Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 25.11.2008, Az.: S 6 SB 70/07

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
25.11.2008
Aktenzeichen
S 6 SB 70/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 55011
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, mithin die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 im Rahmen eines Erstfeststellungsverfahrens nach den Regelungen des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX).

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Der im Februar 1950 geborene - derzeit also 58 Jahre alte - Kläger, der als Unternehmensberater erwerbstätig ist, beantragte bei dem Beklagten am 18. September 2006 im Wesentlichen die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Als zu berücksichtigende Gesundheitsstörung machte er eine Bypass-Operation geltend. Der Beklagte holte zunächst verschiedene medizinische Unterlagen ein. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um einen Befundbericht des Allgemein- und Rettungsmediziners Dr. med. G. vom 28. September 2006, dem als Diagnosen eine koronare Herzkrankheit (2-Gefäßerkrankung), kardiovaskuläre Risikofaktoren, eine Hyperlipidämie, eine Hyperurikämie, eine allergische Diathese und Pollinosis, eine chronische Gastritis nebst Ulcusleiden, eine Cholecystolithiasis sowie schließlich eine Nephrolithiasis zu entnehmen war. Ferner lag diesem Befundbericht eine Ergometrieauswertung vom 03. Juli 2006 bei, die nach der dort vermerkten Interpretation eine unauffällige Ergometrie bei deutlich eingeschränkter altersentsprechender Belastbarkeit auswies. Ferner heißt es, dass der Kläger bis 125 Watt stufenweise belastbar gewesen sei. Im synchron geschriebenen Elektrokardiogramm ergaben sich keine Ischämiezeichen bei adäquatem Puls- und Blutdruckanstieg und ohne signifikante Rhythmusstörungen. Als Abbruchkriterium ist „Ermüdung“ vermerkt. Ferner lag der Entlassungsbericht des H. vom 14. März 2006 vor, ferner ein Entlassungsbericht der I. vom 06. April 2006, aus dem sich anlässlich der dortigen dritten Fahrradergometrie eine stufenweise Belastung des Klägers mit 50, 75 und 100 Watt ergab. Ferner heißt es dort, dass nach einer 2-minütigen Belastung mit 100 Watt ein Abbruch wegen beginnender peripherer Ermüdung ohne pathologisches ST-Verhalten, ohne Angina pectoris sowie ohne Herzrhythmusstörungen erfolgte. Als Ergebnis der Rehabilitationsmaßnahme heißt es, dass die körperliche Leistungsfähigkeit deutlich gesteigert werden konnte und kardiovaskulär bedingte Fähigkeit- bzw. Funktionsstörungen aktuell nicht vorlägen. Ferner lag ein Arztbrief der Internistin Dr. med. J. vom 18. August 2006 vor, aus dem sich ergibt, dass der Kläger täglich eine halbe Stunde Fahrrad ohne Probleme und ohne Belastungsdyspnoe fahre.

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Aufgrund einer ärztlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes des Beklagten vom 28. Oktober 2006 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 07. November 2006 einen GdB von 20 ab dem 18. September 2006 fest. Als zu berücksichtigende Funktionsstörungen floss eine Herzleistungsminderung nach Herzinfarkt und Bypass-Operation in die Gesamtbewertung ein.

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Hiergegen erhob der Kläger am 28. November 2006 Widerspruch, den er im Wesentlichen damit begründete, dass psychische Einschränkungen (permanente Schweißausbrüche, Angstzustände, Beklemmungen, Herzrasen, Atemnot, enormer Blutdruckanstieg) sowie Taubheitsgefühle in den Händen bestünden, wobei die physische Belastbarkeit einigermaßen wiederhergestellt sei.

