Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 28.07.2008, Az.: S 3 U 4/06

Arbeitsunfall infolge einer den Versicherungsschutz nach begründenden versicherten Tätigkeit durch ein Mitarbeitergespräch; Unfallereignis i.R.e. außergewöhnlichen körperlichen Belastung im Zusammentreffen mit einer betriebsbezogenen Stresssituation; Bestimmtes schweres Ausmaß der Stresseinwirkung von außen und eine individuelle subjektive Reaktion auf die äußere Belastung als ein entscheidender Moment des Unfallereignisses

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
28.07.2008
Aktenzeichen
S 3 U 4/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 34375
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2008:0728.S3U4.06.0A

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Dezember 2007 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Vorfall vom 05. August 2004 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in voller Höhe.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger am 05. August 2004 einen Arbeitsunfall erlitten hat.

2

Der im Februar 1951 geborene Kläger ist gelernter Fernmeldetechniker und arbeitet seit dem Jahre 1967 bei der I ... Seit dem 01. November 1979 ist er in dem Gebiet J. als Servicetechniker eingesetzt. In der Stadt J. befindet sich ein vom Arbeitgeber des Klägers angemietetes Büro, wo er morgens seine Arbeit beginnt, dann die einzelnen Aufträge im Gebiet J. und den Randgebieten abarbeitet und abends beendet. Etwa ein halbes Jahr vor dem hier umstrittenen Ereignis ist die Arbeitsgruppe des Klägers halbiert worden. Die Gruppe, in der der Kläger verblieb, bekam einen anderen Vorgesetzten - den Zeugen K. -. In der Folgezeit einigten sich die anderen Mitglieder der Arbeitsgruppe mit dem Arbeitgeber darauf, ihren Arbeitsplatz nach Hause zu verlagern. Hintergrund dieser Vereinbarung war, dass sich der Arbeitgeber so erhoffte, keine Arbeitsräume mehr vorhalten zu müssen. Der Kläger war mit einer solchen Regelung nicht einverstanden, so dass nunmehr nur noch für diesen die Arbeitsräume vorgehalten wurden.

3

Am 02. August 2004 arbeitete der Kläger von 7.25 Uhr bis 16.10 Uhr und hat zusammen mit einem Auszubildenden - dem Zeugen L. - verschiedene Aufträge erledigt, wobei die Anzahl der Aufträge zwischen den Beteiligten streitig ist.

4

Am 05. August 2004 rief der Zeuge M. den Kläger am frühen Nachmittag auf dessen Handy an und forderte ihn auf, zum Büro nach N. zu kommen, um dort mit ihm etwas zu besprechen. Der Kläger begab sich dann zusammen mit dem Zeugen O.nach N., wo sie etwa zwischen 14.00 Uhr und 14.30 Uhr eintrafen. Die einzelnen Umstände des weiteren Ablaufs des Gesprächs sind zwischen den Beteiligten streitig. Bereits vor Beginn des Gesprächs oder während des Gesprächs ist der Kläger vom Stuhl auf den Boden gerutscht und anschließend von einem sofort gerufenen Notarzt in das P. eingeliefert worden. Auf dem entsprechenden Einweisungsschein vom 05. August 2004 heißt es u.a.:

"Der Pat. wird vom Notarzt mit Tachykardie, Schweissausbrüchen, thorakalem Druckgefühl und Kribbelparästhesien perioral und in den Händen gebracht. Der Pat. beklagt außerdem Übelkeit und ein leichtes Schwindelgefühl. Der Beschwerdesymptomatik war ein Streit mit einem Vorgesetzten vorausgegangen. Der Pat. berichtet, dass er dort schon seit einiger Zeit Probleme hat, möchte dort nicht mehr arbeiten, sagt, er "springe von der nächsten Brücke", wenn er nicht krankgeschrieben wird."

5

Als Diagnose verzeichnete der behandelnde Arzt ein Hyperventilationssyndrom unter Ausschluss eines akuten Coronarsyndroms. Der Kläger wurde am gleichen Abend wieder nach Hause entlassen. Nach einer sich anschließenden Arbeitsunfähigkeit nahm der Kläger seine Arbeit am 14. Oktober 2004 wieder auf, nachdem er am 14. September 2004 - einen Tag vor dem ursprünglich geplanten Arbeitsbeginn - einen Hörsturz erlitten hatte.

