Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 28.07.2006, Az.: S 25 AS 703/06 ER
Inhalt einer Eingliederungsvereinbarung zwischen dem Sozialhilfeträger und einem Arbeitnehmer; Absenkung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine sich aus der Eingliederungsvereinbarung ergebende Pflicht zum pünktlichen Arbeitsantritt; Aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidenden Verwaltungsakt
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 28.07.2006
- Aktenzeichen
- S 25 AS 703/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 47580
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2006:0728.S25AS703.06ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 15 SGB II
- § 24 SGB II
- § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II
- § 39 SGB II
- § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG
Tenor:
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 27. Juni 2006 gegen den Bescheid der Stadt Bad Fallingbostel vom 18. April 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 31. Mai 2006 anzuordnen, wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1977 geborene Antragsteller bezieht seit dem 01. November 2005 zusammen mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Sohn C. Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Der Antragsteller schloss am 02. Februar 2006 gemäß § 15 SGB II mit dem Antragsgegner eine so bezeichnete Eingliederungsvereinbarung, wobei er u.a. auch auf die nach dem Gesetz vorgesehene Rechtsfolgen im Falle einer Nichterfüllung der Pflicht- und Leistungserfordernisse hingewiesen wurde. In dem sich in der Arbeitsvermittlungsakte des Antragsgegners befindlichen Fragebogen der Arbeitsvermittlung, den der Antragsteller am gleichen Tag vervollständigte, gab er an, dass er unter gesundheitlichen Einschränkungen im Bereich der Bandscheibe sowie der Hüfte leide und daher Probleme bei schwerem Heben, sonst jedoch keine weiteren Schmerzen (mehr) habe. Am 22. März 2006 schloss der Antragsteller sodann mit der Malerfirma D. - in Kooperation mit der Arbeitsvermittlung des Antragsgegners - eine Vereinbarung über die Durchführung eines Praktikums. Dieses Praktikum sollte am 27. März 2006 beginnen und am 28. April 2006 enden. Arbeitsbeginn sollte jeweils um 6.00 Uhr sein.
Am 16. März 2006 beantragte der Antragsteller für den Zeitraum ab dem 01. Mai 2006 Leistungen nach dem SGB II. Mit Folgebescheid vom 05. April 2006 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller, seiner Ehefrau und seinem Sohn (ungekürzte) Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Mai 2006 bis zum 31. Oktober 2006.
Nachdem der Antragsteller am ersten Tag des Praktikums ordnungsgemäß erschienen war, verspürte er nach eigenen Angaben am Morgen des 28. März 2006 erhebliche Schmerzen im Wirbelsäulenbereich, die sich auch durch die Einnahme von entsprechenden Schmerztabletten nicht besserten, so dass er sich in hausärztliche Behandlung begeben musste. Gegen 7.48 Uhr rief dann die Ehefrau des Antragstellers bei Herrn E. - einem Geschäftsführer des Praktikumsgebers - an und teilte diesem mit, dass der Antragsteller nicht zum Praktikum erscheinen könne.
Am nächsten Tag reichte der Antragsteller sodann ein "Fachärztliches Attest" des Facharztes für Orthopädie und Chirotherapie Dr. med. F. vom 28. März 2006 ein, in dem es heißt:
"Auf Grund der vorliegenden Erkrankung besteht eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit, bes. für schweres Heben und Tragen, oder Tätigkeiten mit einseitiger Körperhaltung."
Das Praktikum ist sodann - dies lässt sich den Aktenvorgängen des Antragsgegners nicht in aller Deutlichkeit entnehmen - ohne weitere Korrespondenz zwischen dem Antragsgegner und dem Praktikumsgeber beendet worden.
Ohne vorherige Anhörung senkte die im Auftrag des Antragsgegners handelnde Stadt Bad Fallingbostel die Regelleistung mit Bescheid vom 18. April 2006 gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 6 SGB II für den Zeitraum vom 01. Mai 2006 bis zum 31. Juli 2006 unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 SGB II um 30 v. H. ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Antragsteller habe durch die verspätete Krankmeldung die Kündigung durch den Arbeitgeber zu vertreten und einen wichtigen Grund für das Fehlen nicht rechtzeitig nachgewiesen. Diese Entscheidung führte der Antragsgegner sodann mit Bescheid vom 19. April 2006 aus.
