Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 21.05.2008, Az.: S 14 R 394/05
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 21.05.2008
- Aktenzeichen
- S 14 R 394/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 44847
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2008:0521.S14R394.05.0A
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 15.6.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.8.2005 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt den Bescheid vom 20.2.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.7.2004 zurückzunehmen und der Klägerin
- 1.
den Zeitraum vom 1.1 985 bis 30.9.1985 als Kindererziehungszeit anzuerkennen
- 2.
den Zeitraum vom 27.12.1983 bis 7.4.1998 als Kinderberücksichtigungszeit anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bzw. Kinderberücksichtigungszeiten für die Klägerin.
Die Klägerin betreibt seit 1977 zusammen mit ihrem Ehemann ein sog. Pflegenest. Hierbei handelt es sich um eine erweiterte Pflegefamilie, die Kinder und Jugendliche in Vollzeitpflege aufnimmt. Im Jahr 1991 sowie noch einmal im Jahr 1998 schlossen die Klägerin und ihr Ehemann mit der Stadt H. einen Pflegevertrag ab, in dem sie als Pflegenest anerkannt wurden und sich zur Aufnahme von Kindern und Jugendlichen bereit erklärten. Unter Punkt 10 Buchstabe a des Pflegevertrags von Oktober 1991 heißt es, als Pflegenest werde eine Pflegestelle bezeichnet, in der sich ständig zwischen vier und sechs Kinder oder Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr befänden. Bei mehr als fünf Pflegekindern gehe das Finanzamt von einem gewerbsmäßigen Handeln aus, das Pflegenest werde steuerpflichtig.
In dem Pflegevertrag von Februar 1998 wird unter Punkt 5 geregelt, dass das Pflegenest bis zu vier Minderjährige aufnehmen dürfe. Soweit zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr als vier Minderjährige aufgenommen seien, könnten für ausscheidende Minderjährige keine neuen Minderjährigen aufgenommen werden. Eine Ausnahmeregelung wurde für die Zeit bis Dezember 1999 vereinbart. Unter Punkt 6 des Pflegevertrages von 1998 verpflichtete sich die Stadt H. zur Zahlung eines monatlichen Pflegegelds in Höhe von 2 257,37 DM. Weiter heißt es dort: "Mit der Zahlung dieses Pflegegeldes sind auch alle zusätzlichen Kosten (z.B. hauswirtschaftliche Hilfe, Betreuung der Minderjährigen) abgegolten. Das Kindergeld wird auf das Pflegegeld nicht angerechnet." Punkt 11 des Vertrages von 1998 (entsprechend Punkt 9 des Vertrages von 1991) lautet: "Das Pflegeverhältnis endet, wenn die Voraussetzungen für die Leistungen der Jugendhilfe nicht mehr vorliegen. Ferner endet das Pflegeverhältnis bei Herausnahme des/der Minderjährigen durch Personensorgeberechtigte oder durch die Stadt H ... Die Herausnahme aus dem Pflegenest ist von allen Personen so zu gestalten, dass die Interessen des/der Minderjährigen gewahrt werden."
Am 6. Februar 2003 beantragte die Klägerin die Anerkennung von Kindererziehungszeiten bzw. Kinderberücksichtigungszeiten für die seit 1982 in ihren Haushalt aufgenommenen Pflegekinder. Mit Bescheid vom 20. Februar 2004 erkannte die Beklagte die Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten für die leiblichen Kinder der Klägerin an. Die beantragten Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten für die Pflegekinder lehnte sie ab mit der Begründung, laut ihren Ermittlungen handele es sich um eine berufsmäßige Kinderbetreuung. Ein Pflegekindschaftsverhältnis liege nur dann vor, wenn das Kind mit Wissen und Wollen der Beteiligten aus der Obhut und Fürsorge der leiblichen Eltern bzw. des Jugendamtes ausscheide und in die Fürsorge der Pflegeeltern übertrete. Der häufige Wechsel und die Anzahl der gleichzeitig in den Haushalt aufgenommenen Kinder stünden hier der Annahme eines auf längere Dauer angelegten familienähnllichen Bandes entgegen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2004 zurückwies. In ihrer Begründung führte sie aus, durch die Stadtverwaltung H. habe nachgewiesen werden können, dass die Klägerin einen Teil der von ihr aufgenommenen Kinder über einen längeren Zeitraum als drei Jahre betreut habe bzw. laufend betreue. Der Nachweis für ein von vornherein auf mindestens drei Jahre ausgerichtetes Pflegekindschaftsverhältnis habe jedoch nicht erbracht werden können. Auf die tatsächliche Dauer der Bindung, wie sie sich aus rückschauender Betrachtung darstelle, komme es nicht an. Personen, die im steten Wechsel Säuglinge und Kleinkinder von Jugendämtern/ und oder Eltern gegen Kostenersatz für eine gewisse Zeit zur Betreuung übernähmen, erfüllten nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Pflegeeltern.
