Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 30.03.2006, Az.: S 25 AS 213/06

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
30.03.2006
Aktenzeichen
S 25 AS 213/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 53216
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 27. Februar 2006 wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe der zu gewährenden Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).

2

Der Antragsteller bewohnt eine 78 qm große Wohnung in der Gemeinde D.. Für die Wohnung zahlt er eine Gesamtmiete (ohne Heizkosten) in Höhe von 361,34 €. Der Heizkostenabschlag beläuft sich auf monatlich 63,00 €.

3

Mit Bescheid vom 25. November 2005 gewährte die Gemeinde E. - im Auftrag des Antragsgegners - Leistungen nach dem SGB II für Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 279,39 € für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 30. Juni 2006. Der Bewilligungsbetrag setzt sich aus der Miete (inkl. Betriebskosten) in Höhe von 238,89 € sowie den um den Warmwasseranteil gekürzten Heizungskostenbetrag in Höhe von 40,50 € zusammen. Dem Bewilligungsbescheid war ein Hinweisschreiben vom 19. Februar 2005 vorangegangen, mit welchem der Antragsteller auf die Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft hingewiesen worden war.

4

Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller - jedenfalls in der Widerspruchsfrist - keinen Widerspruch. Mit Schreiben vom 27. Februar 2006 stellte er - was zwischen den Beteiligten umstritten ist - dann einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X). Hierüber hat der Antragsgegner, der lediglich von der Einlegung eines Widerspruches mit Schreiben vom 27. Februar 2006 ausgeht, bislang - soweit ersichtlich - nicht entschieden.

5

Mit Schriftsatz vom 27. Februar 2006 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht F. einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit welchem er die Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft - jedenfalls bis zur Höhe der sich aus der "rechten Spalte" der Wohngeldtabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) ergebenden Beträge - begehrt. Zur Begründung führt er aus, die Kürzung der Unterkunftskosten sei fehlerhaft erfolgt. Zwischenzeitlich sei ihm bekannt geworden, dass mit Entscheidung vom 15. Dezember 2005 das Landessozialgericht G. entschieden habe, dass bei der Frage der "Angemessenheit" der Kosten der Unterkunft die "rechte Spalte" der aktuellen Wohngeldtabelle zu Grunde gelegt werden soll (L 8 AS 427/05 ER).

6

Der Antragsteller beantragt, nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),

7

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die ihm monatlich entstehenden Kosten für die Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung der in der "rechten Spalte" der aktuellen Wohngeldtabelle festgelegten Beträge zu übernehmen.

8

Der Antragsgegner beantragt,

9

den Antrag abzulehnen.

10

Zur Begründung führt er aus, gegen den Bescheid vom 25. November 2005 habe der Antragsteller am 27. Februar 2006 Widerspruch eingelegt, über den bislang noch nicht entschieden worden sei. Ein Überprüfungsantrag vom 27. Februar 2006 sei dem Antragsgegner nicht bekannt und liege dort auch nicht vor. Hinsichtlich der angemessenen Unterkunftskosten verweist der Antragsgegner auf den Beschluss des H. vom 13. Dezember 2005 (L 9 AS 48/05 ER), wonach auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht ohne weiteres die "rechte Spalte" der Wohngeldtabelle zu berücksichtigen sei.

11

Mit Schriftsatz vom 01. April 2006 hat der Antragsteller den nicht in der Leistungsakte des Antragsgegners befindlichen Überprüfungsantrag in Kopie zur Gerichtsakte gereicht.

12

Wegen des Vorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Gerichtsakte sowie die den Antragsteller betreffende Leistungsakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

II.

13

Der Antrag hat keinen Erfolg.

14

Soweit der Antragsteller - so wie es der Antragsgegner vorträgt - am 27. Februar 2006 (nur) Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 25. November 2005 erhoben hat, wäre der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bereits unzulässig. Denn dem Antragsteller würde es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil der insoweit angegriffene Bewilligungsbescheid vom 25. November 2005 wegen des Ablaufes der Widerspruchsfrist zwischenzeitlich bestandskräftig geworden ist (vgl. § 84 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), so dass es dem Gericht verwehrt ist, materiellrechtlich zu entscheiden.

15

Soweit der Antragsteller - wie er vorträgt - am 27. Februar 2006 jedenfalls (auch) einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X gestellt hat, wäre der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes jedenfalls unbegründet.

16

Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell - rechtlichen Anspruch auf die Leistungen, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet.

17

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteiles (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhanges ein bewegliches System (Meyer-Ladewig, SGG, Rdnr. 27 und 29 m. w. N.): Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet so ist der Antrag auf einstweiliger Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung statt zu geben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsachverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, - 1 BVR 569/05 -).

18

Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

19

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund, das heißt die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

20

Der Antragsteller hat den Bewilligungsbescheid vom 25. November 2005 bestandskräftig werden lassen. Er hat erst mit Schreiben vom 27. Februar 2006 jedenfalls (auch) einen Überprüfungsantrag gestellt. Insoweit begehrt er nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen offensichtlich die rückwirkende Bewilligung von - zumindest - angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung seit dem 1. Januar 2006 (Beginn des Bewilligungsabschnittes im hier streitgegenständlichen Bescheid). Schon die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit kommt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht in Betracht, da hier nur Leistungen für einen dringenden aktuellen Bedarf verlangt werden können. Ein weitergehendes Begehren würde auf die unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache hinauslaufen. Folglich fehlt es dem Begehren zumindest bis zum Zeitpunkt des Einganges des Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes am 28. Februar 2006 am Anordnungsgrund.

21

Zudem lässt sich auch für gegenwärtige Leistungen keine besondere Eilbedürftigkeit und damit ein Anordnungsgrund begründen. Denn wenn der Antragsteller höhere Leistungen entgegen des Bewilligungsbescheides begehrt und diesen gleichwohl bestandskräftig werden lässt, so kann er sich hiernach nicht auf eine besondere Eilbedürftigkeit berufen, da er sich sonst mit seinem eigenen vorherigen Verhalten in Widerspruch setzen würde. Zwar geht das Gericht davon aus, dass immer dann, wenn es um Leistungen nach dem SGB II geht, wegen der Sicherung des Existenzminimums auch grundsätzlich ein Anordnungsgrund besteht. Jedoch ist in den Fällen, in denen ein Überprüfungsantrag gestellt wird, der - wie hier - auch einen noch nicht abgeschlossenen Bewilligungsabschnitt betrifft, nach Überzeugung des Gerichts ein sachdienlicher, durch konkrete Tatsachen untermauerter Vortrag zur besonderen Dringlichkeit erforderlich, da der Antragsteller offensichtlich die seit Beginn des Bewilligungsabschnitts bis zur Stellung des Antrages bei Gericht - seiner Ansicht nach zu geringen - Leistungen für Unterkunft und Heizung offenbar ohne Probleme verkraftet hat (vgl. hierzu auch Landessozialgericht I., Beschluss vom 08. August 2005, - L 8 B 110/05 AS -). An einem solchem Vortrag mangelt es jedoch, so dass auch hinsichtlich der gegenwärtigen Leistungen ein Anordnungsgrund nicht zu erkennen ist.

22

Vor diesem Hintergrund hat das Gericht über die Frage des Anordnungsanspruches nicht zu entscheiden. Auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles hält das Gericht jedoch den Hinweis für geboten, dass die Übernahme der Kosten der Unterkunft nach der ständigen Rechtsprechung des Landessozialgerichtes G. (vgl. zuletzt Beschluss vom 20. März 2006, - L 9 AS 31/06 ER -; Beschluss vom 09. März 2006, - L 7 AS 173/05 ER - und Beschluss vom 28. November 2005 - L 8 AS 181/05 ER -), der sich das Sozialgericht F. angeschlossen hat, für den Fall, dass das örtliche Mietzinsniveau nicht anders objektiv bestimmt werden kann, auf die "rechte Spalte" der Wohngeldtabelle zu § 8 WoGG zurückzugreifen ist. Insoweit geht der Antragsgegner zwar zu Recht davon aus, dass nicht ohne weiteres auf die Wohngeldtabelle zurückzugreifen sein dürfte, jedoch jedenfalls immer dann, wenn das örtliche Mietzinsniveau nicht anderweitig objektivierbar ist. So dürfte der Fall - jedenfalls nach summarischer Prüfung - hier liegen. Der Antragsgegner kann nicht allen Ernstes davon ausgehen, dass er durch den Nachweis von sieben Wohnungen das Mietzinsniveau objektiv dargestellt hat. Daher dürfte der Antragsteller zu Recht darauf bestehen, dass er für die Kosten der Unterkunft diejenigen Beträge erhält, die sich aus der "rechten Spalte" der Wohngeldtabelle ergeben. Ferner weist der Antragsteller auch völlig zutreffend auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts G. hin, wonach grundsätzlich Heizkosten in Höhe der mietvertraglichen Vereinbarung bzw. den Vorauszahlungsfestsetzungen der Energieversorgungsunternehmen zu übernehmen sind (vgl. dazu Landessozialgericht I., Beschluss vom 15. Dezember 2005 - L 8 AS 427/05 ER -, ferner Berlit in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II, 2005, § 22 Rdnr. 50 f.; Lang in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2005, § 22 Rdnr. 46; Ehrenkamp in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, lose Blattsammlung, Stand Oktober 2004, § 22 Rdnr. 16 ff.). Dies kann der Antragsteller allerdings - wie ausgeführt - nicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geltend machen und ist daher auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. In diesem Zusammenhang weist das Gericht den Antragsteller besonders darauf hin, dass der bei Gericht gestellte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes eine eventuelle Klage gegen den zu erwartenden Widerspruchsbescheid des Antragsgegners nicht ersetzen kann.

23

Die Kostenentscheidung beruft auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.