Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.02.2008, Az.: S 25 AS 55/08 ER
Rechtmäßigkeit einer Aufhebung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende wegen Vorliegens einer Verantwortungsgemeinschaft und Einstandsgemeinschaft; Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei Überwiegen des Interesses eines belasteten Leistungsempfängers; Anforderungen an die Ermessensausübung bei einer Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 27.02.2008
- Aktenzeichen
- S 25 AS 55/08 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 34625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2008:0227.S25AS55.08ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG
- § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG
- § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II
- § 7 Abs. 3a SGB II
- § 9 Abs. 2 SGB II
- § 39 SGB II
- § 40 Abs. 1 SGB II
- § 330 Abs. 2 SGB III
- § 45 SGB X
- § 48 SGB X
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Aufhebung von zuvor bewilligten Leistungen nach dem SGB II aufgrund der Annahme, der Antragsteller lebe mit einer Person in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft, kann nicht auf § 48 SGB X gestützt werden, wenn zeitlich nach Erteilung des Bewilligungsbescheides keine Änderung eingetreten ist, weil der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt mit der dritten Person zusammen wohnte.
- 2.
Es ist davon auszugehen, dass juristische Laien den Begriff der Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft weder verstehen noch zutreffend anwenden können.
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 28. Januar 2008 gegen den Aufhebungsbescheid der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2008 wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache - begrenzt durch den Eintritt der Unanfechtbarkeit der Verwaltungsentscheidungen der Antragsgegnerin - angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im einstweiligen Rechtsschutzverfahren.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) um die Rechtmäßigkeit einer von der Antragsgegnerin verfügten Aufhebung von zuvor bewilligten Leistungen aufgrund der Annahme, der Antragsteller lebe mit der Zeugin D. in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft.
Der 1950 geborene Antragsteller bezieht seit 2005 laufende Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Er schloss bereits am 25. Juni 2003 mit der Zeugin D. einen Mietvertrag über eine Wohnfläche von insgesamt 20 qm. Nach den Regelungen des vorformulierten Mietvertrages vermietete die Zeugin D. ein Zimmer bei Küchen-, Bad-, Garagen-, Garten- und Kellermitbenutzung an den Antragsteller, wobei als Beginn des Mietverhältnisses "März 2001" vermerkt ist. Der Gesamtmietzins betrug zunächst 410,00 EUR, ab Januar 2004 sollte er 430,00 EUR betragen, als Zahlungsmodalität vereinbarten die Mietvertragsparteien eine Barauszahlung gegen Quittung.
Nachdem der Antragsteller seit Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte, bewilligte ihm die Antragsgegnerin auf seinen entsprechenden Fortzahlungsantrag vom 18. Oktober 2007, in dem er die Frage nach den Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen verneinte, mit Bescheid vom 24. Oktober 2007 Leistungen ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der Zeugin E. in Höhe von 638,00 EUR monatlich für den Zeitraum vom 01. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008.
Nach am 13. November 2007 erfolgter Durchführung eines Hausbesuchs durch den Außendienst der Antragsgegnerin (auf das hierzu gefertigte Protokoll (Bl. 88 der Verwaltungsvorgänge) wird Bezug genommen), hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 27. November 2007 zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligungsentscheidung und Erstattung überzahlter Leistungen an und hob den Bewilligungsbescheid vom 24. Oktober 2007 mit Bescheid vom 14. Januar 2008 unter Berufung auf § 48 SGB X für den Zeitraum ab dem 01. Januar 2008 auf. Ferner hob sie mit Bescheid vom 04. Januar 2008 sämtliche Bewilligungsentscheidungen auf und forderte einen Gesamtbetrag in Höhe von 24.758,00 EUR zurück.
Gegen diese Entscheidungen der Antragsgegnerin erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 15. Januar 2008 und 28. Januar 2008 Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.
Am 11. Januar 2008 hat der Antragsteller um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht Lüneburg nachgesucht. Die Angaben des Mitarbeiters des Außendienstes seien unzutreffend, eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit der Zeugin E. liege nicht vor.