Hiergegen legte der Antragsteller am 02. Mai 2006 Widerspruch ein und betonte, ausweislich des fachärztlichen Attestes lediglich noch leichte Arbeiten ausführen zu können. Am 28. März 2006 habe er auch ab 8.30 Uhr versucht, bei seinem Arbeitsvermittler anzurufen, was jedoch nicht gelungen sei, da sich entweder niemand gemeldet habe oder nur die Mailbox eingeschaltet gewesen sei. Gegen 10.30 Uhr habe dann seine Ehefrau eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Jedenfalls sei er dem Praktikum nicht unentschuldigt ferngeblieben und im Besitz eines Attestes "mit sofortiger Wirkung" gewesen. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2006 als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus: Der Antragsteller hätte sich bei dem Arbeitgeber bereits um 6.00 Uhr melden müssen, um ihm mitzuteilen, dass er nicht oder später zur Arbeit erscheinen werde. In erster Linie habe das Verhalten des Antragstellers, sich erst mindestens zwei Stunden nach Arbeitsbeginn bei dem Arbeitgeber zu melden, zur Beendigung des Praktikums, also zum Abbruch der Maßnahme geführt, nicht die Einschränkung der Leistungsfähigkeit. Diesbezüglich sei ohnehin davon auszugehen, dass der Antragsteller nicht arbeitsunfähig, sondern allenfalls in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt gewesen sei, was jedoch keinen wichtigen Grund, die Maßnahme zu beenden, darstelle.
Hiergegen hat der Kläger am 27. Juni 2006 Klage bei dem Sozialgericht Lüneburg (Az.: S 25 AS 713/06) erhoben und zugleich um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gebeten, mit dem er sein Begehren weiter verfolgt. Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren weiter und hält an der Erklärung fest, die Maßnahme nicht ohne wichtigen Grund beendet zu haben.
Der Antragsteller beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung seiner Klage vom 27. Juni 2006 gegen den Absenkungsbescheid der Stadt Bad Fallingbostel vom 18. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 31. Mai 2006 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und des Klageverfahrens sowie die vorliegenden Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und der Stadt Bad Fallingbostel, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Das prozessuale Begehren des Antragstellers ist hier nicht als Regelungsverfügung gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu behandeln. Der Antragsteller begehrt vielmehr die Weiterzahlung der ihm mit Bescheid vom 05. April 2006 bewilligten Leistungen. Dieser Bewilligungsbescheid ist von der Stadt Bad Fallingbostel mit Bescheid vom 19. April 2006 - allerdings ohne Nennung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage des § 48 SGB X - für die Zeit vom 01. Mai 2006 bis 31. Juli 2006 teilweise aufgehoben worden, weil unter Berücksichtigung des § 31 SGB II die Regelleistung um 30 v. H. abgesenkt wurde und der befristete Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld I nicht mehr gewährt wird. Vor diesem Hintergrund ist das prozessuale Begehren des Antragstellers dahingehend zu verstehen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 18. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 31. Mai 2006 gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 1 SGG begehrt.
Grundsätzlich haben Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 86 a Abs. 1 S. 1 SGG aufschiebende Wirkung, sofern nicht durch Bundesgesetz anderes geregelt ist (§ 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG). § 39 SGB II enthält eine solche abweichende Regelung für Fälle, in denen der angefochtene Verwaltungsakt über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheidet. Ein solcher Fall liegt hier vor, so dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die hier angegriffenen Entscheidungen keine aufschiebende Wirkung entfalten. Diese kann durch das Gericht der Hauptsache gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ganz oder teilweise angeordnet werden, sofern nicht die sofortige Vollziehung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde bereits ausgesetzt worden ist (§ 86 a Abs. 3 S. 1 SGG).
Das Gericht entscheidet nach eigenem Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung. Die aufschiebende Wirkung ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Leistungsempfängers an der aufschiebenden Wirkung überwiegt und die Behörde keine Umstände dargelegt hat, die einen Vorrang an alsbaldiger Vollziehung erkennen lassen. Umgekehrt ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht angezeigt, wenn sich das zugrunde liegende Hauptsacheverfahren als voraussichtlich erfolglos darstellt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, § 86 b, Rdnr. 12c).
Die Voraussetzungen für eine solche Anordnung sind hier jedoch nicht erfüllt. Die erforderliche Interessenabwägung spricht nicht für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Denn nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung des Tatsachenmaterials ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die angegriffenen Entscheidungen des Antragsgegners rechtmäßig sind und daher die Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Der Antragsteller kann daher kein überwiegendes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung haben.
Zur Begründung verweist das Gericht in entsprechender Anwendung des § 136 Abs. 3 SGG insbesondere im Hinblick auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Absenkung der Leistungen nach § 31 Abs. 1 SGB II auf die Ausführungen in den angefochtenen Entscheidungen, zuletzt des Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 31. Mai 2006.
Ergänzend ist aus der Perspektive der erkennenden Kammer auf folgendes hinzuweisen: Bei der vorliegend angefochtenen Entscheidung der Stadt Bad Fallingbostel bzw. des Antragsgegners handelt es sich nach der getroffenen Regelung offensichtlich um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB II, der die tatsächlichen Voraussetzungen für die Verhängung einer Absenkung geprüft und als erfüllt befunden sowie Einzelfall bezogen geregelt hat, dass und in welcher Höhe die Leistungen abzusenken sind (vgl. hierzu Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen , Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER -, ebenso Beschluss vom 8. März 2006 - L 6 AS 44/06 ER -). Dabei hat es die Stadt Bad Fallingbostel zwar versäumt, den Antragsteller vor Erlass der streitigen Absenkungsverfügung zu den tatsächlichen Verhältnissen anzuhören, wie dies nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zwingend für das Sozialrecht allgemein vorgeschrieben ist. Eventuelle Mängel in der Anhörung wären durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren jedoch geheilt, § 41 Abs. 1 SGB X, zumal der Antragsteller insoweit nach Erlass des ausführlich begründeten Sanktionsbescheides ausreichend Gelegenheit hatte, dezidiert Stellung zu nehmen (vgl. hierzu auch Bundessozialgericht , Urteil vom 06. April 2006, - B 7a AL 64/05 R -).
Danach sind auch die allgemeinen Absenkungsvoraussetzungen wie die Belehrung des Leistungsberechtigten vor der Absenkung im vorliegenden Fall im Kontext des Abschlusses der Eingliederungsvereinbarung vom 02. Februar 2006 erfüllt, insbesondere ist die Belehrung auch aus der Perspektive des Empfänger- und Verständnishorizonts des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen hinreichend konkret, richtig, vollständig und verständlich sowie in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Obliegenheitsverletzung erfolgt.
Entsprechend der von der Stadt Bad Fallingbostel gewählten Rechtsgrundlage des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sieht auch die erkennende Kammer im vorliegenden Fall die dem Antragsteller auf Grund der Eingliederungsvereinbarung obliegenden Pflichten zu einem pünktlichen Erscheinen am Praktikumsarbeitsplatz bzw. der rechtzeitigen Krankmeldung als nicht erfüllt an. Insbesondere kann die bloße Vorlage eines fachärztlichen Attestes den Antragsteller nicht davon befreien, sich bereits zum Arbeitsbeginn - hier also um 6.00 Uhr morgens - zumindest bei seinem Praktikumsgeber telefonisch zu melden und ihn darüber zu informieren, dass er sich in ärztlicher Behandlung befindet. Dies ist ausweislich des übereinstimmenden Vortrages der Beteiligten erst gegen 7.48 Uhr - mithin verspätet - geschehen. Anderes könnte nach Auffassung der Kammer möglicherweise nur dann gelten, wenn der Antragsteller für diesen Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hätte. Dass der Antragsteller unter den sich aus dem fachärztlichen Attest ergebenden Einschränkungen leidet, war ihm bereits bei Abschluss der Eingliederungsvereinbarung und insbesondere bei Abschluss der Praktikumsvereinbarung bekannt. Wenn er sich nunmehr auf diese Leistungseinschränkungen beruft und dies als Grund für die Beendigung bzw. den Abbruch des Praktikums einwendet, stellt sich dies als rechtsmissbräuchlich dar. Dem Antragsteller ist dieses Verhalten auch als schuldhaftes Handeln deshalb zurechenbar, weil er hinreichend substantiierte, insbesondere medizinisch-fachliche Einwendungen bezüglich der zugewiesenen Arbeiten letztlich nicht vorgelegt hat, weshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen der Absenkung gegeben gewesen sind. Danach war als zwingende gesetzliche Folge das Arbeitslosengeld II gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 SGB II in einer ersten Stufe um 30 v. H. der maßgeblichen Regelleistungen abzusenken und die Zahlung des Zuschlages nach § 24 SGB II ganz einzustellen. Eine Ermessensentscheidung oblag der Stadt Bad Fallingbostel und dem Antragsgegner dabei nicht.
Absenkung und Wegfall treten nach § 31 Abs. 6 S. 1 SGB II mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes (hier: Bescheid vom 18. April 2006) folgt und dauern drei Monate an. Die Aufhebung ist demnach für den Zeitraum vom 01. Mai 2006 bis zum 31. Juli 2006 gerechtfertigt.
Von diesen Voraussetzungen ausgehend war im vorliegenden Einzelfall die Absenkungsentscheidung als rechtmäßig zu erachten, ein überwiegendes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers nicht festzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 S. 1 SGG. Das Verfahren ist für den Antragsteller nach § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei.