Kundenbüro in xxxxxx mit ausreichender Mitarbeiterzahl zur Sicherstellung eines verbraucherfreundlichen Energievertriebs)
2 sichere und verbraucherfreundliche Energieversorgung durch Arbeitsplätze in xxxxxx...soll eine örtliche Wertschöpfung erzielen1c) Vertrieb von eigenen Energieprodukten durch die Stadtwerke mit eigenen Kundenbeziehungen (incl. Kundenbüro in xxxxxx mit ausreichender Mitarbeiterzahl zur Sicherstellung eines verbraucherfreundlichen Energiebetriebes)
4 umweltverträgliche EnergieversorgungBeitrag für umweltverträgliche Versorgung1d) Umweltverträgliche Energieversorgung, Angebot von Ökostrom im Vertrieb, Bau, Betrieb und Förderung von EEG- und KWK-Anlagen
7 Möglicher steuerlicher QuerverbundIn dem Kooperationsmodell sollen auch denkbare Möglichkeiten für die Nutzung des steuerlichen Querverbunds Berücksichtigung finden, sowie Verweis auf Rahmenbedingungen
Bl.9, B Ziff. II, dort genannt Wasserwerke, Bäder und Straßenbeleuchtung
1 e)
1.Option für steuerlichen Querverbund und
2. perspektivische Entwicklung neuer
Geschäftsfelder
83

Es ist daher kein sachlicher Grund erkennbar, warum die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Teilnahme am Wettbewerb hinter den bis dahin vorhandenen Kenntnisstand zurückfiel.

84

dd) Auch die Gewichtung der Zuschlagskriterien hätte bereits in der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog angegeben werden müssen, sofern dies nicht aus nachvollziehbaren Gründen unmöglich ist. Diese Gründe sind zu dokumentieren (vgl. nachfolgend Ziffer 2. c). Die Antragsgegnerin war gem. § 10 EG Abs. 2 c VOL/A verpflichtet, in den Vergabeunterlagen mindestens alle vorgesehenen Zuschlagskriterien einschließlich deren Gewichtung anzugeben, oder, sofern diese aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht angegeben werden können, in der absteigenden Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung. Die Antragsgegnerin hat bis zur mündlichen Verhandlung zur Begründung für die unterlassene Gewichtung der Zuschlagskriterien nur angegeben, es habe zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses noch nicht festgestanden, ob aus Rechtsgründen Änderungen und Ergänzungen erforderlich waren, und man habe nicht durch eine zu frühe Festlegung der Gewichtungen bestimmte Lösungen bevorzugen wollen. Weder der Einwand, man habe einen Teil der rechtlichen Prüfung in das laufende Vergabeverfahren verlegt, noch die Auffassung, dass die Festlegung von Gewichtungen nach Vorlage der Lösungsvorschläge die unvoreingenommene Prüfung der Lösungsvorschläge erleichtere, ist geeignet, die Unmöglichkeit von deren Festlegung dazulegen. Überdies widerspricht beides den unter bb) dargestellten Transparenzgrundsätzen.

85

b) Die Antragsgegnerin hat die Wertung intransparent und unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz durchgeführt.

86

aa) Die Antragsgegnerin hat gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 2 GWB und das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie unter den finalen Angeboten der Bieter unter Zuschlagskriterium Ziffer 3 c "Höhe des Kapitalbedarfs der Stadt xxxxxx" auch unverbindliche Angebotssummen gewertet hat. Außerdem hat sie verbindliche Preisangaben in gleicher Weise wie unverbindliche Preisangaben gewertet, ohne die notwendige Differenzierung vorzunehmen, bzw. deren Vornahme zu dokumentieren.

87

bb)