Er beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 01. Januar 2008 weiterhin Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre Ermittlungsergebnisse anlässlich des durchgeführten Hausbesuchs und die (angeblich) aufgetretenen Widersprüche hinsichtlich der Höhe des Mietzinses und der Mietzahlungen selbst.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin zum Aktenzeichen 25102 BG 1113 Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Antragsteller begehrt nach verständiger Würdigung seines Antrages die Auszahlung ungekürzter Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Januar 2008 bis zum 31. Mai 2008. Das bedeutet, dass er sich für diesen Zeitraum im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollziehung des Aufhebungsbescheides vom 14. Januar 2008, mit dem die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung für den Zeitraum ab dem 01. Januar 2008 aufgehoben worden ist, wenden muss. Da der erhobene Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 14. Januar 2008 gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung entfaltet, ist das Begehren des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG gerichtet.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das Gericht nach eigenem Ermessen und aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung. Sie ist in der Regel anzuordnen, wenn das Interesse des belasteten Leistungsempfängers an der aufschiebenden Wirkung überwiegt und die Behörde keine Umstände dargelegt hat, die einen Vorrang an alsbaldiger Vollziehung erkennen lassen. Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Leistungsempfänger dadurch in seinen Rechten verletzt, liegt kein Interesse der Behörde an der Vollziehbarkeit vor (Meyer-Ladewig, SGG, § 86b Rdnrn. 12 ff.).
1.
Die Voraussetzungen für eine derartige Anordnung sind hier erfüllt. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2008 erweist sich als rechtswidrig.
a)
Soweit ersichtlich hat die Antragsgegnerin den Aufhebungsbescheid vom 14. Januar 2008 im Wesentlichen auf die Vorschrift des § 48 SGB X gestützt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen jedoch nicht vor: In den tatsächlichen Verhältnissen des Antragstellers ist - zeitlich nach Erteilung des Bewilligungsbescheides vom 24. Oktober 2007 - eine Änderung nicht eingetreten. Der Antragsteller und die Zeugin E. wohnten bereits zu diesem Zeitpunkt - nämlich jedenfalls seit dem Jahre 2003 - zusammen in der Doppelhaushälfte in Lüneburg. Die Antragsgegnerin hat weder vorgetragen noch dargelegt, dass dieses Zusammenwohnen erst nach dem 24. Oktober 2007 begonnen hat. Für die Annahme, dass nach diesem Zeitpunkt aus dem bisherigen Zusammenleben eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft geworden wäre, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. § 48 SGB X scheidet damit als Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Bescheides vom 14. Januar 2008 aus.
b)
Wenn danach allein maßgebliche Rechtsgrundlage für eine Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 24. Oktober 2007 nur § 45 SGB X sein kann, spricht mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit der darauf gestützten Aufhebung, da sich der Antragsteller einerseits auf Vertrauensschutz berufen kann und die Antragsgegnerin andererseits das ihr zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat.
Nach § 45 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt, im Falle seiner Rechtswidrigkeit ganz oder teilweise bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind im Einzelnen in § 45 Abs. 2 und 4 SGB X geregelt. Gemäß § 45 Abs. 2 SGB X ist eine Rücknahme dann nicht möglich, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist; auf Vertrauen kann sich der Begünstigte dann nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X), der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2 der Vorschrift) oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3 der Vorschrift).
Unterstellt man, dass der Antragsteller und die Zeugin E. bereits vor dem 24. Oktober 2007 in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft zusammen gelebt haben, so wäre der Bescheid vom 24. Oktober 2007 rechtswidrig. Dem Grunde nach käme daher eine Rücknahme dieses Bescheides nach § 45 SGB X in Betracht. Allerdings erfordert § 45 SGB X sowohl für Verwaltungsakte, die für die Zukunft zurückgenommen werden als auch für Verwaltungsakte, die für die Vergangenheit zurückgenommen werden, die Ausübung von Ermessen (vgl. z.B. von Wulffen, SGB X, § 45, Anm. 2). Eine solche Ermessensausübung ist dem Bescheid vom 14. Januar 2008 jedoch nicht zu entnehmen. Im Gegenteil wird aus dem Bescheid deutlich, dass ein Ermessen nicht getätigt wurde. Die fehlende Ermessensausübung macht den Bescheid vom 14. Januar 2008 schon rechtswidrig.
