Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 15.12.2005, Az.: L 8 AS 427/05 ER
Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung durch den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende; Heranziehung des Mietspiegels und der Wohngeldtabelle nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) zur Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten; Zugehörigkeit der Betriebskosten zu den Kosten der Unterkunft; Vermutung der Angemessenheit der monatlich bestimmten Heizungskosten bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 15.12.2005
- Aktenzeichen
- L 8 AS 427/05 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 31568
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2005:1215.L8AS427.05ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 02.11.2005 - AZ: S 25 AS 643/05 ER
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 1 SGB II
Fundstellen
- SozSich 2006, 143
- info also 2007, 42-43 (Kurzinformation)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Für die Prüfung der Angemessenheit von Unterkunftskosten bei der Bewilligung von ALG II kann, sofern nicht spezielle örtliche Mietspiegel vorhanden sind, die aktuelle Wohngeldtabelle nach dem Wohngeldgesetz (§ 8) herangezogen werden.
- 2.
Heizkosten sind in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, soweit diese Kosten angemessen sind. Die Höhe der laufenden Kosten für Heizung ergeben sich entweder aus dem Mietvertrag bzw. aus den Vorauszahlungsfestsetzungen der Energie- bzw. Fernwärmeversorgungsunternehmen. Für diese monatlich bestimmten Heizungskosten spricht zunächst eine Vermutung der Angemessenheit, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen.
- 3.
Kosten für Unterkunft und Heizung sind grundsätzlich nach § 22 Abs. 1 SGB II nicht als Darlehen, sondern als gebundene Leistung vom Sozialleistungsträger zu erbringen.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 2. November 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Lüneburg vom 2. November 2005 ist nicht begründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet, weitere Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 23,50 EUR zu erbringen. Der Antragsgegner ist dadurch rechtlich nicht beschwert. Der Senat verweist zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Beschlussbegründung, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG.
Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlass zu einer anderen Betrachtungsweise. Der im September 1968 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Der Antragsgegner erbringt die Leistungen hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §§ 22 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II als kommunaler Träger. Im Mietvertrag des Antragstellers vom 14. Februar 2005, der das Mietverhältnis ab 1. März 2005 begründet hat, sind folgende Positionen vereinbart: Kaltmiete 130,00 EUR, Heizung 50,00 EUR, Strom 25, EUR, Wasser 25,00 EUR, Kabel 15,00 EUR, Müll 5,00 EUR; der Gesamtbetrag beläuft sich daher auf 250,00 EUR. Der Antragsgegner hat bewilligt, einen monatlichen Betrag von 192,50 EUR bewilligt (Bescheide vom 7. Juli und 26. August 2005, Widerspruchsbescheid vom 30. September 2005, dagegen Klage zum SG Lüneburg - S 25 AS 663/05 -). Herausgenommen wurden die Kosten für den Strom, da sie im Regelsatz enthalten seien, womit der Antragsteller einverstanden ist. Weiterhin wurden Abzüge für Wasser/Abwasser und die Heizkosten gemacht, da diese unangemessen hoch seien. Der vom Antragsteller ermittelte Betrag von 216,00 EUR könne daher nicht übernommen werden. Auch in der Beschwerde wird weiterhin behauptet, die Aufwendungen für Wasser/Abwasser und die Beheizung seien unangemessen hoch. Sie dürften daher nicht übernommen werden, der Beschluss des SG Lüneburg weise einen schwerwiegenden Rechtsfehler auf. Diese Annahme der Antragsgegnerin trifft nicht zu.
Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Sind die tatsächlichen Aufwendungen unangemessen, sind sie durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise zu senken. In der Regel sollen die "unangemessenen Kosten" längstens für sechs Monate übernommen werden.
Nach der Rechtsprechung des Senats hinsichtlich der Angemessenheit von Unterkunftskosten sind die Unterkunftskosten des Antragstellers unzweifelhaft angemessen. Der Senat legt insoweit regelmäßig, sofern nicht spezielle örtliche Mietspiegel vorhanden sind, die aktuelle Wohngeldtabelle nach dem Wohngeldgesetz (§ 8) zu Grunde. Wird die Tabelle zu Grunde gelegt, und zwar die rechte Spalte, wäre eine Wohnungsmiete ("Warmmiete") bis zu 325,00 EUR monatlich angemessen. Denn die Stadt D., in welcher der Antragsteller wohnt, gehört zu einer Gemeinde mit der Mietstufe IV, bei einem zum Haushalt rechnenden Familienmitglied - dem Antragsteller - ergibt sich daraus unter Zugrundelegung des Tabellenwertes der rechten Spalte (Wohnraum, der ab 1. Januar 1992 bezugsfertig geworden ist) ein Tabellenwert von 325,00 EUR. Dieser Tabellenwert in der rechten Spalte wird regelmäßig zu Grunde zu legen sein, auch um Leistungsempfängern und den Sozialleistungsträgern zur Bestimmung des Begriffs der Angemessenheit klare und eindeutige "Richtlinien" an die Hand zu geben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Mai 2005 - L 8 AS 78/95 ER -; zuletzt Beschluss vom 28. November 2005 - L 8 AS 181/05 ER -). Davon sollte nur abgesehen werden, wenn der örtliche Wohnungsmarkt durch aussagekräftige Mietspiegel erschlossen wurde oder im Einzelfall eine andere Betrachtungsweise angezeigt ist. Letztgenannte Umstände liegen hier offensichtlich nicht vor.
Bereits unter Zugrundelegung dieses Tabellenwertes ergibt sich, dass die Unterkunftskosten im Bereich des angemessenen liegen. Zu den Kosten der Unterkunft gehören neben den Hauptkosten - der Kaltmiete - auch die Nebenkosten. Dies sind alle Betriebskosten, die nach dem Mietrecht - der Betriebskostenverordnung 2004 (vom 25. November 2003, BGBl. I S. 2346) - vom Vermieter auf den Mieter umgelegt werden können und auch Hauseigentümern entstehen. Zu diesen Nebenkosten gehören die Kosten für Wasser/Abwasser, nach § 2 Nr. 2 und Nr. 3 Betriebskostenverordnung. Bereits deshalb besteht kein rechtlich begründbarer Ansatz die Nebenkosten (hier Wasser/Abwasser) zu kürzen, weil die Miete insgesamt im Bereich des angemessenen liegt.
Im Hinblick auf die Heizkosten gilt Folgendes: Die tatsächlichen monatlichen Heizungskosten, mit 50,00 EUR monatlich im Mietvertrag vereinbart, sind zugleich auf den nach Ansicht des Antragsgegners angemessenen Anteil gekürzt worden, indem Durchschnittsverbrauchswerte der Kürzung zu Grunde gelegt wurden, hier 0,97 EUR pro Quadratmeter Wohnfläche. Diese Vorgehensweise steht mit § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht in Einklang. Danach sind die Leistungen für (Unterkunft und) Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, soweit diese Kosten angemessen sind. Die Höhe der laufenden Kosten für Heizung ergeben sich entweder aus dem Mietvertrag bzw. aus den Vorauszahlungsfestsetzungen der Energie- bzw. Fernwärmeversorgungsunternehmen. Für diese monatlich bestimmten Heizungskosten spricht zunächst eine Vermutung der Angemessenheit, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen, zumal die Höhe der Heizkosten von zahlreichen Faktoren abhängt, wie z.B. Lage und Bauzustand der Wohnung, Geschosshöhe, Wärmeisolierung, Heizungsanlage und meteorologische Daten; auch mag für einen bestimmten Personenkreis ein erhöhter Heizbedarf bestehen (Alter, Kinder, Behinderung). Daraus ergibt sich, dass der Wärmebedarf von verschiedenen Faktoren abhängig ist und allein die Überschreitung von Durchschnittswerten die Unangemessenheit der Heizkosten nicht ohne weiteres begründen kann (vgl. dazu Berlit in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II, 2005, § 22 Rdnr. 50 f.; Lang in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2005, § 22 Rdnr. 46; Gerenkamp in Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, Loseblattsammlung, Stand Oktober 2004, § 22 Rdnr. 16 f.). Soweit - wie hier - quadratmeterbezogene Richtwerte zu Grunde gelegt werden, kann damit die Angemessenheit der Heizkosten nicht hinreichend bestimmt umschrieben werden. Denn - wie oben dargelegt - spielt bei der Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten eine Vielzahl von Wirkungszusammenhänge eine wesentliche Rolle. Wenn der Leistungsträger nach dem SGB II entsprechende Heizkostenrichtlinien anwenden will, entspräche es einer Fürsorgepflicht gegenüber den Leistungsberechtigten nach dem SGB II, diese darüber zu unterrichten, damit für die Zukunft eine Anpassung des Heizverhaltens an die in der Heizkostenrichtlinie geforderten Werte erfolgen kann.
Mithin sind jedenfalls für die Zeit bis März 2006 - den in der Beschlussformel des SG genannten Zeiten -, die Heizkosten in der vereinbarten Höhe zu übernehmen.
Soweit das SG die Leistungen nur als Darlehen zugesprochen hat, erscheint dies aus den oben dargestellten Gründen bedenklich. Denn die Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht als Darlehen, sondern als gebundene Leistung vom Sozialleistungsträger zu erbringen. Allerdings ist der beschwerdeführende Antragsgegner dadurch rechtlich nicht beschwert. Eine Abänderung des sozialgerichtlichen Beschlusses zu Gunsten des Antragstellers kann nicht erfolgen, weil dieser Beschwerde nicht eingelegt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Da der Antragsteller obsiegt, trägt der Antragsgegner die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.