Arbeitsgericht Göttingen
Urt. v. 31.03.2006, Az.: 1 Ca 556/05

Bibliographie

Gericht
ArbG Göttingen
Datum
31.03.2006
Aktenzeichen
1 Ca 556/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 45410
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGGOE:2006:0331.1CA556.05.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LAG Niedersachsen - 07.06.2007 - AZ: 7 Sa 730/06

In dem Rechtsstreit

...

hat die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Göttingen auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2006 durch

...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26.09.2005 nicht mit Ablauf des 31.12.2005 geendet hat.

  2. 2.

    Der Streitwert wird auf 8 841,00 Euro festgesetzt.

  3. 3.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  4. 4.

    Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die die Beklagte auf betriebsbedingte Gründe stützt und aufgrund eines mit dem Betriebsrat geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste erklärt hat.

2

Der am 02.05.1957 geborene, verheiratete und drei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 02.01.1985 bei der Beklagten als Terminsachbearbeiter in der Logistik tätig. Sein monatliches Bruttogehalt beträgt 2 947,00 Euro. Der Kläger ist in Gehaltsgruppe 4 des Lohn- und Gehaltsrahmentarifvertrages in der Niedersächsischen Metallindustrie eingruppiert.

3

Die Beklagte stellt Leiterplatten für die Automobil- und die Telekommunikationsbranche sowie für die Industrieelektronik her. Die Beklagte unterhält Betriebe in Gittelde und Dresden. Am 07.07.2005 stellt die Beklagte einen Insolvenzantrag mit Antrag auf Eigenverwaltung und reichte einen Insolvenzplan ein, der die Anpassung der Personalkapazität zur Bestandssicherung der Beklagten vorsah. Mit Beschluss vom 01.09.2005 eröffnete das Amtsgericht Osterode am Harz - Insolvenzgericht - das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten, ordnete die Eigenverwaltung an und bestellte Rechtsanwalt ... zum Sachwalter (8 IN 67/05). Am selben Tage schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat mit Zustimmung des Sachwalters einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan ab. Der Interessenausgleich sieht in Ziffer 2 die schnellstmögliche Reduzierung der Belegschaft um 240 Mitarbeiter vor, wobei unter Berücksichtigung von sonstigen Fluktuationen maximal 203 Mitarbeiter verbleiben sollen, die von unmittelbaren personellen Maßnahmen betroffen sind. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte die Beklagte in ihrem Werk in Gittelde ohne Berücksichtigung der Auszubildenden 589 Mitarbeiter. In der dem Interessenausgleich als Anlage beigefügten und mit diesem durch Ringlochung verbundenen Namensliste findet sich unter der Kostenstelle 114 der Name des Klägers. Wegen des weiteren Inhalts des Interessenausgleichs mit Namensliste und des Sozialplans vom 01.09.2005 wird auf die zur Akte gereichten Kopien dieser Schriftstücke Bezug genommen (Bl. 28 bis 35 d.A.). Am 05.09.2005 stimmte der Gläubigerausschuss dem Insolvenzplanverfahren, dem Interessenausgleich und dem Sozialplan zu.

4

Die dem Interessenausgleich beigefügte Namensliste basiert auf einer von den Betriebsparteien vorgenommenen Beschränkung der sozialen Auswahl auf die jeweilige Abteilung des betroffenen Mitarbeiters, in der dieser seinen Stammarbeitsplatz hatte, wobei die Betriebsparteien diejenigen Mitarbeiter mit gleichem Qualifikationsniveau und gleicher Tätigkeit in die Vergleichsbetrachtung einbezogen.

5

Im Falle des Klägers führte sie einen Vergleich mit dem in der Abteilung verbleibenden Terminsachbearbeiter durch, der ebenso wie der Kläger in Gehaltsgruppe 4 eingruppiert ist. Es handelt sich hierbei um den Mitarbeiter L. (geb. am 05.10.1958, betriebszugehörig seit dem 15.01.1987, verheiratet, zwei Kinder).

6

Am 06.09.2005 zeigte die Beklagte gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Göttingen, die geplante Entlassung von 203 Mitarbeitern in der Zeit vom 26.09. bis zum 30.09.2005 an. Unter dem 21.09.2005 bestätigte die Agentur den Eingang einer rechtswirksamen Anzeige nach § 17 KSchG (Bl. 39 d.A.). Mit Schreiben vom 20.09.2005 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers an (Bl. 36, 37 d.A.). Am 22.09.2005 stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung des Klägers zu.

7

Mit Schreiben vom 26.09.2005 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis unter Berufung auf § 113 InsO zum 31.12.2005 (Bl. 9 d.A.). Das Kündigungsschreiben trägt neben den Unterschriften des Geschäftsführers der Beklagten und des Personalleiters die Unterschrift des Sachwalters ....

8

71 der von einer Kündigung betroffenen Mitarbeiter sind zum 01.10.2005 bzw. 01.12.2005 in die im Sozialplan genannte Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft gewechselt. 46 Mitarbeiter haben gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben.

9

Die Beklagte stellte alle gekündigten Mitarbeiter ab sofort von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei. Jedenfalls bis zum 31.12.2005 leisteten die im Bereich der Produktion verbleibenden Mitarbeiter Überstunden sowie Wochenendarbeit. Jedenfalls nachdem am 15.01.2005 eine HAL-Anlage der Beklagten bei einem Brand zerstört worden war, beschäftigte die Beklagte 17 Leiharbeitnehmer.

10

Der Kläger vertritt die Auffassung, die Kündigung sei u.a. wegen einer grob fehlerhaften Sozialauswahl rechtsunwirksam. Die Sozialauswahl sei betriebs- und nicht abteilungsbezogen durchzuführen. Die Beklagte hätte jedenfalls die Mitarbeiter W. und B. in die Sozialauswahl einbeziehen müssen, weil er mit diesen Mitarbeitern vergleichbar sei. Der Kläger behauptet, die Mitarbeiter W. und B. erledigten nunmehr zusammen mit dem Mitarbeiter L. die Terminsachbearbeitung. Das Aufgaben- und Tätigkeitsfeld sei nahezu unverändert. Der Kläger meint, er sei zudem mit dem Mitarbeiter R. vergleichbar, der etwa 35 Jahre alt, seit weniger als 15 Jahren betriebszugehörig und geschieden sei. Es sei auch nicht erkennbar, welche Personalstruktur die Beklagte durch die Sozialauswahl schaffen oder erhalten wolle.

11

Der Kläger bestreitet die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats.

12

Der Kläger beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristgemäße Kündigung vom 26.09.2005, zugegangen am 27.09.2005, zum 31.12.2005 beendet ist, sondern darüber hinaus fortbesteht.

13

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Kläger sei als Terminsachbearbeiter mit den Logistiksachbearbeitern B. und W. nicht vergleichbar. Die fehlende Vergleichbarkeit mit dem Mitarbeiter W. ergebe sich zudem aus dessen deutlich niedrigerer Eingruppierung in die Gehaltsgruppe 2.

15

Die Beklagte ist zudem der Ansicht, ihr Konzept, die Sozialauswahl auf die jeweilige Abteilung des betroffenen Mitarbeiters zu beschränken, sei nicht als grob fehlerhaft anzusehen, weil nur dieses trotz des erfolgten Personalabbaus eine zügige Weiterarbeit ohne zusätzliche weitere ganz erhebliche Kosten durch andernfalls anfallende und notwendige zahllose Umsetzungen, zeitintensive Abstimmungen, längere Anlernzeiten, den entsprechenden Verwaltungsaufwand sowie die Verringerung der Produktionen ermöglicht habe. Bei einer erheblich reduzierten Belegschaft sei es im Übrigen aus organisatorischen Gründen sinnvoll, die verbleibende Arbeit auf die Mitarbeiter zu verteilen, die diese auch bisher verrichtet haben. Nur so habe die Leistungsfähigkeit so schnell wie möglich wieder erreicht werden können. Eine Gruppenbildung sei im Übrigen kaum möglich gewesen, weil vor allem in der Produktion viele Mitarbeiter bereits irgendwann in der Vergangenheit auf einigen anderen Arbeitsplätzen tätig waren. Insgesamt habe das Konzept der Schaffung und Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur im Sinne der Beibehaltung der Leistungsfähigkeit durch Kosten- und Zeitersparnis gedient.

