Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.06.2007, Az.: 7 Sa 730/06
Folgen einer Durchführung der Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung abteilungsbezogen und nicht betriebsbezogen; Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung bei einer fehlerhaft durchgeführten Sozialauswahl; Durchführung einer abteilungsbezogenen und nicht betriebsbezogenen Sozialauswahl i.R. eines Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 07.06.2007
- Aktenzeichen
- 7 Sa 730/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 47849
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2007:0607.7SA730.06.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 125 Abs. 1 S. 2 InsO
- § 270 Abs. 1 InsO
- § 1 Abs. 3 KSchG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Hat die Beklagte die Sozialauswahl nicht betriebsbezogen, sondern ab-teilungsbezogen durchgeführt, stellt dies einen groben Fehler im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO dar.
- 2.
Wurde der Abschluss des Interessenausgleichs zeitlich nach der Veröffentlichung der Entscheidung des BAG vom 28.1.02004, 8 AZR 391/03 abgeschlossen, durfte die Beklagte deshalb nicht darauf vertrauen, dass sie im Rahmen des Insolvenzverfahrens unbeanstandet eine abteilungs- und nicht betriebsbezogene Sozialauswahl durchführen durfte.
- 3.
Die grob fehlerhaft durchgeführte Sozialauswahl führt jedoch nicht automatisch zur Unwirksamkeit der im Streit stehenden Kündigung. Kann objektiv festgestellt werden, dass die Sozialauswahl trotz des fehlerhaften Vorgehens des Arbeitgebers im Ergebnis zutreffend ist, ist die ausgesprochene Kündigung sozial gerechtfertigt. Dabei kann sich die Beklagte allerdings nicht auf die Privilegierung des § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO berufen.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2007
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leibold,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Rinke,
den ehrenamtlichen Richter Herrn de Buhr
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 31.03.2006, 1 Ca 556/05, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung.
Der am 0.0.1957 geborene, verheiratete und 3 Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 02.01.1985 bei der Beklagten als Terminsachbearbeiter in der Abteilung Planung und Technik (Logistik) beschäftigt und bezog zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 2.947,00 EUR nach der Gehaltsgruppe 4 des Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrages in der niedersächsischen Metallindustrie. Seine Tätigkeit beinhaltet die terminliche Steuerung der Produktion, das Ummelden von gefährdeten Aufträgen, das Ablegen von Aufträgen, das Anfordern von Nachaufträgen, die Systempflege und weitere administrative sowie andere Abteilungen unterstützende Aufgaben.
Die Beklagte stellt Leiterplatten für die Automobil- und die Telekommunikationsbranche sowie für die Industrieelektronik her. Sie unterhält Betriebe in A-Stadt mit zuletzt 589 Mitarbeitern sowie in D. Über das Vermögen der Beklagten wurde durch Beschluss vom 01.09.2005 (Bl. 10 d.A.) das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet, zum Sachwalter wurde Rechtsanwalt G. bestellt.
Die Beklagte vereinbarte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 01.09.2005 mit Zustimmung des Sachwalters einen Interessenausgleich und Sozialplan mit Namensliste, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 28 - 35 d.A.). Hiernach soll die Belegschaft in A-Stadt um 240 Mitarbeiter reduziert werden. In der mit dem Interessenausgleich durch Ringlochung verbundenen Namensliste befindet sich auch der Name des Klägers (Bl. 32 d.A.). Der Sozialplan sieht eine Abfindung des Klägers in Höhe von 8.392,00 EUR vor.
Die dem Interessenausgleich beigefügte Namensliste basiert auf einer von den Betriebsparteien vorgenommenen Beschränkung der sozialen Auswahl auf die jeweilige Abteilung des betroffenen Mitarbeiters, in der dieser seinen Stammarbeitsplatz hatte. Es wurden die Mitarbeiter mit gleichem Qualifikationsniveau und gleicher Tätigkeit miteinander verglichen. Im Falle des Klägers wurde für vergleichbar angesehen der Mitarbeiter L., geboren am 0.0.1958, betriebszugehörig seit dem 15.01.1987, verheiratet, zwei Kinder.