6

Nach Einholung verschiedenen medizinischen Befundmaterials und einer schriftlichen Stellungnahme des Zeugen M. vom 29. Dezember 2004 (Bl. 16 VA) lehnte die Beklagte die begehrte Anerkennung eines Arbeitsunfalls mit Bescheid vom 10. Februar 2005 (Bl. 24 VA) ab. Das Ereignis vom 05. August 2004 sei lediglich Gelegenheitsursache. Das Gespräch mit dem Zeugen M. sei nicht die rechtlich wesentliche Ursache des eingetretenen Körperschadens gewesen, sondern lediglich der geringfügige Anlass.

7

Der hiergegen am 15. Februar 2005 erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 05. Dezember 2005, Bl. 53 VA). Zur Begründung führte die Beklagte darin aus, insbesondere sei aufgrund des streitigen Ereignisses eine posttraumatische Belastungsstörung nicht eingetreten, weil eine außergewöhnliche Bedrohung nicht angenommen werden könne. Es habe also bereits ein Unfallereignis nicht stattgefunden. Vielmehr sei auch aufgrund der Ausführungen der behandelnden Psychotherapeutin Q. - eingegangen am 28. Dezember 2004 - (Bl. 11 VA) davon auszugehen, dass die aktuelle Situation das erneute Hervortreten der kindlichen Traumatisierung durch den gewalttätigen Vater verursacht habe und zur Ausbildung der psychischen Beschwerdesymptomatik geführt habe.

8

Hiergegen hat der Kläger am 06. Januar 2006 bei dem Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben, mit der sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er vor, die erste Stellungnahme der Frau Q. sei von ihr korrigiert worden. Nunmehr gehe sie davon aus, dass es sich bei dem Ereignis um eine akute posttraumatische Belastungsreaktion auf ein aktuelles traumatisierendes Geschehen gehandelt habe.

9

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Dezember 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Vorfall vom 05. August 2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

10

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend und verweist zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages auf die dort gemachten Ausführungen. Ergänzend führt sie aus, bereits der Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung schließe die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall aus. Denn die gesetzliche Unfallversicherung schütze nicht vor unangenehmen Gesprächen mit einem Vorgesetzten.

12

Die Kammer hat zur medizinischen Sachverhaltsaufklärung Beweis erhoben durch die Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens der Ärztin für Neurologie/Psychiatrie sowie Sozialmedizin Frau R ... In ihrem Sachverständigengutachten vom 03. Januar 2007 (Bl. 35 ff. GA) kommt sie zu dem Ergebnis, der akute psychovegetative Erregungszustand mit Hyperventilation und die sich anschließende Anpassungsstörung mit Unruhe, Anspannung, Ärger und latenter Suizidialität sei mit Wahrscheinlichkeit Folge des angeschuldigten Ereignisses. Andere Ursachen wie Vorschäden, krankhafte Anlagen oder Vorerkrankungen seien nicht auszumachen gewesen; unfallunabhängige Mitursachen lägen nicht vor. Die gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei falsch. Der akute psychovegetative Erregungszustand mit Hyperventilation sei sofort nach dem Notarzteinsatz abgeklungen. Die Anpassungsstörung sei im Laufe einiger Wochen abgeklungen; unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 14. September 2004 bestanden. Eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit liege aufgrund des Ereignisses nicht vor (Bl. 67 ff. GA).

13

Die Kammer hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 28. Juli 2008 den Kläger angehört und ferner Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen K., O. und S ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift von diesem Tage Bezug genommen.

14

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Prozessakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat Erfolg.

16

Mit dem Antrag, seinen Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen, erstrebt der Kläger ersichtlich die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 05. August 2004 um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt hat. Richtige Klageart zur Erreichung dieses Zieles ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Geht es - wie hier - in einem gerichtlichen Verfahren nicht um konkrete Ansprüche auf bestimmte Leistungen, kann der Versicherte die Grundlagen der in Frage kommenden Leistungsansprüche vorab im Wege einer isolierten Feststellungsklage klären lassen. Das betrifft nicht nur die in § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG ausdrücklich vorgesehene Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit, sondern auch die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen, in denen - wie hier - vom Versicherungsträger bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit bestritten wird (vgl. hierzu etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 28. April 2004 - T., zitiert nach [...]; Bundessozialgericht, SozR 2200 § 551 Nr. 35; Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Februar 2005, -U. R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 12; Bundessozialgericht, Urteile vom 07. September 2004, - V., SozR 4-2700 § 2 Nr. 3, - W., SozR 4-2700 § 2 Nr. 2 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 28. April 2004, - T., SozR 4-5671 Anlage 1 Nr. 5101 Nr.2).

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Da ferner nicht von vornherein und unter jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen erscheint, dass dem Kläger zukünftig Entschädigungsleistungen aufgrund des Ereignisses vom 05. August 2004 zustehen könnten, kann der Kläger auch ein Rechtsschutzbedürfnis vorweisen. Im Übrigen ist dies ohnehin - abgesehen von hier nicht vorliegenden unbedeutenden Bagatellverletzungen - regelmäßig gegeben (vgl. hierzu auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. August 2003, - X.).

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Die danach zulässige Klage ist auch begründet. Die angegriffenen Entscheidungen erweisen sich als rechtswidrig und beschweren den Kläger, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Denn die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, das Ereignis vom 05. August 2004 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

19

Nach § 8 Abs. 1 des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass (1.) die Verrichtung des Versicherten zum Zeitpunkt des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass (2.) die Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat und letzteres (3.) einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von (länger andauernden) Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist dabei nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

20

Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend erlitt der Kläger am 05. August 2004 einen Arbeitsunfall.

21

Dass der als Servicetechniker tätige Kläger bei dem Mitarbeitergespräch mit seinem Vorgesetzten eine Verrichtung ausgeübt hat, die in sachlichem Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stand, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Diese Verrichtung hat bei dem Kläger auch zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung von außen - dem Unfallereignis in Gestalt der durch den Vorgesetzten des Klägers formulierten Vorhalte - geführt. Dabei dient das Erfordernis des Unfallereignisses der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie z.B. einem Herzinfarkt, wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Dabei ist für ein Unfallereignis im Sinne des SGB VII kein besonderes oder gar gänzlich ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Ein schlichter Sturz auf einem versicherten Weg genügt, es sei denn, der Unfall ist infolge einer nichtbetriebsbedingten krankhaften Erscheinung eingetreten und zur Schwere der Verletzung hat keine Gefahr mitgewirkt, der der Kläger auf dem Weg ausgesetzt war. Das Bundessozialgericht hat eine äußere Einwirkung etwa angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Oktober 1987, - Y., SozR 62, 220). Eine Einwirkung wurde auch bejaht bei einem körperlich anstrengenden Heben einer Bohrsonde, währenddessen der Versicherte auf einmal einen Schmerz im Halsbereich verspürte; hier wurde lediglich später der Ursachenzusammenhang mit der anschließend aufgetretenen Subarachnoidalblutung verneint (Bundessozialgericht, Urteil vom 02. Mai 2001, - Z., HVBG-Info 2001, 1713). Im Falle eines Steinmetzes, der beim Abräumen einer Grabstätte versucht hatte, einen etwa 70 kg schweren, festgefrorenen Stein hochzuheben, hat das Bundessozialgericht eine zeitlich begrenzte, äußere Einwirkung auf den Körper im Sinne des Unfallbegriffes aufgrund der unsichtbaren Kraft bejaht, die der schwere und festgefrorene Stein dem Versicherten entgegengesetzt habe (Bundessozialgericht, Urteil vom 12. April 2005, - AA., SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Von einer Einwirkung von außen wurde ferner ausgegangen bei der Aufnahme von Nahrung, die aufgrund des Bestehens einer Nussallergie zu einem anaphylaktischen Schock mit Kreislaufstillstand und aufgrund dessen zum Tod führte. Begründet wurde dies damit, dass durch die Situation während des geschäftlichen Abendessens mit gleichzeitiger Plenarsitzung, die noch dazu in englischer Sprache stattgefunden habe, die Aufmerksamkeit des Versicherten auf die Gesprächsinhalte gelenkt und seine Konzentration hinsichtlich der Nahrungsaufnahme herabgesetzt worden sei, weshalb es sich insgesamt gesehen nicht um eine alltägliche Situation und ein alltägliches Geschehen gehandelt habe (Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Januar 2007, - AB., zitiert nach [...]). Ein Unfallereignis durch geistig-seelische Einwirkungen wurde ferner bejaht im Falle eines plötzlichen Herztodes anlässlich der Vernehmung eines versicherten Selbständigen in einem Zivilprozess; dieser habe in einer außergewöhnlichen Stresssituation gestanden, weil der Zivilprozess für ihn von existenzieller Bedeutung gewesen und er von den Anwälten der Gegenpartei heftig attackiert worden sei (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. März 1997, - AC., SozR 3-2200 § 539 Nr. 39; vgl. zu der Bejahung einer äußeren Einwirkung durch psychische Beeinträchtigungen schließlich auch BVerwGE 35, 133, 134) [BVerwG 09.04.1970 - II C 49/68].

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Unter Zugrundelegung dieses weiten Unfallbegriffes ist auch in der vorliegenden Konstellation eine äußere Einwirkung im Sinne der Unfalldefinition zu bejahen: Für den Kläger lag nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme insgesamt gesehen keine alltägliche Situation und kein alltägliches Geschehen, sondern eine außergewöhnliche körperliche Belastung vor, die zudem mit einer betriebsbezogenen Stresssituation zusammentraf, wie sie in den Fällen der Nussallergie und der Zeugenvernehmung (Bundessozialgericht, a.a.O.) für ein Unfallereignis als ausreichend erachtet worden ist.

23

Dabei steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der im Rahmen der Beweisaufnahme gehörten Zeugen fest, dass es sich bei dem Gespräch zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten - dem Zeugen M. - nicht etwa, wie es die Beklagte darstellt, um ein alltägliches Gespräch zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem gehandelt hätte, das von vornherein nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Vielmehr geht die Kammer insbesondere nach den überzeugenden Ausführungen des Zeugen L. davon aus, dass es sich insgesamt um eine außergewöhnliche Gesprächssituation gehandelt hat, in deren Folge der Kläger einen Gesundheitserstschaden erlitten hat. Dabei misst die Kammer den glaubhaften und detailreichen Ausführungen des Zeugen O., wonach bei diesem während des Gesprächs, bei dem er die ganze Zeit anwesend gewesen sei, der Eindruck entstanden sei, der Zeuge M. habe den Kläger "an die Wand nageln" wollen, letztlich die entscheidende Bedeutung zu. Dass es sich dabei nicht um eine alltägliche Gesprächssituation gehandelt hat, wird ferner dadurch genährt, dass aufgrund der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer auch feststeht, dass der Zeuge M. die dem Kläger gemachten Vorhalte auch nicht einstellte, als dieser um eine Beendigung des Gesprächs und um Fortsetzung nur unter Beteiligung des Betriebsrates bat. Dies haben die Zeugen AD. und L. nachvollziehbar und in jeder Hinsicht glaubhaft bestätigt und insoweit überzeugend geschildert, dass es sich um eine Atmosphäre gehandelt habe, die weit über eine normale Gesprächssituation hinausgegangen sei. Ferner hat insbesondere der Zeuge L. eindrucksvoll und detailreich geschildert, dass sich aus einer anfänglich weitgehend normalen Gesprächssituation eine "sachlich-hitzige" Diskussion entwickelte, in deren Verlauf der Kläger deutliche Anzeichen einer körperlichen Anspannung durch starkes Schwitzen zeigte und der Zusammenbruch des Klägers zu einem Zeitpunkt erfolgte, als dieser bereits darum gebeten hatte, das Gespräch zu beenden. Die Kammer misst dabei dem Umstand, dass es der Zeuge M. trotz der Bitte des Klägers nicht unterließ, seine Vorhalte weiter zu artikulieren, nicht unerhebliche Bedeutung zu, weil sich erst dadurch die Situation derart zuspitzen konnte, dass der Kläger einen Gesundheitserstschaden erlitt. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen L. und AD. und an der Richtigkeit ihrer Aussage bestehen nicht. Zwar standen sie zu dem Kläger als Kollegen bei der AE. in einem nahen kollegenschaftlichen Verhältnis, wobei insbesondere der Zeuge L. als dem Kläger zugewiesener Auszubildender dem Kläger besonders nahe stand. Indes ist ein irgendwie geartetes Interesse der Zeugen L. und AD. am Ausgang des Rechtsstreites im Hinblick auf dieses Verhältnis nicht erkennbar, zumal der Zeuge L. zwischenzeitlich aus der AE. ausgeschieden und der Zeuge AD. in einen anderen Betriebsbereich des Unternehmens gewechselt ist. Die Kammer ist aufgrund der gehörten Zeugen und aufgrund der nachvollziehbar geschilderten Geschehnisse durch den Kläger davon überzeugt, dass es sich für diesen auch und gerade deshalb um eine besonders belastende und gänzlich außergewöhnliche Situation handelte, weil der Zeuge L. und in den entscheidenden Momenten auch der Zeuge AD. an dem Gespräch teilhaben (mussten) und dieses selbst als Nichtbeteiligte als ungewöhnlich angespannt bezeichneten. Dass es sich bei dem Gespräch nicht um eine alltägliche Situation handelte, sondern beide Gesprächsteilnehmer zumindest angespannt diskutierten, hat neben den Zeugen L. und AD. selbst der Zeuge K. bestätigt, der nach dem Eindruck der Kammer ersichtlich bemüht war, dem Gespräch keine überragende Bedeutung zukommen zu lassen, gleichwohl aber zumindest einräumte, auch selbst angespannt gewesen zu sein. Die Kammer geht in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Sachverständigen Frau AF. daher davon aus, dass die von ihm und dem Zeugen M. ausgehende außerordentliche Anspannung während des Gesprächs und die gemachten Vorhalte hinsichtlich der geringen Effektivität seiner Leistungen für den Kläger so belastend und demütigend gewesen ist, dass er der dadurch ausgelösten und insbesondere durch den Zeugen L. eindrucksvoll beschriebenen Stresssituation gesundheitlich nicht gewachsen war. Die Kammer ist ferner davon überzeugt, dass insbesondere die fortgesetzten weiteren Vorhalte des Zeugen M. hinsichtlich der von ihm erbrachten Leistungen trotz der Bitte des Klägers um Fortsetzung des Gesprächs nur unter Beteiligung des Betriebsrates und die gefühlte Erniedrigung - auch und gerade durch die Anwesenheit der Zeugen L. und AD. - weit über das Maß desjenigen hinausgingen, was ein alltägliches Gespräch zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter auszeichnet. Diese Fallkonstellation ist daher nach Auffassung der Kammer ohne Weiteres mit der Ausnahmesituation zu vergleichen, die das Bundessozialgericht bereits zu entscheiden hatte und in der sich der dortige Zeuge von gegnerischen Anwälten attackiert und heftig unter Druck gesetzt fühlte (Bundessozialgericht, a.a.O.). Auch für diese Konstellation hat das Bundessozialgericht, dem die Kammer folgt, ein auf den Körper bzw. Geist des Klägers einwirkendes äußeres Unfallereignis bejaht. Die Kammer kann insoweit nicht erkennen, welcher Unterschied zwischen der vorliegenden und der vom Bundessozialgericht bereits entschiedenen Konstellation bestehen soll. In dieser Zusammenschau war der Kläger am 05. August 2004 daher einer erheblichen Stresssituation ausgesetzt, was als äußeres Ereignis und nicht mehr als alltägliches Geschehen gewertet werden muss.