16

Wegen des weiteren Sachvortrages der Parteien, ihrer Rechtsauffassungen im Übrigen, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

17

I.

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 26.09.2005 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2005 beendet, weil sie rechtsunwirksam ist.

18

1.

Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt gemäß § 1 KSchG in Verbindung mit § 125 Abs. 1 InsO, § 111 BetrVG.

19

a)

Aufgrund der namentlichen Benennung des Klägers in der Namensliste des Interessenausgleichs vom 01.09.2005 wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Die Beklagte hat mit dem Betriebsrat einen wirksamen Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung geschlossen, in dem die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, namentlich benannt sind. Der geplante Personalabbau um 203 Mitarbeiter von ursprünglich 589 Mitarbeitern in der Zeit vom 26.09. bis zum 30.09.2005 stellt eine Betriebsänderung gemäß § 111 Nr. 1 BetrVG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Nr. 3 KSchG dar. Die dem Interessenausgleich als Anlage beigefügte Namensliste ist mit diesem durch eine Ringlochung verbunden, wie eine in Inaugenscheinnahme im Kammertermin am 16.03.2006 ergeben hat. Es kann dahinstehen, ob es dem Kläger gelungen ist, die gesetzliche Vermutungswirkung aus § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zu widerlegen, indem er vorgetragen hat, die bei der Beklagten verbliebenen Mitarbeiter leisteten Überstunden in erheblichem Umfang, die Beklagte habe darüber hinaus Wochenendarbeit angeordnet und zum Teil Leiharbeitnehmer beschäftigt.

20

Die Kündigung ist aus anderen Gründen sozial nicht gerechtfertigt.

21

b)

Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 KSchG nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Die gesetzliche Regelung reduziert den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer nach dieser Vorschrift erklärten betriebsbedingten Kündigung. Mit der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf "grobe Fehler" wird zugleich der Prüfungsmaßstab gesenkt. Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der sozialen Auswahl wird zugunsten einer vom Insolvenzverwalter (bzw. bei Eigenverwaltung von der Arbeitgeberin mit Zustimmung des Sachwalters) und Betriebsrat vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert. Dabei bezieht sich der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr wird die gesamte Sozialauswahl, also insbesondere auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf ihre groben Fehler überprüft ( BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - NZA 2004, 432 [BAG 28.08.2003 - 2 AZR 368/02] - 435; LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.04.2002 - 3 Sa 1638/01 - NZA - RR 2002, 517 - 519). Dies gilt auch für die Herausnahme von Arbeitnehmern aus einer Vergleichsgruppe jedenfalls insoweit, als dies gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbsatz InsO dem Erhalt oder der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur dient ( BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - aaO.; Urteil vom 23.11.2000 - EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 46; KR-Weigand, 7.A., § 125 InsO Randnr. 22).

22

Grob fehlerhaft im Sinne des § 125 InsO ist eine soziale Auswahl, wenn ein evidenter Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt ( BAG, Urteil vom 21.07.2005 - 6 AZR 592/04 - NZA 2006, 162 [BAG 21.07.2005 - 6 AZR 592/04] - 167; Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - aaO.; Urteil vom 21.01.1999 - 2 AZR 624/98 - AP KSchG 1969, § 1 Namensliste Nr. 3 - zu § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG a.F.). Dies ist der Fall, wenn einzelne der 3 Sozialdaten überhaupt nicht, eindeutig unzureichend oder mit eindeutig überhöhter Bedeutung berücksichtigt wurden (KR-Weigand, § 125 InsO Rnr. 22).

