Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.12.2007, Az.: 17 Sa 770/07

Bestreiten; Nichtwissen; Schadensersatz

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
12.12.2007
Aktenzeichen
17 Sa 770/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71775
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG - 25.04.2007 - AZ: 1 Ca 511/06

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Bestreiten mit Nichtmehrwissen ist bei strafrechtlich relevanten Vermögensdelikten zu Lasten des Arbeitgebers unzulässig, soweit zumutbare Nachforschungen angestellt werden können.
a) Einzelfallentscheidung zur Schadensersatzanspruch aus § 823 (2) BGB i. V. m. §§ 246, 266 StGB.
b) Zu den Grenzen des Bestreitens mit Nichtwissen/Nichtmehrwissen.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 25.04.2007 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt nur noch um Zahlungsansprüche des Beklagten.

Die am 15.04.1978 geborene Klägerin war in der orthopädischen Fachpraxis des Beklagten bis zum 05.05.2006 als Arzthelferin beschäftigt.

Die Klägerin war in der Praxis des Beklagten unter anderem auch dafür zuständig, Barzahlungen von Patienten in Empfang zu nehmen. Die Klägerin hat in einigen Fällen das Bargeld in Empfang genommen, den Patienten darüber Quittungen darüber ausgestellt, den Quittungsdurchschlag jedoch anschließend vernichtet und den Betrag selbst eingesteckt. Unstreitig hat die Klägerin ab November 2005 in dieser Weise Gelder vereinnahmt. Die davor liegenden Zeiträume sowie der genaue Umfang der vereinnahmten Beträge sind zwischen den Parteien streitig. In einem Gespräch am 08.05.2006 hatte die Klägerin, nach dem ihr der Beklagte am 05.05.2006 fristlos gekündigt hatte, zunächst eingeräumt, dass sie sich erst ab Januar 2006 an den Barbeträgen der Patienten vergriffen habe. Die Klägerin zahlte an den Beklagten vorgerichtlich 1.300,-- €.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihr ein Zeugnis gemäß der von ihr vorgelegten Anlage K1 zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie auf Leistung und Verhalten im Arbeitsverhältnis erstreckt.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen;

er hat weiter

 widerklagend beantragt,

die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten 8.837,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2007 zu zahlen.