Der Gläubigerausschuss stimmte am 05.09.2005 dem Insolvenzplanverfahren, dem Interessenausgleich und dem Sozialplan zu.
Die Tarifvertragsparteien schlossen ferner einen Sanierungstarifvertrag ab, der unter anderem einen mehrjährigen Verzicht auf die tariflichen Sonderzahlungen und Entgeltkürzungen als Sanierungsbeiträge der Beschäftigten vorsieht.
Die Beklagte zeigte mit Schreiben vom 06.09.2005 gegenüber der Bundesagentur für Arbeit die geplante Entlassung von 203 Mitarbeitern in der Zeit vom 26.09.2005 bis zum 30.09.2005 an. Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte den Eingang einer rechtswirksamen Anzeige nach § 17 KSchG unter dem 21.09.2005 (Bl. 39 d.A.).
Mit Schreiben vom 20.09.2005 (Bl. 36, 37 d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung unter dem 22.09.2005 (Bl. 38 d.A.) zu.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit einem dem Kläger am 27.09.2005 zugegangenen Schreiben vom 26.09.2005 zum 31.12.2005 (Bl. 9 d.A.). Der Kläger wurde wie auch die anderen entlassenen Arbeitnehmer mit sofortiger Wirkung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.
71 von einer Kündigung betroffene Mitarbeiter wechselten in die im Sozialplan genannte Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. 46 Mitarbeiter erhoben Kündigungsschutzklagen, die zwischenzeitlich überwiegend erledigt sind.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Zudem sei die Kündigung wegen grob fehlerhafter Sozialauswahl rechtsunwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 26.09.2005, zugegangen am 27.09.2005, zum 31.12.2005 beendet ist, sondern darüber hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 05.04.2006 zugestelltes Urteil vom 31.03.2006, auf dessen Inhalt zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 80 - 92 d.A.), festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26.09.2005 nicht mit Ablauf des 31.12.2005 geendet hat.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt, da die Beklagte ihrer Auskunftspflicht nach § 1 Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sei. Diese Auskunftspflicht gelte uneingeschränkt auch im Rahmen des § 125 InsO. Der Kläger habe seiner Darlegungslast genügt und die Auskunftsverpflichtung der Beklagten ausgelöst, indem er sich unter anderem auf eine Vergleichbarkeit mit dem Mitarbeiter B. berufen und ausgeführt habe, die zuvor von ihm erledigte Terminssachbearbeitung erledige nunmehr dieser Mitarbeiter, das Aufgaben- und Tätigkeitsfeld sei nahezu unverändert. Die Beklagte hätte deshalb die Sozialdaten dieses Mitarbeiters mitteilen oder nachvollziehbar darlegen müssen, aus welchen Gründen der Kläger als Terminsachbearbeiter in der Logistik mit einem Logistiksachbearbeiter nicht vergleichbar ist. Soweit die Beklagte geltend mache, die soziale Auswahl aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis auf die Abteilung des jeweils betroffenen Mitarbeiters beschränkt zu haben, halte dies auch unter Berücksichtigung des bestehenden Insolvenzfalles und des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes der groben Fehlerhaftigkeit einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte habe auch nicht dargelegt, inwieweit eine konventionelle soziale Auswahl welcher angestrebten neuen Personalstruktur widersprechen würde.
Hiergegen richtet sich die am 02.05.2006 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.07.2006 am 19.06.2006 begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe die gesetzliche Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht widerlegt. Im Bereich des früheren Arbeitsplatzes des Klägers seien keine überobligatorischen Überstunden geleistet worden. Zudem setze die Beklagte im Angestelltenbereich generell keine Leiharbeitnehmer ein, eine Ausnahme habe es in der Vergangenheit nur im Chefsekretariat gegeben.
