Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 20.06.2016, Az.: VgK-17/2016

Prüfung der Übernahme der Krankenbehandlung von nicht krankenversicherten Asylbewerbern durch die Krankenkassen in Niedersachsen

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
20.06.2016
Aktenzeichen
VgK-17/2016
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 19750
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
das xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegner -
wegen
Rahmenvereinbarung einer Flüchtlingskarte/Flüchtlingsgesundheitskarte
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden RD Gaus, die hauptamtliche Beisitzerin ROAR'in Sandmann und den ehrenamtlichen Beisitzer, Herrn Tacke, auf die mündliche Verhandlung vom 16.06.2016 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Höhe der Gebühr wird auf xxxxxx €. festgesetzt. Auslagen sind nicht entstanden.

  3. 3.

    Die Kosten (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) des Nachprüfungsverfahrens trägt die Antragstellerin.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat dem Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.

    Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für den Antragsgegner notwendig.

Begründung

I.

Der Antragsgegner ist zuständig für Grundsatzangelegenheiten der Krankenversicherung in Niedersachsen und war in dieser Funktion seit mindestens Juni 2015 damit befasst, die Übernahme der Krankenbehandlung von nicht krankenversicherten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gemäß §§ 4 und 6 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) durch die Krankenkassen in Niedersachsen zu prüfen. Damit einhergehend sollte auch die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für diesen Personenkreis erwogen werden.

Anlass der Prüfung war der Wunsch, das System der Gesundheitsversorgung für Asylbewerber/innen sowie für die Sozialhilfeträger (in der Regel die Landkreise oder kreisfreie Städte) zu vereinfachen. Asylbewerber/innen sind in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland Leistungsberechtigte nach §§ 1 und 1a AsylbLG und haben nur einen eingeschränkten Anspruch auf Gesundheitsleistungen gemäß §§ 4 und 6 AsylbLG. Sie sind nicht krankenversichert und können nur mit einem für den Einzelfall vom zuständigen Sozialhilfeträger ausgestellten Berechtigungs- und Kostenübernahmeschein eine ärztliche Behandlung in Anspruch nehmen. Die Ausstellung eines solchen Behandlungsscheins und die Abrechnung mit den Ärzten erfolgt durch den Sozialhilfeträger. Mit der Übernahme der Krankenbehandlung durch Krankenkassen können diese administrativen Tätigkeiten, insbesondere die Abrechnung und Prüfung der Arztrechnungen, auf die Krankenkassen verlagert werden. Zusätzlich kann die Inanspruchnahme der ärztlichen Behandlung durch Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte erleichtert werden, da insoweit die Ausstellung von Behandlungsscheinen für jeden Einzelfall durch die Sozialhilfeträger entfällt. Dies ergibt sich auch aus der Unterrichtung des Landtags vom 15.06.2015 (Landtagsdrucksache LT-Drs.17/3664).

Der Antragsgegner betrachtete Modelle aus anderen Bundesländern, u.a. das "Bremer Modell zur elektronischen Gesundheitskarte" und die "Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Gesundheitsvorsorge für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)" aus Nordrhein-Westfalen. In beiden Bundesländern wurde die elektronische Gesundheitskarte in Kooperation mit den Krankenkassen eingeführt.

Im Juni 2015 fanden erste unverbindliche Gespräche mit kommunalen Vertretern sowie Vertretern der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen statt, um das Interesse an einer Rahmenvereinbarung nach § 264 Abs. 1 SGB V zu erfragen und die Anforderungen an eine solche Rahmenvereinbarung als auch eine elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber/innen zu klären. In der Folge legte der Antragsgegner u.a. folgende Anforderungen fest:

- Zur Entlastung der Landkreise und kreisfreien Städte soll die Abrechnung der Krankenbehandlungsleistungen direkt zwischen den Ärzten und Krankenkassen erfolgen, wobei auch eine Plausibilitätsprüfung der abgerechneten Leistungen erfolgen soll.

- Das Leistungsspektrum darf nicht über die Regelungen der §§ 4 und 6 AsylbLG erweitert werden und muss bei Verwendung einer elektronischen Gesundheitskarte direkt für die Ärzte erkennbar werden.

- Zum Schutz vor Missbrauch soll die elektronische Gesundheitskarte mit einem Foto individualisiert werden.

Bei der Prüfung zur Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte setzte sich der Antragsgegner auch mit dem am Markt verfügbaren Angebot der "xxxxxx" der Antragstellerin auseinander. In der Verwaltungsakte hat der Antragsgegner mehrfach - zuletzt am 27.11.2015 - festgehalten, dass die "xxxxxx" nicht mit der elektronischen Gesundheitskarte der Krankenkassen vergleichbar sei, weil das Angebot folgende Anforderungen nicht erfülle:

- Es kann keine direkte Abrechnung mit den Krankenkassen erfolgen.

- Die Abrechnungsprüfung und -abwicklung verbleibt bei der Kommune, die den erforderlichen Verwaltungsapparat vorhalten muss.

- Die Card ist nicht systemkonform mit den Eincheckmodulen der Arztpraxen. Die Daten und Krankenbehandlungshinweise der Betroffenen sind erst über die Nutzung einer webbasierten Anwendung möglich.

- Es kann keine Integration der ärztlichen Leistungen ins Gesamtbudget der Ärzte erfolgen.

- Die Card enthält kein Lichtbild, eine Identifikation erfolgt nur über den Namen.

- Die Gewährleistung des Datenschutzes ist zweifelhaft.

Dies ergibt sich auch aus der Beantwortung mündlicher Landtagsanfragen (LT-Drs. 17/4430 - Nr. 46, S. 69 f.; LT-Drs. 17/4865 - Nr. 28, S. 40 f).