Er hat behauptet, die Klägerin habe insgesamt einen Betrag in Höhe von 10.137,35 € netto vereinnahmt. Der Beklagte hat insoweit auf eine von ihm vorgelegte Liste, auf der jeweils das Datum der Patientenzahlungen sowie der entsprechende Betrag aufgeführt ist (Bl. 42 – 43 d. A. sowie die Anlagen zum Schriftsatz vom 15.11.2006 Bl. 29 – 39 d. A.), verwiesen. Auf diesen Schadensbetrag hat er die von der Klägerin vorgerichtlich gezahlten 1.300,-- € angerechnet und den Restbetrag in Höhe von 8.837,35 € im Wege der Widerklage geltend gemacht. Er hat insoweit behauptet, die Klägerin sei für die Entgegennahme von Patientenzahlungen allein verantwortlich gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Sie hat eingeräumt, dass sie in der Zeit ab November 2005 Geldentnahmen getätigt hat. Für davor liegende Vorfälle sei sie nicht verantwortlich. Sie könne sich nicht daran erinnern, von welchen Patienten im einzelnen sie welche Gelder erhalten und für sich persönlich vereinnahmt habe. In der Praxis des Beklagten gingen am Tag mitunter an die 100 Patienten ein und aus. Eine konkrete Erinnerung sei daher für die Klägerin nicht möglich. Im übrigen habe es sich so verhalten, dass sie nicht allein für die Entgegennahme von Geld zuständig gewesen sei. Dies sei auch von anderen Personen vorgenommen worden. In einer Vielzahl von Fällen seien dem Beklagten selbst bei von ihm vorgenommenen Behandlungen Bargeldbeträge ausgehändigt worden. Die Klägerin sei in einer Reihe von derartigen Zahlungen angewiesen worden, zwar eine Quittung auszustellen, allerdings ansonsten keine weiteren Einträge im Kassenbuch vorzunehmen. Diese Vorgehensweise habe seit dem Jahr 2002, dem Zeitpunkt, seit dem der Beklagte Lasertherapien vorgenommen habe, bestanden. Auch die Entgegennahme von Geld und das Ausstellen der Quittung sei nicht immer durch denselben Mitarbeiter jeweils vorgenommen worden. In einer Vielzahl von Fällen habe die Klägerin Quittungen ausgestellt, ohne allerdings das Geld vom Patienten selbst entgegen genommen zu haben. Dies sei dann durch eine andere Mitarbeiterin der Praxis der Beklagten erfolgt und umgekehrt. Wann im einzelnen bei dem jeweiligen Patienten wie verfahren worden sei, könne die Klägerin beim besten Willen nun nicht mehr erinnern. Mit dem Patienten A. sei vereinbart worden, dass er lediglich 200,-- € habe zahlen sollen. Aus diesem Grund sei im Rechnungsbuch auch nur 200,-- € eingetragen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 25.04.2007 die Klage abgewiesen und auf die Widerklage hin die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 8.837,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23.01.2007 zu zahlen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 10.437,35 € festgesetzt. Zur Begründung hat es – soweit zweitinstanzlich noch von Interesse – ausgeführt, dem Beklagten stehe ein Zahlungsanspruch in Höhe von 8.837,35 € nach §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 246, 266 StGB zu. Die Klägerin habe unstreitig Gelder, die sie von Patienten vereinnahmt habe, für sich behalten. Die Tatbestandsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs seien damit erfüllt. Hinsichtlich der Höhe des Anspruchs habe der Beklagte durch eine Liste mit Namen der betroffenen Patienten sowie Datum der Geldzahlung substantiiert dargelegt, dass ihm ein Schaden in Höhe von 8.837,35 € nunmehr noch entstanden sei. Diesen Vortrag habe die Klägerin nicht substantiiert bestritten, so dass er nach § 138 Abs. 3 ZPO ebenfalls der Entscheidung zugrunde zu legen gewesen sei. Wegen der weiteren Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Urteil haben gelangen lassen, einschließlich der Begründung des Zinsanspruchs wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 27.04.2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 24.05.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie zugleich begründet hat.

Die Klägerin rügt an dem angegriffenen Urteil insbesondere, es könne von ihr nicht verlangt werden, dass sie sich an jeden einzelnen Quittierungsvorgang den der Beklagten im Verfahren vortrage, erinnern könne. Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen zum Abrechnungsverhalten bei Bargeldzahlungen und verweist auf ihr diesbezügliches Vorbringen nebst Beweisantritten. Sie lässt sich allerdings die seit November 2005 vereinnahmten Gelder, so wie vom Beklagten aufgeführt , zurechnen. Nicht zuletzt deswegen habe sie auch bereits eine Anzahlung von 1.300,-- € erbracht. Sie bestreitet jedoch weiterhin, dass sie für Vorfälle vor November 2005 schadenverantwortlich sei. Sie ist der Meinung, dies sei als Bestreiten ausreichend sein, zumal der Beklagte es auch unterlassen habe, Geldempfangsquittungen vorzulegen, aus denen der Nachweis der behaupteten Geldentgegennahme dokumentiert werde. Sie bestreitet daher, dass derartige Quittungen überhaupt vorlägen und die von dem Beklagten aufgeführten Patienten (Zeugen) Quittungen von der Klägerin erhalten und die Klägerin deren Gelder einbehalten hätte.

Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 12.12.2007 die Klage hinsichtlich des Zeugnisanspruchs zurückgenommen hat, beantragt sie zweitinstanzlich nur noch,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 25.04.2007 – 1 Ca 511/06 - (teilweise ) abzuändern und die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 29.06.2007, auf die die Kammer Bezug nimmt.

Entscheidungsgründe

I.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gem. §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Auf die zulässige Widerklage hin hat das Arbeitsgericht Hannover zu Recht die Klägerin verurteilt, an den Beklagten 8.837,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23.01.2007 zu zahlen.

II.

Der Anspruch des Beklagten auf Zahlung von 8.837,35 € folgt aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 246, 266 StGB.

1. Für die vom Beklagten im Zeitraum ab November 2005 geltend gemachten Schadensbeträge, die im einzelnen im Schriftsatz vom 18.01.2007 aufgeführt sind und sich aus der Anlage zum Schriftsatz vom 15.11.2006 Bl. 39 d. A. ergeben, in Höhe von insgesamt 2.399,00 €, räumt die Klägerin ein, dass sie sich diese Beträge zurechnen lässt. Sie will sich von diesen Beträgen allerdings die bereits gezahlten 1.300,-- € abziehen lassen. Unstreitig verbleibt damit jedenfalls ein (verbleibender) Schadensbetrag in Höhe von 1.099,-- €, den die Klägerin einräumt.

2. Wegen der darüber hinaus gehenden und vom Beklagten im einzelnen angeführten rechnerisch nicht zu beanstandenden Beträge, hat das Arbeitsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass das pauschale Bestreiten der Klägerin nicht ausreichend substantiiert ist und damit die Geständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO greift. Auf fehlende Erinnerung, welche Beträge von ihr vereinnahmt wurden, kann sich die Klägerin nicht berufen, da sie die fehlende Kenntnis selbst herbeigeführt hat.

Bei eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen ist eine Erklärung nach der Vorschrift des § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen/ Nichterinnern nur in engen Grenzen zulässig. Die Berufung auf fehlende Erinnerung entlastet die Partei nicht, wenn diese von ihr zu vertreten ist. Andernfalls könnte eine Prozesspartei die ihr gem. § 138 Abs.4 ZPO obliegende Erklärungspflicht weitgehend leer laufen lassen. Indem die Klägerin sich keine Aufzeichnungen über die von ihr unterschlagenen Beträge gemacht hat, ist dies von ihr zu vertreten. Die vorwerfbare Erklärungsvereitelung ist wie eine Beweisvereitelung zu würdigen (Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl. Rz 14 zu § 138).

Darüber hinaus hätte die Klägerin im Streitfall zumutbare Nachforschungen hinsichtlich der ihr im einzelnen zur Last gelegten Beträge anstellen können. Die Zulässigkeit des Bestreitens mit Nichtwissen/Nichtmehrwissen hängt nämlich – unabhängig von der Frage der Erklärungsvereitelung – auch davon ab, ob die Partei zumutbaren Nachforschungen nachgekommen ist (vgl. Lange, NJW 1990, 3233ff).

Bei Anwendung dieser Grundsätze, denen die Kammer folgt, auf den vorliegenden Fall, ist das pauschale Bestreiten der Klägerin mit Nichtmehrwissen zu den einzelnen, von dem Beklagten aufgeführten Positionen unwirksam mit der Folge, dass die Geständnisfiktion des § 138 Abs.3 ZPO greift (BGH vom 20.01.1961 – 1 ZR 79/59 - NJW 1961, 826, 828 [BGH 20.01.1961 - I ZR 79/59]). Dies gilt auch, soweit die Klägerin für die Zeit vor November 2005 pauschal behauptet, auch andere Personen hätten Beträge, die sie entgegengenommen hat, quittiert und umgekehrt bzw. in Einzelfällen habe auch der Beklagte Bargeldbeträge entgegengenommen und sie in einer Reihe von Fällen sogar angewiesen, zwar eine Quittung auszustellen, aber ansonsten keine weiteren Einträge ins Kassenbuch vorzunehmen. Abgesehen davon, dass sie – sollte letztere Behauptung zutreffen - selbst an der von ihr behaupteten Steuerhinterziehung mitgewirkt haben dürfte, musste ihr bewusst sein, dass sie die falsche Kassenbuchführung bzw. Quittierung mitverantworten musste, soweit sie sich keine Aufzeichnungen über die fraglichen Beträge gemacht oder wenigstens die Quittungsdurchschläge aufbewahrt hat. Der von der Klägerin angegebene Zeitraum ab November 2005 scheint darüberhinaus willkürlich gewählt, denn die Klägerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, warum sie – nachdem sie zunächst in einem Gespräch mit dem Beklagten eingeräumt hatte, sie habe ab Januar 2006 Beträge veruntreut - nunmehr den Beginn mit November 2005 zugesteht. Ihre widersprüchlichen Angaben zum Beginn ihrer privaten Vereinnahmungen sowie die Tatsache, dass sie keinerlei nachvollziehbare Gründe für den von ihr zuletzt eingräumten Zeitraum benannt hat, lassen ihre diesbezüglichen Angaben als willkürlich gewählt und unglaubhaft erscheinen. Offenbar kann sich die Klägerin nicht mehr nur nicht an die im einzelnen von ihr unterschlagenen Beträge, sondern auch nicht mehr an den Beginn ihrer strafbaren Handlungen erinnern.

Der Klägerin, die ihr strafrechtlich relevantes Verhalten jedenfalls für den Zeitraum ab November 2005 im Prozess eingestanden hat, oblag es jedenfalls angesichts dessen, dass sie auch vor diesem Zeitraum die Kassenführung inne hatte und der von ihr eingeräumte Beginn der Unterschlagungen nicht nachvollziehbar dargelegt war, sich bei den von dem Beklagten im einzelnen angeführten Patienten wenigstens fernmündlich zu erkundigen, ob sie oder eine andere Arbeitnehmerin oder gar der Beklagte die fraglichen Beträge damals kassiert hatten, zumal die Patienten der Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit bei dem Beklagten bekannt waren und der Beklagte im Schriftsatz vom 18.01.2007 die Betroffenen namentlich und mit Adresse aufgelistet und zudem dargelegt hat, dass sie von ihm bzw. seiner Ehefrau hinsichtlich der streitbefangenen Beträge befragt worden waren. Die Klägerin hätte insofern auch bei den Patienten selbst nachfragen können, ob sie über eine von ihr ausgestellte Quittung verfügten bzw. zu ihren Händen gezahlt hatten. Entsprechende Erkundigungen waren ihr auch bei ihren ehemaligen Kolleginnen zuzumuten. Je nach dem Ergebnis der einzelnen Zahlungsvorgänge hätte die Klägerin die ihr zur Last gelegten Beträge sodann einräumen oder als nicht vereinnahmt (mit dem Risiko eines Verfahrens wegen versuchten Prozessbetrugs) darstellen müssen. Das Bestreiten der Klägerin mit Nichtmehrwissen/-erinnern ist daher im vorliegenden Fall unwirksam mit der Folge, dass der Vortrag des Beklagten gem. § 138 Abs.3 ZPO als zugestanden anzusehen ist.

Soweit die Klägerin schließlich einwendet, die Zahlungen einzelner Patienten seien bereits Gegenstand der von ihr geleisteten Zahlung in Höhe von 1.300,-- € gewesen, kommt es hierauf nicht an, da der Beklagte sich diesen Betrag von der Gesamtsumme in Abzug bringen lässt. Hinsichtlich des Einwands betreffend den Patienten A. in Höhe von 200,-- € fehlt es an substantiiertem Vortrag der Klägerin dazu, wer genau was hinsichtlich einer Zahlung von lediglich 200,-- € vereinbart haben soll. Die Klägerin oder eine andere Angestellte konnte sicherlich eine solche Vereinbarung nicht treffen.

III.

Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Berufungsverfahrens gem. § 97 Abs. 1 ZPO zu zahlen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen diese Entscheidung ist daher ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird hingewiesen.