cc) Das Zuschlagskriterium 3 c "Höhe des Kapitalbedarfs der Stadt xxxxxx" entspricht dem Zuschlagskriterium "Preis" im offenen Verfahren. Es handelt sich gemessen am Maßstab der obigen Ausführungen grundsätzlich ein geeignetes, lösungsunabhängiges und sachverhaltsbezogenes Zuschlagskriterium, da es in einer für den Bieter deutlich erkennbaren Weise den von der Antragsgegnerin zu leistenden finanziellen Aufwand als zuschlagsrelevanten Faktor erfasst, unabhängig davon, ob dieser sich auf allgemeine Personalausgaben beschränkt, oder aber bei Übernahme der Netze den Aufwand für Pachten oder Kaufpreise umfasst. Das Kriterium war im Laufe des Dialogverfahrens, gleichermaßen aber auch im Laufe eines etwaigen Verhandlungsverfahrens konkretisierbar, und konkretisierungsbedürftig, z.B. durch bestimmte Bewertungszeiträume für die Summe des Kapitalaufwandes, Barwert- und Restwertfaktoren etc., um tatsächlich den für einen zu definierenden Zeitraum aufzuwendenden Kapitalbedarf in einer für alle Angebote vergleichbaren Weise diskriminierungsfrei darzustellen. Jedoch verstößt die vorgenommen Wertung, einen angegebenen unverbindlichen Netzkaufpreis ungeprüft als Kapitalbedarf zugrund zu legen, verbindliche Angebote mit Unverbindlichen zu vergleichen und Angebote mit dem daraus errechneten niedrigsten Kapitalbedarf ohne Berücksichtigung der Validität dieser Zahlen die Bestnote zu vergeben, gegen das Transparenzgebot.

88

dd)

ee) Die Antragstellerin hat mit nachgelassenem Schriftsatz vorgetragen, dass die Antragsgegnerin ihr gegenüber vertraglich verpflichtet sei, das jeweilige Energienetz zu einem nachträglich zu ermittelnden Wert zu erwerben. Die Antragsgegnerin hat das Bestehen des Vertrags bestätigt, allerdings die rechtliche Verbindlichkeit der Verpflichtung und des vertraglichen Wertansatzes in Zweifel gezogen. Auch unter diesen Voraussetzungen bleibt das Kriterium "Höhe des Kapitalbedarfs der Stadt xxxxxx" grundsätzlich ein geeignetes Zuschlagskriterium.

89

ff)

gg) Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die von der Antragsgegnerin aufgrund dieses Zuschlagskriteriums durchgeführte Wertung jedoch unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 2 GWB und das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB vorgenommen worden. Dadurch ist die Antragstellerin, deren Angebot in diesem Zuschlagskriterium deutliche Abzüge erhielt, in ihren Rechten verletzt. Gemäß § 97 Abs. 2 GWB sind die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln, es sei denn, eine Benachteiligung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet.

90

hh)

ii) Die Antragstellerin hat ein Angebot vorgelegt, in dem der von ihr eigenverantwortlich kalkulierte und für sie verbindliche Kaufpreis abgebildet wird. Die Beigeladene zu 1 hat ein besser bewertetes Angebot mit einem deutlich geringeren Kaufpreis vorgelegt. Allerdings trägt die Beigeladene zu 1 nach dem Angebotsinhalt nicht in vollem Umfang das Risiko, dass der tatsächlich an den bisherigen Netzbetreiber zu zahlende Kaufpreis höher ausfällt. Dieses Risiko hat die Beigeladene zu 1 vielmehr zum einen teilweise auf die Antragsgegnerin verlagert, da zunächst Beigeladene zu 1 und Antragsgegnerin etwaige Mehrkosten zu gleichen Anteilen tragen, zum anderen hat die Beigeladene zu 1 das eigene Risiko auf einen in § 9 des Konsortialvertrages genannten Betrag begrenzt. Somit hat die Antragsgegnerin hier zwei Angebote miteinander verglichen und bewertet, die in dieser Form objektiv nicht miteinander vergleichbar sind.

91

jj)

kk) Die Beigeladene zu 1 ist an den von ihr genannten Kaufpreis für das Netz nicht gebunden, vermag etwaige Kaufpreissteigerungen zunächst in Höhe von 40% der Kaufpreissteigerung teilweise an die Antragsgegnerin weiterzugeben, jenseits der in § 9 des Konsortialvertrags genannten Summen sogar in voller Höhe. Diese Wertung ist auch nicht durch die ergänzende Bewertung des unter Ziffer 3a genannten Zuschlagskriteriums "Begrenzung der Risiken aus eventuellen Energienetzübernahmen" ausgleichbar, da hier grundverschiedene Angebote gleichermaßen gewichtet und bewertet worden sind. Der Versuch einer kalkulatorischen Gewichtung der möglichen Mehrkosten durch das unverbindliche Angebot der Beigeladenen zu 1 ist in der Vergabeakte nicht dokumentiert. Eine solche Wertungsmethode wäre überdies transparent vor Angebotsabgabe allen Teilnehmern des Wettbewerbs mitzuteilen gewesen, so dass auch dies eindeutig vergaberechtswidrig ist.

