Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.09.2007, Az.: 12 Sa 62/07

Anspruch eines Krankenpflegers auf Zahlung der Wechselschichtzulage nach § 8 Abs. 5 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD); Anspruch auf Wechselschichtzulage im Falle eines in einer Schicht ausschließlich Bereitschaftsdienst vorsehenden Schichtplanes; Voraussetzungen für das Ableisten von Wechselschichtarbeit im Sinne von § 33a Abs. 1 Bundesangestelltentartfvertrag (BAT); Auslegung eines Tarifvertrages nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
10.09.2007
Aktenzeichen
12 Sa 62/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 41864
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2007:0910.12SA62.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lüneburg - 28.11.2006 - AZ: 4 Ca 370/06
nachfolgend
BAG - 24.09.2008 - AZ: 10 AZR 770/07

Fundstelle

  • ZTR 2008, 42-43 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Ein Anspruch auf die Wechselschichtzulage nach § 8 Abs. 5 TVöD besteht nicht, wenn der Schichtplan in einer Schicht ausschließlich Bereitschaftsdienst vorsieht.

In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2007
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Mestwerdt,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Peinecke,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Tobien
fürRecht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 28.11.06 - 4 Ca 370/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung der Wechselschichtzulage nach § 8 Abs. 5 TVöD.

2

Der am 00.00.1961 geborene Kläger ist für die Beklagte seit dem 05.09.1986 als Krankenpfleger tätig bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden und einem Grundgehalt von 2.642,00 EUR brutto monatlich. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für denöffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.

3

Die Beklagte betreibt ein städtisches Klinikum. Das Klinikum besteht aus mehreren Abteilungen. Der Kläger ist in der chirurgischen Ambulanz - interne/neurologische Aufnahme - tätig und arbeitet im Schichtdienst. In der chirurgischen Ambulanz wird nach einem Schichtplan gearbeitet, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in insgesamt neun verschiedenen Schichten vorsieht.Über die Schichtzeiten im Einzelnen verhält sich die Anlage 1 zur Klageschrift (Bl. 6 d. A.), darauf wird Bezug genommen. Es besteht eine Nachtschicht von 16.48 Uhr bis 01.00 Uhr. Es schließt sich sodann eine Schicht "B14" von 01.00 Uhr bis 06.30 Uhr an. Dabei handelt es sich um einen reinen Bereitschaftsdienst.

4

Die Beklagte zahlt dem Kläger eine Schichtzulage gemäß § 8 Abs. 6 TVöD in Höhe von EUR 40,00 brutto monatlich.

5

Mit der Klage begehrt der Kläger für den Zeitraum von Oktober 2005 bis September 2006 Zahlung der Wechselschichtzulage nach § 8 Abs. 5 TVöD in Höhe von EUR 105,00 abzüglich der geleisteten Zahlungen von EUR 40,00 monatlich in rechnerisch unstreitiger in Höhe von EUR 780,00 brutto. Der Kläger ist in diesem Zeitraum zu mindestens zwei Nachtschichten pro Monat herangezogen worden.

6

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, im streitgegenständlichen Zeitraum sei Wechselschichtarbeit in seiner Abteilung angefallen, da Bereitschaftszeit arbeitsschutzrechtlich wie Arbeitszeit behandelt werden müsse. Es komme zudem nicht auf die jeweilige Station sondern darauf an, ob überhaupt im Betrieb Wechselschichtarbeit geleistet werde. Dies sei im Klinikum der Beklagten der Fall.

7

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 780,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

9

und die Auffassung vertreten, Wechselschicht im Tarifsinn läge nicht vor, da nicht ununterbrochen in der chirurgischen Ambulanz gearbeitet werde.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. November 2006 abgewiesen und unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BAG vom 05.02.1997 (10 AZR 639/96) die Auffassung vertreten, Wechselschichtarbeit habe nicht vorgelegen, da in der Abteilung grundsätzlich für 5,5 Stunden ein reiner Bereitschaftsdienst angeordnet sei. Daran ändere nichts, dass Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu bewerten sei. Die wortgleiche Übernahme der Vorgängerregelung des § 33 a Abs. 1 BAT in den TVöD spreche dafür, dass die Tarifvertragsparteien ihren Vorschriften keinen anderen Erklärungswert hätten geben wollen. Entgegen der Auffassung des Klägers sei auch nicht auf den gesamten Betrieb sondern nur auf die chirurgische Ambulanz abzustellen. Auf die Entscheidungsgründe der Entscheidung wird im Übrigen Bezug genommen.

