Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 03.06.2008, Az.: S 29 AS 353/06

Anrechnung von Einkommen und Vermögen in einer eheähnlichen Gemeinschaft; Eheähnliche Gemeinschaft als Bedarfsgemeinschaft; Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ohne Berücksichtigung der Einkünfte des Lebenspartners; Beweispflicht des Leistungsträgers vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
03.06.2008
Aktenzeichen
S 29 AS 353/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 37114
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2008:0603.S29AS353.06.0A

In dem Rechtsstreit
...
hat die 29. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2008
durch den Richter D. - Vorsitzender -
sowie die ehrenamtlichen Richter Frau E. und Herr F.
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 20. Dezember 2005 bis 31. Mai 2006 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des Einkommens von Frau G. zu gewähren.

Der Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand

1

Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob zwischen dem Kläger und Frau G. im Zeitraum Dezember 2005 bis Mai 2006 eine eheähnliche Gemeinschaft bestand.

2

Der Kläger bezieht aufgrund seines Antrages vom 20. Dezember 2005 seit Dezember 2005 Leistungen nach dem SGB II. In das Antragsformular trug der Kläger Frau G. als Partnerin ein. Der Sachbearbeiter des Beklagten vermerkte bei Antragsabgabe: "Auf Nachfragen erklärt Herr H., dass es sich um eine eheähnliche Gemeinschaft handelt."

3

Der Kläger bewohnt gemeinsam mit Frau G. eine Vier-Zimmer-Wohnung im Obergeschoss ihres Hauses in der I. in J..

4

Mit Bescheid vom 27. Dezember 2005 bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 20. Dezember 2005 bis 31. Mai 2006. Dabei erfolgte eine Anrechnung des Einkommens von Frau G..

5

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 14. Januar 2005 Widerspruch und forderte den Beklagten auf, eine nachvollziehbare Berechnung vorzulegen. Er wies darauf hin, dass Frau G. weder in der Lage, noch gewillt und rechtlich dazu verpflichtet sei, ihn durch Zahlung von Unterhalt zu unterstützen. Es bestehe keine Bedarfsgemeinschaft. Jeder führe sein eigenes Leben und finanziere sich jeweils selbst. Auch Frau G. erklärte mit Schreiben vom 30. Januar 2006, dass sie weder bereit noch in der Lage sei, den Kläger finanziell oder wirtschaftlich zu unterstützen. Zudem legte der Kläger einen Mietvertrag vom 30. Dezember 2005 zwischen ihm und Frau G. vor. Ausweislich des Mietvertrages vermietet Frau G. an den Kläger eine Wohnfläche von insgesamt 60 qm bestehend aus zwei Zimmern sowie Küche, Wohnzimmer und einen Abstellraum jeweils zur Mitbenutzung sowie Flur und Dusche/WC. Der monatliche Mietzins beträgt danach 330,00 € zzgl. einer Vorauszahlung auf die Betriebskosten in Höhe von 150,00 €.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2006 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 14. Januar 2006 gegen den Bescheid vom 27. Dezember 2006 zurück. Neben der Erklärung im Antragsformular vom 20. Dezember 2005 würden weitere Indizien für eine eheähnliche Gemeinschaft sprechen. Der Kläger habe erst nachdem ihm der Bescheid vom 27. Dezember 2005 zugestellt worden sei, einen Mietvertrag vorgelegt, wonach er lediglich Mieter im Haus von Frau G. sei. Dieser sei auch erst am 30. Dezember 2005 und damit nach Erhalt des Bescheides für die Zeit ab Januar 2005 geschlossen worden. Aus einer Meldeauskunft ergebe sich, dass der Kläger aber bereits seit dem 01. Oktober 1996 in der I. in J. gemeldet sei. Sowohl in der Stromrechnung der K. vom 20. April 2005 als auch im Gebührenbescheid der L. vom 12. Januar 2006 werden sowohl der Kläger als auch Frau G. als Rechnungsempfänger aufgeführt. Zudem würden zwei Jahres-kontoauszüge der Kreissparkasse M. für die Zeit vom 01. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 vorliegen. Darin werden sowohl der Kläger als auch Frau G. als Kontoinhaber ausgewiesen. Die Darlehensschuld betrage per 31. Dezember 2004 2.988,15 € (Konto N.) und 60.480,42 € (Konto O.).

7

Der Kläger hat am 27. März 2006 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, zwischen ihm und seiner Vermieterin bestehe weder eine eheähnliche Gemeinschaft noch eine Lebenspartnerschaft. Er wohne seit 1996 in dem Haus in der I. in J.. Bis 2001 habe er gemeinsam mit Frau G. eine Beziehung gehabt und auch gemeinsam mit ihr im Schlafzimmer geschlafen. Im Jahre 2001 seit es dann auch zur räumlichen Trennung gekommen. Das Verhältnis mit Frau G. sei weiterhin gut gewesen, nur eine partnerschaftliche Beziehung wollte man nicht mehr miteinander führen. Er bewohne die beiden im Grundriss des Hauses als Büro gekennzeichneten Räume und nutze sowohl das Wohnzimmer, die Küche, den Flur und den Abstellraum zudem verfüge er über ein eigenes Bad. Die Mietzahlung erfolge teils in bar teils als Überweisung. Bei dem Darlehen sollte es eigentlich so laufen, dass er nur als Bürge auftrete. Ohne seine Bürgschaft hätte Frau G. das Darlehen damals im Jahre 1996 nicht bekommen. Warum er dann von der Bank als Mitdarlehensnehmer in den Vertrag eingetragen worden sei, kann er sich nicht mehr erklären. Frau G. habe die Darlehenskosten - und Rückzahlungsbeträge von Anfang an alleine getragen. Es sei auch vorgekommen, dass er Geld an die Bank überwiesen habe, wenn es bei Frau G. eine Notlage gab. Diese Beträge seien dann mit der Mietzahlung verrechnet worden. Es gebe keine gemeinsame Haushaltskasse. Essen und Einkaufen erfolge jeweils getrennt. Auch gebe es keine gemeinsamen Konten und er habe keine Kontovollmacht für ein Konto der Frau G..

8

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 27. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2006 abzuändern, und ihm Leistungen für den Zeitraum vom 20. Dezember 2005 bis 31. Mai 2006 ohne Anrechnung des Einkommens von Frau G. zu gewähren.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung bezieht er sich auf sein bisheriges Vorbringen und führt ergänzend an, der Kläger habe bei Abgabe des Antrages ausdrücklich erklärt, dass er mit Frau G. in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebe. Zudem hatten der Kläger und Frau G., ein gemeinsames Konto. Der Kläger sei im Darlehensvertrag nicht als Bürge sondern als Mitdarlehensnehmer aufgeführt worden. Zudem seien die Gebührenbescheide der L. und der K. gemeinsam gegenüber dem Kläger und Frau G. ergangen.

11

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin G.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 03. Juni 2008 verwiesen.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung der Einkünfte von Frau G..

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Der Kläger und Frau G. bilden keine Bedarfsgemeinschaft. Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ist nach §9 Abs. 2 SGB II auch das Einkommen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören gem. §7 Abs. 3 SGB II (in der Fassung vom 30. Juli 2004) der erwerbsfähige Hilfebedürftige (Nr. 1) sowie als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt (§7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II). Darlegungs- und beweispflichtig hierfür ist der Leistungsträger.

15

Die Kammer ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu der Überzeugung gelangt, dass zwischen dem Kläger und Frau G. eine eheähnliche Gemeinschaft besteht. Nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfG 87, 234 ff, Beschluss vom 02.09.2004 - 1 BvR 1962/04) liegt eine eheähnliche Gemeinschaft vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und sich im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründet und daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr für einander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicher stellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen nicht getrennt lebender Ehegatten im Hinblick auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen vergleichbar. Als Indizien für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft kommen insbesondere die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommens- und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen, in Betracht.

16

Gegen das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft spricht hier bereits, dass keine Partnerschaft mehr zwischen dem Kläger und der Zeugin G. besteht. Der Kläger und die Zeugin G. haben gegenüber der Kammer glaubhaft und übereinstimmend geschildert, dass sie in der Vergangenheit eine Beziehung miteinander geführt haben und sich bereits vor dem streitigen Zeitraum voneinander getrennt hatten. Auch die Motivation nach der Trennung weiterhin gemeinsam - aber doch räumlich getrennt - im Haus in der I. zu wohnen, ist für die Kammer nachvollziehbar dargelegt worden. Zwischen den Beteiligten bestand auch nach der Trennung weiter ein freundschaftliches Verhältnis. Sowohl für den Kläger als auch für die Zeugin G. bringt das gemeinsame Wohnen Vorteile. Die Zeugin G. hat dargelegt, dass sie ohne einen Mitbewohner die Wohnungskosten nicht alleine tragen kann.