Die von der Beklagten vorgenommene Beschränkung der Sozialauswahl auf die derzeitige Stammabteilung des Klägers indiziere nicht die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Es könne jedenfalls nicht als grob fehlerhaft gewertet werden, wenn die soziale Auswahl auf Tätigkeiten beschränkt werde, die sowohl nach den Fähigkeiten und der Einarbeitung des Arbeitnehmers als auch nach der betrieblichen Organisation nahezu übergangslos von diesem wahrgenommen werden könnten.
Die Terminsachbearbeitung werde nunmehr nicht von den Mitarbeitern L., B. und B. durchgeführt. Der Kläger sei auch nicht mit einem Logistiksachbearbeiter vergleichbar. Diesem obliege die Auftragseinplanung, die Bearbeitung der Lohnarbeiten, die Materialdisposition, die Materialbestellung und die Kommunikation mit Lieferanten sowie Korrekturen und Änderungen im System. Die Logistiksachbearbeiter seien auf der Eingabeebene tätig und müssten auch über Programmkenntnisse verfügen, um bei Bedarf Programmänderungen vornehmen zu können. Die Umschulung von einem Terminsachbearbeiter in einen Logistiksachbearbeiter würde ca. 1 Jahr dauern.
Der Kläger sei deshalb nicht mit dem Mitarbeiter B. vergleichbar, der am 0.0.1964 geboren, seit dem 12.02.1990 bei der Beklagten beschäftigt, verheiratet und einem Kind unterhaltsverpflichtet sei. Der Mitarbeiter B. sei zudem Systemadministrator der Abteilung und schon aus diesem Grunde nicht gegen den Kläger austauschbar.
Wegen der Sozialdaten der übrigen von der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter in der Entgeltgruppe 4 wird Bezug genommen auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 14.03.2007 (Bl. 161, 162 d.A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beklagten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16.06.2006, 14.03.2007 und vom 30.05.2007.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 31.03.2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 18.07.2006, 17.04.2007 und 30.05.2007 nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.
II.
Sie ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.09.2005 nicht zum 31.12.2005 beendet worden ist.
1.
Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die in Streit stehende Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG bedingt ist. Hierfür spricht die Vermutung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die von dem Kläger nicht widerlegt worden ist. Der Kläger hat nämlich nicht hinreichend konkrete Tatsachen vorgetragen, die den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel ziehen, sondern ausschließen (BAG vom 22.01.2004, 2 AZR 111/02, AP Nr. 1 zu § 112 BetrVG 1972 Namensliste).
2.
Die Kündigung ist gleichwohl unwirksam, weil die Beklagte bei der Auswahl des Klägers soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat, § 1 Abs. 3 KSchG. Unter Zugrundelegung des Prüfungsmaßstabs nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO war die von der Beklagten durchgeführte soziale Auswahl grob fehlerhaft (2.1). Zu Gunsten der Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der grobe Auswahlfehler sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt hat (2.2).
2.1.
Aufgrund der namentlichen Benennung des Klägers in der Namensliste des Interessenausgleichs vom 01.09.2005 kann die soziale Auswahl gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Durch die gesetzliche Regelung reduziert sich der Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer im Insolvenzverfahren erklärten betriebsbedingten Kündigung. § 125 InsO findet dabei auch Anwendung, wenn nicht der Insolvenzverwalter die Kündigung ausgesprochen hat, sondern die Insolvenzschuldnerin, die wie vorliegend unter Aufsicht des Sachwalters gemäß § 270 Abs. 1 InsO berechtigt ist, die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Denn gemäß § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO gelten auch für das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung die allgemeinen Vorschriften und somit auch § 125 InsO.
Wegen des gerade im Insolvenzfall bestehenden Bedürfnisses nach einer zügigen Durchführung einer Betriebsänderung und/oder eines größeren Personalabbaus, um eine erfolgreiche Sanierung zu fördern, erstreckt sich die Beschränkung der Prüfung auf grobe Fehlerhaftigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung. Vielmehr ist auch die Festlegung des Kreises der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer Teil der sozialen Auswahl im Sinne des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, deren Bestimmung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann (BAG vom 17.11.2005, 6 AZR 107/05, AP Nr. 19 zu § 113 InsO).
Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter, ins Auge springender Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Dabei liegt eine grobe Fehlerhaftigkeit auch dann vor, wenn bei der Bestimmung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer die Austauschbarkeit offensichtlich verkannt worden ist (BAG vom 17.11.2005, a.a.O., Rz. 30).
Die Beklagte hat vorliegend die Sozialauswahl nicht betriebsbezogen, sondern abteilungsbezogen durchgeführt. Dies stellt einen groben Fehler im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dar.
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.10.2004 (8 AZR 391/03, AP Nr. 69 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl) ist vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine auf den gesamten Betrieb bezogene Sozialauswahl durchzuführen. Dies gilt auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, da das Kündigungsschutzgesetz während der Insolvenz Anwendung findet. Nach der Konzeption des § 1 Abs. 3 KSchG ist die Sozialauswahl betriebsbezogen durchzuführen. Regelmäßig sind deshalb alle vergleichbaren Arbeitnehmer in die Auswahlentscheidung einzubeziehen, die in demselben Betrieb wie der unmittelbar kündigungsbedrohte Arbeitnehmer beschäftigt sind (BAG vom 02.06.2005, 2 AZR 158/04, AP Nr. 73 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl).
In seinem Urteil vom 17.11.2005 (6 AZR 107/05, a.a.O.) hat es das Bundesarbeitsgericht offen noch gelassen, ob für einen Interessenausgleich mit Namensliste an der Beschränkbarkeit des auswahlrelevanten Personenkreises auf unmittelbare Substituierbarkeit der Arbeitnehmer in verschiedenen Geschäftsbereichen festzuhalten ist, wenn der Interessenausgleich erst nach der Veröffentlichung des Urteils des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 28.10.2004 vereinbart wurde. Das Bundesarbeitsgericht sah dabei das Vertrauen des Arbeitgebers in die Möglichkeit der Beschränkung der sozialen Auswahl bei einer Namensliste insoweit als schützenswert an, dass die soziale Auswahl nicht als grob fehlerhaft im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO angesehen werden kann.
Auf diesen Vertrauensschutz kann sich die Beklagte vorliegend nicht mehr berufen. Denn die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.10.2004 wurde spätestens in dem ersten Quartal 2005 veröffentlicht (vgl. u.a. NZA vom 11.03.2005, NZA 2005, 285 [BAG 28.10.2004 - 8 AZR 391/03]). Bei Abschluss des Interessenausgleichs am 01.09.2005 durfte die Beklagte deshalb nicht mehr davon ausgehen, dass sie im Rahmen des Insolvenzverfahrens unbeanstandet eine abteilungs- und nicht betriebsbezogene Sozialauswahl durchführen durfte.
Die generelle Beschränkung der sozialen Auswahl in der dem Interessenausgleich beigefügten Namensliste auf die jeweilige Stammabteilung, in der die Beschäftigten der Beklagten gearbeitet haben, ist grob fehlerhaft. Die Beklagte hat bei der Festlegung des Kreises vergleichbarer Arbeitnehmer offensichtlich verkannt, dass es bei dieser Frage nicht allein darauf ankommt, in welcher Abteilung ein Arbeitnehmer gearbeitet hat. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen von einer Vergleichbarkeit ausgegangen werden kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit grundsätzlich nicht entgegen (BAG vom 02.06.2005, 2 AZR 480/04, AP Nr. 75 zu § Kündigungsschutzgesetz 1969 Soziale Auswahl).
Die Fehlerhaftigkeit ist auch evident. Seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.10.2004 musste die Beklagte wissen, dass auch im Insolvenzverfahren eine betriebsbezogene Sozialauswahl durchzuführen ist. Wenn in dem Interessenausgleich gleichwohl lediglich innerhalb der jeweiligen Stammabteilung der Mitarbeiter der Beklagten eine Sozialauswahl durchgeführt wurde, musste davon ausgegangen werden, dass der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Die durchgeführte Sozialauswahl ist deshalb grob fehlerhaft.
Rechtsfolge der grob fehlerhaften Sozialauswahl ist, dass sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf die Namensliste des Interessenausgleichs vom 01.09.2005 berufen kann.