92

ll)

mm) Es wäre durchaus möglich gewesen, unterschiedlich strukturierte Lösungsansätze miteinander zu vergleichen. Eine von mehreren vergabekonformen Wertungsmöglichkeiten hätte z.B. darin bestanden, den Betrag, mit dem sich der jeweilige Teilnehmer am wettbewerblichen Dialog an dem von der Antragsgegnerin an den bisherigen Netzbetreiber zu entrichtenden Kaufpreis verbindlich beteiligt, sei es als vollständige Kaufpreisfinanzierung, sei es als anteilige Finanzierung oder als einen den Kapitalbedarf senkenden Wert in den Kapitalbedarf einzurechnen. Wie bei der nachfolgend dargestellten Konzessionsabgabe kann der vorab festgelegte Beitrag des Wettbewerbers am Kaufpreis den tatsächlichen nachträglich bestimmten Kaufpreis übersteigen. Es ist allerdings erforderlich, dass die Bieter über derartige vertragliche Verpflichtungen frühzeitig und umfassend informiert werden, das Kriterium in dieser Form transparent offen gelegt wird, und dass nur verbindliche Angebote gewertet und verglichen werden.

93

nn)

oo) Die Antragsgegnerin hat nicht gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem sie bei der Wertung des Angebots der Bieter unter Zuschlagskriterium Ziffer 2 "Mittelzufluss der Stadt xxxxxx" Erträge gewertet hat, die nicht in diesem Vergabeverfahren bestimmbar sind, sondern in dem separat von diesem Vergabeverfahren durchzuführenden Konzessionsverfahren.

94

pp)

qq) Die Antragsgegnerin hat in der Einladung zur dritten Dialogphase unter Ziffer V den Teilnehmern am wettbewerblichen Dialog vorgegeben, sie gehe im Netzbereich davon aus, dass zugunsten der Stadt die regulatorisch zulässige Rendite erwirtschaftet werden solle. In der Aufforderung zur Abgabe des endgültigen verbindlichen Angebotes vom 18. Juni 2012 hat sie dies unter Ziffer II modifiziert, indem sie darstellte, hinsichtlich der Erträge aus dem Netz werde bewertet, inwieweit durch entsprechende Vertragsregelungen unabhängig vom konkreten Netzgebiet ein der regulatorisch zulässigen Eigenkapitalrendite entsprechender oder diese übertreffender Ertrag effektiv erreicht werden könne, wenn sich das gemeinsame Unternehmen erfolgreich um Netzkonzessionen bewerben sollte. Mit dieser Ausformulierung des Zuschlagskriteriums Mittelzufluss für die Stadt xxxxxx hat die Antragsgegnerin im Ergebnis den für die Bewertung dieses Vergabeverfahrens zu erzielenden Mittelzufluss aus den Wegenutzungskonzessionen vom Inhalt des Verfahrens nach § 46 EnWG abgekoppelt. Denn unabhängig davon, welcher Ertrag durch die angenommene Konzessionserteilung erzielbar ist, hat der Bieter in diesem Verfahren möglichst einen die regulatorisch zulässige Eigenkapitalrendite übertreffenden Ertrag zu gewährleisten. Die Antragsgegnerin hat dies in der mündlichen Verhandlung erläutert. Die Konzessionsabgabe kann in der genehmigungsfähigen Höhe in den Energiepreis kalkuliert werden. Mit der erwünschten Zusicherung will die Antragsgegnerin erreichen, dass der Konzessionsinhaber an den Konzessionsgeber höhere Zahlung leistet, als er tatsächlich auf den Energiepreis umlegen kann. Die Vergabekammer hat geprüft, ob diese Regelung mit § 48 EnWG vereinbar ist, und ggf. gegen § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB verstößt. Danach dürfen Anforderungen an Unternehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. Das beinhaltet auch die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, in den Vergabeunterlagen keine Verstöße gegen geltendes Recht zu fordern. Es handelt sich allerdings bei der Forderung nach einer Vergütung oberhalb der zulässigen Höchstbeträge nicht um eine Umgehung des Höchstsatzes für Konzessionsabgaben, da § 48 EnWG nur dem Schutz der Tarifabnehmer (Endverbraucher) vor überhöhten Netzentgelten als Teil des Strompreises dient (Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, 74. Ergänzungslieferung 2012 § 48 EnWG Rdnr. 22). Die Vorschrift greift nicht unmittelbar in das Rechtsverhältnis zwischen Konzessionsnehmer und Konzessionsgeber ein, enthält also kein Verbot, im Innenverhältnis eine solche Verknüpfung zu konstruieren.

95

Mit der Forderung einer über die umlagefähige Konzessionsabgabe hinausgehenden Zahlung ist der "Mittelzufluss für die Stadt xxxxxx" nicht mehr durch die Erträge aus dem Konzessionsvertrag bestimmbar. Daher hat das Ergebnis der Konzessionsvergabe keinen unmittelbaren Einfluss auf die vergaberechtliche Auswahl des Kooperationspartners. Hier unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von dem der Entscheidung der VK Münster (Beschluss vom 08.06.2012, VK 6/12) zugrunde liegenden Sachverhalt.

96

cc) Die Antragsgegnerin hat mit den am 10.09.2012 vorgenommenen Änderungen im Vertragsentwurf der Beigeladenen nicht gegen § 3 EG Abs. 7d VOL/A verstoßen, indem sie zwei Änderungen unmittelbar vor dem Beschluss des zuständigen Rates in den Vertrag aufnehmen ließ. Gemäß § 3 EG Abs. 7d VOL/A können die Auftraggeber im wettbewerblichen Dialog auch nach Abschluss dieses Dialoges und nach Vorlage des endgültigen Angebotes verlangen, dass Präzisierungen, Klarstellungen und Ergänzungen zu diesen Angeboten gemacht werden. Diese Präzisierungen, Klarstellungen oder Ergänzungen dürften jedoch keine Änderungen der grundlegenden Elemente des Angebotes oder der Ausschreibung zur Folge haben, die den Wettbewerb verfälschen oder diskriminierend wirken könnte. In der Sitzung des Rates am 10.09.2012 wurden zwei Änderungen besprochen.

97

In § 14 Abs. 2 Satz 2 des Konsortialvertrages sollten die Worte "zum Auslaufen der jeweiligen Vertragslaufzeit" ersetzt werden durch die Worte "zum 31.12. des Folgejahres". Dabei handelt es sich um eine Verkürzung der Kündigungsfrist, die gleichwohl die Gründzüge des Vertrages nicht berührt, da sie die in § 14 Abs. 2 Konsortialvertrag vorgesehene erstmalige lange Laufzeit von 20 Jahren nicht ändert. Eine nur in Schritten von 20 Jahren mögliche Verlängerung war erkennbar unbeabsichtigt.

98

Darüber hinaus sollte in § 2 des Konsortialvertrages die Bezugnahme auf "im Gebiet der Stadt xxxxxx" gestrichen werden. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine grundlegende Änderung des Konsortialvertrages, da aus den weiteren Passagen des § 2 Konsortialvertrag deutlich wird, dass der Konsortialpartner bestimmte Pflichten im Gebiet der Stadt xxxxxx übernehmen muss. Lediglich eine scheinbare Beschränkung des Tätigkeitsfeldes auf das Gebiet der Stadt xxxxxx wird aufgehoben. Auch dies berührt nicht die Grundzüge des Vertrages, bewirkt insbesondere keine grundlegenden Elemente des Angebotes. Die Streichung trägt vielmehr nur dem Grundsatz Rechnung, dass die Beigeladene zu 1 nicht nur im Gebiet der Stadtwerke xxxx aktiv ist.

99

Auch ein inhaltlicher Zusammenhang zu einer etwaigen Diskriminierung des Netzkonzeptes der Antragstellerin besteht nicht. Die Antragstellerin hatte vor, das Netz als unselbständigen Teil ihres überregionalen Gesamtnetzes zu betreiben. Hier bleibt es ausweislich der ersten Spielstriche des § 2 Konsortialvertrag bei einer Bewerbung und ggf. Übernahme der bestehenden Stromnetze in den Ortsteilen bzw. in der Kernstadt der Antragsgegnerin in einer selbständigen Form.

100

Die vorgenommenen Änderungen halten sich daher in dem gemäß § 3 EG Abs. 7d VOL/A vorgegebenen und bei umfangreichen Vertragwerken auch kaum objektiv vermeidbaren Rahmen möglicher und nicht wettbewerbsrelevanter Änderungen.

101

c) Die Antragsgegnerin hat die ihr obliegende Dokumentationspflicht gemäß § 24 EG VOL/A verletzt.

