Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 24.11.2006, Az.: S 25 AS 1215/06 ER

Angemessenes Kraftfahrzeug für einen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen; Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); Sicherstellung des Lebensunterhalts aus einem zu berücksichtigenden Vermögen; Pkw als Vermögen

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
24.11.2006
Aktenzeichen
S 25 AS 1215/06 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 38533
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2006:1124.S25AS1215.06ER.0A

...
hat die 25. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg
am 24. November 2006
durch
den Richter C. - Vorsitzender -
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 06. November 2006 wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), hierbei insbesondere um die Frage, ob der Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des SGB II ist.

2

Der 1972 geborene ledige Antragsteller beantragte bei der Antragsgegnerin zunächst am 28. Juli 2006 und dann noch einmal am 07. September 2006 Leistungen nach dem SGB II. Zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung verfügte er über ein Guthaben auf seinem Girokonto in Höhe von 3.640,63 € Darüber hinaus gab er an, einen Pkw BMW 318 Ci, Erstzulassung Mai 2006, mit einem damaligen Kaufpreis von 34.915,99 € zu besitzen. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 02. August 2006 mit der Begründung ab, das zu berücksichtigende Vermögen von insgesamt 38.556,62 €übersteige die Grundfreibeträge in Höhe von insgesamt 12.150,00 €. Dieser Freibetrag setze sich aus 7.150,00 € Grundfreibetrag sowie einen Betrag in Höhe von 5.000,00 € für ein angemessenes Fahrzeug zusammen.

3

Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 04. September 2006 Widerspruch, den die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 zurückwies.

4

Über den zweiten Antrag vom 07. September 2006 liegt keine Entscheidung vor, die Antragsgegnerin vertritt hierzu die Auffassung, dass der Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 wegen der Identität der beiden Anträge auch über den Antrag vom 07. September 2006 "mitentschieden" habe.

5

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 06. November 2006 bei dem Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben (Aktenzeichen S 25 AS 1225/06), über die noch nicht entschieden worden ist.

6

Mit Schriftsatz vom gleichen Tage hat er darüber hinaus um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht und zur Begründung seines Begehrens - die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm ab dem 01. Juli 2006 fortlaufend Leistungen nach dem SGB II zu gewähren - ausgeführt, die Antragsgegnerin sei im Widerspruchsbescheid von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Es sei ein Guthaben in Höhe von 3.640,00 € angenommen worden. Ein solches Guthaben bestehe jedenfalls jetzt nicht mehr. Ein entsprechender Kontoauszug sei zum Antrag vom 07. September 2006 eingereicht worden. Daraus ergebe sich, dass auf dem Girokonto nunmehr das zunächst angegebene Guthaben nicht mehr vorhanden sei. Auch der zugrunde gelegte Wert des Pkw in Höhe von 34.915,99 € sei nicht der tatsächliche Wert. Laut einer Ankaufsanfrage der BMW Niederlassung Hamburg, Filiale Bergedorf sei das Fahrzeug noch 22.000,00 € für den Antragssteller wert. Da er nach wie vor die Selbständigkeit anstrebe, benötige er auch ein entsprechend repräsentatives Fahrzeug, um entsprechende Fahrten unternehmen zu können. Auch bei der Arbeitsuche sei die Mobilität von entscheidender Bedeutung. Die 5.000,00 € - Grenze, die die Antragsgegnerin aufzeige, sei zu starr. Im Übrigen handele es sich um einen Mittelklassewagen mit nicht übermäßiger Motorisierung. Auch sei ein Zwang zum Verkauf des Pkw, der durch die Entscheidung der Antragsgegnerin eindeutig entstehe, unwirtschaftlich. Es entstünde ein erheblicher Verlust zwischen dem Kaufpreis und dem Verkaufspreis. Entsprechend des Angebotes wären dies über 12.000,00 €. Der Antragssteller habe seine restlichen Barreserven aufgebraucht, so dass er überhaupt kein Vermögen mehr zur Verfügung habe, um Miete und Lebenshaltung zu zahlen. Es sei daher notwendig, im Wege der einstweiligen Verfügung zu entscheiden.

7

Der Antragssteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 01. Juli 2006 fortlaufend Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

9

Zur Begründung verweist sie auf die ihre Entscheidungen. Für die Angemessenheit des Kfz seien die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend. Es komme also darauf an, was nach dem Lebenszuschnitt vergleichbarer Transferleistungsbezieher in quantitativer und qualitativer Hinsicht der Üblichkeit entspreche. Dabei sei ein voraussichtlicher Verkaufserlös von nicht mehr als 5.000,00 € angemessen. Auch die Umstände des Einzelfalles würden eine andere Höhe der Angemessenheit nicht zulassen. Selbst wenn durch den Verkauf nur noch etwa 22.000,00 € zu erzielen wären, läge das Vermögen noch über den Freibeträgen.

10

Zur Ergänzung des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Prozess- sowie die den Kläger betreffende Leistungsakte zum Aktenzeichen 25102BG0000537 ergänzend Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

11

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist gemäß §86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Regelungsanordnung zulässig, der Antrag ist jedoch unbegründet und hat keinen Erfolg.

12

Nach der genannten Vorschrift ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Anordnungsanspruch, d.h. die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung sind glaubhaft zu machen (§§86 b Abs. 2 S. 4 SGG, §§920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Diese Voraussetzungen sind indes nicht erfüllt.

13

1.

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm ein Anordnungsanspruch zusteht. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn es fehlt an der hierfür gemäß §7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, §9 SGB II erforderlichen Hilfebedürftigkeit, weil er seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern kann. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§12 Abs. 1 SGB II). Dabei ist - entgegen der Auffassung des Antragstellers - insbesondere auch sein Pkw als Vermögen zu berücksichtigen. Der Wert dieses Fahrzeuges wird mit ca. 22.000,00 € bemessen. Mit diesem Wert liegt ein nicht mehr angemessenes Kraftfahrzeug im Sinne des §12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II vor. Einschlägige Vorschrift hinsichtlich der Berücksichtigung von Vermögen ist §12 SGB II. Nach §12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Nach §12 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB II ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Nach §12 Abs. 3 S. 2 SGB II sind für die Angemessenheit die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend. Die Antragsgegnerin hält - wohl entsprechend ihren internen Dienstanweisungen - ein Kfz mit einem Wert von mehr als 5.000,00 € in jedem Fall für unangemessen. Zwar ist in der Rechtssprechung - darauf hat der Antragsteller zutreffend hingewiesen - bereits mehrfach entschieden worden, dass eine derartige Betrachtungsweise der gesetzlichen Regelung nicht gerecht wird (vgl. z.B. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2005 - L 8 B 67/05 AS - sowie Beschluss vom 27. Oktober 2005, - L 8 AS 387/05 ER -). Der erste Fall betraf einen Kfz Nissan Almera, Baujahr 2002, mit einem geschätzten Wert in Höhe von 6.800 bis 8.500,00 € Zu einer derartigen Fallgestaltung hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ausgeführt, dass für die Bestimmung der Angemessenheit selbst eine feste Obergrenze nicht benannt worden ist; vielmehr sei vom Gesetzgeber vorgesehen, dass die Ermittlung nach den Lebensumständen des Arbeitslosengeld II-Beziehers durchzuführen ist und die Behörde daher keine feste Obergrenze von maximal 5.000,00 € einführen darf. Auch ist nach der gesetzgeberischen Vorstellung zu berücksichtigen, dass der Besitzer eines Pkw diesen zur Aufrechterhaltung seiner Mobilität behalten soll, um ihn bei alsbaldiger Vermittlung einer Arbeitsstelle weiterhin benutzen zu können.

14

2.

Allerdings ist bei einem hier zugrunde liegenden Wert in Höhe von 22.000,00 € die Angemessenheitsgrenze weit überschritten. Dem Antragsteller ist daher zuzumuten, einen Pkw mit einem derart hohen Vermögenswert zu veräußern und - zur Aufrechterhaltung seiner Mobilität - einen Pkw mit einem angemessenen Wert zu erwerben, der einen Betrag in Höhe von 10.000,00 € nicht überschreitet. Nach Auffassung des Gerichts wird auch ein Fahrzeug mit einem derartigen Wert den vom Antragsteller in erster Linie ins Feld geführten Mobilitätszwecken und den für seine Selbstständigkeit erforderlichen Repräsentationszwecken in gleichem Maße gerecht.

15

3.

Nach Auffassung der Kammer liegen auch die Voraussetzungen des §12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II nicht vor: Die Verwertung des Kraftfahrzeugs ist weder unwirtschaftlich, noch bedeutet sie für den Antragsteller eine besondere Härte. Denn der vom Antragsteller angegebene Wertverlust entsteht nicht durch den Zwang zur Verwertung, sondern beruht allein auf der dem Fahrzeugmarkt immanenten Tatsache, dass Neufahrzeuge bereits kurz nach dem Kauf einen erheblichen Wertverlust erleiden. Bei der Frage, ob die Veräußerung eines Vermögensgegenstandes unwirtschaftlich ist, ist daher nicht der damalige mit dem jetzigen Verkaufspreis zu vergleichen, sondern der jetzige Wert mit dem jetzt zu erzielenden Verkaufserlös. Dass indes bei diesem - zutreffenden - Vergleich von einer Unwirtschaftlichkeit auszugehen sein könnte, ist weder vorgetragen und im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich. Schließlich sind auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonderen Härte ersichtlich, denn nach dem Sinn und Zweck von Härteregelungen begründen nur besondere Umstände des Einzelfalls, nicht jedoch allgemein gültige Verhältnisse eine besondere Härte (vgl. hierzu allgemein Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Juli 1993, - 11/9 b RAr 27/92 -).

16

4.

Bei dieser Betrachtungsweise verfügt der Antragsteller über Vermögen, welches die Gewährung von staatlichen Transferleistungen nach dem SGB II ausschließt.

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Der Vermögensfreibetrag gemäß §12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II beträgt für den Antragsteller 6.600,00 € (33 vollendete Lebensjahre × 200,00 €); dem ist der Freibetrag gemäß §12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Höhe von 750,00 € hinzuzurechnen, so dass sich ein Freibetrag in Höhe von insgesamt 7.350,00 € errechnet. Dem steht ein Vermögen von wenigstens 22.000,00 € gegenüber, so dass der Antragsteller nicht hilfebedürftig und die Antragsgegnerin die Anträge zu Recht abgelehnt hat. Bei dieser Sachlage kommt es - da bereits das Kraftfahrzeug als solches unangemessen ist und damit verwertbares Vermögen darstellt - nicht darauf an, ob das nunmehr verbrauchte Guthaben auf dem Girokonto im Rahmen des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 206 unberücksichtigt blieb. Allerdings wird die Antragsgegnerin zu prüfen haben, ob über den Antrag vom 07. September 2006 in einem gesonderten Verwaltungsverfahren zu entscheiden ist.

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5.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §193 Abs. 1 SGG. Da der Antragsteller unterliegt, trägt er seine außergerichtlichen Kosten selbst.