Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 27.09.2006, Az.: S 25 AS 605/06
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 27.09.2006
- Aktenzeichen
- S 25 AS 605/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44092
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2006:0927.S25AS605.06.0A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die von der Beklagten verfügten Aufhebung eines Bewilligungsbescheides über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) und die entsprechende Rückforderung der insoweit erbrachten Leistungen.
Der 1984 geborene Kläger bezog zunächst seit für den Zeitraum von Januar bis Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 579,05 EUR monatlich, wobei darin 345,00 EUR für die Regelleistung sowie 234,05 EUR für die Kosten der Unterkunft und Heizung enthalten waren.
Auf den Folgeantrag des Klägers vom 18. Mai 2006 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 01. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 mit Bescheid vom 06. Juni 2005 Leistungen in dieser Höhe. Am 18. Juli 2005 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er ab dem 01. August 2005 eine Berufsausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer beginne und eine Bruttovergütung in Höhe von 626,00 EUR erhalten werde.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2005 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 18. Mai 2005 ab dem 01. August 2005 wegen des Wegfalls der Hilfebedürftigkeit wegen der Arbeitsaufnahme gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X auf. Ausweislich eines Telefonvermerks vom 26. Juli 2005 sagte eine Mitarbeiterin der Beklagten gegenüber der Mutter des Klägers zu, dass Leistungen für den Monat August 2005 wegen des Zuflussprinzips noch gezahlt würden. Insoweit zahlte die Beklagte auch im Monat August 2005 den ursprünglich bewilligten Betrag aus, was auf einem weiteren Bewilligungsbescheid vom 28. Juli 2005 beruhte, der Leistungen für den Zeitraum vom 01. Juli 2005 bis zum 31. August 2005 in bisheriger Höhe zusprach.
Mit Bescheid vom 15. September 2005 hob die Beklagte diesen Bescheid vom 28. Juli 2005 für den Zeitraum vom 01. August 2005 bis zum 31. August 2005 wieder teilweise in Höhe von 338,51 EUR unter Zugrundelegung des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X auf.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2005 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch, den er damit begründete, er hätte - wenn er kein Arbeitslosengeld II erhalten hätte - keine Einnahmen gehabt. Auch hätten ihm vier Mitarbeiter der Beklagten "versprochen", dass er die Leistungen nicht zurückzahlen müsse. Sein erstes Gehalt habe er erst am 28. August 2005 erhalten, was er aber erst im Folgemonat verbraucht habe.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2006 zurück. Zur Begründung führt die Beklagte aus, das Einkommen sei in dem Monat zuzurechnen, in dem es zufließt. Dabei komme es nicht darauf an, ob dies am Anfang oder am Ende des Monats der Fall sei. Zur Überbrückung bis zur ersten Gehaltszahlung hätten allenfalls darlehensweise Zahlungen erbracht werden können. Die zu viel erhaltenen Leistungen seien dann nach § 50 SGB X zu erstatten.
Gegen diese Entscheidungen wendet sich der Kläger mit seiner am 30. Mai 2006 bei dem Sozialgericht Lüneburg erhobenen Klage. Er trägt vor, die Argumentation der Beklagten überzeuge ihn nicht, die fraglichen Zahlungen habe er zu Recht erhalten und müsse sie nicht zurückzahlen. Seine Mutter könne bezeugen, dass Mitarbeiter der Beklagten ausgesagt hätten, dass eine Rückzahlung nicht erforderlich ist. Sollte das Gericht der Auffassung sein, dass eine Rückzahlungspflicht nicht bestehe, müsse Berücksichtigung finden, dass eine Rückforderung nicht der Billigkeit entspreche und ihn zu hart treffen würde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 03. Juli 2006 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt ist. Hierzu haben sie sich nicht geäußert
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten sowie die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten zum Aktenzeichen 25102BG0005290 verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die die Kammer gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden kann, weil die Beteiligten hierzu vorher ordnungsgemäß angehört wurden, ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2006 ist rechtmäßig, der Kläger ist durch die angefochtenen Entscheidungen nicht beschwert, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Die Hilfebedürftigkeit des Klägers im Monat August 2005 ist durch die Überweisung des Lohnes für den Monat August 2005 an den Kläger am 28. August 2005 teilweise entfallen.
Der Bescheid vom 15. September 2005 ist sowohl formell (dazu unter 1.) als auch materiell rechtmäßig (dazu unter 2.).
1. Zwar ist eine Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheides unterblieben. Dies führt hier aber nicht zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheides. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte von einer Anhörung nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) hätte absehen können. Selbst wenn von einer Verletzung der Anhörungspflicht ausgegangen werden müsste, wäre dieser Fehler unbeachtlich, da die Anhörung im Widerspruchsverfahren wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Im vorliegenden Fall genügt hierfür die Durchführung des Widerspruchsverfahrens, da die Beklagte im Bescheid vom 15. September 2005 die für die Entscheidung maßgebenden Tatsachen angegeben und den Widerspruch sachlich (inhaltlich) beschieden hat (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 24. März 1994 - 5 RJ 22/93 - ).
2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt muss nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. dem über § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anwendbaren § 330 Abs. 3 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraums (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X).
b) Nach § 2 Abs. 2 S. 1 der auf der Grundlage von § 13 SGB II ergangenen Verordnung zur Berechung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl. I. S. 2622) in der hier noch anzuwendenden bis 30.09.2005 geltenden Fassung sind laufende Einnahmen für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass das am 28. August 2005 ausbezahlte Gehalt für den Monat August 2005 als Einkommen für die Zeit vom 01. August 2005 bis zum 31. August 2005 anzurechnen ist. Die Regelung in § 2 Abs. 2 S. 1 Alg II-V wird von der Ermächtigungsgrundlage des §13 SGB II gedeckt und steht mit höherrangigem Recht im Einklang; sie entspricht im Übrigen auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Einkommensanrechnung bei der Arbeitslosenhilfe (Alhi) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur Einkommensanrechnung bei der Sozialhilfe.
Das Bundessozialgericht hat für den Anspruch auf Alhi ausgesprochen, dass jede Leistung in Geld oder Geldeswert in dem Zahlungszeitraum der Alhi, in dem sie dem Arbeitslosen zufließt, Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Alhi ist, während der am Ende des Zeitraums nicht verbrauchte Teil zum Vermögen wird. Diese begriffliche Unterscheidung hat lediglich im Hinblick auf die Nachrangigkeit von Alhi gegenüber anderweitigen Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, für während des Leistungsbezugs wiederkehrende Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung oder Verpachtung sowie Kapitalvermögen Einschränkungen und Präzisierungen erfahren (BSG 09.08.2001 - B 11 AL 15/01 R - SozR 3-4300 § 193 Nr. 3 = BSGE 88, 258 Rn 19). Das Bundesverwaltungsgericht hat ebenfalls bei der Berechnung von Sozialhilfe entschieden, dass alles das, was jemand im Bedarfszeitraum erhält als Einkommen auf den sozialhilferechtlichen Bedarf anzurechnen ist, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt das Einkommen innerhalb des Bedarfszeitraums tatsächlich zufließt (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 22. April 2004 - 5 C 68/03 - NJW 2004, 2608 f).
Der Einwand des Kläger, dass für die Zeit vom Monatsersten bis zum Zuflusstag keine "bereiten Mittel" zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stünden, wenn Arbeitseinkommen erst ganz am Ende eines Monats tatsächlich zufließe, rechtfertigt keine hiervon abweichende Beurteilung. Der Umstand, dass Einkommen, das im Bedarfszeitraum zu einem späteren Zeitpunkt zufließt, bis zu diesem Zeitpunkt nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht, berührt nicht die Anrechnung als Einkommen, sondern betrifft allein die Frage, inwieweit trotz des anzurechnenden Einkommens zur Überbrückung vorübergehend Leistungen zu gewähren sind (vgl. BVerwG, a. a. O.). Für einen solchen Sachverhalt sieht § 23 Abs. 4 SGB II vor, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden können, soweit in dem Monat, für den die Leistungen erbracht werden, voraussichtlich Einnahmen anfallen. Die Regelung in § 23 Abs. 4 SGB II soll gerade die Fälle erfassen, in denen - wie hier - im Voraus bekannt ist, dass die Hilfebedürftigkeit wegen späteren Einkommenszuflusses für den Monat ausgeschlossen oder vermindert werden wird (BT-Drucksache 15/2997 S. 24 zu Nr. 12a).
Im Übrigen sieht sich die Kammer auch durch die im ursprünglichen Entwurf der Alg II-V vorgesehene Regelung in § 2 Abs. 2, wonach laufende Einnahmen, die in den letzten fünf Kalendertagen eines Monats zufließen, dem Folgemonat zuzurechnen sind, bestätigt. Denn die hier anzuwendende und daher maßgebliche Fassung des § 2 Abs. 2 Alg II-V ist gerade nicht in der im Entwurf ursprünglich vorgesehenen Form in Kraft getreten. Auch bei der durch Verordnung vom 22. August 2005 (BGBl. I S. 2499) erfolgten Änderung des § 2 Alg II-V ist die Regelung in § 2 Abs. 2 S. 1 Alg II-V unverändert geblieben.
c) Soweit sich der Kläger auf Zusagen von Mitarbeitern der Beklagten beruft, wonach er die geleisteten Beträge nicht zurückzahlen müsse, kann er damit nicht durchdringen, da es insoweit bereits an der für eine Zusicherung erforderlichen Schriftform fehlt, § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X. Daher musste die Kammer auch der von dem Kläger angeregten Zeugenvernehmung nicht nachkommen.
d) Einwände gegen die Höhe des Rückforderungsbetrages hat der Kläger nicht erhoben, Mängel in der Berechnung durch die Beklagte sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
e) Soweit der Kläger einwendet, die Rückforderung des überzahlten Betrages stelle für ihn eine unbillige Härte dar, kann ihm dies schließlich auch nicht zum Erfolg verhelfen, da der Beklagten wegen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. dem über § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anwendbaren § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III ein Ermessen hinsichtlich des Ob der Rückforderung nicht eingeräumt wird.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG, das Verfahren ist für den Kläger gemäß § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei.
4. Ein Grund für die Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG liegt nicht vor. Insbesondere ergibt sich die Antwort auf die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage zur Anrechnung laufender Einnahmen bereits aus dem Wortlaut der einschlägigen Verordnung. Ferner weicht der Gerichtsbescheid auch nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen ab.