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Der Beklagte holte erneut einen Befundbericht bei Herrn Dr. med. G. vom 09. Januar 2007 ein. Darin wiederholte der Mediziner die bereits bekannten Ausführungen aus seinem Befundbericht vom 28. September 2006. Ferner lag ein Belastungs-EKG vom 09. November 2006 vor, aus dem sich eine unauffällige Ergometrie bei altersentsprechender Belastbarkeit sowie eine stufenweise Belastbarkeit bis 150 Watt ohne Ischämiezeichen bei adäquatem Blutdruckanstieg und ohne signifikante Rhythmusstörungen ergab. Aufgrund einer ärztlichen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes des Beklagten vom 17. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, die Prüfung der im Widerspruchsverfahren eingeholten weiteren Unterlagen habe ergeben, dass der GdB mit 20 zutreffend festgestellt worden sei. Bei der Bewertung des GdB seien die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit berücksichtigt worden. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen mit Auswirkungen auf die Höhe des Gesamt-GdB lägen nach versorgungsärztlicher Beurteilung bei dem Kläger nicht vor. Bei einer ergometrischen Belastbarkeit bis 150 Watt ohne signifikante Rhythmusstörungen sei eine höhere Bewertung des Herzleidens nicht angezeigt. Art und Umfang der Funktionsbeeinträchtigung rechtfertigten einen GdB von wenigstens 50 nicht.

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Hiergegen hat der Kläger am 02. Mai 2007 bei dem Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben. Zur Begründung seines auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerichteten Begehrens führt er aus, die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen seien nicht leidensgerecht bewertet worden. Er leide unter Taubheitsgefühlen in den Händen, enormen Konzentrations- und Schlafstörungen sowie psychischen Belastungen (Angstzustände, Atemnot, Schweißausbrüche). Im Übrigen sei eine ausschließliche Bewertung des Herzleidens anhand von Ergometriedaten nicht mit den Anhaltspunkten vereinbar.

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Die Kammer hat im Rahmen ihrer medizinischen Sachverhaltsaufklärung einen (weiteren) Befundbericht bei Herrn Dr. med. G. vom 19. Dezember 2007 eingeholt, in dem dieser angab, der Kläger leide nicht unter psychischen Störungen; der bei ihm bestehende Bluthochdruck sei jedoch mit einem GdB von 50 bis 100 und die koronare Herzkrankheit mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Ferner lag ein ärztliches Attest des Herrn Dr. med. G. vom 23. November 2008 vor, in der er von einer postoperativen psychischen Störung ausgeht.

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Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. März 2008 ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, bei dem Kläger ab September 2006 einen GdB von 30 und die dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festzustellen. Grundlage dieser Einschätzung waren als zu berücksichtigende Funktionsstörungen eine Herzleistungsminderung nach Herzinfarkten und Bypass-Operation sowie Bluthochdruck. Ferner erklärte er sich bereit, die Kosten des Verfahrens zu 1/3 zu erstatten.

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Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 04. April 2008 angenommen und beantragt darüber hinaus,

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den Bescheid vom 07. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2007 in der Fassung des am 08. April 2008 angenommenen Teilanerkenntnisses vom 17. März 2008 zu ändern, und den Beklagten zu verpflichten, bei dem Kläger ab dem 18. September 2006 einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 festzustellen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das Gericht hat zur abschließenden medizinischen Sachverhaltsaufklärung den Facharzt für Innere Medizin Dr. med. K. mit der Erstattung eines Sachverständigen Gutachtens beauftragt. Der Sachverständige kam in seinem Sachverständigengutachten vom 09. August 2008 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 17. November 2008 im Wesentlichen zu folgender Einschätzung:

