Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 27.02.2008, Az.: S 21/14 RA 2/03
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 27.02.2008
- Aktenzeichen
- S 21/14 RA 2/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 44851
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2008:0227.S21.14RA2.03.0A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keinen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Einstufung von in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten des Klägers in höhere Qualifikationsgruppen (= QG) nach der Anlage 13 zum sechsten Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VI).
Der am 5. Januar 1942 in Polen geborene Kläger absolvierte nach dreijähriger Ausbildung am 24. Juni 1961 die Abschlussprüfung zum Schlosser. Danach arbeitete er zunächst als Maschinenschlosser auf der Werft "H.", einem Teilbereich der Werft I.. Vom 30. Oktober 1962 bis zum 30. Oktober 1964 leistete er Wehrdienst. Danach arbeitete er wieder in als Schlosser in der Werft I.. Nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sei er nach etwa zwei Jahren Vorarbeiter geworden und habe ca. 10 Personen unter sich gehabt. Etwa 1 1/2 Jahre nach dem Beginn seiner Tätigkeit auf der Werft I. initiierte er außerdem ein Rationalisierungsprojekt bezüglich des Zusammenschweißens von Ankerketten, welches im Mai 1966 erfolgreich abgeschlossen wurde (vgl. Rationalsierungszeugnis vom 20. Mai 1966, Bl. 54 Kontenklärungsakte (= KK)). In der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend ausgeführt, dass er keine Lehrlinge ausgebildet habe, weil an diesem Arbeitsplatz nur ausgebildete Schlosser hätten arbeiten können. Er selbst habe aber die Schlosser dort eingearbeitet. Während seiner Tätigkeit auf der Werft habe er auch keine weiteren Fortbildungen besucht.
Nach Beendigung der Tätigkeit in der Werft trat er am 14. Oktober 1968 in den Berufsmilitärdienst ein und erhielt zunächst eine Stelle beim sog. Kreisstab - eine Behörde die etwa mit dem deutschen Kreiswehrersatzamt vergleichbar ist. Ab dem 30. Oktober 1969 übte er nach einem Einführungslehrgang von etwa zwei Wochen die Tätigkeit eines Lebensmittelunteroffiziers aus. Hierzu gehörte die gesamte Logistik für die Küche. Außerdem musste er Kalorienberechnungen vornehmen, da die Kalorienzufuhr für die Soldaten vorgegeben war. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Planung der Speisepläne für jeweils zehn Tage im Voraus. Vom 1. Februar 1973 bis zum 30. April 1977 absolvierte er berufsbegleitend ein "gastronomisches Technikum" mit Fernunterricht (Zeugnis vom 31. Mai 1977, Bl. 29 KK). Nach dem Erhalt des Technikerzeugnisses wurde er Küchenleiter für die Großküche und die Kantine. Diese Tätigkeit, die er vorher nur vertretungsweise ausgeübt hatte, war auch mit einer Gehaltserhöhung verbunden. Am 26. April 1978 legte er eine Qualifizierungsprüfung in der Gruppe "Quartiermeister" ab (Bl. 58 KK). Außerdem nahm er vom 4. Oktober bis zum 4. Dezember 1979 an einem 120 Stundenkurs im Bereich "Leiter der gastronomischen Betriebe" teil (Bl. 32 SG-Akte). Nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung seien ihm diese Fortbildungsmaßnahmen von der übergeordneten Dienststelle anempfohlen worden. Damit sollte bescheinigt werden, dass er auch tatsächlich Leiter der Großküche habe sein können. In dieser Funktion sei er der Vorgesetzte von ca. 40 Personen gewesen. Hinzu seien noch sechs bis acht Küchenaushilfen gekommen, die je nach Arbeitsbedarf variierten. Während der Zeit als Lebensmittelunteroffizier habe er den Rang eines Feldwebels bekleidet. Während der Tätigkeit in der Großküche sei er nicht befördert worden.
