Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.2006, Az.: 16 Sa 1876/05
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 01.09.2006
- Aktenzeichen
- 16 Sa 1876/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 40428
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2006:0901.16SA1876.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 29.09.2005 - AZ: 4 Ca 196/05
In dem Rechtsstreit
...
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. September 2006 durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Grotheer,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Nolte
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 29.09.2005, Az. 4 Ca 196/05 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt mit der Klage weitere Bezahlung für den Monat April 2005.
Der am 00.00.1970 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.09.1987 beschäftigt.
Der Kläger absolvierte zunächst bei der Beklagten eine Berufsausbildung in der Zeit vom 01.09.1987 bis zum Jahre 1990 auf der Grundlage des Berufsausbildungsvertrages vom 21.04.1987 (Bl. 19-24 d.A.). Er wurde sodann von der Beklagten übernommen, ohne dass ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen wurde. Die damalige Mitgliedschaft des Klägers in der Industriegewerkschaft Metall endete durch Gewerkschaftsausschluss im Jahre 1999 oder 2000.
Der Kläger ist freigestelltes Betriebsratsmitglied bei der Beklagten.
Bis Februar 2005 einschließlich zahlte die Beklagte an den Kläger ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2 974,00 €, eine sog. Funktionszulage in Höhe von 337,00 € und eine sog. Schichtzulage in Höhe von 74,50 €. Bei der Monatsabrechnung für den Monat April 2005 zog die Beklagte dem Kläger die für den Monat März 2005 gezahlte Funktionszulage ab und stellte ab April 2005 die Zahlung der Funktionszulage ein. Insoweit wird auf die Abrechnungen von Januar bis April 2005 (Bl. 8-11 d.A.) verwiesen.
Die sog. Funktionszulage stellt nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien eine pauschale Abgeltung von Überstunden dar, die für Betriebsratsmitglieder errechnet worden ist. Diese Leistung wurde ab April 2005 nunmehr nur noch teilweise ausgezahlt, während ein Restbetrag auf ein individuelles Flexibilitätskonto eingezahlt wurde.
Grundlage dieser Verfahrensweise ist eine am 15.11.2004 zwischen der Beklagten und der IG Metall zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Ergänzungsvereinbarung zur Vereinbarung zur Sicherung der Standorte und Beschäftigung sowie zum Tarifvertrag zur nachhaltigen Zukunfts- und Beschäftigungsentwicklung (Zukunftstarifvertrag). Wegen des Inhalts dieser Vereinbarung wird auf diese (Bl. 49 - 53 d.A.) verwiesen. Dieser Tarifvertrag sieht in § 4 eine demografische Arbeitszeitkomponente vor, wonach Überstunden zu einem Teil in ein Überstundenkonto einzubringen sind. Gemäß § 4 Abs. 4.3 dieses Tarifvertrages, nach dem nähere Einzelheiten durch eine Betriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat zu regeln sind, schloss die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat die Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 01/05 zur Einführung eines individuellen Flexibilitätskontos. Wegen des Inhalts wird auf diese (Bl. 54 - 58 d.A.) verwiesen.
Auf dieses Flexibilitätskonto wurde ein Teil der bisherigen Funktionszulage eingerechnet.
Die Beklagte zahlte deshalb im Monat April 2005 an den Kläger nur ein Arbeitsentgelt in Höhe von 2 915,38 €, entsprechend 1 685,60 € netto. Der Kläger macht die Differenzzahlung zwischen der bisherigen Bruttovergütung von 3 385,50 € brutto und der gezahlten 1 685,60 € netto nebst Zinsen geltend.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe weiterhin Anspruch auf die Auszahlung der Funktionszulage in der bisherigen Höhe, da dieses Gegenstand seines Arbeitsvertrages sei Durch den am 15.11.2004 vereinbarten Tarifvertrag sowie die hierauf beruhende Gesamtbetriebsvereinbarung habe sich sein Arbeitsvertrag nicht verändern können.
Die von der Beklagten vorgenommene Änderung der Vergütungszahlung sei weder durch den Tarifvertrag noch durch die Gesamtbetriebsvereinbarung begründet und sei aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes ungerechtfertigt. Durch Ausschluss des Klägers aus der IG Metall gäbe es keinen sachlichen Grund dafür, auf das Arbeitsverhältnis der Klägers mit der Beklagten diese Regelungen anzuwenden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3 385,50 € brutto abzüglich gezahlter 1 685,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB auf 1 699,90 € seit dem 01.05.2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Vergütungsanspruch richte sich ausschließlich nach dem geschlossenen Tarifvertrag i.V.m. der Gesamtbetriebsvereinbarung. An den Kläger sei gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung zu zahlen. Die übliche Vergütung stelle der Tariflohn dar. Der Kläger habe deshalb einen Anspruch auf Bezahlung wie vergleichbare Arbeitnehmer.
Die Gesamtbetriebsvereinbarung sei unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anzuwenden. Hierdurch habe sich die Art der Funktionszulage geändert, was auch die Bezahlung des Klägers betreffe.
Die Beklagte sei durch ihr einseitiges Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 BGB zu dieser Regelung berechtigt gewesen.
Durch Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 20.09.2005 wurde die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3 385,50 € brutto abzüglich bereits gezahlter 1 685,60 € netto nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB aus 1 699,90 € seit dem 01.05.2005 zu zahlen. Ferner wurden die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und der Streitwert auf 1 699,90 € festgesetzt.
Dieses Urteil wurde der Beklagten am 18.10.2005 zugestellt. Hiergegen legte diese am 27.10.2005 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 18.01.2006 am 13.01.2006.
Zur Begründung der Berufung trägt die Beklagte vor, die Beklagte wende in ihrem Unternehmen grundsätzlich und ohne Einschränkung die für ihr Unternehmen bestehenden Haustarifverträge an. Die Arbeitsverträge enthielten die Formulierung, dass diese Tarifverträge Anwendung finden. Diese einschränkungslose Anwendung der Tarifverträge sei dem Kläger als freigestelltes Betriebsratsmitglied bekannt.
Zwar fehle vorliegend eine ausdrückliche, einzelvertragliche Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge, da der Kläger einen schriftlichen Arbeitsvertrag nicht erhalten habe. Die tariflichen Regelungen würden jedoch aufgrund betrieblicher Übung gelten.
Das Arbeitsverhältnis sei durch Weiterbeschäftigung des Klägers nach seiner Ausbildung begründet worden. Der Inhalt des so begründeten Arbeitsverhältnisses bestimme sich nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen. Wenn der Arbeitgeber im Betrieb allgemein Tarifnormen anwende, gelte dieses auch für den ehemaligen Auszubildenden. Der Kläger habe auch nach seinem Ausschluss aus der IG Metall die Vorteile der Tarifverträge in Anspruch genommen und beziehe seit ca. 15 Jahren die tariflichen Leistungen durch die Beklagte. Diese habe die Vergütung des Klägers stets entsprechend den tariflichen Regelungen angepasst.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 29.09.2005, Az. 4 Ca 196/05, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt.
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 17.03.2006. Hierauf wird verwiesen (Bl. 121-126 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung für den Monat April 2005 nicht zu.
Die Beklagte war berechtigt, aufgrund des Zukunftstarifvertrages i.V.m. der Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 01/05, gültig ab 01.02.2005, nur einen Teilbetrag der bisherigen Funktionszulage an den Kläger auszuzahlen und den Restbetrag in das individuelle Flexibilitätskonto einzubringen. Nach diesem Tarifvertrag hat eine Änderung der Abgeltungsregelungen für Mehrarbeit stattgefunden im Rahmen der Einführung der demografischen Arbeitszeitkomponente. Diese tarifliche Regelung i.V.m. der Betriebsvereinbarung, die auf diesem Tarifvertrag beruht, muss der Kläger gegen sich gelten lassen.
Zwar fehlt im Arbeitsvertrag des Klägers die Vereinbarung über die Anwendbarkeit der Tarifverträge im Betrieb der Beklagten, die Bezugnahme hierauf kann sich jedoch auch aus einer betrieblichen Übung ergeben.
Für eine umfassende Inbezugnahme des Tarifwerks genügt zwar nicht schon die punktuelle Anwendung vereinzelter Tarifregelungen, erforderlich ist vielmehr, dass der Arbeitgeber erkennen lässt, dass er das Tarifwerk als Ganzes anwendet. Der Arbeitgeber lässt bei der betrieblichen Übung erkennen, dass er bestimmte Rechtsgrundlagen auf das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer zur Anwendung kommen lassen will. Dieser Wille des Arbeitgebers, der als Angebot an die Arbeitnehmer zu sehen ist, wird dann zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses, wenn die Arbeitnehmer dieses Angebot stillschweigend annehmen, was bereits dann der Fall ist, wenn sie die Vorteile dieses Tarifwerkes regelmäßig in Anspruch nehmen.