23

Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegt die Darlegungs- und objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, zunächst dem Arbeitnehmer. Dabei ist aber von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen. Es ist danach zunächst Sache des Arbeitnehmers, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, sofern er über die hierzu erforderlichen Informationen verfügt. Soweit der Arbeitnehmer hierzu nicht in der Lage ist und er deswegen den Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat der Arbeitgeber als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG auch im Prozess substantiiert vorzutragen. Diese Vortragslast ist jedoch auf die subjektiven, vom Arbeitgeber tatsächlich angestellten Überlegungen beschränkt. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer. Gibt der Arbeitgeber keine oder keine vollständige Auskunft, so kann der Arbeitnehmer bei fehlender eigener Kenntnis seiner aus § 1 Abs. 3 KSchG in Verbindung mit § 138 Abs. 1 ZPO herzuleitenden Substantiierungspflicht, die Namen sozial stärkerer Arbeitnehmer zu nennen, nicht genügen. In diesen Fällen ist der der fehlenden Kenntnis des Arbeitnehmers entsprechende Vortrag, es seien sozial stärkere Arbeitnehmer als er vorhanden, schlüssig und ausreichend. Gleiches gilt, wenn dem Vortrag des Arbeitgebers zu entnehmen ist, dass er Arbeitgeber die Sozialauswahl nicht auf alle vergleichbaren Arbeitnehmer erstreckt hat und er es unterlässt, im Laufe des Rechtsstreits so zu den Sozialdaten dieser Arbeitnehmer vorzutragen, dass die objektive Richtigkeit der Auswahlentscheidung überprüft werden kann. Auch dann gilt der Vortrag des Arbeitnehmers, der Arbeitgeber habe soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt, als unstreitig (st. Rspr. des BAG zur Darlegungs- und Beweislast bei der Sozialauswahl , z.B. Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 - NZA 2003, 849 [BAG 05.12.2002 - 2 AZR 697/01] - 854).

24

An dieser Auskunftspflicht des Arbeitgebers ändert auch die Regelung in § 125 InsO nichts, d.h. sie gilt auch dann, wenn ein Interessenausgleich mit einer Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer vorliegt (vgl. BAG, Urteil vom 10.02.1999 - 2 AZR 715/98 - nv, über juris - zu § 1 Abs. 5 KSchG; KR - Weigand, § 125 InsO Rnr. 23). Der Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers umfasst auch die Gründe für die berechtigten betrieblichen Interessen, die den Insolvenzverwalter (hier: die Beklagte in Eigenverwaltung, gegebenenfalls mit Zustimmung des Sachwalters) zur Ausklammerung von solchen im übrigen vergleichbaren Arbeitnehmern aus der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG veranlassten, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Wird dieses Verlangen nicht erfüllt, kann von der Sozialwidrigkeit der Kündigung ausgegangen werden. Auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl kommt es dann nicht an. Erst nach Erfüllung der Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert an der Verteilung der Darlegungslast nichts ( BAG, Urteil vom 10.02.1999 - 2 AZR 715/98 - aaO.- zu § 1 Abs. 5 KSchG; Urteil vom 21.02.2002 - 2 AZR 581/00 - aaO.). Genügt allerdings der Insolvenzverwalter (hier: Arbeitgeber) seiner Darlegungslast, obliegt es dem Arbeitnehmer aufzuzeigen, dass eine grob fehlerhafte Auswahl vorlag ( BAG, Urteil vom 24.02.2000 - 8 AZR 180/99 - NZA 2000, 785 [BAG 24.02.2000 - 8 AZR 180/99] - 789).

