Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 17.11.2006, Az.: S 24 AS 1204/06 ER
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 17.11.2006
- Aktenzeichen
- S 24 AS 1204/06 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44088
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2006:1117.S24AS1204.06ER.0A
Tenor:
- 1.
Der Antrag wird abgelehnt.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die darlehensweise Übernahme von Rückständen beim Stromversorgungsunternehmen D. E. in Höhe von 2.299,14 Euro.
Der 1978 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuvor war er im Leistungsbezug nach dem BSHG. Er ist allein stehend und bewohnt eine rund 37 qm große Wohnung in F ... Bereits im Bezug nach dem BSHG wurden dem Antragsteller Darlehen zur Begleichung von Schulden für Stromkosten bewilligt.
Die derzeitigen Schulden resultieren aus einer Restforderung für das Verbrauchsjahr 2005 in Höhe von rund 1.150,00 EUR sowie aus nicht gezahlten Abschlagsbeträgen seit April 2006. Aufgrund der Schulden hat das Energieversorgungsunternehmen die Stromzufuhr mittlerweile eingestellt.
Am 07.11.2006 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung eines Darlehens zur Begleichung der Schulden. Er erklärte sich am 09.11.06 schriftlich dazu bereit, dass die Antragsgegnerin die künftigen Abschlagszahlungen in Höhe von 120,00 EUR direkt an die Firma D. überweisen und zusätzlich 20,00 EUR monatlich als Tilgung seiner Verbindlichkeiten von der Regelleistung einbehalten und ebenfalls direkt an die D. überweisen sollte. Mit Schreiben 08.11.06 bestätigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller, dass die zukünftigen Abschläge und Ratenzahlungen direkt an die D. überwiesen werden.
Am 06.11.06 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung; er beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ein Darlehen zur Begleichung der Forderung der Firma D. E. in Höhe von 2.299,14 EUR für Strom zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die dem Gericht bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz richtet sich nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung nötig erscheint (Satz 2). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist deshalb, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile müssen glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung wegen des summarischen Charakters des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz grundsätzlich nicht die Entscheidung der Hauptsache vorwegnehmen.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihrer funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Aufl, § 86 b Rz. 27 ff m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn auf das vorliegen des Anordnungsgrunds nicht verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang der Hauptsache, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend zu berücksichtigen. Die Gerichte müssen sich dabei schützend und fördernd vor die Grundrechte der Einzelnen stellen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgestellt wird, die Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG a.a.O.). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen nur auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit fordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrunds (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O. Rz. 16 b f.).
Unter diesen Voraussetzungen hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch ergibt sich weder aus § 22 Abs. 5 SGB II noch aus § 23 Abs. 1 SGB II. Die Antragsgegnerin ist weder verpflichtet, eine einmalige Beihilfe über den offen stehenden Betrag zu bewilligen, noch dem Antragsteller ein entsprechendes Darlehen zu gewähren.
Grundsätzlich können Rückstände aus Stromkostenabrechnungen übernommen werden. Dabei ist umstritten, ob dies über § 22 Abs. 5 SGB II oder über § 23 Abs. 1 SGB II erfolgen kann. § 22 Abs. 5 SGB II sieht die Übernahme von Schulden für die Unterkunft und Heizung vor, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Dagegen, dass auch Stromschulden über § 22 Abs. 5 SGB II übernommen werden können, spricht also der Wortlaut, der nur die Kosten der Unterkunft und Heizung benennt. Stromkosten werden aber über die Regelleistung abgegolten sind. Deshalb kommt die Gewährung eines Darlehens zur Begleichung von Stromschulden über § 23 Abs. 1 SGB II in Betracht. Danach kann im Einzelfall ein von der Regelleistung umfasster Bedarf als Darlehen gewährt werden, wenn die Regelleistung zur Deckung des Bedarfes nicht ausreicht. Letztlich kann offen bleiben, über welche Norm ein Darlehen zur Begleichung von Stromschulden gewährt werden kann, da für beide Normen erforderlich ist, dass ein unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt werden muss. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.
1. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, im Wege der Selbsthilfe im Sinn des § 2 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - (SGB XII) vorzugehen, um seine Notlage zu beheben. Die Freigabe des Stromanschlusses kann von der D. E. verlangt werden, ohne dass die Schulden in einem Betrag vollständig beglichen werden müssen.