24

Aus diesen Gründen führt auch der vorsichtige Einwand der Beklagten, die Wirkung, die das Gespräch bei dem Kläger verursacht habe, sei lediglich als persönlichkeitseigene Reaktion zu werten, zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach Auffassung der Kammer kommt es nicht auf ein bestimmtes schweres Ausmaß der Stresseinwirkung von außen (objektive Belastung), sondern auf die individuelle subjektive Reaktion auf die äußere Belastung als das entscheidende Moment des Unfallereignisses an (vgl. hierzu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 04. Dezember 1991 - AG., HV-INFO 1992, 586). Entscheidend ist daher letztlich, dass die besondere psychische Belastung während des Gespräches nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung, der die Gesprächsatmosphäre eindrucksvoll als "giftig" und "explosiv" bezeichnete, ganz im Vordergrund stand und bei ihm die außerordentliche Stresssituation hervorrief.

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Das streitgegenständliche Gespräch war nach den Ausführungen der gerichtlichen Sach-verständigen Frau AF. schließlich auch (alleinige) wesentliche Ursache für den akuten psychovegetativen Erregungszustand mit Hyperventilation und die sich anschließende Anpassungsstörung. Andere konkurrierende Ursachen liegen nach den Ausführungen der Sachverständigen nicht vor, so dass es auf ein Abwägen verschiedener Ursachenbeiträge nach der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht ankommt. Die Kammer folgt insoweit den Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Frau R., die mit überzeugender Begründung nach ambulanter Untersuchung des Klägers und Auswertung sämtlichen Befundmaterials ausführte, dass eine entsprechende Krankheitsanlage bei dem Kläger nicht feststellbar sei; auch die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zunächst problematisierte kindheitliche Traumatisierung des Klägers konnte die Sachverständige nicht objektivieren. Die Kammer hält die Ausführungen der gerichtlich sehr erfahrenen Sachverständigen für in sich schlüssig, widerspruchsfrei und daher überzeugend und folgt der entsprechenden Einschätzung, zumal sich auch dem von der Kammer bei der Krankenkasse des Klägers eingeholten Vorerkrankungsverzeichnis vom 10. Juni 2008 Eintragungen nicht entnehmen lassen, die auf eine entsprechende Krankheitsanlage hindeuten könnten. Der insoweit entgegen gesetzten Auffassung der Beklagten vermag die Kammer daher nicht zu folgen.

26

Daher steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass das anlässlich der versicherten Tätigkeit geführte Mitarbeitergespräch vom 05. August 2004 ein von außen auf den Körper und Geist des Klägers einwirkendes Ereignis gewesen ist, das zu einem Gesundheitserstschaden - dem akuten psychovegetativen Erregungszustand mit Hyperventilation und einer akuten Anpassungsstörung - geführt hat.

27

Ob und inwieweit auf dem Arbeitsunfall beruhende Unfallfolgen zu Entschädigungsleistungen der Beklagten führen könnten, ist - wie oben bereits erörtert - demgegenüber nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites. Daher kann auch das von der Beklagten zur Stützung ihrer Auffassung vorgelegte Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. April 2008 - AH. - und ihre Ausführungen zur Fallgruppe der posttraumatischen Belastungsstörung zu keiner anderen Einschätzung führen, weil es - abweichend von den dort zugrunde liegenden Sachverhalten - vorliegend lediglich um die (isolierte) Anerkennung des Vorliegens eines Arbeitsunfalls geht, und dort um die Feststellung, ob aufgrund eines bestimmten Unfallereignisses bestimmte Unfallfolgen zu entschädigen sind. Dies ist jedoch - wie bereits ausgeführt - gerade nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall. Indes spricht aufgrund der Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen, wonach der auf dem Ereignis beruhende akute psycho-vegetative Erschöpfungszustand sofort nach dem Notarzteinsatz und die Anpassungsstörung im Laufe einiger Wochen wieder abgeklungen war und seitdem keinerlei Funktionseinschränkungen aufgrund des hier streitgegenständlichen Ereignisses mehr aufgetreten sind, mehr dagegen als dafür, dass derzeit überhaupt zu entschädigende Unfallfolgen bestehen könnten.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG; sie entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.