Ab dem 19. August 1982 war er dauerhaft dienstunfähig und wurde am 24. Dezember 1982 krankheitsbedingt aus dem Militärdienst entlassen. Vom 1. Dezember 1983 bis zum 30. September 1985 bezog er eine Militäraltersrente. Am 5. Februar 1985 verzog er in die Bundesrepublik Deutschland.
Mit Bescheid vom 9. März 2001 erteilte ihm die Beklagte einen Versicherungsverlauf, wobei die Zeit vom 1. September 1961 bis zum 31. Mai 1977 in die QG 4 und die Zeit vom 1. Juni 1977 bis zum 24. November 1982 in die QG 2 eingestuft wurden.
Aufgrund des Antrags vom 19. März 2002 gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2002 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 wurde die Rente von Beginn an neu festgestellt. Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte er geltend, dass die polnischen Zeiten nicht ausreichend bewertet worden seien. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2002 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 13. Januar 2003 beim SG Lüneburg Klage erhoben und geltend gemacht, dass seine Arbeit bei der Werft einer Meistertätigkeit gleichzustellen gewesen sei. Hierfür würde auch das Rationalisierungszeugnis sprechen, welches zu einer deutlichen Gehaltserhöhung geführt habe. Er sei daher in die QG 3 der Anlage 13 SGB VI einzustufen. Seit dem 1. Juni 1977 seien die Voraussetzungen für die QG 1 erfüllt, da er eine Hochschulausbildung durchlaufen habe.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
- 1.)
den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2002 abzuändern und den Wider- spruchsbescheid vom 12. Februar 2002 aufzuheben,
- 2.)
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für die Zeit vom 19. November 1964 bis zum 31. Mai 1977 in die Qualifikationsgruppe 3 und für die Zeit vom 1. Juni 1977 bis zum 24. November 1982 in die Qualifikationsgruppe 1 der Anlage 13 zum SGB VI einzustufen und die Rente dementsprechend neu zu berechnen,
- 3.)
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass die Beklagte bei der Heranziehung der Anlage 13 zum SGB VI die polnischen Beschäftigungszeiten fehlerhaft zu Lasten des Klägers zu niedrig bewertet hat.
Der zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz (= FRG) gehörende Kläger (vgl. Bl. 66 KK) hat nach Maßgabe der §§ 15, 16 FRG einen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung der ihm zuerkannten Altersrente auch die polnischen Versicherungs- und Beitragszeiten berücksichtigt werden. Dabei sind nach § 22 Abs. 1 S. 1 FRG Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b Abs. 1 S. 1 erster Halbsatz, Satz 2 und 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB VI) zu ermitteln. Die in Bezug genommene Regelung des § 256b Abs. 1 S. 1 erster Halbsatz SGB VI hat folgenden Inhalt:
Für glaubhaft gemachte Pflichtbeitragszeiten nach dem 31. Dezember 1949 werden zur Ermittlung von Entgeltpunkten als Beitragsbemessungsgrundlage für ein Kalenderjahr einer Vollzeitbeschäftigung die Durchschnittsverdienste berücksichtigt, die sich
1. nach Einstufung der Beschäftigung in eine der in Anlage 13 genannten Qualifikationsgruppen und
2. nach Zuordnung der Beschäftigung zu einem der in Anlage 14 genannten Bereiche für dieses Kalenderjahr ergeben.
Für die demnach vorzunehmende Zuordnung der ausübten Beschäftigungen zu (insgesamt fünf) Qualifikationsgruppen enthält die Anlage 13 zum SGB VI folgende Vorgaben:
Definition der Qualifikationsgruppen
Versicherte sind in eine der nachstehenden Qualifikationsgruppen einzustufen, wenn sie deren Qualifikationsmerkmale erfüllen und eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben. Haben Versicherte auf Grund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen, sind sie in diese Qualifikationsgruppe einzustufen.
Qualifikationsgruppe 1 - Hochschulabsolventen:
1. Personen, die in Form eines Direkt-, Fern-, Abend- oder externen Studiums an einer Universität, Hochschule, Ingenieurhochschule, Akademie oder an einem Institut mit Hochschulcharakter ein Diplom erworben oder ein Staatsexamen abgelegt haben.
2. Personen, denen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder wissenschaftlicher Leistungen ein wissenschaftlicher Grad oder Titel zuerkannt worden ist (z.B. Attestation im Bereich Volksbildung, Dr.h.c., Professor).
3. Inhaber gleichwertiger Abschlusszeugnisse staatlich anerkannter höherer Schulen und Universitäten.
Hierzu zählen nicht Teilnehmer an einem verkürzten Sonderstudium(z.B. Teilstudium), das nicht mit dem Erwerb eines Diploms oder Staatsexamens abschloss.
Qualifikationsgruppe 2 - Fachschulabsolventen:
1. Personen, die an einer Ingenieur- oder Fachschule in einer beliebigen Studienform oder extern den Fachschulabschluss entsprechend den geltenden Rechtsvorschriften erworben haben und denen eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung erteilt worden ist.
2. Personen, denen auf Grund gesetzlicher Bestimmungen im Beitrittsgebiet der Fachschulabschluss bzw. eine Berufsbezeichnung der Fachschulausbildung zuerkannt worden ist.
3. Personen, die an staatlich anerkannten mittleren und höheren Fachschulen außerhalb des Beitrittsgebiets eine Ausbildung abgeschlossen haben, die der Anforderung des Fachschulabschlusses im Beitrittsgebiet entsprach, und ein entsprechendes Zeugnis besitzen.
4. Technische Fachkräfte, die berechtigt die Berufsbezeichnung "Techniker" führten, sowie Fachkräfte, die berechtigt eine dem "Techniker" gleichwertige Berufsbezeichnung entsprechend der Systematik der Berufe im Beitrittsgebiet (z.B. Topograf, Grubensteiger) führten. Hierzu zählen nicht Teilnehmer an einem Fachschulstudium, das nicht zum Fachschulabschluss führte, und Meister, auch wenn die Ausbildung an einer Ingenieur- oder Fachschule erfolgte.
Qualifikationsgruppe 3 - Meister:
Personen, die einen urkundlichen Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister bzw. als Meister des Handwerks besitzen bzw. denen auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Qualifikation als Meister zuerkannt wurde.
Hierzu zählen nicht in Meisterfunktion eingesetzte oder den Begriff "Meister" als Tätigkeitsbezeichnung führende Personen, die einen Meisterabschluss nicht haben (z.B. Platzmeister, Wagenmeister).
Qualifikationsgruppe 4 - Facharbeiter:
Personen, die über die Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung nach abgeschlossener Ausbildung in einem Ausbildungsberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterzeugnisses (Facharbeiterbrief) sind oder denen auf Grund langjähriger Berufserfahrung entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen im Beitrittsgebiet die Facharbeiterqualifikation zuerkannt worden ist.
Hierzu zählen nicht Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung oder der Erwachsenenqualifizierung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes entsprechend der Systematik der Ausbildungsberufe im Beitrittsgebiet ausgebildet worden sind.
Qualifikationsgruppe 5 - Angelernte und ungelernte Tätigkeiten:
1. Personen, die in der Berufsausbildung oder im Rahmen der Erwachsenenqualifizierung eine Ausbildung auf Teilgebieten eines Ausbildungsberufes abgeschlossen haben und im Besitz eines entsprechenden Zeugnisses sind.
2. Personen, die in einer produktionstechnischen oder anderen speziellen Schulung für eine bestimmte Tätigkeit angelernt worden sind.
3. Personen ohne Ausbildung oder spezielle Schulung für die ausgeübte Tätigkeit.
Auch wenn § 22 Abs. 1 FRG i.d.F. des RÜG von einer unmittelbaren "Anwendung"" des § 256b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VI und damit auch der Qualifikationsgruppenmerkmale der Anlage 13 zum SGB VI spricht, kann mit Blick auf Sachverhalte in Vertreibungsgebieten letztlich nur eine analoge Anwendung erfolgen. Die Bestimmung der maßgeblichen Qualifikationsgruppe der Anlage 13 zum SGB VI erfolgt deshalb ausgehend von der im Herkunftsgebiet erworbenen beruflichen Ausbildung und Qualifikation unter Beachtung des dort geltenden beruflichen, schulischen und universitären Bildungssystems. Sodann ist zu fragen, welcher Qualifikationsgruppe - übertragen auf die Verhältnisse in der DDR - diese berufliche Ausbildung und Qualifikation materiell entspricht. Dabei kann es dienlich sein - weil z.T. die Merkmale der jeweiligen Qualifikationsgruppe entsprechend formuliert sind - diese Merkmale in dem Sinn zu lesen, dass anstelle der DDR das jeweilige Herkunftsland eingesetzt wird (BSG, Urt.v. 12. November 2003 - B 8 KN 2/03 R - SozR 4-5050 § 22 Nr. 3 m.w.N.).
Nach Maßgabe der vorstehend erläuterten Grundsätze kommt im vorliegenden Verfahren eine höhere Einstufung nicht in Betracht. Insbesondere kann die Zeit während seiner Tätigkeit auf der Werft I. nicht in die QG 3 eingeordnet werden, da er weder einen urkundlichen Nachweis über eine abgeschlossene Qualifikation als Meister besitzt noch ihm auf Grund langjähriger Berufserfahrung die entsprechende Qualifikation als Meister zuerkannt wurde. Eine solche Qualifikation hat er auch nicht durch das Rationalisierungszeugnis erworben. Darin ist lediglich bescheinigt, dass er ein Rationalisierungsprojekt mit initiiert bzw. mitgestaltet hat. Der Kläger hat darüber hinaus erklärt, dass das Rationalisierungsprojekt sich auf einen speziellen, eng begrenzten Bereich - nämlich auf das Zusammenschweißen von Ankerketten - bezogen hat. Die volle Breite der Tätigkeiten und Kenntnisse, die für eine Meisterqualifikation erforderlich sind, wurde daher im Rahmen dieses Projekts nicht vermittelt. Der Kläger hat auch keine Lehrlinge ausgebildet und keine weiteren Fortbildungen besucht. Wesentliche Kriterien einer Meisterqualifikation sind daher nicht erfüllt. Es kann auch nicht erkannt werden, dass er auf Grund langjähriger Berufserfahrung Fähigkeiten erworben hat, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen. Die Vorarbeitereigenschaft allein ist für die Zuerkennung der QG 3 nicht ausreichend.
Darüber hinaus kann der Kläger aufgrund seiner Ausbildung zum "Techniker" nicht in die QG 1 eingestuft werden, da es sich hierbei nicht um eine Hochschulausbildung gehandelt hat. Grundsätzlich existierten in Polen drei Ebenen der beruflichen Bildung: Die Hochschulbildung, die mittlere Berufsbildung und die berufliche Grundbildung (Müller in DAngVers 1995, S. 356). In dem Technikerzeugnis des Klägers ist jedoch ausdrücklich ausgeführt, dass darin die mittlere Berufsbildung bescheinigt wird und der Kläger nur die Berechtigung zum Studium an höheren Schulen erworben hat (Bl. 29). Die Bezeichnung "Techniker" entspricht im Übrigen genau der Beschreibung in Ziffer 4 der QG 2. Der Kläger hat auch keine entsprechende Qualifizierung durch die Prüfung in der Gruppe "Quartiermeister" und den Besuch des 120 Stundenkurses im Bereich "Leiter der gastronomischen Betriebe" erhalten. Diese waren kein Bestandteil eines ordentlichen Studiengangs. Nach seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung wurden diese Fortbildungsmaßnahmen vielmehr von der übergeordneten Dienststelle anempfohlen. Damit sollte lediglich bescheinigt werden, dass er auch tatsächlich Leiter der Großküche sein konnte. Gegen eine höhere Einstufung spricht schließlich auch, dass er während der Zeit als Lebensmittelunteroffizier durchgehend den Rang eines Feldwebels bekleidet hat und nicht befördert worden ist. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.