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Objektive dauerhafte Funktionseinschränkungen aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen lägen in Form einer verminderten Herz-Kreislauf-Leistungsfähigkeit vor. Diese liege nach dem vorliegen Befunden unter stufenweiser Belastung zwischen 100 und 150 Watt. Eine entscheidende Einschränkung der Herzpumpfunktion lasse sich objektiv nicht finden. Im Vordergrund stünden die subjektiven Beschwerdesymptomatiken des Klägers, die nachvollziehbar und möglicherweise als Folge des operativen Eingriffs anzusehen seien. Beklemmungen, Schweißausbrüche und Schlafstörungen sowie stressbedingte Angstgefühle, Brustschmerzen beim Heben oder Vorbeugen bestünden ebenfalls, sowie das weißlich-bläuliche Verfärben mit Schmerzhaftigkeit im Bereich beider Finger, außerdem eine verminderte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit. Die Bewertung der Herz-Kreislauf-Erkrankung richte sich nach den Anhaltspunkten der ärztlichen Gutachtertätigkeit auf Seite 71, Punkt 26.9. Die Anhaltspunkte würden für ein GdB zwischen 20 und 40 eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastungen mit 75 Watt erfordern. Diese würden bei dem Kläger nicht vorliegen, die Belastungsfähigkeit liege zwischen 100 und 150 Watt, ohne das objektive pathologische Messdaten festzustellen seien. Der echokardiografische Befund zeige ebenfalls eine gute Pumpfunktion. Eine Bewertung der Herzerkrankung ohne Berücksichtigung der subjektiven Beeinträchtigungen des Klägers sei jedoch nicht möglich. Die Schweißausbrüche, Angstgefühle und auch die punktuell vorhandenen Brustschmerzen bei Belastung würden den Gesamtzustand des Klägers limitieren, so dass ein GdB von 30 zutreffend und leidensgerecht sei. Eine eigenständige psychiatrische oder psychische Erkrankung liege nicht vor. Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit würden auf Seite 48 Punkt 26.3 leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewerten, bei dem Kläger sei allenfalls ein GdB von 10 festzusetzen. Der Gesamt-GdB würde sich auch bei einem GdB von 20 nicht weiter erhöhen. Der Morbus Raynaud (Weißwerden der Finger) sei als funktionelles kardiovasculäres Syndrom mit leichten Beschwerden zu bewerten, hierfür ergäbe sich kein Einzel-GdB (Seite 76 der Anhaltspunkte). Der bei dem Kläger bestehende Bluthochdruck sei als leichte Form zu bewerten, außerdem handele es sich bei dem Bluthochdruck um ein Behandlungsleiden, das durchaus noch medikamentös viel intensiver behandelt werde könnte um eine entsprechende Blutdruckeinstellung zu gewährleisten. Eine Einschätzung des Bluthochdruckes mit einem GdB von 50 bis 100 entbehre jeglicher Begründbarkeit und orientiere sich nicht an den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Zusammenfassend handele es sich bei der koronaren Herzkrankheit um die eigentlich limitierende Erkrankung des Klägers.

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Zur weiteren Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den Inhalt der Prozessakte sowie der den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten zum Aktenzeichen 57-01667 ergänzend Bezug genommen. Diese Unterlagen lagen in der mündlichen Verhandlung vor und waren Gegenstand von Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen (weiteren) Erfolg.

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Die angegriffenen Entscheidungen des Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger ist durch sie nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger kann nicht verlangen, dass der Beklagte zu seinen Gunsten einen höheren Gesamt-GdB als 30 feststellt; diese Bewertung entspricht im Übrigen auch dem im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens vom Beklagten abgegebenen und vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis vom 17. März 2008.

18

1. Gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und dem Grad der Behinderung fest. Dabei werden die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung in Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 S. 4 SGB IX). Dabei gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes festgelegten Maßstäbe entsprechend (§ 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX).

19

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichend und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Menschen sind unter den weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Bei der Bewertung der Einzel-GdB und der Bildung des Gesamt-GdB sind die Bewertungsrichtlinien der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und im Schwerbehindertenrecht“, Ausgabe 2008 (Anhaltspunkte) zu Grunde zu legen. Das Bundessozialgericht hat mehrfach - etwa im Urteil vom 18. Dezember 1996 - 9 RV 17/95 - zu der Anwendbarkeit der Anhaltspunkte und zu den Grenzen der gerichtlichen Überprüfung Stellung genommen. Die Anhaltspunkte sind danach trotz des Fehlens einer formalen Ermächtigungsnorm im Interesse einer Gleichbehandlung aller Behinderten als „antizipierte Sachverständigengutachten“ zu beachten, entfalten im Schwerbehindertenrecht trotz fehlender Ermächtigungsgrundlage normähnliche Wirkung und unterliegen nur eingeschränkt richterlicher Kontrolle (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 1993, - 9/9a RVs 1/91, in SozR 3 - 3870, § 4 Nr. 6; vgl. zur Verbindlichkeit der Anhaltspunkte ferner: Bundessozialgericht, Urteil vom 18. September 2003, - B 8 SB 3/02 R).

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Gemäß Ziffer 19 Abs. 1 und 3 der Anhaltspunkte ist bei der Feststellung des Gesamt-GdB in der Regel von der Behinderung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Sodann ist im Hinblick auf alle weiteren Behinderungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, d. h. ob wegen der weiteren Behinderungen dem ersten GdB 10 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Gesamtbehinderung gerecht zu werden. Rechenmethoden sind hierbei nicht heranzuziehen. Grundsätzlich führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, ganz regelmäßig nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die in der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte. Dies gilt auch bei Vorliegen mehrerer solcher leichter Behinderungen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 ist der Schluss auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung vielfach nicht gerechtfertigt (Ziffer 19 Abs. 4 der Anhaltspunkte). Maßgeblich für die Bemessung des Gesamt-GdB ist daher, ob einzelne Funktionsbeeinträchtigungen voneinander unabhängig sind (und damit verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen) oder ob sie sich sogar nachteilig aufeinander auswirken, Ziffer 19 Abs. 3 der Anhaltspunkte.

21

Ein Gesamt-GdB von 50 (und damit die Schwerbehinderteneigenschaft, § 2 Abs. 2 SGB IX) kann nach Ziffer 19 Abs. 2 der Anhaltspunkte nur angenommen werden, wenn die Gesamtauswirkungen der verschiedenen Behinderungen so erheblich sind wie die Auswirkungen eines Leidens, für das in Ziffer 26 der Anhaltspunkte bereits ein Einzel-GdB von 50 vorgesehen ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei dem Verlust einer Hand, dem Verlust eines Beines im Unterschenkel, einer vollständigen Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, bei Herz-Kreislauf-Schäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion mit Leistungsbeeinträchtigung bereits bei leichter Belastung oder bei Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung.

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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB als 30 nicht gerechtfertigt. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, d. h. aus allen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, insbesondere aber aus dem medizinischen Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. med. L. vom 09. August 2008 nebst seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 17. November 2008. Die dortigen Ausführungen sind in sich schlüssig und widerspruchsfrei und daher auch überzeugend. Sie lassen eine umfassende Würdigung der von dem Kläger vorgebrachten Beschwerden erkennen. Hinweise darauf, dass Befunde nicht oder nicht zutreffend erhoben oder gewürdigt worden sind, vermochte die Kammer nicht zu erkennen. Der Sachverständige hat die bei dem Kläger bestehenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen nach umfassender eigener Untersuchung und unter Berücksichtigung der ihm vorgelegten medizinischen Unterlagen zutreffend festgestellt und in Übereinstimmung mit den Anhaltspunkten bewertet. Die von dem Sachverständigen vorgeschlagenen Einzelbewertungen entsprechen dabei der Bewertungsrichtlinie der Anhaltspunkte und halten sich in deren Rahmen.