Der Antragsteller hat eine Erklärungen ausgestellt, in er sich bereit erklärt, dass die monatlichen Abschläge für die Energielieferung ab sofort direkt an das Energieversorgungsunternehmen D. abgeführt werden, und dass die Rückstände in monatlichen Raten von 20,- Euro abbezahlt und ebenfalls direkt an das Energieversorgungsunternehmen gezahlt werden. Des Weiteren hat die Antragsgegnerin eine Bescheinigung zur Vorlage beim Energieversorgungsunternehmen vorgelegt, worin sie ausdrücklich versichert, die Abschläge und Raten direkt an das Energieversorgungsnehmen zu überweisen.
Aufgrund dieser Bescheinigungen ist das Energieversorgungsunternehmen nicht mehr berechtigt, die Stromversorgung einzustellen. Denn nach § 33 Abs. 2 der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21.6.1979 (Bundesgesetzblatt 1, Seite 684; zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 9.12.2004, Bundesgesetzblatt 1, Seite 3214), sind die Elektrizitätsversorgungsunternehmen zwar berechtigt, die Versorgung bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung zwei Wochen nach der Androhung einzustellen. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Kunde darlegt, dass die Folgen der Einstellung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen und hinreichende Aussicht besteht, dass der Kunde seinen Verpflichtungen nachkommt. Vor dem Hintergrund, dass sowohl die Zahlung der monatlichen Abschläge als auch eine Ratenzahlung durch die Antragsgegnerin gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen gesichert ist, ist es auch unter Berücksichtigung der zivilrechtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Koblenz vom 14.12.2004 - 8 W 826/04; Landgericht Augsburg vom 10.6.1997 - 4 A 5932/96; Landgericht Düsseldorf vom 11.1.1995 - 23 S 286/94; BSH vom 3.7.1991 - VIII ZR 1900) erfolgsversprechend, dass der Antragsteller von der E.ON Avacon die Freigabe seines Anschlusses verlangt. Es ist ihm auch zuzumuten, notfalls zivilgerichtliche Hilfe vor dem zuständige Amtsgericht in Anspruch zu nehmen und seinen Anspruch auf Wiedereinräumung der Stromversorgung mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu erwirken (siehe hierzu auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19.08.2005 - L 7 AS 182/05 ER). Darüber ist die Mutter des Antragstellers bereits drei Tage nach der Antragstellung vom Kammervorsitzenden in Kenntnis gesetzt worden, nachdem der Antragsteller selbst telefonisch nicht zu erreichen war. Ob er diesem Hinweise gefolgt ist, ist nicht bekannt, fällt aber in den Risikobereich des Antragstellers.
Dem Antragsteller ist es insbesondere auch deshalb zuzumuten, im Wege der Selbsthilfe vorzugehen, weil er die nun bestehende Situation des gesperrten Stromanschlusses über Monate hinweg hat auf sich zukommen sehen. Doch anstatt nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, die drohende Gefahr eines gesperrten Stromanschlusses abzuwenden, hat er auch noch die Zahlung der vereinbarten Abschlagszahlungen eingestellt und so die Situation weiter verschärft.
Schließlich ist auch zu beachten, dass der Kläger langjährige Erfahrungen mit dem Umgang von Stromschulden hat. So ist ihm bereits im Jahr 2002 ein Darlehen zur Begleichung von Stromschulden gewährt worden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass dem Antragsteller auch die zivilrechtlichen Möglichkeiten bekannt sind, die bestehende Notsituation abzuwenden. Dies umso mehr, als dass er in einer zivilgerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Energieversorgungsunternehmen anwaltlich vertreten ist.
2. Der Antragsteller kann die Gewährung eines Darlehens auch deshalb nicht verlangen, weil er die Schulden in sehr erheblichem Maße durch sein eigenes Verhalten verursacht hat. a) So hat der Antragsteller selbst ausgeführt, dass er seit April 2006 die vereinbarten Anschlagzahlungen nicht an den Energieversorger abgeführt hat. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass er die dafür von der öffentlichen Hand vorgesehenen Leistungen zweckwidrig verwendet hat. b) Etwa die Hälfte der Stromschulden resultiert aus einer Nachforderung für das Kalenderjahr 2005. In einer rund 37 qm großen Wohnung können Stromkosten in dieser Größenordnung nur bei einem unverhältnismäßig hohen Verbrauch entstehen. Die vom Antragsteller bestrittene korrekte Funktionsweise des Stromzählers wurde insofern durch die Firma D. geprüft und bestätigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).