25

Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ist grundsätzlich betriebsbezogen und nicht nur abteilungsbezogen durchzuführen, d.h. die Sozialauswahl bezieht sich auch auf solche Arbeitnehmer, die aufgrund des dringenden betrieblichen Erfordernisses nicht unmittelbar, sondern aufgrund der Sozialauswahl nur mittelbar betroffen sind. Es geht nicht um den Wegfall eines bestimmten Arbeitsplatzes, sondern einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit überhaupt (vgl. BAG, Urteil vom 05.05.1994 - 2 AZR 917/93 - NZA 1994, 1023 [BAG 05.05.1994 - 2 AZR 917/93]-1025). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen ( BAG, Urteil vom 23.11.2004 - 2 AZR 38/04 - NZA 2005, 1225-1226; Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 - NZA 2003, 849 [BAG 05.12.2002 - 2 AZR 697/01]- 854). An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann ( BAG, Urteil vom 23.11.2004 - 2 AZR 38/04 - aaO; Urteil vom 17.02.2000 - 2 AZR 142/99 - NZA 2000, 822 [BAG 17.02.2000 - 2 AZR 142/99]-825). Dabei kann die tarifliche Eingruppierung - vor allem bei ausgesprochenen Hilfstätigkeiten - für die Beurteilung der Vergleichbarkeit in engen Grenzen herangezogen werden (Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01 - aaO; Urteil vom 05.05.1994 - 2 AZR 917/93 -aaO). Entscheidend für die Vergleichbarkeit ist auch die Stellung des Arbeitnehmers in der Betriebshierarchie. Der auswahlrelevante Personenkreis umfasst nicht Arbeitnehmer, die auf verschiedenen Ebenen der Betriebshierarchie tätig sind (keine sog. vertikale Vergleichbarkeit, BAG, Urteil vom 04.02.1993 - 2 AZR 463/92 - n.v., über juris).

26

Das Gesetz stellt als Wirksamkeitsvoraussetzungen einer sozialgemäßen Kündigung darauf ab, dass die im Gesetz bezeichneten Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind. Es verlangt nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung die Durchführung eines Prüfungsverfahrens. Eine Kündigung kann demgemäss auch sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber keinerlei Auswahlüberlegungen angestellt, aber im Ergebnis den sozial stärksten Arbeitnehmer entlassen hat (Erfurter Kommentar/ Ascheid, 5. Aufl., 2005, § 1 KSchG Rn. 464).

27

Werden mehrere Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen zum selben Zeitpunkt gekündigt, ein vergleichbarer Arbeitnehmer aber nicht, der nach den Grundsätzen der sozialen Auswahl vor allen anderen hätte entlassen werden müssen, ist nicht nur die Kündigung eines der entlassenden Arbeitnehmer unwirksam. Sie können sich alle mit Erfolg auf den Auswahlfehler berufen ( BAG, Urteil vom 18.10.1984 - 2 AZR 543/83 - NZA 1985, 423-426).

28

c)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kündigung jedenfalls wegen Verstoßes gegen die Auskunftspflicht der Beklagten nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG sozialwidrig.

29

aa)

Soweit die Beklagte eine soziale Auswahl zwischen dem Kläger und dem in der Abteilung verbleibenden Mitarbeiter L. durchgeführt und deren Sozialdaten miteinander verglichen hat, ist sie jedenfalls nicht grob fehlerhaft. Die Sozialdaten des Mitarbeiters L. einerseits und des Klägers andererseits sind ähnlich. Der Umstand, dass der Kläger ein Jahr älter, zwei Jahre länger beschäftigt und einem Kind mehr gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, führt jedenfalls nicht zur groben Fehlerhaftigkeit. Die Sozialauswahl lässt jedenfalls nicht jede Ausgewogenheit vermissen.

