Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 21.09.2006, Az.: S 15 SB 5/06
Anerkennung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) sowie Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF"; Medizinische Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF"; Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung von mehr als 70
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 21.09.2006
- Aktenzeichen
- S 15 SB 5/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 36753
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2006:0921.S15SB5.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX
- § 2 Abs. 2 SGB IX
- § 69 Abs. 1 S. 3 SGB IX
Tenor:
- 1.
Der Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2005 wird aufgehoben und der Beklagte wird gemäß seinem Teilanerkenntnis vom 21. September 2006 verpflichtet, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 70 festzustellen.
- 2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 3.
Der Beklagte trägt 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger des vorliegenden Rechtsstreits begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB) und dabei mindestens die Feststellung eines GdB von 70, im Laufe des gerichtlichen Verfahrens erweiterte er sein Begehren auf die Feststellung eines GdB von 80 sowie die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF".
Bei dem G. geborenen nicht erwerbstätigen Kläger hatte das Versorgungsamt H. mit zuletzt bindend gewordenem Bescheid vom 01. März 2002 einen GdB von 60 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab dem 5. Januar 2000 festgestellt (Bl. 265 VA). Grundlage hierfür war die Anerkennung folgender dauernder Funktionsbeeinträchtigungen:
- 1.
Hypertonus, koronare Herzkrankheit, Myokardinfarktfolgen, Stent-Implantation, Belastungsangina (Einzel-GdB: 40),
- 2.
Erkrankung des Immunsystems, fortgesetzte Behandlungsfolgen (Einzel-GdB: 30),
- 3.
chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (Einzel-GdB: 20).
Am 11. April 2005 stellte der Kläger einen Neufeststellungsantrag (Bl. 303 VA), mit dem er eine wesentliche Verschlimmerung seiner bereits bewerteten Gesundheitsstörungen geltend machte. Nach Einholung verschiedener medizinischer Unterlagen, insbesondere einem Befundbericht des praktischen Arztes I. vom 14. Juli 2005 (Bl. 311 VA), der auf verschiedene Arztbriefe verweist, dabei insbesondere auf einen Entlassungsbericht der Klinik für J. vom 28. April 2005, lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 25. Oktober 2005 (Bl. 320 VA) ab. Dabei beruft er sich auf die ärztliche Stellungnahme seiner ärztlichen Beraterin - Dr. K. L. - vom 26. September 2005 (Bl. 319 VA), in der die Funktionsbeeinträchtigungen wie folgt bezeichnet werden:
- 1.
Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, Belastungsangina, Stentimplantation (Einzel-GdB: 40),
- 2.
Erkrankung des Immunsystems (Einzel-GdB: 30),
- 3.
chronische obstruktive Bronchitis (Einzel-GdB: 20).
Hieraus bildete der Beklagte den Gesamt-GdB von 60. Die Funktionsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Zuckerkrankheit und dem Wirbelsäulenleiden bewertete der Beklagte jeweils mit einem Einzel-GdB von 10, der sich danach nicht auf den Gesamt-GdB auswirkte. Die Gesundheitsstörungen im Zusammenhang mit Knieschmerzen, Senk- und Spreizfüßen, Schwächezuständen, Nierensteinleiden seien nicht belegt. Daher könne insoweit kein messbarer GdB festgestellt werden.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 27. Oktober 2005 am 31. Oktober 2005 bei dem Beklagten Widerspruch. Unter ärztlicher Beteiligung des ärztlichen Beraters des Beklagten - Herrn Dr. M. - vom 14. November 2005 (Bl. 327 VA) wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2005 (Bl. 330 VA) zurück. Der Vergleich der jetzt vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit den der letzten Feststellung des GdB zugrunde liegenden ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Der GdB mit 60 sei nach wie vor zutreffend festgestellt.
Hiergegen erhob der Kläger am 05. Januar 2006 bei dem Sozialgericht Lüneburg Klage. Er macht geltend, die bisherige Bewertung werde seinem Gesundheitszustand nicht gerecht, denn er sei durch die vielen Gesundheitsstörungen weitaus stärker beeinträchtigt, als dies der Beklagte bislang anerkannt habe. Er verweist insbesondere auf beigefügte Unterlagen zu einem Tinnitus, zu einem Nierenleiden und zu Gelenkschmerzen. Im Zusammenhang mit den anderen Erkrankungen würden diese Leiden seine Gesundheit erheblich beeinträchtigen. Nierenkoliken bekomme er trotz täglicher Einnahme von Medikamenten regelmäßig seit gut 15 Jahren alle 2 Jahre. 4 Mal seien ihm bisher Steine extrahiert worden. Schwerwiegende unheilbare Zusatzerkrankungen würden als unwesentlich fortgeschrieben. Insgesamt begehre er einen GdB von 80 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "RF".
Der Kläger, der aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht an dem Termin zur mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),
den Bescheid des Beklagten vom 25. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Dezember 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einen Grad der Behinderung von 80 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" festzustellen.
Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. September 2006 ein Teilanerkenntnis dahin abgegeben, bei dem Kläger ab dem 11. April 2005 einen GdB von 70 festzustellen und beantragt unter Hinweis auf die gutachtliche Stellungnahme seiner ärztlichen Beraterin - Frau Dr. N. - vom 11. Mai 2006 (Bl. 43 GA),
die Klage, soweit sie über das abgegebene Teilanerkenntnis hinausgeht, abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, der Gesundheitszustand des Klägers sei ausreichend und leidensgerecht bewertet. Eine Verschlimmerung im Sinne des § 48 SGB X sei über das abgegebene Teilanerkenntnis hinaus nicht eingetreten. Den Ausführungen des Klägers in seiner Klagebegründung sei zu entgegnen, dass Beschwerden, Medikamentennebeneffekte etc. bei der jeweiligen Bewertung mit einem GdB nach den Anhaltspunkten bereits berücksichtigt seien. In den im Klageverfahren eingeholten medizinischen Unterlagen seien schwerwiegende Funktionsdefizite der Gelenke und der Wirbelsäule nicht belegt. Auch wenn die Blutzuckereinstellung zunehmend schlechter werde, ergebe sich hieraus kein höherer GdB als 10.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat das Gericht folgende medizinische Unterlagen beigezogen: einen Befundbericht des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie O. vom 06. März 2006 (Bl. 19 GA), einen Befundbericht des praktischen Arztes I. vom 22. März 2006 (Bl. 25 GA) sowie einen Befundbericht des Dermatologen und Internisten Prof. Dr. P. vom 17. März 2006 (Bl. 35 GA), denen weitere Unterlagen beigefügt waren.
Schließlich hat das Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. September 2006 das fachinternistische Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. med. Q. R. nach vorheriger ambulanter Untersuchung des Klägers erstatten lassen. Der Sachverständige stellte folgende dauernde Funktionsbeeinträchtigungen bei dem Kläger fest:
- 1.
Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, abgelaufener Herzinfarkt, Belastungsangina, Stentimplantation
- 2.
Erkrankung des Immunsystems mit gehäuften Infekten und Gelenkbeschwerden mit Knochennekrose
- 3.
chronisch-obstruktive Bronchitis
- 4.
Diabetes mellitus mit Biguaniden eingestellt
- 5.
Nierensteinleiden ohne Funktionseinschränkung der Niere
- 6.
chronischer Tinnitus
Die Funktionsbeeinträchtigungen bewertete der Sachverständige mit jeweils einem Einzel-GdB von 40, 40, 20 und 10, zu der Funktionsbeeinträchtigung zu 5. hat der Sachverständige keine eigenständige Bewertung abgegeben, die Funktionsbeeinträchtigung des chronischen Tinnitus bewerte der Sachverständige mit einem Einzel-GdB von 0. Den Gesamt-GdB bewertete der Sachverständige sodann mit 70.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gutachtlichen Ausführungen des Sachverständigen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21. September 2006 ergänzend Bezug genommen.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakten und die den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten zum Aktenzeichen 78-00132, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da dieser in der Ladung vom 19. Juli 2006 - die er 22. Juli 2006 erhalten hat - darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann, vgl. §§ 126, 127 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die frist- und formgerecht erhobene Klage ist zulässig; sie ist jedoch, soweit sie über das nicht angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten vom 21. September 2006 hinausgeht, nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung von mehr als 70 zu. Auch können die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF" nicht festgestellt werden.
1.
Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Wie bisher nach dem Schwerbehindertengesetz handelt es sich bei den Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 und 2 Neuntes Buch Sozialgerichtsbuch- Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. September 2000, - B 9 SB 3/00 R -). Eine Aufhebung ist dabei nur "insoweit" zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2000, a.a.O.). Eine wesentliche Änderung ist anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung des Behinderungszustandes eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt bzw. die gesundheitlichen Voraussetzungen eines Nachteilsausgleichs nicht mehr vorliegen (vgl. hierzu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz , Urteil vom 04. April 2001, - L 4 SB 64/99 -). Die Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen oder das Hinzutreten weiterer Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB allein stellen keine wesentliche Änderung dar (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 1998, - B 9 SB 18/97 R -; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz , Urteil vom 04. April 2001, - L 4 SB 64/99 -). Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich der gegenwärtigen - d.h. den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kammer - mit dem verbindlich festgestellten objektiven Behinderungszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des letzten bindend gewordenen Bescheides ermittelt werden. Bei einer derartigen Neufeststellung handelt es sich nicht um eine reine Hochrechnung des im letzten maßgeblichen Bescheid festgestellten GdB, sondern um dessen Neuermittlung unter Berücksichtigung der gegenseitigen Beeinflussung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2000, - B 9 SB 3/00 R -; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen , Urteil vom 18. Juni 2002, - L 6 SB 142/00 -). Handelt es sich bei den anerkannten Behinderungen um solche, bei denen der Grad der Behinderung wegen der Art der Erkrankung höher festgesetzt wurde, als es die tatsächlich nachweisbaren Funktionseinschränkungen würden, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X auch dann vor, wenn für die der anerkannten Behinderungen zugrunde liegenden Erkrankungen die sogenannte Heilungsbewährung abgelaufen ist.
2.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist eine wesentliche Veränderung im Sinne einer Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers, die über das abgegebene Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgeht, nicht eingetreten.
Nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Menschen sind unter den weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Bei der Bewertung der Einzel-GdB und der Bildung des Gesamt-GdB sind die Bewertungsrichtlinien der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (herausgegeben vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) - AHP 2004 - zugrunde zu legen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mehrfach, etwa im Urteil vom 18. Dezember 1996, - 9 RV 17/95 -, in: Sozialgerichtsbarkeit 1997, 165, zu der Anwendbarkeit der Anhaltspunkte und zu den Grenzen der gerichtlichen Überprüfung Stellung genommen. Die Anhaltspunkte sind danach trotz Fehlens einer formalen Ermächtigungsnorm im Interesse einer Gleichbehandlung aller Behinderten als "antizipierte Sachverständigengutachten" zu beachten, entfalten im Schwerbehindertenrecht trotz fehlender Ermächtigungsgrundlage normähnliche Wirkung und unterliegen nur eingeschränkt richterlicher Kontrolle (vgl. BSG Urteil vom 23. Juni 1993, - 9/9a RVs 1/91-, in SozR 3-3870 § 4 Nr. 6; vgl. zur Verbindlichkeit der AHP ferner: BSG, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R).
3.
Nach den nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und deshalb überzeugenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Herrn Dr. Q. R. leidet der Kläger an einem Bluthochdruck, einer koronaren Herzkrankheit, einem abgelaufenen Herzinfarkt, einer Belastungsangina, einer Erkrankung des Immunsystems mit gehäuften Infekten und Gelenkbeschwerden mit Knochennekrose, einer chronisch-obstruktiven Bronchitis, einem Diabetes mellitus mit Metformin eingestellt, ferner an Nierensteinen ohne Funktionseinschränkung der Niere sowie an einem chronischen Tinnitus.
Die von dem Sachverständigen vorgeschlagene Einzelbewertung und die Gesamtbetrachtung sind nach den Maßstäben der AHP 2004 nicht zu beanstanden.
a)
Die Bewertung der im Vordergrund stehenden schweren koronaren Herzkrankheit mit einem Teilwert von 40 ist nach den aktenkundigen Befunden sowie den Feststellungen des Sachverständigen Herrn Dr. R. nicht zu beanstanden (vgl. AHP 2004 , Nr. 26.9, S. 71). Zwar besteht bei dem Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen eine deutliche Belastungsinsuffizienz im täglichen Leben, die mit der ergometrisch ermittelten Belastungsfähigkeit bis 50 Watt korreliert und nach den AHP 2004 bereits einen Rahmen von 50 bis 70 eröffnet. Indes erscheint der Kammer in Übereinstimmung mit der Auffassung des Sachverständigen, eine derartige Bewertung nicht gerechtfertigt. Die Funktionsbeeinträchtigung im Zusammenhang mit dem Herzleiden des Klägers ist danach gleichwohl lediglich mit einem Teilwert von 40 zu bewerten, da sich aus den erhobenen Befunden und der echokardiografischen Untersuchung lediglich eine mittelgradige Herzkraft ergibt, die mit der Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung korreliert. Die darüber hinausgehende Belastungsschwäche des Klägers, die die Ergometerbelastung nur bis 50 Watt erklärt, resultiert nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen aus der muskulären Schwäche, die durch die HIV-Infektion hervorgerufen wird. Die damit einhergehenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen werden allerdings gesondert bei diesem Erkrankungskomplex berücksichtigt (siehe dazu unter b)), so dass eine Berücksichtigung auch bei dem Herzleiden des Klägers eine doppelte Berücksichtigung bedeuten würde, die nicht gerechtfertigt wäre. Vor diesem Hintergrund ist die von dem Beklagten vorgenommene Bewertung mit 40, die der Sachverständige im Ergebnis bestätigt hat, nicht zu beanstanden.
b)
Für die Erkrankung des Immunsystems durch die HIV-Infektion des Klägers stellte der Sachverständige in Übereinstimmung mit den AHP 2004 , Nr. 26.16, S. 106 einen Teilwert von 40 fest, was einer geringen Leistungsbeeinträchtigung wie bei einem Lymphadenopathiesyndrom (LAS) entspricht und die im Rahmen der HIV-Infektion oder der antiretroviralen Therapie auftretenden erheblichen Gelenkbeschwerden mit Verschwellungen und Knochennekrosen im Bereich des rechten Knies mit umfasst. Die Kammer schließt sich insoweit dem Sachverständigen an, wenn dieser eine stärkere Leistungsbeeinträchtigung (wie z.B. bei einem AIDS-related complex (ARC)), die mit einem Teilwert von 50 bis 80 zu bewerten wäre, nicht feststellen konnte, da bei dem Kläger in Bezug auf die Erkrankung des Immunsystems das Vorliegen des AIDS-related complex nicht anzunehmen ist. Andererseits umfasst die Bewertung mit einem Teilwert von 40 die im Zusammenhang mit dem Herzleiden "ausgeklammerten" Funktionseinbußen, insbesondere die Gelenkbeschwerden und die muskuläre Schwäche, die sich nach den Ausführungen des Sachverständigen bei diesem Erkrankungskomplex abweichend von der bisherigen Bewertung des Beklagten mit einem Teilwert von bisher 30 erhöhend auf einen Teilwert von 40 auswirken, womit ihnen und der Verschlimmerung im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zum zuletzt bindend gewordenem Feststellungsbescheid vom 01. März 2002 im Ergebnis angemessen Rechnung getragen wird.
c)
Die Kammer folgt auch dem Vorschlag des Sachverständigen, die chronisch-obstruktive Bronchitis wie bisher mit einem Teil-GdB von 20 einzuschätzen (AHP 2004 , Nr. 26.8, S. 68S. 71). Der Sachverständige stellte insoweit in Übereinstimmung mit den vorliegenden Befunden und den selbst festgestellten Messdaten anlässlich seiner durchgeführten Lungenfunktionsprüfung eine Einschränkung der Lungenfunktion geringen Grades fest.
d)
Der bei dem Kläger ausreichend durch Diät und Biguanide einstellbare Diabetes mellitus Typ II ist nach den AHP 2004 , Nr. 26.15, S. 99 mit 10 in Übereinstimmung mit der Bewertung des Sachverständigen auch nach Auffassung der Kammer angemessen bewertet, zumal bisher auch keine Auswirkungen an Organen oder häufige ausgeprägte Hypoglykämien durch diese Gesundheitsstörung aufgetreten sind.
e)
Hinsichtlich des von dem Sachverständigen in seinen schriftlichen Ausführungen nicht mit einem Teilwert eingeschätzten Nierensteinleiden ist dieses nach Auffassung der Kammer von dem Beklagten zutreffend mit 10 bewertet worden. Denn der Sachverständige konnte keine Funktionseinschränkungen der Niere feststellen, auch ist dies den vorliegenden Befunden nicht zu entnehmen. Da der Kläger allerdings angegeben hat, dass er alle zwei Jahre an Nierenkoliken leide, ist in Anlehnung an die AHP 2004 , Nr. 26.12, S. 88 ein Teilwert von 10 angemessen.
f)
Soweit der Sachverständige den chronischen Tinnitus mit einem Teilwert von 0 einschätzt, folgt dem die Kammer ebenfalls. Nach den AHP 2004 , Nr. 26.5, S. 61 ist ein Tinnitus ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen mit einem Wert von 0 bis 10 zu bewerten. Da sich den beigezogenen medizinischen Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte für nennenswerte psychische Begleiterscheinungen entnehmen lassen und auch der Sachverständige solche nicht feststellen konnte, diese also nicht verobjektiviert werden konnten, kommt eine Höherbewertung für dieses Leiden nicht in Betracht.
g)
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ist gemäß § 69 Abs. 3 S.1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Nr. 19 Abs. 3, S. 25 AHP 2004 ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4, S. 26 AHP 2004). Zur Vorbereitung der Bildung des Gesamt-GdB sind nach Nr. 18 Abs. 4, S. 22 AHP 204 Funktionssysteme wie Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz-/Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine und Rumpf zusammenfassend zu beurteilen. Für die Bildung der Teil-GdB sind die für die Bildung des Gesamt-GdB dargelegten Grundsätze entsprechend anzuwenden.
Dem ist der Beklagte in nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen wird ein Gesamt-GdB von 70 den bei der Klägerin vorliegenden dauerhaften Funktionsbeeinträchtigungen hinreichend Rechnung getragen. Ausgehend von einem GdB von 40 für die schwere koronare Herzkrankheit und des Teilwertes in Höhe von 40 für die Erkrankung des Immunsystems und den übrigen jeweils mit 20, 10 und 0 zu bewertenden Funktionsbeeinträchtigungen ist ein Gesamt-GdB von 70, wie vom Beklagten in dem nicht angenommenen Teilanerkenntnis vom 21. September 2006 festgestellt, auch aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht zu beanstanden. Insbesondere überzeugte die Kammer die Einschätzung des Sachverständigen, wonach zwei Haupterkrankungskomplexe aus völlig unterschiedlichen Bereichen bestehen, die sich jedoch ungünstig beeinflussen. Einerseits besteht die erhebliche koronare Herzkrankheit mit Auswirkungen auf die Belastungsfähigkeit, die nur suboptimal therapiert werden kann, die zusätzlich mit einer Reststenose im Bereich der vorderen Kranzarterie einhergeht, jedoch wegen der HIV-Infektion des Klägers nicht operativ beseitigt werden kann. Andererseits bewirkt diese Infektion nach den Ausführungen des Sachverständigen, der sich die Kammer anschließt, durch die Mattigkeit und Müdigkeit des Klägers sowie durch die Medikation eine zusätzliche Leistungsbeeinträchtigung. Hinzu kommen entweder durch die Infektion oder durch die antivirale Therapie erhebliche Gelenkbeschwerden mit einer Knochennekrose, die die Belastungsfähigkeit des Klägers weiter einschränkt. Insgesamt erscheint daher auch der Kammer ein Gesamt-GdB von 70 angemessen, aber auch ausreichend. Ein höherer Grad ist unter Berücksichtigung der derzeit vorhandenen Gesundheitsstörungen und des Ausmaßes der Beschwerden bei dem Kläger nicht gerechtfertigt, insbesondere sind konkrete Anhaltspunkte für den beanspruchten GdB von 80 nicht erkennbar. Hinsichtlich des im Teilanerkenntnis des Beklagten zugrunde gelegten Zeitpunktes der Anerkennung eines Gesamt-GdB von 70 ab April 2005 (dem Antragseingang) hat dies der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt. Dies ist nach Auffassung der Kammer auch zutreffend, da sich die in erster Linie zur Erhöhung des Einzel-GdB für die Erkrankung des Immunsystems und damit auch zur Erhöhung des Gesamt-GdB führende Verschlechterung der Gelenkbeschwerden durch die Stellung des Verschlimmerungsantrages des Klägers im April 2005 manifestierte.
4.
Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "RF" liegen schon deshalb nicht vor, weil der Gesamt-GdB den Wert von 80 nicht erreicht. Nach den AHP 2004, Nr. 33, S. 141 können behinderte Menschen den Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) unter bestimmten Voraussetzungen erhalten. Diese Voraussetzungen liegen u.a. vor bei Behinderten mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Hierzu gehören u.a. auch Behinderte, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können. Diese Voraussetzungen liegen nach vorstehenden Ausführungen ersichtlich nicht vor, so dass eine Zuerkennung des Merkzeichens "RF" auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger dies erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht hat und daher schon fraglich ist, ob diese Klageerweiterung überhaupt zulässig ist, nicht erfolgen kann.
5.
Der Klage war daher mit der ausgesprochenen Kostenquote - die dem Verhältnis vom Obsiegen zum Unterliegen entspricht - gemäß § 193 Abs. 1 S. 1 SGG nur zum Teil stattzugeben und im Übrigen abzuweisen.