Zwar ist - wie eingangs zitiert - nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II auch im SGB II die Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III anwendbar mit der Folge, dass der Leistungsträger Ermessen nicht ausüben muss, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen. Die Voraussetzungen der zuletzt genannten Vorschrift liegen indes jedoch gerade nicht vor: Der Antragsteller hat den Verwaltungsakt vom 24. Oktober 2007 weder durch arglistige Täuschung, Drohung und Bestechung (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X) erwirkt, noch ist der Verwaltungsakt zustande gekommen, weil der Antragsteller vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hätte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X), noch musste der Antragsteller die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vom 24. Oktober 2007 kennen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). All diese Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 - 3 des SGB X liegen schon deswegen nicht vor, weil der Antragsteller überhaupt nicht zutreffend beurteilen kann, ob er in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit der Zeugin E. lebt oder nicht. Juristische Laien können den Begriff der Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft weder verstehen noch zutreffend anwenden. Dies ist selbst in der sozialgerichtlichen Praxis nicht immer einfach zu beantworten. Jedenfalls ist für eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Handlungsweise des Antragstellers weder etwas vorgetragen, noch nach der allein möglichen summarischen Prüfung sonst etwas ersichtlich. Daher ist der Tatbestand des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X nicht erfüllt. Deshalb liegen auch die Voraussetzungen des § 330 Abs. 2 SGB III nicht vor mit der Folge, dass von der Ausübung von Ermessen im Bescheid vom 14. Januar 2008 nicht abgesehen werden konnte.
c)
Selbst wenn man dies anders sehen wollte, ist davon auszugehen, dass der Aufhebungsbescheid vom 14. Januar 2008 schon deshalb rechtswidrig und im Hauptsacheverfahren aufzuheben sein wird, weil der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 24. Oktober 2007 nicht rechtswidrig war.
Die Kammer vermochte sich im Rahmen der im einstweiligen Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nämlich nicht davon zu überzeugen, dass der Antragsteller nicht von Anfang an hilfebedürftig war. Insbesondere können die - von der Antragsgegnerin nicht einmal ermittelten - Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Zeugin E. in Anwendung des § 9 Abs. 2 SGB II in Verbindung mit § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II bei der Berechnung des Hilfebedarfs des Antragstellers keine Berücksichtigung finden, weil zwischen ihm und der Zeugin E. keine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft besteht.
Nach den genannten Vorschriften ist bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob der Hilfesuchende hilfebedürftig ist. Zur Bedarfsgemeinschaft rechnen auch Personen, die mit dem Hilfesuchenden in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft leben.
Nach summarischer Prüfung des hier zugrunde liegenden Tatsachenmaterials ist nicht von einer Verantwortungsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II auszugehen, weil die Zeugin E. nicht so in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Antragsteller zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
Diese Regelung ist mit Wirkung zum 01. August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I, 2006, S.1706 ff.) in Kraft getreten. Angelehnt an die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zur eheähnlichen Gemeinschaft wurden Voraussetzungen formuliert, bei deren Vorliegen von einer solchen Partnerschaft und damit von einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen wird. Eine eheähnliche Gemeinschaft liegt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 87, 234 [BVerfG 17.11.1992 - 1 BvL 8/87]) vor, wenn die Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen. In dem neuen § 7 Abs. 3a SGB II heißt es nunmehr, ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, werde vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben
- 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
- 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
- 4.
befugt sind, über Einkommen und Vermögen des anderen zu verfügen.
Die genannten Voraussetzungen sind vom Leistungsträger festzustellen und im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes von diesem glaubhaft zu machen. Da das Gesetz nur eine Vermutung aufgestellt hat, kann diese von den Betroffenen im Einzelfall durch entsprechende Nachweise widerlegt werden. Dies ist dann wiederum von dem jeweiligen Antragsteller darzulegen und glaubhaft zu machen.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin schon die Voraussetzungen der Vermutungsregelung nicht glaubhaft machen können. Zwischen den Beteiligten steht insoweit außer Streit, dass der Antragsteller jedenfalls bereits seit dem Jahre 2003 in der der Zeugin zu Eigentum gehörenden Doppelhaushälfte in Lüneburg zusammen. Indes konnte die Antragsgegnerin nicht glaubhaft machen, dass sich die als reines Zusammenwohnen zu verstehende Wohnsituation zu einem Zusammenleben verdichtet hat.
Zu dem Tatbestandsmerkmal des "Zusammenlebens" hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 03. August 2006 - L 9 AS 349/06 ER - folgendes ausgeführt:
"Dieses Tatbestandsmerkmal muss [ ] dahingehend verstanden werden, dass das "Zusammenleben" geeignet sein muss, den Schluss auf das Bestehen einer Einstandsgemeinschaft zu begründen, was wenigstens das Vorliegen einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft voraussetzt. Sonst würde bei jeder Wohngemeinschaft ohne weiteres die Vermutungsregelung greifen und den Bewohnern der Wohngemeinschaft die Pflicht auferlegt, die Nichtexistenz einer Einstandsgemeinschaft nachzuweisen. Dies wird auch schon aus der Wortwahl des Gesetzgebers deutlich. Dieser hat ausdrücklich vom "zusammenleben" und nicht vom "zusammenwohnen" gesprochen. Damit hat er deutlich gemacht, dass zum schlichten gemeinsamen wohnen in einer Wohnung weitere Gesichtspunkte hinzutreten müssen, um die Tatbestandsmerkmale der Vermutungsregelung auszulösen. Für die Glaubhaftmachung dieser Umstände ist [ ] der Leistungsträger pflichtig."
Dieser Sichtweise folgt die erkennende Kammer uneingeschränkt und macht sie sich ausdrücklich auch in diesem Verfahren zu Eigen. Ausgehend hiervon hat die Antragsgegnerin nicht glaubhaft machen können, dass zwischen dem Antragsteller und der Zeugin E. eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliegt, so dass nicht von einem "qualifizierten Zusammenwohnen", mithin einem "Zusammenleben" auszugehen ist.
So kann die Antragsgegnerin nicht uneingeschränkt darauf abstellen, der Antragsteller und die Zeugin E. lebten seit langem zusammen. Zwar ist es nach deren Vortrag unumstritten, dass sie (zumindest) seit 2003 im selben Haus wohnen. Hieraus kann aber nicht auf eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft im o. g. Sinne geschlossen werden. Dagegen spricht schon der Abschluss des Mietvertrages im Jahr 2003 (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Landessozialgericht Baden-Württemberg , Beschluss vom 05. Dezember 2005, L 8 AS 3441/05 ER-B), an dessen tatsächlichem Vollzug und an dessen Richtigkeit die Kammer keinen Zweifel hat, weil die gegenseitigen Vertragspflichten, also insbesondere die Überlassung eines Zimmers und die gestattete Mitbenutzung von Teilen des übrigen Hauses einerseits und die Mietzinszahlungen andererseits - jedenfalls bis zur Einstellung der Leistungen durch die Antragsgegnerin zum 01. Januar 2008 - erfüllt worden sind, was der Antragsteller und die Zeugin E. überzeugend übereinstimmend bestätigt haben. Auch lässt das Bestehen eines (wirksamen) Mietvertrages zwischen zwei Personen die Annahme einer Haushaltsgemeinschaft eher fern liegend erscheinen, weil ein "Wirtschaften aus einem Topf", wie dies für eine Wirtschaftsgemeinschaft kennzeichnend ist, nicht nahe liegt, wenn Einer dem Anderen Miete zahlen muss. Die von der Antragsgegnerin geäußerten Bedenken hinsichtlich der Frage, ob der Mietzins auch tatsächlich gezahlt worden ist, haben sowohl der Antragsteller als auch die Zeugin gegenüber der Kammer überzeugend ausgeräumt. Vor diesem Hintergrund kann es die Kammer nämlich nicht für ungewöhnlich halten, dass die Differenz zwischen den bislang von der Antragsgegnerin gewährten Kosten der Unterkunft und Heizung (zuletzt 291,00 EUR) und dem tatsächlich zu zahlende Mietzins in Höhe von 430,00 EUR von dem Antragsteller aus der ihm gewährten Regelleistung finanziert worden ist, weil er insoweit überzeugend bekundet hat, durch seine Töchter unterstützt zu werden, sich kleinere Einnahmen durch nachbarschaftliche Hilfeleistungen zu erwirtschaften und sich überwiegend - auch oft zur Einnahme von Mahlzeiten - bei seinen Töchtern aufzuhalten. Dann ist es für die Kammer auch nachvollziehbar, dass der Antragsteller in der Lage war, die Differenz aus der Regelleistung selbst zu tragen und die Zeugin E. über die zu gering gewährten Unterkunftskosten nicht zu unterrichten, was bei einem engeren Vertrauensverhältnisses nahe gelegen hätte. Einen durchgreifenden Zweifel an der tatsächlichen Zahlung kann die Kammer auch nicht darin erblicken, dass sich der Antragsteller und die Zeugin E. bezüglich der auf Bl. 85ff. der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin befindlichen Aufstellung über die monatlich gezahlte Miete widersprochen haben, wenn der Antragsteller ausführt, diese Aufstellung sei monatlich vervollständigt worden und die Zeugin E. ihrerseits ausführte, diese Aufstellung sei jährlich ausgefertigt worden. Entscheidend bleibt, dass die Kammer aus den oben dargelegten Gründen nach den überzeugenden und glaubhaften Bekundungen in dem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage davon überzeugt ist, dass die Miete in der vereinbarten Höhe auch tatsächlich monatlich in Erfüllung des geschlossenen Mietvertragsverhältnisses geflossen ist.
Weil die Kammer an der Wirksamkeit des abgeschlossenen Mietvertrages aus dem Jahre 2003 keine durchgreifenden Zweifel hegt, kann sie das Zusammenleben in dem Haus auch nicht ohne weiteres als Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft bewerten. Vielmehr stellt sich die Wohnsituation nach den überzeugenden und glaubhaften, weil in wesentlichen Punkten übereinstimmenden, Ausführungen des Antragstellers und der Zeugin F., an deren Glaubwürdigkeit die Kammer im Übrigen keinen Anlass zu zweifeln sieht, als bloßes Zusammenwohnen dar, das über ein bloßes Wohngemeinschaftsgefüge nicht hinausgeht. So haben der Antragsteller und die Zeugin E. übereinstimmend bestätigt, dass der Antragsteller insbesondere die der Zeugin E. (allein) zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten nicht betritt und die Zeugin E. diese Räumlichkeiten abschließt, wenn sie nicht im Haus ist. Darüber hinaus nutzt der Antragsteller nur die ihm im Mietvertrag zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, was sich in einem bloßen Untermietverhältnis nicht als ungewöhnlich darstellt, aber ungewöhnlich wäre, wenn eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft bestünde.
Auch die weiteren Indizien sprechen gegen die Annahme des Vorliegens einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft, die durch den Willen getragen sein müsste, Verantwortung füreinander zu tragen. So bekundete sowohl der Antragsteller und auch die Zeugin E. übereinstimmend, dass über den bloßen üblichen kurzen Kontakt im Rahmen des Untermietverhältnisses keine weiteren gemeinsamen Aktivitäten stattfinden würden, nicht zusammen gekocht oder gegessen wird, gemeinsame Konten, Versicherungen oder ähnliches nicht bestehen, dass die Zeugin E. ihre Freizeit mit einem Bekannten oder ihren Kindern und Enkelkindern verbringt und der Antragsteller sich seinerseits überwiegend bei den Töchtern aufhält und von dort Unterstützung erlangt und der Antragsteller und die Zeugin übereinstimmend bekundeten, letztlich ihre eigenen Wege zu gehen.