102

d)

Die Antragsgegnerin hat gegen die ihr aus § 24 EG VOL/A obliegende Dokumentationspflicht verstoßen, indem sie zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Teilnahme am Wettbewerb nicht dokumentierte, warum sie die gemäß § 10 EG Abs. 2c VOL/A vorgesehene Gewichtung der Zuschlagskriterien unterließ. Gemäß § 24 EG Abs. 1 VOL/A ist das Vergabeverfahren von Anbeginn fortlaufend zu dokumentieren. Gemäß § 24 EG Abs. 2j VOL/A umfasst die Dokumentation mindestens die Gründe der Nichtangabe der Gewichtung der Zuschlagskriterien. Gemäß § 10 EG Abs. 2c VOL/A kann der öffentliche Auftraggeber auf die Angabe der Gewichtung der Zuschlagskriterien zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe verzichten, wenn hierfür nachvollziehbare Gründe vorliegen. Die Antragsgegnerin hat nach der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf das Dokument der Europäischen Kommission CCR005/04-REV1 vom 05.10.2005 Ziffer 3.1 erläutert, dass nach Auffassung der Europäischen Kommission im wettbewerblichen Dialog die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Gewichtung der Zuschlagskriterien (nicht jedoch deren Nennung) regelmäßig erfüllt sind und es genüge, die Zuschlagskriterien in der absteigenden Reihenfolge ihrer Bedeutung zu benennen. Die Entscheidung der Antragsgegnerin wird dadurch im Nachhinein zwar nachvollziehbar, gleichwohl hat sie die gemäß § 24 EG Abs. 2 j verbindliche Pflicht zur Dokumentation bestimmter Mindestinhalte zeitlich nicht erfüllt. Unabhängig von der Frage, was genau Inhalt der Begriffe "fortlaufende Dokumentation" und "von Anbeginn an" sein mag, ob dies eine Dokumentation vor Einleitung des jeweils nächsten Verfahrensschrittes oder nur vor Abschluss des Vergabeverfahrens bedeutet, genügt eine nach dem durch Versand der Bieterinformation gemäß § 101a GWB offen gelegten Abschluss des Vergabeverfahrens nachgeschobene Begründung nicht diesen Anforderungen (Mentzins in Pünder/Schellenberg, § 24 EG VOL/A, Rdnr. 1) .

103

Die Antragsgegnerin hat nicht gegen das Dokumentationsgebot aus § 24 EG Abs. 2 f) VOL/A verstoßen. Danach ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, u.a. bei einem wettbewerblichen Dialog die Gründe zu nennen, die die Anwendung dieses Verfahrens rechtfertigen. Die Antragsgegnerin hat sich in dem Umfang des bei ihr seinerzeit vorhandenen Problembewusstseins im ersten Verfahrensvermerk zur Wahl des Verfahrens geäußert. Einen Anspruch auf eine rechtlich zutreffende Dokumentation gibt es nicht.

104

d) Die dargestellten Verstöße gegen drittschützende Normen sind auch hinreichend kausal für die Wertung des finalen Angebotes der Antragstellerin. Bei vergaberechtskonformem Verhalten der Antragsgegnerin ist eine Änderung des finalen Angebots mit der Aussicht auf eine bessere Wertung nicht auszuschließen.

105

Während im offenen Verfahren eine nicht transparente Darstellung der Zuschlagskriterien oder ein wesentlicher Wertungsfehler ohne weiteres eine Maßnahme nach § 114 GWB rechtfertigt, weil der Bieter sein Angebot nicht nach Abgabe an nachträglich transparent dargestellte Zuschlagskriterien anpassen kann, ist dies im wettbewerblichen Dialog oder auch im Verhandlungsverfahren nicht ohne weiteres der Fall, da hier der öffentliche Auftraggeber nach Abgabe der ersten Lösungsvorschläge noch die Möglichkeit hat, die Vergabeunterlagen innerhalb der dargestellten Grenzen nachzubessern. Der Anbieter vermag seinen Lösungsvorschlag sogar umfassend abzuändern. Eine Kausalität zwischen dem Vergaberechtsverstoß und der Verletzung des individuellen Rechts auf Einhaltung des Vergaberechts ist daher nicht ohne weiteres gegeben. Hier bestand für die Antragstellerin eine zeitlich ausreichende Möglichkeit, ihren Lösungsvorschlag nachzubessern, weil die Phase der Unklarheit nur zehn Wochen dauerte, die Phase der Klarheit hinsichtlich der Zuschlagskriterien dagegen sechs Monate. Bei gleichen Wertungskriterien und unverändertem Angebot der Antragstellerin liegt es daher nahe, dass sie auch in einer neuen Wertung chancenlos bliebe. Die obigen Verstöße gegen drittschützende Normen umfassen jedoch 71% der vorzunehmenden Bewertungsentscheidung. Deren Kriterien wird die Antragsgegnerin unter Beachtung der Rechtsaufassung der Vergabekammer neu zu konzipieren haben. Hinzu kommt die Möglichkeit der Antragsgegnerin, in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens bei der Erstellung von Zuschlagskriterien die beratenden Ausführungen der Vergabekammer zu 3. zu berücksichtigen.

106

Somit ist nicht davon auszugehen, dass eine aufgrund neu strukturierter Zuschlagskriterien durchzuführende Wertung zwangsläufig zu denselben Ergebnissen führen wird, wie die bisherige Wertung. Daher hat die Antragstellerin nach Behebung der Fehler im Vergabeverfahren durchaus konkrete Chancen auf Erhalt des Zuschlags. Für die fehlende Kausalität von Vergabeverstoß und Wertungsergebnis ist überdies die Antragsgegnerin darlegungspflichtig (OLG München, Beschluss vom 28.08.2012 Verg 11/12, Beschluss vom 19.03.2009, Verg 2/09). Dieser konkreten Darlegungspflicht ist sie jedoch mit dem Verweis, die Antragstellerin habe ihr Angebot nicht ausreichend umgestellt, nicht hinreichend substantiiert nachgekommen. Ein substantiierter Nachweis fehlender Kausalität wird auch regelmäßig nur in Fällen möglich sein, in denen sich die Kritik auf ein einzelnes Merkmal beschränkt, dessen Relevanz auf die Zuschlagsentscheidung einschätzbar ist.

107

3. Für das weitere Vergabeverfahren gibt die Vergabekammer vorsorglich folgende Hinweise, ohne die Entscheidung maßgeblich darauf zu stützen:

108

4. Die Antragsgegnerin wird bei weiterhin bestehender Vergabeabsicht im Weiteren zu prüfen haben, inwieweit die von hier aufgrund des bestehenden Beurteilungsspielraums festgelegten Zuschlagskriterien geeignet sind, und sich in einem fortgesetzten Vergabeverfahren als geeignet erweisen, das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 97 Abs. 5 GWB zu ermitteln. Angesichts der von der Antragstellerin dargestellten festen Abnahmepflicht für das Netz wird die gesonderte Erfassung einer Begrenzung der Risiken aus eventuellen Energienetzübernahmen als eigenes Zuschlagskriterium neben dem in Ziffer 2. b)aa) dieses Beschlusses genannten Kapitalbedarf zu überprüfen sein.

109

5.

Ebenso wird sie prüfen und im Rahmen ihrer Gewichtungsentscheidung neu entscheiden, inwieweit die in zwei Kriterien (1b und 1c) erhobene Forderung, dass in xxxxxx ausreichende Mitarbeiterzahl zur Sicherstellung einer verbraucherfreundlichen Energieversorgung bzw. eines verbraucherfreundlichen Energievertriebs nicht eine Doppelbeurteilung desselben Zuschlagskriteriums darstellen.

110

Die umweltverträgliche Energieversorgung ist ein gemäß § 97 Abs. 4 GWB anerkanntes Zuschlagskriterium. Unter Berücksichtigung des neuen EuGH-Urteils vom 10.05.2012 (C-368/10), welches bisher noch nicht in die Zuschlagskriterien eingearbeitet werden konnte, wird die Antragsgegnerin hier prüfen, ob und in welchem Umfang sie technische Spezifikationen zur Bemessung dieses Kriteriums heranzieht.

111

Der Bau und Betrieb von EEG- und KWK-Anlagen wird sich womöglich nur dann als zulässiges Zuschlagkriterium erweisen, wenn damit konkrete, also räumlich und zeitlich und finanziell darstellbare verpflichtende Aufwendungen des auszuwählenden Partners verbunden sind, die über die Verpflichtungen hinausgehen, die der Minderheitsgesellschafter ohnehin aufgrund des Weisungsrechts des Mehrheitsgesellschafters hinzunehmen hat.

112

Die Antragsgegnerin wird auch entscheiden, ob sie die Gewichtung der Option für den steuerlichen Querverbund den verifizierten konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Querverbundes annähert.

