Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 30.07.2008, Az.: S 3 U 112/07
Einordnung eines Sportunfalls als Arbeitsunfall während des alleinigen Trainings des Geschädigten aufgrund seiner Zugehörigkeit zu der Betriebssportgruppe Radsport
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 30.07.2008
- Aktenzeichen
- S 3 U 112/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 34508
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2008:0730.S3U112.07.0A
Rechtsgrundlage
- § 8 Abs. 1 S. 1, 2 SGB VII
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreites streiten darum, ob es sich bei dem Unfall des Klägers am 14. Mai 2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Der am 04. Dezember 1968 geborene - derzeit also 39 Jahre alte - Kläger ist seit Februar 1994 als Monteur bei der E. beschäftigt. Der Kläger ist Mitglied der Betriebssportgruppe Radsport, an der etwa 170 Mitarbeiter beteiligt sind. Die Betriebssportgruppe Radsport trainiert regelmäßig mittwochs und samstags zwischen 16 Uhr und 19 Uhr, wobei diejenigen Mitglieder, die auch in F. wohnen, jeweils zusammen in F. trainieren, der Kläger - der in G. wohnt - trainiert aufgrund der räumlichen Trennung jeweils bzw. überwiegend allein.
Am 14. Mai 2005 ist dem Kläger bei seinem alleinigen Training auf einem Waldweg in H. das Fahrrad weggerutscht. Nach seinen Angaben in der Unfallanzeige vom 11. Juli 2005 wollte der Kläger den Sturz bzw. das Fahrrad mit dem linken Bein abfangen und erlitt dabei eine Tibiakopffraktur im Bereich des linken Unterschenkels bzw. Knies.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2007 lehnte die Beklagte die Feststellung ab, dass es sich bei dem Unfall vom 14. Mai 2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestehe kein Versicherungsschutz, weil Verrichtungen, die zwar der Aufnahme einer versicherten Tätigkeit, hier gegebenenfalls dem Betriebssport, vorangehen, der Versichertentätigkeit aber zu fern stehen, als dass sie schon dem persönlichen Lebensbereich entzogen wären, grundsätzlich unversichert seien. Der geforderte innere Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit bestehe außerhalb der Trainingszeiten nicht. Das persönliche Training an einem Sonnabend zur Vorbereitung auf eine Betriebssportveranstaltung sei nicht dem versicherten, sondern dem privaten, unversicherten Risikobereich zuzurechnen.
Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juli 2007 als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte sie ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid. Ergänzend führte sie aus, die I. sei im Einzelnen zu der Teilnahme an der Betriebssportgemeinschaft Radsport befragt worden. Danach sei der Kläger Mitglied der betrieblichen Radsportgruppe. Er habe regelmäßig am Mittwoch und am Samstag in der Zeit von 16 bis 19 Uhr alleine trainiert. Aufgrund der räumlichen Trennung habe er allein und nicht mit anderen Kollegen trainiert. Auch die Auswahl der Strecke und der Ort des Trainings sei von ihm selbst in Eigenverantwortung festgelegt worden. Ferner habe er zur Vorbereitung an den HEW-Cyclassics trainiert, nach seinen Angaben jedoch auch zum Ausgleich der beruflichen Tätigkeit. Ferner habe der Arbeitgeber mitgeteilt, dass der Kläger zur Teilnahme an den HEW-Cyclassics gemeldet gewesen sei, ein entsprechendes Trikot und die Teilnahmegebühr sei bereits bezahlt worden. Insgesamt habe die Firma die Teilnahme unterstützt und forciert, nicht nur in finanzieller Hinsicht. Allerdings würden weder für das Training noch für die Teilnahme am Wettbewerb der HEW-Cyclassics Überstunden o. ä. gewährt. Grundsätzlich sei der Radsport geeignet, eine Ausgleichsfunktion zur beruflichen Tätigkeit darzustellen. Es fehle allerdings an dem zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebsarbeit. Der Kläger trainiere allein in der Freizeit, um für den anstehenden Wettbewerb trainiert zu sein. Die Teilnahme am Wettbewerb dränge sich hier in den Vordergrund. Es solle mit dem Training die Wettbewerbsfähigkeit für den Wettbewerb der HEW-Cyclassics erreicht werden. Ferner habe er die Trainingseinheiten selbst in Eigenverantwortung bestimmen können. Es habe insbesondere kein gemeinsames Training mit Kollegen vor oder nach der Arbeitszeit stattgefunden. Ein zeitlicher Bezug zur versicherten Tätigkeit sei nicht gegeben.
Hiergegen hat der Kläger am 31. August 2007 bei dem Sozialgericht Lüneburg Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung führt er aus, die vom Bundessozialgericht festgelegten Kriterien für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls während des Betriebssportes seien erfüllt. Er sei seit längerer Zeit Mitglied der Betriebssportradgruppe seines Unternehmens und habe regelmäßig im Rahmen dieser Betriebssportgruppe - teilweise allein und teilweise zusammen mit anderen Beschäftigten des Unternehmens - trainiert. Die Betriebssportgruppe Radsport bereite sich im Wesentlichen nicht nur auf Wettkämpfe vor, sondern fahre regelmäßig am Mittwoch und Samstag Rad und er mache dies auch. Dies mache er auch deshalb, weil Voraussetzung für gemeinsame Fahrten und sportliche Betätigungen sei, dass man mit den üblichen Trainingserfolgen der anderen mithalten könne. Dass der Kläger vorliegend auch im Hinblick auf die Teilnahme seines Unternehmens an den HEW-Cyclassics trainiert habe, deute nicht darauf hin, dass seine Teilnahme an der Betriebssportgruppe einem Wettkampf gedient habe, sondern lediglich der vorliegende Wettkampf in einer gewissen zeitlichen Nähe zu den HEW-Cyclassics gestanden habe. Mit der Betriebssportradgruppe und dem Training des Klägers habe auch ein enger Zusammenhang zum Unternehmen bestanden. Das Unternehmen wolle den Ausgleich seiner Mitarbeiter auf sportlicher Ebene und fördere dies. Es erfolge daher im maßgeblichen Interesse des Unternehmens. Da der Kläger als einziges Mitglied der Betriebssportgruppe nicht in F. wohne, wo diese regelmäßig trainiere, und deshalb für sich alleine trainiere, könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in einer Betriebssportgruppe sei und für diese trainiere und trainiert habe. Es habe auch gemeinsame Fahrten zum Trainiert gegeben, nur nicht ebenso regelmäßig, weil der Kläger nicht regelmäßig zum Training nach F. fahren könne. Sein Betrieb wisse aber, dass er in der Betriebssportgruppe sei und für diese regelmäßig trainiere. Damit sei er eindeutig im Rahmen des Betriebssports tätig gewesen und damit versichert. Der Unfall sei auch während der versicherten Tätigkeit geschehen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juli 2007 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 14. Mai 2005 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in den angefochtenen Entscheidungen. Ergänzend führt sie aus, ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der eigentlichen Arbeitszeit sei für Trainingszeiten, die allein am Samstag durchgeführt werden, nicht gegeben.
Die Kammer hat die Beteiligten mit Verfügung vom 29. April 2008 auf die Möglichkeit hingewiesen, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten; diese Unterlagen lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte den Rechtsstreit gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Den Beteiligten ist hierzu zuvor rechtliches Gehör gewährt worden; eine Zustimmung der Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ist nicht erforderlich.
Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 und § 55 Abs. 1 SGG) ist zulässig, jedoch unbegründet. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG).
Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 14. Mai 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und den Kläger wegen der daraus entstehenden Folgen zu entschädigen. Der Sportunfall des Klägers fand nämlich nicht in einem Bereich statt, für den die gesetzliche Unfallversicherung Versicherungsschutz gewährt. Denn der Sportunfall des Klägers vom 14. Mai 2005 war kein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die gesetzliche Unfallversicherung gewährt gemäß § 7 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Versicherungsschutz für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Als Versicherungsfall kommt vorliegend nur ein Arbeitsunfall in Betracht. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Dabei sind Unfälle nur solche Ereignisse, die zeitlich begrenzt von außen auf den Körper einwirken und zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall liegt ferner auch nur dann vor, wenn das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignete, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Dieser innere bzw. sachliche Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu welchen der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (vgl. BSGE 58, 76, 77 [BSG 30.04.1985 - 2 RU 24/84] sowie BSGE 61, 127, 128) [BSG 20.01.1987 - 2 RU 27/86].
Unzweifelhaft war das Geschehen vom 14. Mai 2005 ein Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Der Kläger erlitt während des Fahrradfahrens eine Tibiakopffraktur am linken Unterschenkel bzw. Knie.
Dieser Sportunfall war jedoch kein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs.1 S. 1 SGB VII, denn dem vom Kläger am 14. Mai 2005 ausgeübten Sport fehlte der innere Zusammenhang zu seiner ausgeübten Tätigkeit als Monteur bei der J ... Unzweifelhaft ist der Unfall nicht in Ausübung seiner Tätigkeit als Monteur geschehen. Als möglicher geschützter Lebenssachverhalt kommt von daher von vornherein nur ein Unfall im Rahmen des Betriebssports in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 02. Juli 1996 - 2 RU 32/95, SozR 3-2200 § 548 Nr. 29; vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 38/03 R sowie vom 13. Dezember 2005 - B 2 U 29/04 R) steht eine sportliche Betätigung dann als Ausübung von Betriebssport unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn der Sport einen Ausgleichs- und nicht einen Wettkampfcharakter hat, er regelmäßig stattfindet, der Teilnehmerkreis sich im Wesentlichen auf Angehörige des Unternehmens bzw. der Unternehmen beschränkt, die sich zu einer Betriebssportgemeinschaft zusammengeschlossen haben, die Übungszeit und Übungsdauer in einem dem Ausgleichszweck entsprechenden Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit stehen und die Übungen im Rahmen einer unternehmensbezogenen Organisation stattfinden.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist in der vorliegenden Fallgestaltung der Versicherungsschutz zu verneinen, da die sportliche Betätigung des Klägers am 14. Mai 2005 ohne jedweden betrieblich zusammengesetzten Teilnehmerkreis stattfand. Damit ist ausgeschlossen, dass zwischen den Einzeltrainingsmaßnahmen des Klägers und seiner versicherten Tätigkeit der erforderliche sachliche Zusammenhang besteht, der den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigen könnte. Denn das bereits oben skizzierte Kriterium hinsichtlich des Vorhandenseins eines überwiegend betrieblichen Teilnehmerkreises dient dazu, den engen betrieblichen Zusammenhang zu charakterisieren. Nur wenn Art, Inhalt und Intensität der sportlichen Betätigung durch eine gewisse Anzahl von Betriebsangehörigen bestimmt wird, kann es sich um einen durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützten Betriebssport handeln. Mit Blick auf die ohnehin eng auszulegenden Voraussetzungen zur Bejahung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes in diesen Fällen ist ausgeschlossen, dass das Training jedes Einzelnen ohne auch nur annähernden Bezug zum Unternehmen, der nur dadurch hergestellt werden würde, dass eine gewisse Anzahl von Betriebsangehörigen auch zusammen trainiert, unter Versicherungsschutz stehen kann. Es ist daher davon auszugehen, dass bei Einzeltrainingsmaßnahmen - ebenso wie bei anderen Freizeitaktivitäten -, die mangels zeitlichem und örtlichem Bezug zur versicherten Tätigkeit von vorneherein nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, auch hier dieser Schutz ausgeschlossen ist.
Soweit der Kläger einwendet, die Einzeltrainingsmaßnahmen sollten auch dazu dienen, bei gemeinsamen Fahrradaktivitäten der Betriebssportgruppe, die - wie ausgeführt - unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stünden, "mithalten" zu können, gilt nach Auffassung des Gerichts nichts anderes. Denn diese Einzelaktivitäten wären als bloße unversicherte Vorbereitungshandlungen zu qualifizieren.
Wenn danach Einzeltrainingsmaßnahmen ohne jedweden Bezug zum Kollegenkreis und damit ohne jedweden Bezug zum Betrieb selbst von vornherein nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger überwiegend zur Vorbereitung auf den Wettkampf der HEW-Cyclassics oder aber überwiegend zur Ertüchtigung im Rahmen der sonstigen sportlichen Betätigung der Betriebssportradgruppe trainiert hat. Daher ist die von dem Kläger angeregte Beweisaufnahme durch Einvernahme der genannten Zeugen auch nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG; sie entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Das Verfahren ist für den Kläger gemäß § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei.