Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 04.10.2006, Az.: S 24 AS 126/06

Berücksichtigung des Existenzgründerzuschusses als Einkommen bei der Leistungsberechnung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II); Sinn und Zweck des Existenzgründerzuschusses

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
04.10.2006
Aktenzeichen
S 24 AS 126/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 47562
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2006:1004.S24AS126.06.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 17.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2005 verpflichtet,

  2. 2.

    dem Kläger für den Zeitraum 01.12.2005 bis 31.05.2006 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen, ohne bei der Leistungsberechnung den der Ehefrau des Klägers zufließenden Existenzgründungszuschusses als Einkommen zu berücksichtigen.

  3. 3.

    Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung des Existenzgründerzuschusses als Einkommen bei der Leistungsberechnung nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - (SGB II).

2

Der Kläger und seine Ehefrau beziehen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II von der Beklagten. Mit Bescheid vom 17.11.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2005 in Höhe von 394,00 EUR, für den Zeitraum 01.01.2006 bis 30.04.2006 in Höhe von 514,00 EUR und für den Zeitraum 01.05.2006 bis 31.05.2006 505,20 EUR. Dabei berücksichtigte sie den der Ehefrau des Klägers bewilligten Existenzgründerzuschuss zunächst mit 252,00 EUR, dann mit 132,00 EUR monatlich.

3

Hiergegen erhob der Kläger am 25.11.2005 Widerspruch. Er führte zur Begründung aus, dass der Existenzgründerzuschuss gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II nicht zu berücksichtigen sei. Der Existenzgründerzuschuss diene nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern dem Aufbau einer so genannten "Ich-AG". Der Existenzgründerzuschuss habe damit eine andere Zielsetzung als das Überbrückungsgeld nach § 57 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III). Diese Ansicht entspräche auch der Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen.

4

Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.12.2005 als unbegründet zurückgewiesen. Der Existenzgründerzuschuss sei als Einkommen anzurechnen.

5

Hiergegen richtet sich die am 02.02.2006 erhobene Klage. Der Existenzgründerzuschuss sei eingeführt worden, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen und neu gegründete Betriebe zu unterstützen. Er sei nicht eingeführt worden, um Ausgaben bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einzusparen.

6

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes von Dezember 2005 bis einschließlich Mai 2006 in gesetzlicher Höhe zu bewilligten, ohne den Existenzgründerzuschuss der Ehefrau des Klägers als Einkommen anzusetzen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie bekräftigt ihre Rechtsauffassung, dass der Existenzgründerzuschuss als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu berücksichtigen sei und verweist dabei auf Beschlüsse des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.12.2005 (L 25 B 1265/05 AS PKH) und vom 06.12.2005 (L 10 B 1144/05 AS ER) sowie einen Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 10.10.2005 (L 2 B 44/05 AS ER) .

9

Die Kammer hat im vorbereitenden Verfahren die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

11

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten ordnungsgemäß unter Angabe der entsprechenden Begründung gehört wurden.

12

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Existenzgründerzuschuss ist von der Beklagten nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

13

Bei dem Existenzgründerzuschuss gemäß § 421 Abs. 1 SGB III (aufgehoben seit dem 01.01.2005) handelt es sich um eine zweckbestimmte Einnahme gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II (LSG Niedersachsen-Bremen , Urteil vom 25.04.2006 - L 8 AS 29/06; Beschluss vom 23.06.2005 - L 8 AS 97/05 ER; a. A.: LSG Berlin-Brandenburg , Beschluss vom 16.12.2005 - L 25 B 1265/05 AS PKH; Beschluss vom 06.12.2005 - L 10 B 1144/05 AS ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.10.2005 - L 2 B 44/05 AS ER ). Gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1 lit. a SGB II sind zweckbestimmte Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Sinn und Zweck des Existenzgründerzuschusses ist es nicht, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern. Insofern verfolgt § 421 SGB III eine andere Zielrichtung als § 57 SGB III (vgl. Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB III, § 421 e Rz. 7; Link in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 57 Rz. 1 f). Nach dem Bericht der Hartz-Kommission, nach deren Vorschlägen der § 421 SGB III eingeführt worden war, sowie der Begründung des maßgeblichen Gesetzesentwurfes (Bundestagsdrucksache 15/26 Seite 19 § 421) soll mit der Gewährung des Existenzgründerzuschusses zum einen die Schwarzarbeit bekämpft werden. Arbeitslose, die ihr kaufmännisches oder handwerkliches Geschick ansonsten möglicherweise ungenutzt lassen würden, oder die es mit Hilfe von Schwarzarbeit einsetzen würden, sollen durch den Existenzgründerzuschuss motiviert werden, eine eigene Selbstständigkeit aufzubauen, und somit wieder dem aktiven Arbeitsleben zugeführt werden. Weiterhin dient der Existenzgründerzuschuss der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung. Beispielsweise sollen dadurch Versicherungsbeiträge der Sozialversicherungen oder anderer Versicherungen, wie beispielsweise einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge, abgedeckt werden. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II hingegen dient nur einer Grundsicherung des Lebensunterhaltes. Würde man bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II den Existenzgründerzuschuss, wie dies die Beklagte getan hat, mindernd berücksichtigen, müsste das mit der Zahlung des Existenzgründerzuschusses bewilligte Geld den Sinn und Zweck des SGB II auffangen. Sinn und Zweck des § 421 SGB III würde damit zwangsläufig ins Leere laufen. Dem Argument der gegenteiligen Ansicht (LSG Berlin-Brandenburg , Beschluss vom 16.12.2005 - L 25 B 1265/05 AS PKH -), dass auch der Existenzgründerzuschuss als Einkommen gemäß § 11 SGB II zu berücksichtigen sei, folgt das Gericht nicht. Begründet wird die gegenteilige Ansicht damit, dass es bei Nichtberücksichtigung als Einkommen zu einer doppelten Leistung für den Leistungsempfänger aus öffentlichen Fördermitteln käme. Genau dieses trifft zu, und genau dieses ist auch richtig und beabsichtigt. Wie oben ausgeführt, ist es gerade Sinn und Zweck des Existenzgründerzuschusses, dem Leistungsberechtigten eine andere, weitere Leistung aus öffentlicher Hand zukommen zu lassen. In der Tat erhält also damit der Leistungsberechtigte zwei verschiedene Leistungen, dies entspricht jedoch gerade der Absicht des Gesetzgebers.

14

Angegriffener Bescheid war in dieser Klage nur der Ausgangsbescheid vom 17.11.2005 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2005. Deswegen konnte in dieser Klage nur über die Leistung bis einschließlich Mai 2006 entschieden werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der weitergehende Bewilligungsbescheid vom 10.05.2006 gemäß § 96 Abs. 1 SGG nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da er einen neuen Bewilligungszeitraum umfasst. Die Beklagte wird sich jedoch aufgrund der Bindung der Verwaltung an die Rechtsprechung auch im Bewilligungszeitraum ab dem 01.06.2006 an die Entscheidung des Gerichts halten.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.