Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.07.2007, Az.: 15 Sa 1814/06
Streit um die Zahlung einer tariflichen Vorarbeiterzulage; Bedeutung einer fehlenden Bestellung zum Vorarbeiter; Frage der Begründung einer Vorarbeitereigenschaft durch die Unterstellung von 1-Euro-Jobbern; Unzulässigkeit der Gleichstellung der sogenannten 1-Euro-Jobber mit Arbeitern im Tarifsinne
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 25.07.2007
- Aktenzeichen
- 15 Sa 1814/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 39285
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2007:0725.15SA1814.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 30.10.2006 - AZ: 3 Ca 366/06
- nachfolgend
- BAG - 19.11.2008 - AZ: 10 AZR 658/07
Rechtsgrundlage
- § 3 BZTV LoGrVerz
Amtlicher Leitsatz
§ 3 Abs. 1 und 2 BZTV LoGrVerz ist keiner ergänzenden Tarifauslegung dahin zugänglich, dass 1-EUR-Jobber Arbeitern gleichzustellen sind.
In dem Rechtsstreit
hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2007
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber,
den ehrenamtlichen Richter Tönjes,
den ehrenamtlichen Richter Gleiss
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 30.10.2006 - 3 Ca 366/06 - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt von der beklagten Gemeinde für die Monate September 2005 bis Mai 2006 die 8 %ige Vorarbeiterzulage nach § 3 Abs. 1 des Bezirklichen Tarifvertrags vom 08.02.1991, in der Fassung vom 12. Juni 1995 über ein Lohngruppenverzeichnis gemäß § 2 Abs. 1 des Rahmentarifvertrags zu § 20 Abs. 1 BMT-G II (BZTV LoGrVerz) in der unstreitigen Höhe von monatlich 155,65 EUR.
Der Kläger ist gemäß Arbeitsvertrag vom 14.01.1984 (Bl. 9 ff.) zu tariflichen Bedingungen als Gemeindearbeiter bei der Beklagten beschäftigt. Der weitere Gemeindearbeiter A. ist ihm unterstellt.
Darüber hinaus ordnete ihm die Beklagte sogenannte 1-Euro-Jobber zu, nämlich P. vom 01.09.2005 bis 31.12.2005, S. vom 23.01. bis 12.05.2006, B. vom 08. bis 26.06.2006 und G. vom 26.07.2006 bis Mai 2007, die jeweils 28 Stunden pro Woche arbeiteten. Sie waren als Praktikanten über die Trägergemeinschaft K. und B. in Zusammenarbeit mit der ARGE W. nach den §§ 15 ff. SGB II eingesetzt.
Mit Urteil vom 30.10.2006, auf dessen Tatbestand Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.400,85 EUR brutto nebst 5 %-Zinsen über den Basiszinssatz seit dem 17.07.2006 zu zahlen. Das Arbeitsgericht hat die Klage gemäß § 3 Abs. 1 BZTV LoGrVerz für begründet erachtet. Die fehlende Bestellung zum Vorarbeiter gemäß § 3 Abs. 2 Unterabs. 1 BZTV LoGrVerz sei unschädlich, da die Beklagte ihm tatsächlich mit dem jeweiligen 1-Euro-Jobber zwei zur Arbeit verpflichtete Personen unterstellt habe. Zwar seien die 1-Euro-Jobber keine Arbeiter im Tarifsinne. Der BZTV LoGrVerz enthalte jedoch eine unbewusste Regelungslücke, die eine ergänzende Auslegung eröffne und die gebiete, 1-Euro-Jobber Arbeitern im Tarifsinne gleichzustellen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 02.11.2006 zugestellte Urteil am 23.11.2006 Berufung eingelegt, die sie am 02.01.2007 begründet hat.
Die Beklagte greift das Urteil aus den in ihrer Berufungsbegründungsschrift wiedergegebenen Gründen an. Auf die Berufungsbegründungsschrift vom 02.01.2007 wird Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf seine Berufungserwiderung vom 09.03.2007 wird gleichfalls Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ( § 64 Abs. 2 b ArbGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG i.V.m. §§ 518, 519 Abs. 3 ZPO) und in der Sache begründet.
Die Klage ist unbegründet.
Der Anspruch auf die Vorarbeiterzulage ergibt sich aus dem gemäß § 17 Abs. 9 TVÜ-VKA weitergeltenden § 3 BZTV LoGrVerz, der - soweit hier von Bedeutung - lautet:
§ 3 Vorarbeiterzulage
(1)
Arbeiter, die zu Vorarbeitern von Arbeitern der Lohngruppe 1 bis 3 a und 4 Fallgruppen 3 und 4 einschließlich eines nachfolgenden Tätigkeitsaufstiegs in Lohngruppe 4 a bestellt worden sind, erhalten für die Dauer der Tätigkeit als solche eine Zulage von 8 v. H. des auf die Arbeitsstunde umgerechneten Monatstabellenlohnes der Stufe 1 der Lohngruppe, in die sie eingruppiert sind.Arbeiter, die im Übrigen zu Vorarbeitern von Arbeitern mindestens der Lohngruppe 4 bestellt worden sind, erhalten für die Dauer der Tätigkeit als solche eine Zulage von 12 v. H. des auf die Arbeitsstunde umgerechneten Monatstabellenlohnes der Stufe 1 der Lohngruppe, in die sie eingruppiert sind.