Am 20.10.2015 wandte sich der Antragsgegner per E-Mail an die Landesverbände der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen und kündigte den von ihm beabsichtigten Abschluss einer Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 1 SGB V und die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte an.

Die Regelung des § 264 Abs. 1 SGB V sah bis zum Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vor, dass Krankenkassen die Krankenbehandlung für nicht krankenversicherte Personenkreise übernehmen können, sofern der Krankenkasse der Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie eines angemessenen Teils ihrer Verwaltungskosten gewährleistet wird. Mit Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes am 24.10.2015 wurde die Regelung § 264 Absatz 1 SGB V um die Sätze 2 bis 7 erweitert. Die Sätze 2 bis 4 lauten seitdem wie folgt:

"2Die Krankenkasse ist zur Übernahme der Krankenbehandlung nach Satz 1 für Empfänger von Gesundheitsleistungen nach den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes verpflichtet, wenn sie durch die Landesregierung oder die von der Landesregierung beauftragte oberste Landesbehörde dazu aufgefordert wird und mit ihr eine entsprechende Vereinbarung mindestens auf Ebene der Landkreise oder kreisfreien Städte geschlossen wird. 3Die Vereinbarung über die Übernahme der Krankenbehandlung nach Satz 1 für den in Satz 2 genannten Personenkreis hat insbesondere Regelungen zur Erbringung der Leistungen sowie zum Ersatz der Aufwendungen und Verwaltungskosten nach Satz 1 zu enthalten; die Ausgabe einer elektronischen Gesundheitskarte kann vereinbart werden. 4Wird von der Landesregierung oder der von ihr beauftragten obersten Landesbehörde eine Rahmenvereinbarung auf Landesebene zur Übernahme der Krankenbehandlung für den in Satz 2 genannten Personenkreis gefordert, sind die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung verpflichtet."

Am 10.11.2015 erging die offizielle Aufforderung des Antragsgegners gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung nach § 264 Abs. 1 Satz 2 SGB V, die auch Regelungen zur Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte enthalten sollte. Zur Aufnahme von Verhandlungen wurde zu einem Gespräch über die Einzelheiten der Rahmenvereinbarung eingeladen.

Das Gespräch mit den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen fand am 19.11.2015 statt. In einem weiteren Gespräch am 19.01.2016 nahmen außerdem auch Vertreter/innen der kommunalen Spitzenverbände teil. Die letzten offenen Punkte zur Rahmenvereinbarung und der Abwicklung der elektronischen Gesundheitskarte klärten der Antragsgegner und die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen in einem Gespräch am 10.03.2016.

Am xx.03.2016 unterzeichneten der Antragsgegner und die fünf Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen die "Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Gesundheitsversorgung für nicht Versicherungspflichtige gegen Kostenerstattung nach § 264 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit §§ 1, 1a AsylbLG in Niedersachsen". Der Beitritt für die Landkreise und kreisfreien Städte zur Rahmenvereinbarung ist danach freiwillig. Erst wenn ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt der Rahmenvereinbarung beitritt, werden die Inhalte in dem Gebiet der jeweiligen Gebietskörperschaft umgesetzt. Das heißt, erst dann erfolgt die Übernahme der Krankenbehandlung für den festgelegten Personenkreis durch die Krankenkassen und es kommt zur Ausgabe von elektronischen Gesundheitskarten. Kostenträger der Krankenbehandlungskosten bleiben weiterhin die Landkreise und kreisfreien Städte. Sie tragen auch die Kosten für die elektronische Gesundheitskarte und anfallende Verwaltungsgebühren gemäß den Regelungen der Rahmenvereinbarung.

Mit Pressemitteilung vom 16.03.2016 gab der Antragsgegner den Abschluss der Rahmenvereinbarung über die Übernahme der Krankenbehandlung sowie die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerber/innen öffentlich bekannt.

Mit Schreiben vom 17.05.2016, per Fax am 18.05.2016 bei der Vergabekammer Niedersachsen eingegangen, stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag. Sie beanstandet, dass der Antragsgegner ohne vorherige Ausschreibung einen Rahmenvertrag mit Krankenkassen zur Abwicklung der Gesundheitsleistungen und Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge abgeschlossen habe. Dabei handele es sich um eine unzulässige defacto-Vergabe. Der abgeschlossene Rahmenvertrag sei somit gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam. Eine Rüge sei entbehrlich gewesen.

Zur Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags führt die Antragstellerin aus, dass der Antragsgegner als Gebietskörperschaft öffentlicher Auftraggeber sei und es sich bei der Erfassung der Daten und Aushändigung einer Gesundheitskarte um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag handele. Auch sei in Anbetracht der vereinbarten Abschlagszahlungen, Verwaltungsgebühren und einmaligen Kosten der maßgebliche EU-Schwellenwert für die Beschaffung der elektronischen Gesundheitskarte überschritten. Regelungen über eine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht, wie z.B. eine besondere Dringlichkeit oder das Bestehen ausschließlicher Rechte, seien nicht einschlägig.

Die Antragstellerin habe ein unmittelbares Interesse am Erhalt des Auftrags, da ihr Angebot der "xxxxxx" (mittlerweile zur "xxxxxx" und "xxxxxx" weiterentwickelt) ebenfalls die Belange hinsichtlich einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge am Markt befriedige. Dieses Angebot sei dem Antragsgegner auch vor der unzulässigen de-facto-Vergabe bekannt gewesen.