113

Ob die perspektivische Entwicklung neuer Geschäftsfelder, die nicht Gegenstand des Vergabeverfahrens ist, gleichwohl als Zuschlagskriterium geeignet ist, wird die Antragsgegnerin ebenfalls sorgfältig überprüfen.

114

4. Gemäß § 114 Abs. 1 GWB hat die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und die Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Diese Vorschrift vermittelt der Vergabekammer einen weiten Entscheidungsspielraum, der nur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Schranken findet. Die gewählte Maßnahme muss sich eignen, die Rechtsverletzung sicher zu beseitigen. Sie soll aber gleichzeitig aber auch das mildeste der geeigneten Mittel hierfür sein. Der festgestellte Verstoß gegen drittschützendes Vergaberecht beginnt mit der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog unter Beifügung der Vergabeunterlagen. Eine Zurückversetzung in den Stand vor Versand der Aufforderung zur Teilnahme am wettbewerblichen Dialog ist geeignet, die Verletzung der Rechte der Antragstellerin durch die fehlerhafte Festlegung eines ungeeigneten Zuschlagskriteriums und der nachfolgenden fehlerhaften Angebotswertung und unterlassenen Dokumentation wesentlicher Vergabeentscheidungen zu heilen. Diese Möglichkeit der Fehlerkorrektur ist das Mittel mit der geringsten Eingriffstiefe, um gegenüber der Antragstellerin eingetretene Rechtsverletzungen sicher zu beseitigen.

115

III. Kosten

116

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 24.04.2009 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 27 des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechtes vom 20.04.2009, BGBl. I, S. 790).

117

Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens gemäß § 128 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 EUR, die Höchstgebühr 50.000 EUR und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 EUR.

118

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 EUR eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996 - 1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

119

Da eine Kostenschätzung gemäß § 3 VGV mit einem dort genannten Endbetrag nicht vorliegt, die deutlich niedrigeren Angebote der Beigeladenen wegen der fehlenden Verbindlichkeit hinsichtlich des Netzkaufpreises nicht die Gewähr enthalten, dass sie den realistischen Marktwert vollständig abbilden, bemisst die Vergabekammer den Verfahrenswert nach dem im Angebot der Antragstellerin genannten Kapitalbedarf abzüglich der Baukostenzuschüsse unter der Annahme, dass es sich um Nettobeträge handelt. Der nach dieser angenommenen finalen Angebotssumme der Antragstellerin zugrunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR netto und damit xxxxxx EUR brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.

120

Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

121

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, so dass ihr die Verfahrenskosten aufzuerlegen sind.

122

Die Antragsgegnerin ist jedoch von der Pflicht zur Entrichtung ihres Kostenanteils gemäß § 128 Abs. 1 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 BVwKostG befreit (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.07.2005, Az.: 13 Verg 9/05; OLG Dresden, Beschluss vom 25. 01. 2005, Az.: WVerg 0014/04).

123

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Da die Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie gemäß § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen erforderlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen. Aus den obigen Gründen ist die Beigeladene an den Kosten nicht zu beteiligen.

124

Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG in entsprechender Anwendung war auszusprechen, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren notwendig war. Obwohl das GWB für das Nachprüfungsverfahren 1. Instanz vor der Vergabekammer keine rechtsanwaltliche Vertretung vorschreibt, ist wegen der Komplexität des Vergaberechts, des Verfahrensrechts im Nachprüfungsverfahren sowie der ungewöhnlichen Komplexität des konkreten streitbefangenen Vergabeverfahrens sowie der rechtlich schwierigen Wechselbeziehung zur Vergabe von Wegenutzungsrechten nach dem EnWG rechtsanwaltliche Beratung und Begleitung für die Antragstellerin erforderlich.

125

Eine Entscheidung zu den Kosten der beiden Beigeladenen unterbleibt, da es unbillig wäre, die Aufwendungen der Beigeladenen gemäß § 128 Abs. 4 Satz 2 GWB einem anderen Verfahrensbeteiligten aufzuerlegen. Die Beigeladenen haben sich nicht schriftsätzlich geäußert und keine Anträge gestellt. Daher ist es angemessen, wenn sie ihre Auslagen einerseits selbst tragen, andererseits weder zu den Gebühren der Vergabekammer, noch den Auslagen der Antragstellerin herangezogen werden.

Gaus
Schulte
Nierychlo