(2)
Vorarbeiter sind Arbeiter, die durch schriftliche Anordnung zu Vorarbeitern einer Gruppe von Arbeitern bestellt worden sind und selbst mitarbeiten. Die Gruppe muss außer dem Vorarbeiter aus mindestens zwei Arbeitern bestehen.Auszubildende in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zweieinhalb Jahren ab drittem Ausbildungsjahr werden als Arbeiter der Lohngruppe 4 Fallgruppe 1 gerechnet.
Der Kläger erfüllt nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 BZTV LoGrVerz.
Abgesehen davon, dass es an der schriftlichen Bestellung zum Vorarbeiter nach § 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 BZTV LoGrVerz fehlt, sind dem Kläger auch keine zwei Arbeiter im Sinne des § 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 BZTV LoGrVerz unterstellt, denn die sogenannten 1-Euro-Jobber sind keine Arbeiter im Tarifsinne, weil sie in keinem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis zur Beklagten stehen (zum öffentlich-rechtlichen Charakter des Arbeitseinsatzes nach § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB II: BAG, Urteil vom 17.01.2007 - 5 AZB 43/06, AP Nr. 40 zu § 64 ArbGG 1979 = EzA § 2 ArbGG 1979 Nr. 67).
Was ein Arbeiter im Sinne des § 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 BZTV LoGrVerz ist, ergibt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Der BZTV LoGrVerz und der ihm zugrunde liegende Rahmentarifvertrag zu § 20 Abs. 1 BMT-G II stehen im Regelungszusammenhang mit dem früheren BMT-G II, der in seinem § 67 Nr. 4 regelte, dass Arbeiter im Tarifsinne männliche und weibliche Personen sind, die auf Grund privatrechtlicher Verpflichtung ein arbeiterrentenversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis eingegangen sind. Die 1-Euro-Jobber sind folglich keine Arbeiter im Sinne des § 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 BZTV LoGrVerz.
§ 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 BZTV LoGrVerz ist auch nicht dahin ergänzend auszulegen, dass 1-Euro-Jobber Arbeitern im Tarifsinne gleichzustellen sind, weil der Tarifvertrag entgegen dem Arbeitsgericht keine unbewusste Regelungslücke enthält und damit einer ergänzenden Auslegung nicht zugänglich ist.
Schon vor Inkrafttreten der §§ 15 ff. SGB II hat es Personen gegeben, die zur Arbeit einem Arbeiter unterstellt waren, ohne dass sie zu dem Arbeitgeber in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis gestanden haben. Dieses war den Tarifvertragsparteien auch bekannt, insbesondere der tarifschließenden Gewerkschaft. So war zum Beispiel in § 3 des LoGrVerz zum MTL II geregelt, dass Insassen von psychiatrischen Krankenanstalten, Justizanstalten und Erziehungsheimen Arbeitern gleichstanden, wenn sie zur Arbeit herangezogen wurden (vgl. BAG, Urteil vom 20.07.1983 - 4 AZR 23/81, AP Nr. 1 zu § 9 MTL II). Wenn vorliegend die Tarifvertragsparteien keine solche Gleichstellungen vorgesehen haben, zum Beispiel für Bewohner von kommunalen Erziehungsheimen oder Patienten von kommunalen Krankenhäuser, falls sie zur Arbeit in der Einrichtung zu therapeutischen oder erzieherischen Zwecken herangezogen werden, haben sie solche Personen, die Arbeit leisten ohne Arbeiter im Tarifsinne zu sein, bewusst nicht Arbeitern im Tarifsinne gleichgestellt.
Dass die Tarifvertragsparteien gesehen haben, dass es Personen gibt, die zur Arbeit herangezogen werden, ohne Arbeiter im Tarifsinne zu sein, ergibt sich auch aus § 3 Abs. 2 Unterabs. 2 des BZTV LoGrVerz. Dort werden Auszubildende im Sinne des § 67 Nr. 12 a BMT-G II erst ab dem 3. Lehrjahr einem Arbeiter gleichgestellt, obwohl sie im Rahmen ihrer betrieblichen Ausbildung auch zuvor Arbeit leisten und dabei einem Arbeiter unterstellt sein können.
Ohne Arbeiter im Tarifsinne oder ihnen gleichgestellt zu sein, werden Auszubildende in den ersten beiden Jahren bei der Erbringung von Arbeitsleistungen an die betriebliche Arbeit herangeführt, wie auch ein guter Teil der 1-Euro-Jobber im Rahmen der Erbringung von Arbeitsleistungen an die betriebliche Arbeit herangeführt werden. Aus diesem Grund ist ihre Gleichstellung mit Arbeitern im Tarifsinne, wie vom Arbeitsgericht als geboten erachtet, auch nicht zwingend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Zulassung der Revision auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.