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a) Die Kammer folgt dem gerichtlichen Sachverständigen in seiner Einschätzung, dass die dauernden Funktionsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Herzleiden mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Der Sachverständige hat zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass die bei dem Kläger vorliegenden Funktionsstörungen im Zusammenhang mit seinem Herzleiden im Vordergrund stehen. Nach Ziffer 26.9, Seite 71 der Anhaltspunkte ist die Zuerkennung eines Grades der Behinderung von 20 bis 40 dann gerechtfertigt, wenn die Krankheiten des Herzens mit einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z. B. forsches Gehen, mittelschwere körperliche Arbeit), bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten) einhergehen. Allein diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nach den vorliegenden Unterlagen und nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht vor. Der Sachverständige hat insoweit überzeugend darauf hingewiesen, dass der Kläger in der Vergangenheit mit Blick auf die Ergometriebelastung mit 100 bis 150 Watt belastbar gewesen ist. Auch im Rahmen der ambulanten Untersuchung bei dem Sachverständigen konnte eine Ergometriebelastung bis 100 Watt festgestellt werden. Vor diesem Hintergrund liegen die Voraussetzungen der Anhaltspunkte, nach denen ein Einzel-GdB von 20 bis 40 erst bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt gerechtfertigt wären, nicht vor. Allerdings hat der Sachverständige auch zutreffend darauf hingewiesen, dass die bei dem Kläger glaubhaft vorliegenden subjektiven Beschwerden im Zusammenhang mit der Herzerkrankung, mithin die Schweißausbrüche, die Angstgefühle, die aktuell vorhandenen Brustschmerzen bei Belastung, zusätzlich zu berücksichtigen sind, so dass der Einzel-GdB von 30 für den Erkrankungskomplex der Herzfunktion unter Einschluss der von dem Kläger subjektiv geklagten und damit zusammenhängenden Beschwerden gerechtfertigt ist. Weil in diesem Teilwert - entgegen der Auffassung des Klägers - gerade nicht nur lediglich die Ergometriedaten Berücksichtigung fanden, kann auch der insoweit vorgebrachte Einwand des Klägers dem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen.

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b) Auch hinsichtlich der Einschätzung, dass dem Bluthochdruckleiden kein Einzel-GdB zugeordnet werden kann, der den im Vordergrund stehenden Teilwert für die Herzerkrankung weiter erhöhen könnte, folgt die Kammer den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Dieser hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach Ziffer 26.9, Seite 71 der Anhaltspunkte bei dem Kläger nur von einer leichten Form des Bluthochdruckes ausgegangen werden kann, weil sich die für eine mittelschwere Form sprechenden Veränderungen am Herzen im Sinne einer Linksherzhypertrophie oder aber Nierenveränderungen (Proteinurie) bei dem Kläger nicht feststellen ließen und im Übrigen keine Hinweise auf Schädigungszeichen des Bluthochdruckes am Herzen oder im Bereich der Nieren gibt. Daher vermochte die Kammer auch der Bewertung des Herrn Dr. med. G. in seinem Befundbericht vom 19. Dezember 2007, die nach alledem nicht mit den Bewertungsrichtlinien der Anhaltspunkte in Einklang zu bringen ist, nicht zu folgen.

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c) Hinsichtlich des von dem Kläger beklagten Morbus Raynaud (weißlich-bläuliches Verfärben der Finger) führt dieses Leiden als funktionelles kardiovaskuläres Syndrom nicht zu einer Erhöhung des führenden Teilwertes für die Herzerkrankung; der Sachverständige hat insoweit in Übereinstimmung mit den Anhaltspunkten (Ziffer 26.9, Seite 76) darauf hingewiesen, dass hierfür kein Einzel-GdB gerechtfertigt sei.

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d) Soweit der Kläger geltend macht, auch psychisch beeinträchtigt zu sein, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass gemäß Ziffer 18 Abs. 8, Seite 23 der Anhaltspunkte die mit der Herzerkrankung üblicherweise einhergehenden psychischen Beschwerden bereits in den in den Anhaltspunkten verwendeten Tabellenwerten enthalten sind und ohnehin bereits bei der Bewertung des Herzleidens mit einem Einzel-GdB von 30 Berücksichtigung fanden. Im Übrigen hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst angegeben, sich nicht in psychologische oder psychiatrische Behandlung begeben zu wollen, was nach Auffassung der Kammer dafür spricht, dass ein eigenständig zu bewertendes Krankheitsbild nicht vorliegt; der Kläger selbst sieht seine psychischen Beeinträchtigungen offenbar auch nicht als (gesondert) behandlungsbedürftig an. Auch hat der den Kläger behandelnde Dr. med. G. weder im Vorverfahren noch im gerichtlichen Verfahren trotz ausdrücklicher Nachfrage entsprechende Befunde mitgeteilt; die in dem Attest vom 23. November 2008 nunmehr genannte postoperative psychische Störung ist - in Übereinstimmung mit den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen - in dem Einzel-GdB von 30 für das Herzleiden enthalten. Daher ist die Vergabe eines eigenständigen Teilwertes für den Funktionskomplex der Psyche nicht gerechtfertigt. Eine weitere gerichtliche Sachverhaltsaufklärung ohne konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines entsprechenden eigenständig zu bewertenden Krankheitsbildes käme einer Ermittlung „ins Blaue hinein“ gleich, die auch der im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz nicht gebietet (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 103, Rdn. 5 und 12c), zumal der gerichtliche Sachverständige weitere medizinische Sachverhaltsaufklärung nicht für erforderlich hielt.

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3. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so ist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen ihrer Gesamtheit unter Berücksichtung ihrer Wechselseitigen Beziehung festzustellen. Nach Ziffer 19 Abs. 3, Seite 25 der Anhaltspunkte ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Ziffer 19 Abs. 4, Seite 26 der Anhaltspunkte). Zur Vorbereitung der Bildung des Gesamt-GdB nach Ziffer 18 Abs. 4, Seite 22 der Anhaltspunkte, Funktionssysteme wie Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz/Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine und Rumpf zusammenfassend zu beurteilen. Für die Bildung der Einzel-GdB sind die für die Bildung des Gesamt-GdB dargelegten Grundsätze entsprechend anzuwenden.

28

Dem ist der Beklagte nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen wird den bei dem Kläger vorliegenden dauernden Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Gesamt-GdB von 30 hinreichend Rechnung getragen. Insbesondere überzeugte die Kammer - wie bereits ausgeführt - die von dem Sachverständigen vorgenommene Bewertung des Herzleidens zusammen mit den subjektiven Beschwerden mit einem Einzel-GdB von 30. Da weitere Funktionsbeeinträchtigungen, die mindestens einen Teilwert von 20 erreichen oder die - bei einem geringeren Teilwert - derart gravierend sind, dass sie den höchsten Teilwert zu erhöhen vermögen, nicht vorliegen, können sich diese auch nicht ungünstig auf den ersten Erkrankungskomplex - mithin die Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit dem Herzleiden - auswirken, so dass ein Gesamt-GdB von 30 angemessen und leidensgerecht ist.

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Selbst wenn man von einer eigenständigen psychischen Erkrankung ausginge und diese in Übereinstimmung mit Ziffer 26.3, Seite 48 der Anhaltspunkte als leichtere psychovegetative oder psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 20 in die Gesamtwürdigung einfließen ließe, würde sich diese Funktionsbeeinträchtigung wegen der in der Einschätzung des höchsten Teilwertes für das Herzleiden bereits enthaltenen psychischen Komponente nicht erhöhend auswirken; dies käme nämlich einer unzulässigen doppelten Berücksichtigung von dauernden Funktionsbeeinträchtigungen gleich.

30

4. Gemäß Ziffer 19 Abs. 2 der Anhaltspunkte sind - wie ausgeführt - bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Danach liegen bei dem Kläger keine dauernden Funktionseinschränkungen vor, die mit den nach den Anhaltspunkten einen Gesamt-GdB von 50 bedingenden Funktionseinschränkungen, wie etwa beim Verlust einer Hand oder eines Beines im Unterschenkel oder einer völligen Versteifung großer Abschnitte bei der Wirbelsäule oder bei Herz-Kreislaufschäden oder Einschränkungen der Lungenfunktion bereits bei leichter Belastung vergleichbar wären.

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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 S. 1 SGG und entspricht dem im Laufe des Verfahrens bereits abgegebenen Teilanerkenntnis des Beklagten; die darüber hinaus gehende Klage war erfolglos, so dass der Beklagte nicht mit weiteren außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten ist.