Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.08.2006, Az.: 10 Sa 1278/05
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 11.08.2006
- Aktenzeichen
- 10 Sa 1278/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 40427
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2006:0811.10SA1278.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück - 24.05.2005 - AZ: 1 Ca 674/04
In dem Rechtsstreit
...
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 2006 durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Spelge,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Brehme,
die ehrenamtliche Richterin Frau Liske
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 24.05.2005 - 1 Ca 674/04 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden nach einem erstinstanzlichen Wert von 37 836,15 € und nach einem Wert von 32 178,53 € für das Berufungsverfahren der Klägerin auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Rückzahlung von Ausbildungskosten.
Der Beklagte war seit dem 14.05.2002 auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 03.05. 2002, auf den Bezug genommen wird (Bl. 5 bis 12 d.A.), bei der Klägerin beschäftigt. Die nach der StVZO für seine Tätigkeit erforderliche Ausbildung zum Prüfingenieur besaß der Beklagte bei Vertragsbeginn noch nicht. Er absolvierte daher in der Zeit vom 14.05.2002 bis Ende Februar 2003 die erforderliche Fortbildung bei der G. als externer Anbieterin und schloss dafür mit dieser den Ausbildungsvertrag vom 08.05./13.05.2002, auf den Bezug genommen wird (Bl. 250 bis 254 d.A.). Im Termin vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 11.08.2006 hat der Kläger unbestritten erklärt, er habe den Vertrag mit der G. erst nach dem Arbeitsvertrag unterzeichnet.
Die Klägerin zahlte dem Beklagten während der Fortbildung sein Gehalt von insgesamt 32 822,06 € fort und beglich Ausbildungskosten bei der G. von 9 489,57 € sowie Prüfgebühren von 234,32 €, Ferner ersetzte sie dem Beklagten Spesen von 10 630,60 €. Ab dem 03.03.2003 setzte sie den Beklagten als Kfz-Prüfer ein. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis am 04.09.2003 zum nächstmöglichen Zeitpunkt, d.h. zum 30.06.2004, und ist nunmehr als Prüfingenieur beim TÜV tätig. Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 12.07.2004 den Beklagten zur Rückzahlung von 37 836,15 € auf. Hinsichtlich der Berechnung dieses Betrages wird Bezug genommen auf die von der Klägerin vorgenommene Aufstellung (Bl. 153 d.A.), wobei die Klägerin erst die Zeit ab April 2004 als Tätigkeitszeit des Beklagten wertete.
Mit der am 15.01.2004 erhobenen Klage hat sie unter Berufung auf Ziffer 9 des Arbeitsvertrages:
Kündigt der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis oder wird das Arbeitsverhältnis von dem Arbeitgeber gekündigt, so ist der Arbeitnehmer zur Rückzahlung der für die Dauer der Fortbildungsmaßnahmen empfangenen Bezüge und der von dem Arbeitgeber übernommenen Kosten der Fortbildungsmaßnahme verpflichtet. ...
Für jeden vollen Tätigkeitsmonat nach Beendigung der Fortbildungsmaßnahme erlässt die GeFa dem Arbeitnehmer 2,77 % der Rückzahlungsbeträge.
Rückzahlung von 37 836,15 € verlangt. Das Arbeitsgericht hat der Klägerin 32 178,53 € zugesprochen. Es hat Ziffer 9 des Arbeitsvertrages für wirksam gehalten und seine Voraussetzungen als erfüllt angesehen. Die Sozialversicherungskosten müsse der Beklagte jedoch nicht zurückzahlen, auch habe er bereits im März 2004 voll gearbeitet, so dass sich nur ein Rückzahlungsanspruch von 20/36 ergebe.
Gegen dieses ihm am 15.07.2005 zugestellte Urteil wendet sich nur der Beklagte mit seiner am 26.07.2005 eingelegten und nach Fristverlängerung bis zum 17.10.2005 am 14. 10.2005 begründeten Berufung.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass ihn die Rückzahlungsklausel nach den Grundsätzen des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen unangemessen benachteilige und gegen das Transparenzgebot verstoße. Insbesondere sei bei Vertragsabschluss nicht absehbar gewesen, welche Kosten konkret auf ihn zukämen, zudem sei die Bindungsdauer zu lang. Schließlich sei der Teil der Klausel, der sich auf eine Kündigung durch den Arbeitnehmer beziehe, mangels Bestimmtheit und Klarheit unwirksam.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 24.05.2005 - 1 Ca 674/04 - teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Rückzahlungsklausel für wirksam und hinreichend bestimmt. Hinsichtlich der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Berufungserwiderung vom 18.11.2005 (Bl. 238 bis 242 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Ziffer 9 des Arbeitsvertrages der Parteien ist gemäß Art. 229 § 5 EGBGB in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 29.11.2001 (BGBl. I, S. 3138) am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu messen, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem 01.01.2002 geschlossen worden ist. Ziffer 9 des Arbeitsvertrages der Parteien ist von der Klägerin vorformuliert worden, ohne dass der Beklagte auf ihren Inhalt Einfluss nehmen konnte, und deshalb gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB einer Kontrolle am Maßstab des § 307 BGB zu unterziehen. Dieser Kontrolle hält sie nicht stand.
1.
Ziffer 9 des Arbeitsvertrages verletzt zum einen das Transparenzgebot, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
a)
Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB auch daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Das Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Deshalb müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Arbeitgeber als Verwender keine unberechtigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel genügt dem Bestimmtheitsgebot nur dann, wenn sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreibt. Sie verletzt dagegen das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume offen lässt (vgl. BAG, 31.08. 2005, 5 AZR 545/04, AP Nr. 8 zu § 6 ArbZG <Rz. 45>).
b)
Danach ist die Rückzahlungsklausel hier bereits deshalb unwirksam, weil die Klägerin die Höhe der vom Beklagten zurückzuzahlenden Kosten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses diesem nicht hinreichend erkennbar offen gelegt hat und der Beklagte in diesem Zeitpunkt die Folgen, die sich für ihn aus dem Abschluss der Vereinbarung ergaben, nicht ausreichend erkennen konnte (vgl. bereits zum Recht vor der Schuldrechtsreform BAG, 21.11.2002, 6 AZR 77/01, EzA Nr. 2 zu § 611 BGB 2002 - Ausbildungsbeihilfe <I 2 c d.Gr>).
In § 9 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages sind die Kosten der Schulung nur dem Grunde, nicht aber der Höhe nach aufgeführt. Wie hoch die Kosten tatsächlich sein würden, war für den Beklagten im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages am 03.05.2002 und damit der Begründung der Rückzahlungsverpflichtung nicht in vollem Umfang überschaubar.
Ohne weiteres war für ihn nur die Höhe seiner monatlichen Bezüge für die Dauer der Fortbildung errechenbar. Mit etwa 33 000,00 € machten diese aber nur die Hälfte der letztlich geltend gemachten Gesamtkosten aus. Soweit die Klägerin auf den zwischen dem Beklagten und der G. geschlossenen Vertrag verweist, aus dem sich die externen Kosten ergäben, berücksichtigt sie nicht, dass dieser Vertrag vom Beklagten erst am 13.05.2002 und damit nach Abschluss des Arbeitsvertrages unterzeichnet worden ist. Dass dem Beklagten diese Beträge bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der Klägerin der Höhe nach bekannt waren, was gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB bei der Beurteilung der Wirksamkeit der Klausel zu beachten wäre, ist nicht vorgetragen.
Darüber hinaus war für den Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auch die Höhe der Spesen nicht absehbar, weil ihm im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Inhalt und Ablauf der Ausbildung und damit weder der Ort der auswärtigen Ausbildungstage noch die Anzahl der erforderlichen Übernachtungen bekannt waren.
Es wäre der Klägerin ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, die Kosten der Ausbildung wenigstens annähernd bereits im Arbeitsvertrag zu beziffern (vgl. LAG Köln, 17. 07.2003, 10 Sa 329/03, LAGE Nr. 2 zu § 611 BGB 2002 - Ausbildungsbeihilfe). Die Klausel ist deshalb insgesamt unwirksam. Eine Beschränkung der Unwirksamkeit auf die Kostenbestandteile, die bei Vertragsabschluss unabsehbar waren, würde das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (§ 306 Abs. 1 BGB) umgehen und so dem Transparenzgebot seine Wirksamkeit nehmen (vgl. BAG, 28.09.2005, 5 AZR 52/05, AP Nr. 7 zu § 307 BGB <Rz. 39>).
2.
Die Rückzahlungsklausel ist zum anderen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Beklagten unangemessen benachteiligt.
a)
Unangemessen in diesem Sinne ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des Arbeitnehmers, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen wird. Erforderlich ist eine wechselseitige Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Vertragspartner. Es bedarf einer umfassenden Würdigung der Positionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. BAG, 18.08.2005, 8 AZR 65/05, AP Nr. 1 zu § 336 BGB <Rz. 17>).
b)
Die vor der Schuldrechtsreform ergangene Rechtsprechung des BAG (Nachweise im Urteil vom 21.07.2005, 6 AZR 452/04, AP Nr. 37 zu § 611 BGB - Ausbildungsbeihilfe <Rz. 14 - 17>) beruhte gerade auf einer solchen umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen, so dass auch im Geltungsbereich von § 307 BGB weiterhin die Kriterien der bisherigen Rechtsprechung anzuwenden sind (Schmidt, NZA 2004, S. 1002 <1008>) . Ungeachtet der Tatsache, dass der Beklagte durch die von der Klägerin finanzierte Fortbildung eine gehobene Qualifikation erworben hat, die es ihm u.a. möglich macht, sich als Sachverständiger selbständig zu machen, und deshalb einen dauerhaften beruflichen Vorteil darstellt (vgl. BAG, AP Nr. 37 zu § 611 BGB - Ausbildungsbeihilfe <Rz. 19>), ist die Rückzahlungsklausel unangemessen und deshalb unwirksam, weil sie den Beklagten zur Rückzahlung der Ausbildungskosten in jedem Fall einer Eigenkündigung und in jedem Fall einer Arbeitgeberkündigung verpflichtet. Eine Rückzahlungspflicht kann in allgemeinen Geschäftsbedingungen aber nur für den Fall wirksam vereinbart werden, dass das die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auslösende Ereignis in die Sphäre des Arbeitnehmers fällt ( BAG, 06.05.1998, 5 AZR 535/97, AP Nr. 28 zu § 611 BGB - Ausbildungsbeihilfe <II 4 d. Gr>; BAG, 24.06.2004, 6 AZR 383/03, AP Nr. 34 zu § 611 BGB - Ausbildungsbeihilfe <B II 2 a d. Gr>; Schmidt, a.a.O. <1004> m.w.N. zu Fußnote 21; ErfK-Preis, 6. Auflage, 2006, § 611 BGB, Rz. 563). § 9 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages ist deshalb nicht nur insoweit unwirksam, als jede Kündigung durch die Klägerin eine Rückzahlung auslöst (vgl. BAG, 11.04.2006, 9 AZR 610/05, Pressemitteilung Nr. 25/06), sondern auch, soweit sie eine Rückzahlung auch für Fälle vorsieht, in denen der Beklagte, durch ein Verhalten der Klägerin ausgelöst, berechtigt gekündigt hätte (vgl. BAG, 05.12.2002, 6 AZR 537/00, AP Nr. 11 zu § 5 BBiG). Auf die in dem Beschluss vom 13.04.2006 von der Kammer angesprochene Frage, ob bei Streichen des Teils der Rückzahlungsklausel, der die Arbeitgeberkündigung betrifft, der Rest der Klausel trotzdem aus sich heraus verständlich und damit wirksam bleibt (Blue-Pencil-Test, BAG, 21.04.2005, 8 AZR 425/04, AP Nr. 3 zu § 307 BGB), kommt es deshalb nicht mehr an. Auch bei einer Arbeitnehmerkündigung sind, wie ausgeführt, nämlich Fälle denkbar, in denen trotz Eigenkündigung des Arbeitnehmers keine Rückzahlungspflicht ausgelöst wird.
Eine geltungserhaltende Reduktion scheidet, wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 11.04.2006 (9 AZR 610/05, Pressemitteilung Nr. 25/06) entschieden hat, aus (ebenso LAG Schleswig-Holstein, 25.05.2005, 3 Sa 84/05<Rz. 53 ff.>; Schmidt, a.a.O. <1010>).
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert war in Höhe der bezifferten Klagforderung festzusetzen.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), lagen nicht vor. Durch die Entscheidung des BAG vom 11.04.2006 - 9 AZR 610/05 - ist die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 11.08.2006 angesprochene Frage, ob es angemessen ist, Klauseln über die Rückzahlung von Ausbildungskosten einer Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB zu unterziehen, abschließend bejaht.