Eine hinreichende Markterforschung des Antragsgegners habe dennoch nicht stattgefunden, denn das Angebot der Antragstellerin sei mit den durch den Antragsgegner gewählten Leistungen unmittelbar vergleichbar und zudem kostengünstiger. Die "xxxxxx" ermögliche ebenfalls eine wesentlich schnellere medizinische Versorgung der Flüchtlinge, da sie die behördliche Einzelgenehmigung der Behandlung entbehrlich mache. Über ein Online-Konto könne die jeweilige Kommune stattdessen eine Kostenübernahmebescheinigung hinterlegen, die die Ärzte durch Einlesen der "xxxxxx" einsehen und dort ihrerseits die Rechnungen u.ä. für die Behörde einstellen können. Dabei bestehe ausreichender Datenschutz und Schutz vor Manipulationen. Außerdem seien die Kosten der "xxxxxx" und die Verwaltungsgebühren wesentlich geringer als die Vereinbarungen des Rahmenvertrags es für die elektronische Gesundheitskarte der Krankenkassen vorsehen.

Die Rahmenvereinbarung mit den Krankenkassen sei im August 2015 und damit zum Zeitpunkt der Erweiterung des § 264 Abs. 1 SGB V um die Sätze 2 bis 7 bereits abgeschlossen gewesen. Nach der bis zum 24.10.2016 bestehenden Ermessensregelung in § 264 Abs. 1 Satz 1 SGB V habe für die Krankenkassen auch kein Kontrahierungszwang in Bezug auf die Übernahme der Krankenbehandlung bestanden, da die Krankenkassen einen Verhandlungsspielraum in Bezug auf die Höhe des Ersatzes ihrer Verwaltungskosten gehabt hätten. Bei der Regelung in § 264 Abs. 1 Satz 2 SGB V handele es sich ferner nur um eine Auffangnorm für den Fall, dass kein anderer geeigneter Vertragspartner gefunden werden könne.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. 1.

    den Antragsgegner zu verpflichten, den öffentlichen Auftrag der Bereitstellung einer Flüchtlingsgesundheitskarte durch die Kommunen des Landes Niedersachsen auszuschreiben,

  2. 2.

    festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.

Der Antragsgegner beantragt,

  1. 1.

    den gestellten Nachprüfungsantrag als offensichtlich unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,

  2. 2.

    die Akteneinsicht zu verweigern,

  3. 3.

    festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes als Prozessbevollmächtigtem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war und die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.

Der Antragsgegner führt zur offensichtlichen Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags aus, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) nicht eröffnet sei, denn bei der zwischen dem Antragsgegner und den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen abgeschlossenen Rahmenvereinbarung handele es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag. Er verweist diesbezüglich auch auf den Hinweisbeschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 21.12.2015 (Az.: VK-SH 15/15), der im Hinblick auf einen identischen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zur Rahmenvereinbarung des Landes Schleswig-Holstein nach § 264 Abs. 1 SGB V ergangen sei.

Die hier in Frage stehende Rahmenvereinbarung beinhalte keine entgeltliche Beschaffung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen durch den Antragsgegner. Ziel der Rahmenvereinbarung sei es, im Sinne von § 264 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Übernahme der Krankenbehandlung von nicht krankenversicherten Asylbewerber/innen auf Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte durch die Krankenkassen sicherzustellen. Die Bereitstellung einer elektronischen Gesundheitskarte sei dabei zulässigerweise nach § 264 Abs. 1 Satz 3, 2. Halbsatz SGB V mit der Übernahme der Krankenbehandlung verknüpft worden.

Die Rahmenvereinbarung sei jedoch nicht zum Zwecke der Beschaffung einer elektronischen Gesundheitskarte abgeschlossen worden. Es sei vielmehr eine sachgerechte Entscheidung des Antragsgegners gewesen, die elektronische Gesundheitskarte in die Rahmenvereinbarung zur Übernahme der Krankenbehandlung einzubeziehen. Dies diene den Krankenkassen einerseits als Grundlage der Leistungsabrechnung, vereinfache das Verfahren für alle Betroffenen und reduziere im Gegensatz zur Einbeziehung von Karten Dritter die beteiligten Schnittstellen. Dabei unterliege es der Autonomie des Antragsgegners, der sich im Vorfeld durchaus mit dem Angebot der Antragstellerin und anderen Abrechnungs- und Erfassungssystemen auseinandergesetzt habe, die Anforderungen an eine elektronische Gesundheitskarte zu definieren und z.B. einen zuverlässigen Datenschutz und eine klare Identifikationsmöglichkeit via Lichtbild zu fordern.

In der derzeitigen Fassung enthalte die Rahmenvereinbarung vom xx.03.2016 ferner auch keine Elemente der entgeltlichen Beschaffung. Zwingende Voraussetzung für eine Leistungserbringung und Leistungsabrechnung auf Grundlage der Rahmenvereinbarung sei der Beitritt eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt zur Rahmenvereinbarung. Den Kommunen stehe es jedoch frei, der Rahmenvereinbarung beizutreten oder andere Karten-, Erfassungsund Abrechnungssysteme zu nutzen. Insofern sei die Antragstellerin keineswegs daran gehindert, ihr Leistungsangebot den Kommunen direkt anzubieten und zu vermarkten.

Folglich sei auch das verfolgte Rechtsschutzziel der Antragstellerin fraglich, denn die Antragstellerin sei von der Rahmenvereinbarung nicht in ihren Rechten verletzt. Nach § 264 Abs. 1 Satz 2 SGB V habe der Antragsgegner die Rahmenvereinbarung nur mit Krankenkassen, für die ein Kontrahierungszwang besteht, abschließen können. Die Antragstellerin sei auch nicht in der Lage dazu, die vereinbarten Leistungsinhalte - d.h. insbesondere die Sicherstellung der Übernahme der Krankenbehandlung - anzubieten und hätte daher selbst nicht Vertragspartnerin der Rahmenvereinbarung werden können. Demzufolge handele es sich bei dem Nachprüfungsantrag um einen unzulässigen Antrag auf vorbeugenden Rechtsschutz.

Vorsorglich tritt der Antragsgegner auch der Behauptung der Antragstellerin entgegen, die Kosten für die elektronische Gesundheitskarte würden den maßgeblichen EU-Schwellenwert für Dienstleistungsaufträge überschreiten. Die Kosten für die elektronische Gesundheitskarte könnten hier kaum differenziert betrachtet werden, da diese in der Rahmenvereinbarung unmittelbar mit den Kosten für die Übernahme der Krankenbehandlung durch die Krankenkasse verknüpft seien. Die vereinbarten Verwaltungsgebühren erfassen somit den gesamten Verwaltungs- und Prüfungsaufwand der Krankenkassen, der insofern zur Entlastung der Kommunen führe.

Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, das Protokoll der mündlichen Verhandlung und die Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Zwar kann ein Rahmenvertrag auch ausschließlich fremdnützig geschlossen werden, so dass dem Anbieter eines Produktes das Vergabenachprüfungsverfahren auch dann offen steht, wenn der Auftraggeber mit dem Rahmenvertrag keinen eigenen Beschaffungsbedarf deckt. Es besteht aber noch keine Möglichkeit der Überprüfung in einem Vergabenachprüfungsverfahren, wenn dieser Rahmenvertrag keine Wettbewerbsentscheidung enthält, sondern nur eine Leistungsbeschreibung für ein in einem weiteren wettbewerblichen Verfahren zu beschaffendes Produkt. Die Vergabekammer entscheidet nicht über den Beschaffungsbedarf des öffentlichen Auftraggebers.

1. Obwohl das GWB 2016, die VgV 2016 und die zeitgleich geänderte Sektorenverordnung zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabekammer bereits in Kraft getreten sind, hat die Vergabekammer aufgrund der Überleitungsvorschrift des § 186 Abs. 2 GWB 2016 das GWB einschließlich der darauf beruhenden nachrangigen Normen in der im Juli 2015 geltenden Fassung anzuwenden. Gemäß § 186 Abs. 2 GWB 2016 werden Vergabeverfahren, die vor dem 18.04.2016 begonnen haben, einschließlich der sich an diese anschließenden Nachprüfungsverfahren nach dem Recht zu Ende geführt, dass zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens galt. Das hier streitige, von der Antragstellerin als nicht öffentlich bekannt gemachtes Vergabeverfahren angesehene Verfahren wurde im Herbst 2015 begonnen und im März 2016 durch Vertragsschluss abgeschlossen, so dass das zu jenem Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist.

Die Vergabekammer sieht sich wegen der geltenden Vergaberichtlinie 2014/24/EU gehalten, die anzuwendende EU-Richtlinie 2004/18/EG und das alte nationale Vergaberecht so anzuwenden, dass kein Widerspruch zur Richtlinie 2014/24/EU und dem neuen Vergaberecht entsteht. Etwas anderes gilt nur hinsichtlich der neu geschaffenen Konzessionsrichtlinie, die nicht vorhandenes Recht ändert, sondern neues Recht schafft.

EuGH und BGH haben gelegentlich anderer Fälle entschieden, dass beschlossenes EU-Recht eine inhaltliche Vorwirkung auf die Entscheidungspraxis der Verwaltungen und der Justiz entfalte. Nach der Rechtsprechung des EuGH (C-129/96, Urteil vom 18.12.1997, Inter-Environnement Wallonie, Rz. 45) darf der Staat innerhalb der Umsetzungsfrist keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, das Ziel der Richtlinie ernsthaft in Frage zu stellen (vgl. BVerwGE 107, S. 1 ff., S. 22). Ebenso hat der BGH (BGHZ 138, S. 55) für die Rechtsanwendung entschieden: Der BGH sah sich an einer richtlinienkonformen Auslegung nicht dadurch gehindert, dass die Frist für die Umsetzung der Richtlinie zur vergleichenden Werbung noch nicht abgelaufen war. Lasse sich Richtlinienkonformität mittels einfacher Auslegung im nationalen Recht herstellen, so sei der Richter jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis befugt, sein bisheriges Auslegungsergebnis zu korrigieren und den geänderten rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Die Vergabekammer ist daher verpflichtet, das aufgrund einer Überleitungsvorschrift anzuwendende Recht so anzuwenden, dass kein inhaltlicher Widerspruch zur nationalen Umsetzung der Richtlinie 2014/25/EU auftritt. Zur Erleichterung der Lesbarkeit setzt die Vergabekammer das ab 2016 geltende Recht gelegentlich in Klammern hinter die anzuwendende Vorschrift.

2. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Bei dem Antragsgegner und Auftraggeber handelt es sich um das Land Niedersachsen vertreten durch eine oberste Landesbehörde und damit um einen öffentlichen Auftraggeber gemäß § 98 Nr. 1 GWB (§ 99 GWB 2016). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners handelt es sich bei der hier geschlossenen Rahmenvereinbarung gemäß § 264 Abs. 1 SGB V um eine Beschaffung gemäß § 99 Abs. 4 GWB (§ 103 Abs. 4 GWB 2016). Dem Antragsgegner ist zuzustimmen, dass das hier als Vergabestelle auftretende Land keinen eigenen Bedarf hat, der durch den geschlossenen Rahmenvertrag befriedigt werden soll. Vielmehr handelt es sich aufgrund der Zuständigkeit der Landkreise und kreisfreien Städte in Niedersachsen (im Folgenden: Verwaltungsbehörden) um einen ausschließlichen Beschaffungsbedarf dieser Kommunen.

Sowohl bei der Rahmenvereinbarung, als auch bei einem unmittelbaren Dienstleistungsauftrag ist es jedoch möglich, dass die Vergabestelle nicht oder nicht nur für sich selbst handelt, sondern als Vertreter weiterer öffentlicher Auftraggeber. Das schließt auch die Möglichkeit ein, dass die Vergabestelle ausschließlich für Dritte handelt und keinen eigenen Beschaffungsbedarf hat. Auftraggeber dürfen sich zu Gemeinschaften zusammenschließen, die gemeinsam durch eine zentrale Beschaffungsstelle vertreten werden (vgl. Eschenbruch in: Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht 3. Aufl. § 98 Rn. 48; VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.07.2012, 1 VK 17/12). In diesem Sinne ist auch die Intention des § 264 Abs. 1 Satz 2 SGB V zu verstehen, der mit der Rahmenvereinbarung die geringe Marktmacht einzelner Verwaltungsbehörden gegenüber den Krankenkassen bündeln und so stärken möchte.

Die geschlossene Rahmenvereinbarung ist gemäß § 12 der Rahmenvereinbarung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 GWB (§ 103 GWB 2016) entgeltlich, da über die Erstattung der ärztlichen Maßnahme hinaus eine Vergütung an die jeweilige Krankenkasse zu zahlen ist. Die Höhe der Vergütung hängt davon ab, ob Leistungen in Anspruch genommen worden sind. Für die Erstellung der Karte ist gemäß § 6 der Rahmenvereinbarung ein weiteres Entgelt vorgesehen.

Für die Beurteilung der Entgeltlichkeit kann offen bleiben, ob es sich nur um den Ersatz der vollen Aufwendungen für den Einzelfall sowie einen angemessenen Teil der Verwaltungskosten der Krankenkasse handelt (so § 264 Abs. 1 Satz 1 SGB V), oder ob darin auch ein Anteil für Gewinn enthalten ist. Ebenso ist unerheblich, ob ein Bezug auf § 4 Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz vorliegt. Entscheidend für die Entgeltlichkeit des Vertrages ist ausschließlich, dass für die Abwicklung der Dienstleistung eine Vergütung gezahlt wird, der Kostenträger also an die regional zuständige Krankenkasse mehr zahlt, als an den Arzt nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. dem Arzneimittellieferanten oder Hilfsmittellieferanten nach dem gemäß Rabattvertrag ausgehandelten Preis auszukehren ist. Schon dies genügt für die Entgeltlichkeit.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist der Schwellenwert gemäß § 100 GWB (§ 106 GWB 2016) überschritten. Gemäß § 100 GWB gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Hier geht es um die Abrechnung von Krankenbehandlungskosten, somit um einen Dienstleistungsauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 1 VgV in der geltenden Fassung ein Schwellenwert von 209.000 € gilt. Die Antragstellerin bewirbt sich darum, im Rahmen eines wettbewerblichen Verfahrens zur landesweiten Bereitstellung einer Flüchtlingskarte oder Flüchtlings-Gesundheitskarte ein Angebot abgeben zu dürfen oder in anderer Form beteiligt zu werden. Daher muss die Schätzung des Auftragswerts auf die landesweite Tätigkeit gestützt werden. Landesweit überschreiten schon die einmaligen Ausstellungskosten ohne Ersatzbeschaffung den Schwellenwert. Da der Antragsgegner in der Kürze der gesetzlich auf fünf Wochen begrenzten Zeit keine gesicherte Auskunft über die in Niedersachsen befindlichen Geflüchteten mit einer Aufenthaltsdauer von weniger als 15 Monaten geben konnte, überdies die in der mündlichen Verhandlung unter dem gebotenen Vorbehalt genannten Zahlen voneinander abwichen, stützt sich die Vergabekammer auf die von ihr aufgrund allgemein zugänglicher Informationen erhobene Schätzung. Das geschieht nicht, weil der einen oder der anderen Zahl objektiv der Vorzug zu geben wäre, sondern weil diese Schätzung zu den niedrigsten Zahlen führt. Laut Presseberichten sind im Jahr 2015 etwa 1. Mio. Geflüchtete in das Bundesgebiet gelangt. Gemäß dem Königsteiner Schlüssel, der eigentlich nur den Länderanteil bei gemeinsamen bundesweiten Finanzierungen festlegt, der aber auch auf andere Verteilungsfälle angewandt wird, entfallen auf Niedersachsen wegen der Zuweisungszahl von 9,36% etwa 93.600 Geflüchtete. Diese Zahl wird gestützt durch die vom Land Niedersachsen vorgehaltenen Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die bei ca. 20.000 Plätzen liegen sollen. Auch wenn diese Plätze nicht mehr vollständig genutzt werden sollen, so waren sie jedoch im Herbst 2015 vollständig belegt. Daneben hat das Land Niedersachsen Geflüchtete unmittelbar im Rahmen der Amtshilfe auf aufnahmebereite Landkreise verteilt. Die Zahl von ca. 93.600 Geflüchteten ist daher zumindest plausibel. Davon und von der Lösung des Antragsgegners als dem für die Prognose maßgeblichen Sachverhalt ausgehend, liegen die erforderlichen Kosten für die Erstausstellung der sogenannten Gesundheitskarte, die der Rahmenvertrag für die Geflüchteten des Jahres 2015 abdecken soll, bei xxxxxx €. Hinzu kommen die monatlichen Kosten gemäß § 12 der Rahmenvereinbarung, die die Vergabekammer unter Auswertung der Prognosen in der Akte des Antragsgegners zu den Stückkosten und laufenden monatlichen Kosten (Blatt 235, 335, 481, 537, 671ff) in jeweils gleicher Höhe bei xxxxxx € annimmt.

Gemäß § 18 der Rahmenvereinbarung ist ihre Laufzeit unbestimmt, mit der Einschränkung, dass sie frühestens zum 31.03.2017 gekündigt werden kann. Gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 2 VgV (§ 3 Abs. 11 Nr. 2 VgV 2016) ist bei Aufträgen mit unbestimmter Laufzeit der 48-fache Monatswert Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert. Das entspricht den in § 4 EG Abs. 7 VOL/A (§ 21 Abs. 6 VgV 2016) genannten 4 Jahren. Somit ist der Schwellenwert deutlich überschritten, weil die für die elektronische Gesundheitskarte bei der Erstellung und über die fiktive Laufzeit von vier Jahren landesweit monatlich anfallenden Aufwendungen den Wert von 209.000,-- € übersteigen.

Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 1 GWB (§ 160 Abs. 1 GWB 2016) antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung eigener Rechte durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Insbesondere sieht sie eine defacto-Vergabe und eine Benachteiligung des von ihr angebotenen Konzepts. Ob sich diese dargestellte Rechtsverletzung bestätigt, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrages (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.07.2006, VII-Verg 23/06 Ziffer 1a).

Die Antragstellerin war gemäß § 107 Abs. 3 Satz 2 GWB (§ 160 Abs. 3 Satz 2 GWB 2016) nicht verpflichtet, die von ihr gesehenen Vergabeverstöße vor Erhebung des Nachprüfungsantrags gemäß § 107 Abs. 3 GWB zu rügen. Die Antragstellerin beruft sich inhaltlich auf eine de-facto-Vergabe und stützt ihren Antrag auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB 2016). Dieses Verfahren geht davon aus, dass dem Antragsteller die Möglichkeit zur Rüge verwehrt worden sei. Somit ist in allen Fällen des § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB der Vergabeverstoß vor Erhebung des Nachprüfungsantrags nicht erkennbar. Die Erkennbarkeit des Vergabeverstoßes ist jedoch Tatbestandsvoraussetzung für die Rügepräklusion gemäß § 107 Abs. 3 GWB. Daher ist es für einen Antragsteller in einem auf eine de-facto-Vergabe gestützten Vergabenachprüfungsverfahren nicht erforderlich, vor Erhebung des Nachprüfungsverfahrens den angeblichen Vergabeverstoß zu rügen.

3. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Vergabekammer sieht in dem hier vorliegenden Rahmenvertrag kein dem Vergaberecht entzogenes Zulassungsverfahren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.2012, VII Verg 57/11). Nach einer Rechtsprechung des OLG Düsseldorf fehlt es an einer vergaberechtlichen Auswahlentscheidung und damit einem öffentlichen Auftrag, wenn der Auftraggeber mit dem Vertrag keine Auswahl zwischen bestimmten Anbietern trifft. Dies könnte hier, angesichts der großen Zahl von Krankenkassen, die über die mit ihren Landesverbänden getroffene Rahmenvereinbarung verpflichtet worden sind, sowie der Regelung zur Zuständigkeit der Krankenkassen gemäß § 5 Abs. 1 des Rahmenvertrages, zu erörtern sein. Es ist liegt zumindest keine Auswahlentscheidung aus dem Kreis der anbietenden Krankenkassen vor.

Die Rahmenvereinbarung trifft eine Auswahlentscheidung für das System der elektronischen Gesundheitskarte. Diese sind nur von den Krankenkassen als rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung gemäß § 4 Abs. 1 SGB V vorzuhalten (vgl. § 291 SGB V). Sie schränkt somit den Kreis der potentiellen Anbieter auf den Kreis der Krankenkassen ein und lässt Anbieter, die ein System ohne Einbeziehung der Krankenkassen anbieten, außen vor. Somit liegt in der Rahmenvereinbarung eine Auswahlentscheidung.

Allerdings handelt es sich bei dem System der elektronischen Gesundheitskarte gemäß § 6 der Rahmenvereinbarung nicht um die Auswahl eines bestimmten am Markt von nur einem Hersteller angebotenen Produktes, sondern um eine Verfahrensbeschreibung, wie die Verwaltungsbehörde die in ihrem Zuständigkeitsbereich ansässigen Geflüchteten gegenüber der zuständigen Krankenkasse anmeldet (ähnlich § 291 SGB V). Die Verwaltungsbehörde hat hierzu ein geeignetes Lichtbild des Leistungsberechtigten zur Verfügung zu stellen. Bietet die Krankenkasse wiederum gesonderte Lichtbildbögen an, so hat die meldende Behörde diese Lichtbildbögen zu verwenden und mit den personenbezogenen Daten zu versehen. Die Verwaltungsbehörde hat die Lichtbilder in digitalisierter Form zu übersenden, wenn die Krankenkasse deren Übermittlung ermöglicht. Die Verwaltungsbehörde übernimmt die Gewähr, dass das Lichtbild mit dem Leistungsberechtigten übereinstimmt, dessen personenbezogene Daten genannt wurden. Die Beschreibung der elektronischen Gesundheitskarte gemäß § 6 der Rahmenvereinbarung ist somit noch keine Produktauswahl, sondern nichts anderes als die Beschreibung eines bestimmten Leistungsgegenstands.

Diese Beschreibung erfolgt produktneutral, sodass die Vergabekammer keinen Eingriff in den Wettbewerb sieht. Es steht der Antragstellerin frei, in den späteren wettbewerblichen Verfahren ein Produkt gemäß der Leistungsbeschreibung anzubieten, sofern sie über die weiteren Eignungsvoraussetzungen dieses künftigen wettbewerblichen Verfahrens verfügt.

Die Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts ist der eigentlichen Vergabe vorgelagert. Der öffentliche Auftraggeber hat das Recht, unbeeinflusst von frühzeitigen Angeboten festzulegen, welche Leistungen er zu beschaffen beabsichtigt, welche Sicherheitsvorrichtungen er gegen den Missbrauch von Leistungsbezügen wünscht, und in welchem Umfang er bestimmte Serviceleistungen, wie die Antragstellerin sie anbietet, zum Gegenstand der von ihm vergebenen Leistung machen möchte.

Ein Wettbewerb findet erst statt, nachdem die Leistung eindeutig und erschöpfend bestimmt worden ist. Die Krankenkassen, die in dieser Rahmenvereinbarung noch als Auftragnehmer erscheinen, werden dann als öffentliche Auftraggeber gemäß § 4 SGB V (EUGH Urteil vom 11.06.2009, NJW 09, S. 2427, C-300/07 Oymanns) den Bindungen des Vierten Teils des GWB unterworfen sein. Welcher Hersteller schließlich die aufgrund der Rahmenvereinbarung herzustellenden elektronischen Karten produzieren wird, bleibt dem Wettbewerb vorbehalten.

Die Antragstellerin bemüht sich, mit ihrem preiswerten Vorschlag bereits auf diese Phase der Leistungsbestimmung Einfluss zu nehmen. Dabei bietet sie etwas anderes an, als der Antragsgegner zu beschaffen beabsichtigt. Nach ihrem erst in der mündlichen Verhandlung hinreichend deutlich dargestellten Modell in drei Varianten soll nach Variante 1 die Verwaltungsbehörde selbst die Arztrechnungen daraufhin kontrollieren, ob die dieser Arztrechnung zu Grunde liegende fachärztliche Leistung dem eingeschränkten Leistungskatalog des § 4 Asylbewerberleistungsgesetz genügt. In Variante 2 soll sie selbst ein privates Abrechnungszentrum mit der Leistungskontrolle beauftragen. In Variante 3 soll sie der Antragstellerin die Befugnis belassen, ein Abrechnungszentrum als Nachunternehmer zu einem von der Antragstellerin bereits verbindlich angebotenen Prozentsatz mit der Leistung zu beauftragen. Jede dieser Varianten belässt die Verantwortlichkeit für die Leistungskontrolle letztlich bei der Verwaltungsbehörde als Auftraggeber entweder der Antragstellerin oder des Abrechnungszentrums.

Insofern unterscheidet sich das Angebot der Antragstellerin von dem Weg, den der Antragsgegner im Wege der Rahmenvereinbarung für die Verwaltungsbehörden einschlagen will, erheblich. Die versuchte Einflussnahme auf den Beschaffungsgegenstand ist jedoch kein tauglicher Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens. Die Antragstellerin verkennt insbesondere mit ihrer Behauptung, ihr Angebot befriedige den Beschaffungsbedarf des Auftraggebers, die Grenzen eines Anbieters im wettbewerblichen Verfahren. Aus der vorgelegten Akte des Antragsgegners wird deutlich, dass er sich bei der Leistungsbestimmung durchaus mit den alternativen Konzepten auseinandergesetzt hat. Er hatte das von der Antragstellerin vorgetragene Konzept nicht übergangen, sondern sich bewusst für ein anderes Konzept entschieden. Es obliegt ihm bzw. den der Rahmenvereinbarung nicht beitretenden Verwaltungsbehörden, zu entscheiden, ob er die Abrechnungskontrolle auf die zu diesem Zweck als öffentlich-rechtliche Körperschaft gegründeten Krankenkassen delegieren oder selbst übernehmen will. Das Ziel einer Beschaffung ist nicht das preiswerteste Angebot, sondern das wirtschaftlichste Angebot. Das eröffnet dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit einer Leistungsbeschreibung mit qualitativ hochwertigen Inhalten. Der bloße Hinweis eines Anbieters, er könne etwas anderes preiswerter anbieten führt nicht zu einer Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, auf gute Qualität verzichten zu müssen. Es ist daher vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner die Kontrolle über den Umfang der anrechenbaren Leistungen auf die Krankenkassen als rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechtes verlagern will, nicht aber auf private Abrechnungszentren.

Die Verwaltungsbehörden entscheiden selbst, ob die Rahmenvereinbarung ihre Interessen abbildet. Obwohl der vereinbarte Verwaltungskostenaufschlag die Deckelung des § 264 Abs. 7 SGB V überschreitet, die sich auch auf die hier relevanten Fälle nach § 264 Abs. 2 SGB V bezieht, (vgl. Groth in: Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching, 40. Edition, Stand: 01.01.2016, § 264 Rn. 14, 100), erscheint er nicht auffällig unangemessen. Der Leistungsumfang ist wegen der elektronischen Gesundheitskarte höher. Es ist in der wettbewerbsrechtlichen Prüfung auch nicht relevant, ob die Pauschale nicht auch das Widerspruchsverfahren nach Bremer Modell umfassen soll, hier also ein anderer Leistungsgegenstand als nach § 264 Abs. 7 SGB V vorliegt.

Das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. Einer besonderen vergaberechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den Auftraggeber nicht. Sie ergibt sich aus der Vertragsfreiheit. Die danach im jeweiligen Fall vorgenommene Bestimmung des Beschaffungsgegenstands ist von den Vergabenachprüfungsinstanzen im Ausgangspunkt nicht zu kontrollieren (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 03.03.2010 VII -Verg 46/09 Lysimeter; und vom 12.02.2014, Verg 29/13 Campusnet; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.07.2014 - 15 Verg 4/14). Die Vergabekammer ist nicht berufen eine solche dem eigentlichen Vergabeverfahren vorgelagerte Entscheidung zu korrigieren. Das OLG Koblenz (Beschluss vom 05.09.2002, 1 Verg 2/02) hat dies schon früh und recht anschaulich dargestellt:

"Überspitzt ausgedrückt: Verlangt ein Aufgabenträger die Ausstattung der Zugtoiletten mit goldenen Armaturen, so ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fall für Aufsichtsbehörde oder Rechnungshof. Vergaberechtlich wäre dagegen nichts einzuwenden, weil allein der Auftraggeber entscheidet, was er haben will und wie er es haben will."

An dieser Beschränkung der Aufgaben und Pflichten der Vergabekammern hat sich ausweislich der obigen neueren Rechtsprechung bis heute nichts geändert. Es war daher keine Maßnahme gemäß § 114 GWB (§ 168 GWB 2016) zu treffen.

III. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB (§ 182 GWB 2016) in der seit dem 26.06.2013 geltenden Fassung.

Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 128 Abs. 2 GWB (§ 182 Abs. 2 GWB 2016). Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.

Der zu Grunde zu legende Auftragswert war hier schwer zu beziffern. Der Zustrom an Flüchtlingen ist nicht prognostizierbar. Die Vergabekammer stützt sich hier behelfsweise auf die in Ziffer II. 2. ermittelte aktuelle Zahl Geflüchteter. Um die Gebühren nicht exponentiell steigen zu lassen geht die Vergabekammer davon aus, dass sich die Gesamtzahl der Flüchtlinge, die bis zu 15 Monate in Niedersachsen sind, dauerhaft nicht über die Zahl des Jahres 2015 von 1 Mio. erhöhen werde, also landesweit nicht mehr aufzunehmen sind, als mit Ablauf der 15-Monats-Frist in das System der gesetzlichen Krankenversicherung abwandern. Es handelt sich nur um einen Näherungsbetrag. Auf dieser Zahlenbasis legt die Vergabekammer die Entgelte auf die bei Verträgen unbestimmter Dauer vorgesehene Laufzeit von 48 Monaten um. Da es nun nicht mehr um die Prognose des künftigen Auftragswert geht, sondern das mutmaßliche Interesse der Antragstellerin an einem Auftrag legt die Vergabekammer nun nicht mehr die gemäß § 6 und § 12 der Rahmenvereinbarung vom Antragsgegner zu zahlende Vergütung zu Grunde, sondern das Angebot der Antragstellerin, soweit dies bekannt ist. Danach beträgt der mutmaßliche Auftragswert 93.600 x xxxxxx € = xxxxxx € für die Erstellung der Karte. Die monatliche Bearbeitungsgebühr laut dem Angebot der Antragstellerin in Höhe von xxxxxx % beträgt in etwa die Hälfte der Verwaltungsgebühr, die der Antragsgegner an die Krankenkassen zahlen möchte. Da eine prozentuale Ableitung von künftigen Behandlungskosten unbekannter Patienten im Rahmen der Kostenentscheidung nicht möglich erscheint, legt die Vergabekammer die Hälfte des vom Antragsgegner zu begleichen Grundbetrages der Kostenentscheidung zu Grunde. Somit beträgt die monatliche Grundgebühr für die Bearbeitung der Leistungen 93.600 x xxxxxx € = xxxxxx € brutto je Monat, mithin für 48 Monate xx.xxx.xxx €. Die Summe aus Erstellungskosten und monatlichen Beitrag von xx.xxx.xxx € entspricht dem mutmaßlichen Interesse der Antragstellerin am Auftrag. Die Antragstellerin darf bei der Bemessung ihres Interesses davon ausgehen, dass die von ihr verfolgte Rahmenvereinbarung vollständig akzeptiert werde.

Bei einer Ausschreibungssumme von xx.xxx.xxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmungen in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB 2016). Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 114 GWB (§ 168 GWB 2016) ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen.

Gemäß Ziffer 4 des Tenors hat die Antragstellerin dem Auftraggeber als Antragsgegner die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen gemäß § 128 Abs. 4 GWB (§ 182 Abs. 3 Satz 1 GWB 2016) zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist erforderlich.

Hier gilt zunächst das unter 3. Ausgeführte. Die anwaltliche Vertretung der Auftraggeberin im Nachprüfungsverfahren gehört nicht grundsätzlich zu den notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung. Grundsätzlich ist der Auftraggeber gehalten, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandenes juristisch geschultes Personal auch im Nachprüfungsverfahren einzusetzen. Auftragsbezogene Rechtsfragen aus dem Bereich der VOL/A oder VOB/A wird regelmäßig das mit der Vergabe betraute Personal sachkundig beantworten können, so dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes regelmäßig nicht notwendig sein wird, wenn der öffentliche Auftraggeber in einer ex ante zu Beginn eines Nachprüfungsverfahrens (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.07.2013 - 11 Verg 7/13) zu erstellenden Prognose zu dem Ergebnis gelangt, dass auftragsbezogene Fragen Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens sein werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.01.2011, Verg 60/10; OLG Celle, Beschluss vom 09.02.2011, 13 Verg 17/10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.06.2010, 15 Verg 4/10; OLG München, Beschluss vom 11.06.2008, Verg 6/08, und vom 28.02.2011, Verg 23/10; OLG Dresden, Beschluss vom 14.11.2012 - Verg 8/11). Andererseits ist das Vergaberecht eine komplexe Rechtsmaterie mit Vorschriften aus sowohl nationalem Recht als auch dem Europarecht, die nicht immer im Gleichklang stehen. Soweit der Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens daher hauptsächlich rechtliche Probleme des GWB umfasst, ist im Einzelfall die anwaltliche Vertretung des Antragsgegners durchaus angemessen.

Hier verfügt der Antragsgegner zwar über zahlreiche Juristen, von denen aber keiner vergaberechtlich bewandert ist. Der Antragsgegner ist als oberste Landesbehörde nur selten öffentlicher Auftraggeber. Die Vergabekammer hat aufgrund der fehlenden Routine einer obersten Landesbehörde in einem anderen Verfahren die anwaltliche Vertretung nahegelegt (Beschluss vom 07.02.2014, VgK-51/2013). Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war daher für die Antragsgegnerin insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit in diesem Einzelfall als notwendig anzuerkennen (vgl. VgK Niedersachsen, Beschluss vom 31.01.2012, VgK-58/2011; Beschluss vom 18.09.2012 VgK 36/2012).

Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens

xxxxxx

auf folgendes Konto zu überweisen:

xxxxxx

IV. Rechtsbehelf

...

Gaus
Sandmann
Tacke