Am 28. April 2005 beantragte die Klägerin die Rücknahme des Bescheides vom 20. Februar 2004 insoweit, als Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für die betreuten Pflegekinder nicht anerkannt worden waren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2005 ab und verwies auf den Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2004. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltende, dass die Pflegeverhältnisse in aller Regel auf mehr als drei Jahre angelegt seien. Wenn es im Einzelfall zu dessen Ende vor Ablauf von drei Jahren gekommen sei, habe dies an besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls gelegen, was aber nichts daran ändere, dass jedes Kind von der Klägerin und ihrem Ehemann von vornherein auf Dauer aufgenommen worden sei bzw. auf Dauer im Pflegenest verbleiben sollte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. In ihrer Begründung führte sie aus, sowohl im Antrag als auch mit dem Widerspruch sei kein Vortrag für die Begründung einer Rücknahme des Bescheids vom 20. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2004 erfolgt. Die von der Klägerin vorgetragenen Gründe sowie Beweismittel seien bereits im Ausgangsverfahren bekannt gewesen und seien bei der getroffenen Entscheidung berücksichtigt worden.
Am 29. August 2005 hat die Klägerin Klage erhoben.
Sie trägt vor, dass sie und ihr Ehemann seit 1982 19 Pflegekinder in Pflege gehabt hätten. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe sie nicht berufsmäßig gehandelt. Dies gehe schon aus dem Pflegevertrag von 1998 hervor. Dort hieß es gleich zu Anfang, dass Pflegenester erweiterte Pflegefamilien seien. In Abgrenzung zu einer Einrichtung stehe der familiäre Charakter im Vordergrund, Pflegenester sollten den Minderjährigen eine Ergänzungs- oder Ersatzfamilie bieten. Von einem pflegekindschaftllichen Verhältnis sei insbesondere dann auszugehen, wenn das Pflegeverhältnis der Kinder zu ihren leiblichen Eltern völlig gelöst sei oder sich auf gelegentliche Besuche beschränke. Dies sei bei den von ihr aufgenommenen Kindern der Fall gewesen. Die bei ihr untergebrachten Pflegekinder hätten Tag und Nacht bei ihr gelebt, die ganze Woche einschließlich Wochenende und durchschnittlich neun Jahre. Sie und ihr Ehemann hätten mit den Pflegekindern wie normale Eltern mit ihren Kindern zusammengelebt. Die Kinder seien in ihren Haushalt aufgenommen worden, sie habe dabei als Haushaltsvorstand fungiert. Ihr Pflegenest habe Jugendhilfe von vornherein auf Dauer angelegt erbracht.
Der langjährige Aufenthalt sei bei der Aufnahme stets schon so gewollt worden. Die Stadt H. habe ihr eine Bescheinigung vom 14. Juli 1994 übergeben, in welcher von einer "Dauerpflegestelle" die Rede sei. Auch aus den bei Aufnahme der Pflegekinder übergebenen Bescheinigungen gehe klar hervor, dass sämtliche Kinder als Dauerpflegekinder aufgenommen worden seien. Diese Dauerperspektive ergebe sich auch aus dem Pflegevertrag vom 23. Februar 1998. Bei der Vertragsunterzeichnung seien die Vertragsparteien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Pflegekinder grundsätzlich nach ihrer Aufnahme bis zur Vollendung ihres 18. Lebensjahres in dem Pflegenest verbleiben würden. Während der gesamten Zeit ihrer Pflegetätigkeit habe sie auf die vom Jugendamt erhaltenen Gelder in Absprache mit dem Finanzamt niemals Steuern zahlen müssen. Die Pflegekinder seien auf der Steuerkarte ihres Ehemannes eingetragen gewesen und es sei ein Ortszuschlag für sie gezahlt worden.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 20. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2004 zurückzunehmen und den Zeitraum vom 1.1.1985 bis 30.9.19985 als Kindererziehungszeit und folgende Zeiten als Berücksichtigungszeiten anzuerkennen: 27.12.1983 bis 1.9.1986, 2.1.1984 bis 3.7.1986 , 2.1.1984 bis 3.7.1986, 1.1.1985 bis 4.9.1994 , 11.12.1985 bis 11.1.1987, 11.1.1991 bis 27.7.1996 , 20.1.1994 bis 21.9.1997, 21.11.1994 bis 6.5.1996 , 9.6.2995 bis 9.10.1996 und vom 8.1.1996 bis 7.4.1998.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihr Vorbringen im Vorverfahren.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Sachvortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozess- und Beiakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten zu.
Nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ist ein Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin vor, da die Beklagte ihr zu Unrecht die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten mit Bescheid vom 20. Februar 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Juli 2004 verweigert hat.
Nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für ein Elternteil wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn
1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleich steht und
3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.
Nach § 249 Abs. 1 SGB VI endet die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, so ist die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen (§ 56 Abs. 2 SGB VI).
Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. Dies gilt für Zeiten einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind (§ 57 SGB VI).
Bei der Klägerin lagen in den hier geltend gemachten Zeiten die Voraussetzungen für eine Kindererziehungszeit vor. § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VI verweist zur Definition des Begriffs Elternteil auf § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 des Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I). Danach sind Eltern im Sinne des § 56 SGB VI auch Pflegeeltern. Pflegekinder sind nach § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind. Mit dem Pflegekind müssen auf der Grundlage einer ideellen Dauerbeziehungen Beziehungen wie zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern bestehen und sich in einem tatsächlichen Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis dokumentieren, innerhalb dessen das Kind wie zur Familie angehörend angesehen und behandelt wird (BSG SozR - 5870 § 2 Nr. 16). Für die Aufnahme einer längeren Dauer des Pflegeverhältnisses ist es nicht erforderlich, dass es auf unabsehbarer Zeit und jedenfalls bis zur Volljährigkeit begründet sein muss. Es ist ausreichend, wenn es für einen Zeitraum begründet wird, der ein für die körperliche und geistige Entwicklung des Pflegekindes erheblichen Zeitraum umfasst (BSG SozR 3-1200, § 56 Nr. 5).
Bei der Begründung eines Pflegeverhältnisses im Säuglingsalter hat das BSG dafür einen Zeitraum von etwa drei Jahren für ausreichend erachtet. Denn innerhalb der ersten drei Lebensjahre, so das BSG, entwickle sich ein Kind in typischer Weise soweit, dass es aus der ständigen häuslichen Betreuung entlassen werden und z.B. in den Kindergarten gehen könne. Den Ausführungen des BSG ist nicht zu entnehmen, dass für ältere Kinder zwingend ein längerer Zeitraum zur Begründung eines Dauerpflegeverhältnisses angenommen werden muss.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Gericht der Überzeugung, dass die Pflegeverhältnisse der in das Pflegenest der Klägerin aufgenommenen Kinder auf längere Dauer begründet werden sollten. Es liegen weder in dem Pflegevertrag mit der Stadt H., noch in den einzelnen Aufnahmebestätigungen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Kinder nur kurze Zeit und vorübergehend der Klägerin in Pflege gegeben werden sollten. Wie die Stadt H. in ihrem Schreiben vom 9. Februar 2004 gegenüber der Beklagten erklärt hat, handelte es sich bei den Pflegeverhältnissen nicht um eine Übergangszeit zur anderweitigen Unterbringung, sondern um dauerhafte Pflegeverhältnisse.
Auch den Pflegeverträgen mit der Stadt H. ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Klägerin aufgenommenen Kinder nur vorübergehend bei ihr verweilen sollten. Das Ende des Pflegeverhältnisses wird vielmehr abstrakt definiert mit dem Wegfall der Voraussetzungen für Leistungen der Jugendhilfe und der Herausnahme der Kinder aus der Pflegefamilie. Den Vorschriften der Jugendhilfe entsprachen Dauerpflegeverhältnisse. Auch an der tatsächlichen Aufenthaltsdauer der meisten Kinder zeigte sich, dass von einer Dauerpflege auszugehen ist. Diese faktische Aufenthaltsdauer kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht unberücksichtigt gelassen werden, da sie sich nicht zufällig ergeben hat, sondern der Konzeption des Pflegenestes entsprach.
Weitere Voraussetzungen für die Annahme eines Pflegeverhältnisses ist das Fehlen eines familiären Bandes zwischen den leiblichen Eltern und ihrem Kind. Das BSG hat das Fehlen eines Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den Eltern auch bei der Anwendung der Vorschriften über die Kindererziehungszeiten zu Grunde gelegt, dabei allerdings eine völlige Lösung der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern nicht verlangt (BSG SozR 3-1200 § 56 Nr. 2). Anhaltspunkte dafür, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern der Kinder, die im Haushalt der Klägerin lebten, fortbestand, gibt es nicht. Hiergegen spricht nicht nur die lange Dauer des Pflegeverhältnisses, sondern auch der Umstand, dass es sich meistens um Kinder gehandelt hat, die wegen defizitärer Familienverhältnisse von Seiten des Jugendamtes aus dem häuslichen Umfeld weggenommen werden mussten. Über die üblichen Besuchsregelungen hinaus bestand zumindest für die Dauer des Aufenthalts bei der Klägerin kein weiterer Kontakt zu den leiblichen Eltern.
Der Umstand, dass die Klägerin von Seiten des Jugendamtes für die von ihr betreuten Kinder Pflegegeld erhalten hat, steht der Annahme einer Pflegekindschaft nicht entgegen. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 23. April 1992 (BSG SozR 3-1200 § 56 Nr. 5) ausführt, ist ein Pflegekindschaftsverhältnis nicht davon abhängig, dass der Unterhalt oder ein wesentlicher Teil des Unterhalts von den Pflegeeltern getragen wird. Dies ergebe sich aus der Entwicklung des Begriffs des Pflegekindes. Weiter führt das BSG aus: "In § 2 Abs 1 Nr 6 BKGG idF des Gesetzes vom 14. April 1964 war der Begriff der Pflegekinder noch definiert als "Personen, mit denen der Berechtigte durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und zu den Kosten des Unterhalts nicht unerheblich beiträgt". Die Voraussetzung, daß der Berechtigte zu den Kosten des Unterhalts nicht unerheblich beiträgt, ist durch Art 1 Nr 1 Buchst b 2. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BKGG vom 16. Dezember 1970 (BGBl I 1725) gestrichen worden. Diese Voraussetzung ist auch nicht in die Definition des § 56 Abs 3 Nr 3 SGB I aufgenommen worden. Lediglich in § 32 Abs 1 Nr 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) 1986 wird in der Definition des Pflegekindes weiterhin ua gefordert, daß die Pflegeeltern das Kind zu einem nicht unwesentlichen Teil auf ihre Kosten unterhalten. Im Sozialrecht ist damit der Begriff des Pflegekindes von dem Erfordernis, daß die Pflegeeltern einen Teil der Kosten des Unterhalts tragen, gelöst worden und damit insgesamt von der Frage, wer die materiellen Aufwendungen für das Kind letztlich trägt. Umgekehrt kann dann aber auch ein Pflegekindschaftsverhältnis nicht verneint werden, weil die leiblichen Eltern bzw ein Elternteil die Kosten des Unterhalts tragen. Das muß auch dann gelten, wenn neben dem notwendigen Barunterhalt auch für den Betreuungsunterhalt von den leiblichen Eltern an die Pflegeeltern ein Entgelt gezahlt wird (vgl dazu auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 1977 - 4 RJ 56/86 - SozR 2200 § 1262 Nr 11)."
Die Entgeltlichkeit oder der Erwerbszweck stehen der Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses mithin grundsätzlich nicht entgegen, entscheidend ist die auf Dauer angelegte Beziehung zwischen den Kindern und den Pflegeeltern und das Fehlen das familiären Bandes zu den leiblichen Eltern.
Eine Nichtanerkennung als Berücksichtigungszeit ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn die Klägerin in den hier streitigen Zeiträumen eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hätte. Nach § 57 Satz 2 SGB VI können Berücksichtigungszeiten bei einer mehr als geringfügig ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur anerkannt werden, soweit diese Zeiten auch Pflichtbeitragszeiten sind.
Von einer selbständigen Tätigkeit der Klägerin ist jedoch nur ausgehen, wenn die Pflege erwerbsmäßig ausgeübt worden ist. Hiervon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Das von Seiten des Jugendamtes für die Kinder gezahlte Pflegegeld enthält zwar auch mit dem Erziehungsbeitrag ein Entgelt für die von der Klägerin erbrachte Erziehungsleistung. Wie das Bundessozialgericht zuletzt in seiner Entscheidung vom 29. März 2007 ( B 7 B AS 12/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 3) ausgeführt hat, hat die Gewährung des Pflegegeldes einschließlich des Erziehungsbeitrags jedoch nicht den Zweck, das Einkommen der Pflegeperson zu vermehren. Vielmehr ist der Betrag für die Kosten der Erziehung notwendiger Unterhalts des Pflegekindes. Der Erziehungsbeitrag ist nicht nur eine Anerkennung der Erziehungsleistungen in ihrer ideellen Form, sondern deckt zumindest auch Ausgaben ab, die der Erziehung dienen. Da die Erziehung außerhalb des Elternhauses geleistet werde, so das BSG, sei auch die Erziehungsleistung kostenpflichtiger Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts. Wörtlich heißt es hierzu: "Schließlich spricht auch der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung dafür, den Erziehungsbeitrag gemäß § 39 Abs 1 Satz 1 SGB VIII im SGB II nicht als Einkommen zu behandeln. So sind nach einem Schreiben des Bundesministers der Finanzen an die obersten Finanzbehörden der Länder vom 7. Februar 1990 (Der Amtsvormund 1990, 429) die Erziehungsbeiträge steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr 1 Einkommensteuergesetz. Dies gilt allerdings nur, soweit die Pflege auf Dauer angelegt und nicht erwerbsmäßig betrieben ist. Erwerbsmäßigkeit wird angenommen, wenn Pflegegeld und Erziehungsbeitrag die wesentliche Erwerbsgrundlage darstellen."
Stellt man hier auf die vom BSG herangezogene einkommenssteuerrechtliche Behandlung des aus öffentlichen Kassen gezahlten Pflegegeldes und Erziehungsbeitrags ab, so kann von einer erwerbsmäßigen Pflege bei der Klägerin nicht ausgegangen werden. Die Klägerin hat nach Rücksprache mit dem Finanzamt tatsächlich für die von Seiten des Jugendamtes erhaltenen Pflegegelder niemals Steuern gezahlt. Dies entspricht der Weisungslage der Finanzämter. Denn nach dem Schreiben des Bundesfinanzministers vom 7. Februar 1990 (IVB1-S2121-5/9) kann bei einer Betreuung bis zu fünf Kindern ohne nähere Prüfung unterstellt werden, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird. In einer Stellungnahme des Bundesfinanzministeriums von Oktober 2007 (zitiert nach www.stb-web.de/fachartikel) wird diese Grenze für die Zeit ab 2008 auf sechs Kinder angehoben.
Nach den mit der Stadt H. vereinbarten Regelungen sollten grundsätzlich nur vier Kinder bei der Klägerin aufgenommen werden. Das tatsächliche Überschreiten der Grenze ergab sich zufällig und nur vorübergehend, sollte nach der Konzeption jedoch grundsätzlich vermieden werden. Das tatsächliche Überschreiten der für die steuerrechtliche Beurteilung maßgebliche Fünf-Kinder-Grenze lässt daher vorliegend nicht den Schluss zu, dass die Klägerin erwerbsmäßig tätig war.
Im Ergebnis bleibt daher festzustellen, dass der Klägerin Kindererziehungszeiten für die im Alter von drei Monaten aufgenommene I. zustehen sowie Kinderberücksichtigungszeiten für die weiteren Kindern bis zur Vollendung deren 10. Lebensjahres. Eine Kumulierung von Kinderberücksichtigungszeiten sieht das Gesetz nicht vor. Die Kinderberücksichtigungszeiten enden mit der Vollendung des 10. Lebensjahres des jüngsten Kindes.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Bei ihr war zu berücksichtigen, dass das Klagebegehren erfolgreich war.