17

Auch liegt eine räumliche Trennung vor. Der Kläger verfügt in der Wohnung über zwei eigene Zimmer sowie ein eigenes kleines Bad mit WC und Dusche. Zudem besteht zwischen den Beteiligten ein Mietvertrag. Das Bestehen eines wirksamen Mietvertrages zwischen zwei Personen lässt die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft eher fernliegend erscheinen. Von einem "Wirtschaften aus einem Topf" kann nicht die Rede sein, wenn ein Beteiligter dem Anderen Miete zahlen muss. Zwar haben die Beteiligten diesen Mietvertrag erst am 30. Dezember 2005 schriftlich festgehalten. Die Kammer hat aber keine Zweifel an der Richtigkeit und am tatsächlichen Vollzug des Mietvertrages auch vor diesem Zeitpunkt. Der Kläger und die Zeugin G. haben übereinstimmend dargelegt, dass der Kläger bereits seit 1996 Miete zahlte. Bestätigt wird dies auch durch die vorgelegten Kontoauszüge des Klägers für den Zeitraum ab Dezember 2003. Aus diesen Kontoauszügen ergibt sich, dass der Kläger bereits zwischen Dezember 2003 und Mai 2004 regelmäßig einen Betrag von 350,00 € an die Klägerin überwiesen hat. Zumindest aus der Überweisung vom Februar 2004 lässt sich die Zweckbestimmung: "Miete und Nebenkosten" entnehmen. Zwar erfolgten in den Monaten Juni 2004 und Juli 2004 keine Zahlungen, dafür aber in den Folgemonaten höhere Zahlungen.

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Darüber hinaus besteht auch keine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen dem Kläger und der Zeugin G.. Die Beteiligten haben keine gemeinsame Haushaltskasse. Essen und Einkaufen erfolgt jeweils getrennt. Sowohl der Kläger als auch die Zeugin G. sind nicht befugt, über das Einkommen und Vermögen des anderen zu verfügen. Beide haben getrennte Konten und keine Vollmacht über das Konto des anderen. Die Zeugin G. und der Kläger haben zwar gemeinsam im Jahre 1996 ein Darlehen aufgenommen. Daraus lassen sich aber für den streitigen Zeitpunkt keine Schlüsse ziehen, dass zwischen dem Kläger und der Zeugin G. eine eheähnliche Gemeinschaft besteht. Dabei kann für die Kammer dahinstehen, ob der Kläger lediglich als Bürge auftreten wollte oder doch ein Darlehensabschluss beabsichtigt war. Die gemeinsame Darlehensaufnahme erfolgte unstreitig zu einem Zeitpunkt, als die beiden noch eine Beziehung miteinander führten. Ohne die nachvollziehbare Unterstützung des Klägers hätte Frau G. das Darlehen zum damaligen Zeitpunkt nicht aufnehmen können. Sie trägt allerdings - wie sie glaubhaft schilderte - von Anfang an die Darlehens- und Rückzahlungskosten alleine.

19

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger bei Antragsabgabe im Dezember 2005 angegeben hat, mit der Zeugin G. in einer eheähnlichen Gemeinschaft zu leben. Der Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft ist ein auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff, der von Laien oft missverstanden und unzutreffend gewürdigt wird. Die Erklärung des Hilfebedürftigen und seines Partners, in einer eheähnlichen Gemeinschaft zu leben, hat daher für die rechtliche Feststellung, ob eine derartige Gemeinschaft vorliegt, keine entscheidende Bedeutung. Denn die Feststellung, ob eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne von §7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II vorliegt, ist eine komplexe juristische Bewertung, die eine Gesamtwürdigung aller Umstände erforderlich macht und schon deshalb juristischen Laien regelmäßig nicht möglich ist.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §193 SGG.