30

bb)

Die Beklagte ist jedoch der ihr obliegenden Auskunftspflicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Die Auskunftspflicht des Arbeitgebers gilt uneingeschränkt auch im Rahmen des § 125 InsO, d.h. wenn ein Interessenausgleich mit einer Namensliste des zu kündigenden Mitarbeiters vorliegt. Die Beklagte hat entgegen ihrer Verpflichtung jedoch davon abgesehen, die sozialen Daten des Mitarbeiters B. mitzuteilen und darzulegen, aus welchen Gründen dieser als Logistiksachbearbeiter mit dem als Terminsachbearbeiter in der Logistik eingesetzten Kläger nicht vergleichbar ist. Der Kläger hat der zunächst ihm obliegenden Darlegungslast genügt und die Auskunftsverpflichtung der Beklagten ausgelöst, indem er sich u.a. auf eine Vergleichbarkeit mit dem Mitarbeiter B. berufen und ausgeführt hat, die zuvor von ihm erledigte Terminsachbearbeitung erledige nunmehr neben den Mitarbeitern L. und W. auch der Mitarbeiter B.. Das Aufgaben- und Tätigkeitsfeld sei nahezu unverändert. Die Beklagte hat sodann weder die Sozialdaten des Mitarbeiters B. mitgeteilt noch hat sie nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen der Kläger als Terminsachbearbeiter in der Logistik mit einem Logistiksachbearbeiter nicht vergleichbar ist. Sie hat sich auf die bloße Feststellung beschränkt, der Mitarbeiter B. sei nicht Terminsachbearbeiter, sondern Logistiksachbearbeiter. Die Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, der Mitarbeiter B. sei ebenso wie der Mitarbeiter W. deutlich niedriger eingruppiert als der Kläger. Die Beklagte hat ihren Vortrag bezüglich der behaupteten fehlenden Vergleichbarkeit des Klägers mit dem Mitarbeiter B. auch nicht weiter konkretisiert, als der Kläger in der Kammerverhandlung darauf hingewiesen hat, als Terminsachbearbeiter in der Logistik tätig gewesen zu sein. Die diesbezügliche Mitteilung des Klägers lässt mangels anderweitigen Vortrages der Beklagten den Schluss zu, dass der Kläger als Terminsachbearbeiter in der Logistik vergleichbare Tätigkeiten erledigt hat wie die Logistiksachbearbeiter. Soweit zwischen diesen Tätigkeiten Unterschiede bestehen, hat die Beklagte diese jedenfalls nicht dargelegt. Da die Beklagte ihrer Auskunftsverpflichtung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG nicht nachgekommen ist, kommt es auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl nicht mehr an (vgl. BAG, Urteil vom 10.02, 1999 - 2 AZR 715/98 - a.a.O.). Da die Beklagte die Sozialdaten des Mitarbeiters B. nicht mitgeteilt hat, war eine Überprüfung der Auswahl unter Berücksichtigung des Maßstabes der groben Fehlerhaftigkeit nicht möglich.

31

cc)

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe einen Vergleich mit den in anderen Abteilungen auf anderen Arbeitsplätzen tätigen Mitarbeitern nicht vornehmen müssen, weil dies ihrem Auswahlkonzept entgegengestanden habe. Soweit die Beklagte geltend macht, die soziale Auswahl aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis auf diejenige Abteilung des jeweils betroffenen Mitarbeiters beschränkt zu haben, hält dies auch unter Berücksichtigung des bestehenden Insolvenzfalls und des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes der groben Fehlerhaftigkeit einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand.

32

Das Interesse der Beklagten, eine zügige Weiterarbeit zu ermöglichen und gleichzeitig Kosten zu sparen, kann eine Beschränkung der grundsätzlich betriebsbezogenen Sozialauswahl auf die einzelne Abteilung nicht rechtfertigen. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargestellt und begründet, dass die nur abteilungsbezogen durchgeführte Sozialauswahl zur Schaffung oder Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur diente. Die Beklagte hat schon nicht vorgetragen, welche Personalstruktur sie mit Hilfe der Sozialauswahl erhalten oder schaffen will. Dabei ist das Gericht davon ausgegangen, dass der Begriff der Personalstruktur in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Halbsatz InsO nicht mit dem der Altersstruktur gleichzusetzen ist, sondern als weitere Aspekte einer Personalstruktur auch die Ausbildung und die Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und damit die Bildung entsprechender Qualifikationsgruppen und -bereiche in Betracht kommt (vgl. BAG, Urteil vom 28.08.2003 - 2 AZR 368/02 - aaO.).

33

Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hat die hiesige Beklagte gerade nicht begründet und dargelegt, inwieweit eine konventionelle soziale Auswahl welcher angestrebten neuen Struktur widersprechen würde. In dem genannten Fall hatte die dortige Beklagte Qualifikationsgruppen (Mitarbeiter mit einschlägiger und Mitarbeiter mit fehlender kaufmännischen Ausbildung) gebildet. Dem Vortrag der hiesigen Beklagten lässt sich ein z.B. nach Ausbildung oder Qualifikation entwickeltes Personalkonzept aber gerade nicht entnehmen. Es ist gerade nicht erkennbar, dass die Beschränkung der Sozialauswahl auf die Abteilung des betroffenen Mitarbeiters dazu dienen sollte, eine bestimmte ausgewogene Personalstruktur zu erhalten oder zu schaffen, um dadurch die Leistungsfähigkeit des Betriebes zu erhalten. Das Konzept der Beklagten scheint in erster Linie darin bestanden zu haben, besonders schnell und besonders kostengünstig eine Sozialauswahl durchzuführen. Ziel der Beklagten war offenbar nicht, die Leistungsfähigkeit des Betriebes durch die Erhaltung oder Schaffung einer bestimmten Personalstruktur, sondern durch Kosten- und Zeitersparnis zu erhalten.

34

Auch unter Berücksichtigung des schützenswerten Interesses der Beklagten an einer schnellen Weiterarbeit und unter Berücksichtigung des bestehenden Insolvenzfalls hat es sich die Beklagte letztlich zu einfach gemacht. Die Beschränkung der Sozialauswahl auf die Abteilung, um "andernfalls anfallende und notwendige zahllose Umsetzungen, zeitintensive Abstimmungen, längere Anlernzeiten, den entsprechenden Verwaltungsaufwand sowie die Verringerung der Produktion" zu vermeiden ist nach Auffassung des Gerichts kein hinzunehmendes unternehmerisches Konzept.

35

Auch die organisatorische Überlegung der Beklagten, die verbleibende Arbeit auf diejenigen Mitarbeiter zu verteilen, die diese auch bisher verrichtet haben, rechtfertigt die beschränkte Sozialauswahl nicht. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die Bildung von Gruppen kaum möglich gewesen sei, weil "vor allem in der Produktion viele Mitarbeiter bereits irgendwann in der Vergangenheit auf einigen anderen Arbeitsplätzen tätig waren". Der Umstand, dass viele der Mitarbeiter schon auf mehreren verschiedenen Arbeitsplätzen tätig waren, spricht vielmehr dafür, dass die Mitarbeiter der Beklagten ausreichend flexibel einsetzbar sind, um gegebenenfalls neue und erfolgreiche Teams bilden zu können. Das Interesse der Beklagten an einer zügigen und kostenvermeidenden Vorgehensweise kann eine Beschränkung der grundsätzlich betriebsbezogenen Sozialauswahl auf die einzelnen Abteilungen und damit eine Beschränkung des Prüfungsmaßstabes auf nur grobe Fehler nicht rechtfertigen.

36

2.

Da die Kündigung bereits wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG sozial ungerechtfertigt ist, kann dahinstehen, ob weitere Unwirksamkeitsgründe vorliegen.

37

II.

Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 42 Abs. 4 Satz 1 GKG. Das Gericht hat für den Feststellungsantrag drei Bruttomonatsgehälter des Klägers zugrundegelegt.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Die Kosten des Rechtsstreits waren vollumfänglich der unterlegenen Beklagten aufzuerlegen.

39

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, weil Gründe hierfür gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorlagen.