Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 19.04.2006, Az.: S 25 AS 313/06 ER
Statthaftigkeit vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei dem in Abrede stellen einer bestehenden aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 19.04.2006
- Aktenzeichen
- S 25 AS 313/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 47572
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2006:0419.S25AS313.06ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86b Abs. 1 S. 1 SGG
- § 86b Abs. 2 S. 1 SGG
- § 193 Abs. 1 SGG
Tenor:
Der Antrag, festzustellen, dass der Widerspruch der Antragstellerin vom 8. November 2005 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 8. November 2005 aufschiebende Wirkung entfaltet, wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1985 geborenen Antragstellerin bewilligte die zu diesem Zeitpunkt noch zuständige Agentur für Arbeit Lüneburg mit Bescheid vom 15. April 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).
Mit Bescheid vom 8. November 2005 hob die Antragsgegnerin diesen Bescheid für die Zeit ab dem 1. August 2005 auf, weil die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung begann. Mit Bescheid vom gleichen Tage forderte die Antragsgegnerin für den von der Aufhebung erfassten Zeitraum vom 1. August 2005 bis 30. September 2005 einen Gesamtbetrag in Höhe von 382,- EUR zurück.
Hiergegen erhob die Antragstellerin am gleichen Tage Widerspruch, über den bislang noch nicht entschieden worden ist.
Mit Schreiben vom 14. November 2005 forderte die Bundesagentur für Arbeit - Regionaldirektion E.- die Antragstellerin auf, die Forderung bis zum 16. Dezember 2005 zu begleichen. Mit Schreiben vom 8. Januar 2006 mahnte die Bundesagentur für Arbeit diesen Betrag erneut an und wies darauf hin, dass nach Ablauf von 10 Tagen unverzüglich Maßnahmen der Zwangsvollstreckung veranlasst werden würden. Mit Schreiben vom 27. Februar 2006 kündigte das Hauptzollamt F.- Vollstreckungsstelle - die Vollstreckung der offenen Forderung an.
Am 20. März 2006 hat die Antragstellerin um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht G.nachgesucht. Zur Begründung trägt sie vor, gegen die der Vollstreckungsankündigung zu Grunde liegenden Bescheide vom 8. November 2005 sei rechtzeitig Widerspruch eingelegt worden. Dies habe zur Folge, dass die Bescheide "schwebend unwirksam" seien und dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus dem Erstattungsbescheid wegen dieser aufschiebenden Wirkung unzulässig seien.
Im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens hat die Antragsgegnerin mitgeteilt, dass die Forderung "ruhend" gestellt sei und eine Vollstreckung nicht erfolgen werde.
Die Antragstellerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),
festzustellen, dass ihrem Widerspruch vom 8. November 2005 aufschiebende Wirkung zukommt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt sie vor, der Forderungseinzug ruhe bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren, auch habe die Regionaldirektion das Ruhen telefonisch bestätigt. Ferner hätte ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren vermieden werden können, wenn ein entsprechender Hinweis seitens der Antragstellerin oder des Prozessbevollmächtigten schon nach Erhalt der ersten Mahnung erfolgt wäre. Auch sei der Widerspruch bislang nicht begründet worden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Prozessakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Rechtsgrundlage für die Feststellung dass der Widerspruch vom 8. November 2005 aufschiebende Wirkung hat, ist eine entsprechende Anwendung des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). In Fällen, in denen, wie hier, die Antragsgegnerin eine bestehende aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs in Abrede stellt, ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 SGG statthaft. Dies folgt aus der Regelung des § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG, wonach eine einstweilige Anordnung nur statthaft ist, soweit es sich nicht um ein Aussetzungsverfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG handelt. Ein Streit über den Eintritt oder Nichteintritt der aufschiebenden Wirkung ist dem System des § 86 b Abs. 1 SGG und nicht dem des § 86 b Abs. 2 SGG zuzuordnen (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 4. September 2002 - L 7 AL 183/02 ER -, Schoch/ Schmidt/ Assmann/ Pietzner, VWGO, § 80, Rdnr. 238 ff. zu der gleich gelagerten Problematik nach §§ 80 und 123 VWGO, vgl. ferner jüngst Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 23. März 2006, - L 9 AS 127/06 ER -).
Nachdem die Antragsgegnerin allerdings im laufenden Verfahren erklärte, dass die Zwangsvollstreckung vorerst nicht weiter fortgesetzt werde, steht der Antragstellerin kein Rechtsschutzbedürfnis für ihr Begehren mehr zur Seite. Denn ein Rechtsschutzinteresse für den Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung besteht nur dann, wenn die Behörde zu erkennen gibt, dass sie die aufschiebende Wirkung nicht für gegeben erachtet oder innerhalb angemessener Zeit (in der Regel höchstens zwei Wochen) auf ein Ansinnen auf Klarstellung nicht reagiert (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer SGG, 8. Auflage, 2005, § 86 b Rdnr. 15). So liegt der Fall aber gerade hier nicht, weil die Antragsgegnerin erklärt hat, vorerst keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen zu initiieren. Da die Antragstellerin das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts das Verfahren nicht für erledigt erklärt hat, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG, wobei das Gericht das ihm zustehende billige Ermessen dahin ausgeübt hat, dass die Beteiligten Kosten einander nicht zu erstatten haben. Insoweit weist die Antragsgegnerin zu Recht darauf hin, dass es des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht bedurft hätte, wenn die Antagstellerin bereits auf die ihr im November 2005 zugegangene Zahlungsmitteilung sowie die Mahnung vom 8. Januar 2006 reagiert hätte, zumal in diesen Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass sie sich - wenn sie mit der Forderung grundsätzlich nicht einverstanden sei - an die Agentur für Arbeit bzw. die Arbeitsgemeinschaft wenden solle und die Regionaldirektion darüber zu informieren sei. Diese Möglichkeiten hat die Antragstellerin indessen ungenutzt verstreichen lassen. Darüber hinaus ist es nach Auffassung des Gerichts auch und gerade deshalb nicht angezeigt der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, weil die Vollstreckungsankündigung bereits Ende Februar bzw. spätestens Anfang März 2006 bei der Antragstellerin eingegangen ist und der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erst am 20. März 2006 beim Sozialgericht Lüneburg gestellt wurde. Allein dieser Umstand rechtfertigt es, von einer Kostenentscheidung zu Lasten der Antragsgegnerin abzusehen, da genügend Zeit geblieben wäre, sich zunächst direkt an die Antragsgegnerin zu wenden.