2.2.
Die grob fehlerhaft durchgeführte Sozialauswahl führt jedoch nicht automatisch zur Unwirksamkeit der im Streit stehenden Kündigung. Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 09.11.2006, 2 AZR 812/05, AP Nr. 87 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl) ist in den Fällen, in denen der Arbeitgeber die Sozialauswahl anhand eines zulässigen Punkteschemas vornimmt, dem Arbeitgeber der Einwand gestattet, ein Auswahlfehler habe sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt. Entscheidend ist danach, ob bezogen auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs dem klagenden Arbeitnehmer auch bei zutreffender Anwendung des Punktesystems zu kündigen gewesen wäre.
Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung der erkennenden Kammer sinngemäß auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Denn die Frage der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung ist allein anhand der objektiven Tatsachen zu bewerten, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vorliegen. Kann objektiv festgestellt werden, dass die Sozialauswahl trotz des fehlerhaften Vorgehens des Arbeitgebers im Ergebnis zutreffend ist, ist die ausgesprochene Kündigung sozial gerechtfertigt.
Bei dieser Prüfung kann sich die Beklagte vorliegend allerdings nicht auf die Privilegierung des § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO berufen. Denn die mit dem Interessenausgleich vereinbarte Namensliste ist, wie ausgeführt, grob fehlerhaft. Welchen Inhalt die Namensliste gehabt hätte, wenn die Betriebsparteien bei Abschluss des Interessenausgleiches nicht abteilungsbezogen, sondern betriebsbezogen die Sozialauswahl durchgeführt hätten, lässt sich im Nachhinein nicht objektiv feststellen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass zum einen von der Beklagten und dem Betriebsrat vorliegend eine Punktetabelle gerade nicht aufgestellt wurde, anhand derer die zu kündigenden Arbeitnehmer feststellbar sind. Zum anderen steht den Betriebsparteien bei der Aufstellung der Namensliste ein Wertungsspielraum zu. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, an Stelle der Betriebsparteien hypothetisch diese Wertung vorzunehmen.
Daraus folgt, dass die Sozialauswahl im vorliegenden Fall anhand der allgemeinen Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG zu messen ist. Maßgeblich ist somit, ob der Arbeitgeber bei der Auswahl des Klägers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine eventuell bestehende Schwerbehinderung ausreichend berücksichtigt hat. Dem Arbeitgeber kommt bei der Gewichtung dieser Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss nur vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können (BAG vom 05.12.2002, 2 AZR 549/01, AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; zuletzt BAG vom 31.05.2007, 2 AZR 276/06).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Unstreitig ist der Kläger mit dem Arbeitnehmer L. vergleichbar. Die ausgesprochene Kündigung trifft den Kläger deutlich härter als diesen Arbeitnehmer. Alle erheblichen gesetzlichen Kriterien sprechen vorliegend zu Gunsten des Klägers. So ist der Kläger 1,5 Jahre älter als der Arbeitnehmer L. Er weist ferner eine um 2 Jahre längere Betriebszugehörigkeit aus. Zudem ist der Kläger gegenüber einer Ehefrau und 3 minderjährigen Kindern unterhaltsverpflichtet, während der Arbeitnehmer L. insgesamt nur 3 Unterhaltspflichten hat. Zwar sind die Unterschiede der einzelnen sozialen Kriterien jeweils für sich genommen nicht gravierend. Die deutlichere Schutzwürdigkeit des Klägers sieht die Kammer vorliegend jedoch in der Gesamtschau darin, dass der Kläger noch 3 minderjährige Kinder im Gegensatz zu 2 Kindern des Arbeitnehmers L. zu versorgen hat und sowohl bei dem Auswahlkriterium Lebensalter als auch bei der Betriebszugehörigkeit, wenn auch nur geringfügig, schutzwürdiger ist als der Arbeitnehmer L. Insgesamt kann deshalb nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Beklagte die genannten sozialen Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt hat.
Die Berufung der Beklagten war mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.