Dieses ist vorliegend geschehen, indem einerseits der Arbeitgeber in seinen Arbeitsverträgen mit den Arbeitnehmern das Tarifwerk insgesamt vereinbart sowie dadurch, dass er alle Mitarbeiter nach diesem Tarifwerk gleichermaßen behandelt. Dieses ist beim Kläger seit dem Zeitpunkt seiner Beschäftigung bei der Beklagten auch geschehen. Unbestritten hat der Kläger auch sämtliche Vorteile widerspruchslos entgegengenommen, auch nach dem Zeitpunkt, nach dem er aus der IG Metall ausgeschlossen wurde.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger nur die für ihn positiven Regelungen akzeptieren wollte, während er die negativen ausschließen wollte. Bei der Vereinbarung eines Tarifvertragssystems, und gerade eines so umfangreichen Systems wie bei der Beklagten, ist dieses zwischen den Tarifvertragsparteien so gut wie möglich austariert. Es ist davon auszugehen, dass in den Verhandlungen der Tarifvertragsparteien die beiderseitigen Interessen insgesamt berücksichtigt werden und nicht punktuell Vereinbarungen getroffen werden, ohne hierbei das Gesamtsystem zu betrachten. Die Erhöhung von Arbeitsentgelt kann deshalb z.B. einhergehen mit Reduzierungen von tariflichen Leistungen oder Veränderungen der Art der Entgeltzahlung auf der anderen Seite.
Ist der Arbeitgeber deshalb tarifgebunden oder ist er sogar, wie im vorliegenden Falle selbst Tarifvertragspartei, so soll einerseits die einzelvertragliche Verweisung auf Tarifverträge regelmäßig zur Gleichstellung der Außenseiter mit den Gewerkschaftsmitgliedern führen, andererseits aber auch diejenigen Mitarbeiter, die nicht tarifgebunden sind, in das Tarifwerk einbinden. In diesen Fällen kann aus der Anwendung wesentlicher Tarifbedingungen, insbesondere aus der Gewährung des Tariflohnes einschließlich der Erhöhungen, geschlossen werden, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt den einschlägigen Tarifverträgen unterliegen soll. Dieses ist nur dann nicht der Fall, wenn besondere Umstände des Einzelfalles gegen einen solchen Schluss sprechen würden, beispielsweise die tatsächliche Nichtgewährung bestimmter tariflicher Leistungen an Unorganisierte. Dabei umfasst eine konkludente Verweisung oder die generelle Anwendung der Tariflichen Regelungen immer auch Arbeitnehmer belastende Tarifbestimmungen, wie z.B. die Frist und Form der Geltendmachung von Ansprüchen im Rahmen von Ausschlussfristen oder, wie vorliegend, die Art der Vergütungszahlung (vgl hierzu Urt.d. BAG v. 19.01.1999, Az. 1 AZR 606/98 in NZA 1999, 879 - 882 , Urt.v. 03.11.2004, Az. 4 AZR 541/03, nicht amtlich veröffentlicht).
Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass sich der Kläger während der Zeit seiner Beschäftigung, insbesondere nach seinem Ausschluss aus der IG Metall, zu irgendeinem Zeitpunkt gegen die Anwendung des Tarifwerkes gewandt hat. Er ist vielmehr von der Beklagten, wie die übrigen Arbeitnehmer auch, so behandelt worden, wie die gesamte Arbeitnehmerschaft, so dass die insoweit entstandene betriebliche Übung zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geworden ist, so dass das Tarifwerk in seiner Gesamtheit Anwendung findet.
Aus diesem Grund ergibt sich auch kein Anspruch des Klägers aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung.
Da die Beklagte unstreitig bei der Bezahlung im Monat April 2004 die Regelungen des Zukunftstarifvertrages i.V.m. der Betriebsvereinbarung angewandt hat und insoweit eine Erfüllung des Anspruches des Klägers eingetreten ist, ist ein weiterer Anspruch des Klägers nicht gegeben.
Auf die Berufung der Beklagten ist deshalb das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Gegen diese Entscheidung ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach Maßgabe des § 72a ArbGG wird hingewiesen.