Soweit sich die Antragsgegnerin für die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft entscheidend auf den anlässlich des durchgeführten Hausbesuchs gefertigten Vermerk vom 19. November 2007 (Bl. 88 ff. der Verwaltungsvorgänge), stützen will, vermag auch dies die Kammer nicht zu überzeugen. So hat sich etwa im Verfahren ergeben, dass die dort getroffenen Aussagen - so sie in der dort wiedergegebenen Weise getroffen worden sind - in entscheidenden Punkten nicht zutreffen bzw. zumindest missverstanden worden sind. Ausweislich des Vermerks war behauptet worden, der Antragsteller habe nicht einmal den Bettkasten der Schlafcouch öffnen können und der Antragsteller lagere seine persönlichen Unterlagen in den Räumlichkeiten der Zeugin F ... Diese Angaben haben die Antragsteller und die Zeugin E. im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme dahingehend korrigiert, dass der Antragsteller die Couch ohnehin nie ausziehe, um darauf zu schlafen und die Zeugin E. dem Antragsteller lediglich angeboten habe, seine Unterlagen bei sich zu verwahren. Tatsächlich bewahrt er seine Unterlagen indes bei seiner Tochter auf. Da diese angeblichen Ungereimtheiten offenbar gar nicht gegeben sind, können daraus selbstredend auch keine Schlussfolgerungen gezogen werden, die zur Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft führen könnten. Im Übrigen lässt die im Hausbesuchsprotokoll beschriebene Einrichtung des an den Antragsteller vermieteten Zimmers im Zusammenhang mit den Bekundungen des Antragstellers, wonach er sich ohnehin nur selten im Haus aufhalte, durchaus den Schluss zu, dass er weitere Räume - über die zur Mitbenutzung vermieteten Gemeinschaftsräume hinaus - nicht benutzt und sich nur in dem kleinen Zimmer (zum Schlafen) aufhält.
d)
Da die Antragsgegnerin das Vorliegen anderer Vermutungstatbestände des § 7 Abs. 3a SGB II nicht glaubhaft gemacht hat und auch sonstige Indizien nicht dafür sprechen, dass zwischen dem Antragsteller und der Zeugin E. eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft besteht und damit erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vorliegen, weil der ursprüngliche Bewilligungsbescheid schon nicht rechtswidrig war.
e)
Weil darüber hinaus ohnehin zweifelhaft ist, ob nicht sogar bei der Annahme des Vorliegens einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft letztlich ein Leistungsanspruch zugunsten des Antragstellers verbliebe und die Antragsgegnerin darüber hinaus ihrer Verpflichtung bislang nicht nachgekommen ist, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Zeugin E. etwa durch die (mit Verwaltungszwang durchsetzbare) Geltendmachung des Auskunftsanspruches aus § 60 Abs. 4 SGB II aufzuklären, ist hier die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
2.
Das Interesse des ohne die streitigen Leistungen über keine Einkünfte verfügenden Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung wiegt erheblich schwerer als das der Antragsgegnerin. Diese hat keine überzeugenden Umstände dargelegt, die einen Vorrang an alsbaldiger Vollziehung erkennen lassen. Sollte sich in einem Hauptsacheverfahren die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides herausstellen und auch die formellen Voraussetzungen für eine Rücknahme erfüllt sein, steht es der Antragsgegnerin frei, ggf. überzahlte Leistungen von dem Antragsteller zurückzufordern. Nachteile können damit nicht entstehen.
Nur vorsorglich weist die Kammer die Antragsgegnerin noch darauf hin, dass die im Tenor ausgesprochene Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 28. Januar 2008 gegen den Aufhebungsbescheid vom 14. Januar 2008 (sofort) dazu führt, dass die Rechtswirkungen der ursprünglichen Bewilligungsentscheidung wieder aufleben und die dort bewilligten Leistungen zu gewähren sind.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
4.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.