11

Der Kläger hat gegen das ihm am 19.12.2006 zugestellte Urteil am 16. Januar 2007 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.03.2007 am 15.03.2007 begründet. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Unter Berücksichtigung der nunmehr maßgebenden Bewertung von Bereitschaftszeit als Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz könne die vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 05.02.1997 vertretende Auffassung, wonach in dem Arbeitsbereich ununterbrochen von Arbeitnehmern eine Arbeitsleistung im Sinne von Vollarbeit und nicht im Sinne von Bereitschaftsdienst erbracht werden müsse, nicht mehr aufrechterhalten werden. Dies ergebe sich aus dem Zweck der Wechselschichtzulage als "Erschwerniszulage". Die Wechselschichtzulage habe auch eine arbeitsschutzrechtliche Bedeutung. Da den Tarifvertragsparteien die neue Bewertung von Bereitschaftszeiten bekannt gewesen sei, wären diese gehalten gewesen, Bereitschaftszeiten ausdrücklich herauszunehmen, sofern sie nicht in den Begriff der Wechselschicht hätten einbezogen werden sollen.

12

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 28.11.2006 - 4 Ca 370/06 - abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu entscheiden.

13

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

14

und verteidigt die angefochtene Entscheidung. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 15.03.2007 und die Berufungserwiderung vom 02.05.2007.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Berufung ist unbegründet.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 8 Abs. 5 TVöD auf Zahlung der Wechselschichtzulage für den streitgegenständlichen Zeitraum.

17

1.

Nach § 8 Abs. 5 TVöD erhalten Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit leisten, eine Wechselschichtzulage von 105,00 EUR monatlich. Nach § 7 Abs. 1 ist Wechselschicht die Arbeit nach einem Schichtplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei denen Beschäftigte durchschnittlich längstens nach Ablauf eines Monats erneut zur Nachtschicht herangezogen werden. Wechselschichten sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird.

18

2.

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der Wechselschichtzulage besteht nicht, weil in der chirurgischen Ambulanz, in der der Kläger tätig ist, nicht ununterbrochen bei Tag und Nacht in wechselnden Arbeitsschichten gearbeitet wird.

19

a)

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.02.1997 - 10 AZR 639/96 - leistet der Angestellte auch dann Wechselschichtarbeit im Sinne von § 33a Abs. 1 BAT, wenn die tatsächliche Arbeitsleistung in einer Schicht durch Bereitschaftsdienst oder andere Umstände unterbrochen wird. Dort wurde an allen Tagen in Früh-, Spät-, und Nachtschichten gearbeitet, allerdings war ein Teil der Pflegekräfte in der Nachtschicht nur zu einem Bereitschaftsdienst eingeteilt. Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Verfahren ausgeführt, dass der innerhalb eines Nachtdienstes für einzelne Pflegekräfte angeordnete vierstündige Bereitschaftsdienst nicht zu einer schädlichen Unterbrechung der Wechselschicht im Sinne des tariflichen Wechselschichtbegriffes führt und darauf abgestellt, dass es lediglich darauf ankomme, ob im Arbeitsbereich des Angestellten ununterbrochen von Arbeitnehmern eine Arbeitsleistung erbracht werde. Anders sei es, wenn in einem bestimmten Arbeitsbereich für alle Mitarbeiter nur Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst angeordnet werde. Dann liege keine Wechselschicht vor, da es dann einen Zeitraum gebe, in dem im Arbeitsbereich überhaupt nicht gearbeitet werde und somit eine Unterbrechung der wechselnden Arbeitsschichten gegeben sei (so auch die Literatur nach Inkrafttreten des TvöD; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, TVöD, § 7 Rn. 4; Sponer/Steinherr § 7 TVöD Rn. 18).

20

b)

Die Kammer folgt dieser Auffassung. Die Auslegung von § 7 Abs. 1 TVöD ergibt, dass Wechselschichtarbeit im Tarifsinne nicht vorliegt, wenn im Schichtplan Zeiten reinen Bereitschaftsdienstes ausgewiesen sind.

21

aa)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne an Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zur, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG, Urteil vom 25.04.2007 - 10 AZR 110/06 -).

22

bb)

Bereits der Wortlaut zum § 7 Abs. 1 Satz 2 TVöD spricht dafür, dass nur ununterbrochene Vollarbeit die Wechselschichtzulage auslöst. Erforderlich sind danach wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen gearbeitet wird. Bereitschaftsdienst leisten nach § 7 Abs. 3 TVöD dagegen Beschäftigte, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Bereitschaftszeiten liegen dabei nur vor, wenn die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 TVöD). Sowohl aus Wortlauf wie aus tariflichem Zusammenhang ergibt sich damit, dass die Tarifvertragsparteien nur dann den Anspruch auf Wechselschichtzulage begründen wollten, wenn tatsächlich ununterbrochen gearbeitet wird. Dies ist bei Zeiten einer Unterbrechung durch reinen Bereitschaftsdienst nicht der Fall.

23

cc)

Entgegen der Auffassung des Klägers sind diese Vorschriften nicht deshalb anders auszulegen, weil nach der Arbeitszeitrichtlinie ( RL 93/104/EG vom 23.11.1993; nunmehr RL 2003/88/EG) Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit zu behandeln ist (vgl. BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 - NZA 2003 S. 742). Die EG-Arbeitszeitrichtlinie betrifft allein den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz. Zur Vergütung trifft sie keine Regelung. Die Arbeitszeitrichtlinie enthält deshalb nur arbeitsschutzrechtliche Bedeutung und bewirkt, dass Bereitschaftsstunden für den Arbeitsschutz als Arbeitszeit zu werten sind. Daraus folgt aber keine bestimmte Vergütungspflicht. Tarifvertragsparteien dürfen Bereitschaftsdienst und Vollarbeit unterschiedlichen Vergütungsordnungen unterwerfen oder aber eine unterschiedliche Vergütung vorsehen (BAG, Urteil vom 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 -).

24

dd)

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht daraus, dass mit der Wechselschichtzulage den besonderen Erschwernissen bei der Erbringung der Arbeitsleistung Rechnung getragen werden soll und deshalb die Zahlung der Zulage auch auf einem arbeitsschutzrechtlichen Hintergrund erfolgt. Die Tarifvertragsparteien sind frei darin, im Einzelnen zu definieren, welche Erschwernisse sie mit einer Zulage ausgleichen wollen und welche nicht. Sie können bestimmen, dass besondere Belastungen zu einer höheren Vergütung führen; sie können auch bestimmen, dass Zeiten mit geringerer Belastung oder Inanspruchnahme niedriger vergütet werden. Dies gilt auch im Verhältnis von Vollarbeit zu Bereitschaftsdienst (BAG, Urteil vom 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 -). Vorliegend haben sich die Tarifvertragsparteien für ein abgestuftes System entschieden, wonach bei Vorliegen von Schichtarbeit eine Zulage nach § 8 Abs. 6 TVöD ausgelöst wird und die Zahlung der Wechselschichtzulage nach § 8 Abs. 5 TVöD davon abhängig ist, dass ununterbrochen gearbeitet wird. Dies ist nicht zu beanstanden.

25

ee)

Unerheblich ist es, dass in anderen Abteilungen des Klinkums vollschichtige Arbeit geleistet wird. § 7 Abs. 1 TvöD stellt ausdrücklich auf "die Arbeit nach einem Schichtplan" ab. Derjenige, der einen Anspruch auf die Wechselschichtzulage geltend machen will, muss deshalb persönlich Arbeit nach einem solchen Schichtplan erbringen. Da in der Abteilung des Klägers unstreitig das Schichtsystem durch eine 5,5stündige reine Bereitschaftsdienstzeit in der Nacht unterbrochen wird, besteht der Anspruch nicht.

26

Die Berufung war deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

27

Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.