Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 13.02.2008, Az.: S 30 AS 778/05

Anspruch auf Gewährung der vollen Regelleistung ohne Abzüge aufgrund von Einkommen aus Vermietung und Verpachtung für den streitbefangenen Zeitraum; Unmittelbare Abführung von Mieteinnahmen an die Sparkasse in voller Höhe aus der Vermietung von Eigentumswohnungen als "bereite Mittel"

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
13.02.2008
Aktenzeichen
S 30 AS 778/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 29349
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2008:0213.S30AS778.05.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Einnahmen aus einer laufenden Miete sind grundsätzlich als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II anzusehen.

  2. 2.

    Aufwendungen, welche die Verwendungsmöglichkeit der Einnahmen unmöglich machen, führen dazu, dass die jeweiligen Einnahmen nicht als Einkommen im Sinne der §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 9 Abs. 2 S. 1, 11 SGB II zu berücksichtigen sind.

Tenor:

  1. 1.

    Die Bescheide der Beklagten vom 14. Juli 2005 und vom 22. August 2005 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Oktober 2005, diese wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2005 werden aufgehoben.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 01. Mai 2005 bis zum 28. Februar 2006 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen aus Vermietung und Verpachtung zu gewähren.

  3. 3.

    Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Höhe der dem Kläger gewährten Leistungen für die Zeit von 22. März 2005 bis 28. Februar 2006 zutreffend ist.

2

Der Kläger betrieb mit einem Geschäftspartner ein gastronomisches Unternehmen in H ... Dieses musste geschlossen werden. Das Gebäude wurde in eine Wohnanlage mit Eigentumswohnungen umgebaut. Die Investitionen wurden überwiegend über die Sparkasse I. finanziert, welche dem Kläger und seinem Geschäftspartner dafür Darlehen gewährte. Im Laufe der Zeit wurden fast alle Eigentumswohnungen zur Reduzierung des ursprünglichen Darlehens über die Sparkasse I. verkauft. Zwei der Wohnungen verblieben zunächst im Eigentum der Ehefrau des Klägers, wobei im streitbefangenen Zeitraum eine der Wohnungen ebenfalls von der Sparkasse I. verkauft wurde. Die Mieteinnahmen wurden jeweils fortlaufend in voller Höhe an die Sparkasse I. abgeführt und in voller Höhe monatlich fortlaufend direkt an die Sparkasse I. zur Anrechnung auf die Darlehensschuld gezahlt bzw. von dieser nach § 497 Absatz 3 BGB auf die Darlehensschuld angerechnet.

3

Mit Bescheid vom 14. Juli 2005 wurden der Bedarfsgemeinschaft unter Anrechnung von Einkünften aus Vermietung für die Zeit vom 22. März 2005 bis zum 30. April 2005 Leistungen in Höhe von 0,00 EUR monatlich und für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 31. August 2005 Leistungen in Höhe von 331,00 EUR monatlich bewilligt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein. Mit einem weiteren Bescheid für den nächsten Bewilligungsabschnitt vom 22. August 2005 wurden der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 Leistungen in Höhe von monatlich 682,00 EUR bewilligt. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.

4

Die Widersprüche wurden damit begründet, dass bei der Anrechnung der Einkünfte aus Vermietung eine pauschale Kürzung von 30% vorzunehmen sei. Da Frau J. die komplette Miete an die Sparkasse I. zahle und diese von der Sparkasse in vollem Umfang auf das Darlehenskapital angerechnet wird, bedeute dies bei einer rein formalen Betrachtung zwar, dass derzeit keine anteiligen Schuldzinsen gezahlt, sondern nur Tilgungsleistungen erbracht werden. Eine solche Betrachtung sei jedoch unzulässig, denn wirtschaftlich bedeute die durch § 497 Abs. 3 BGB zulässige Handhabung durch die Sparkasse, dass die an sich geschuldeten und zur Zahlung fälligen Zinsen summiert und schließlich dem geschuldeten Kapital hinzugerechnet wurden. Frau J. werde also aus dem Wohnungseigentum sehr wohl mit Zinsen belastet, aus denen im Wege der Umwandlung wieder geschuldetes Kapital werde. Damit müssten gem. § 11 SGB II sehr wohl Schuldzinsen auf die Tilgungsleistungen angerechnet werden. Hinsichtlich der Höhe der zu berücksichtigenden anteiligen Schuldzinsen werde in Anlehnung an die Literatur geltend gemacht, dass auch bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung pauschal 30% der Einnahmen als notwendige Ausgaben nach § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II i.V.m. § 3 Nr. 3 b ALG II-Verordnung abzusetzen seien.

5

Im Laufe des Verwaltungsverfahrens erließ die Beklagte verschiedene Änderungsbescheide. Ein Änderungsbescheid erging am 07. September 2005. Hierdurch wurden für die Zeit vom 01. August 2005 bis zum 31. August 2005 Leistungen in Höhe von 567,03 EUR an die Bedarfsgemeinschaft erbracht. Begründet wurde dies damit, dass die Mieteinnahmen sich ab 10. August 2005 verringert hätten. Weiter erging ein Änderungsbescheid vom 19. Oktober 2005. Hierin wurden für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 31. Juli 2005 Leistungen in Höhe von 324,00 EUR und für die Zeit vom 01. August 2005 bis 31. August 2005 Leistungen in Höhe von 547,54 EUR erbracht. Begründet wurde dies damit, dass für die Zeit ab 01. Mai 2005 höhere Mieteinnahmen auf die ALG II-Leistungen anzurechnen seien. Darüber hinaus werde durch den Verkauf einer Wohnung zum 10. August 2005 lediglich noch eine Mieteinnahme als Einkommen angesetzt, so dass eine Überzahlung eingetreten sei. In einem weiteren Änderungsbescheid, ebenfalls vom 19. Oktober 2005 wurden der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01. September 2005 bis zum 28. Februar 2006 Leistungen in Höhe von 658,28 EUR bewilligt. Begründet wurde dies damit, dass für die Zeit ab 01. September 2005 höhere Mieteinnahmen auf die Leistungen anzurechnen seien. Für die Monate September und Oktober 2005 sei daher eine Überzahlung eingetreten. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid werde insoweit aufgehoben.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2005 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück, soweit ihnen nicht bereits durch die Änderungsbescheide abgeholfen worden war. Begründet wurde dies damit, dass bei der Vermietung von Räumen, soweit keine anderweitigen Nachweise erbracht werden, für die Bewirtschaftung 1% der Bruttoeinnahmen abgesetzt werde. Daneben würden für Instandsetzung und Instandhaltung 10% der Bruttoeinnahmen als Ausgaben berücksichtigt. Diese Absetzungen seien in den Änderungsbescheiden vorgenommen worden. Anteilige Schuldzinsen könnten jedoch nicht berücksichtigt werden. Die Auffassung, es sei ein Darlehensbetrag in Höhe von 30% der Einnahmen aus Vermietung zu berücksichtigen, sei unzutreffend. Es würden Zinsen aktuell nicht gezahlt. Damit sei eine Absetzung bei den Einnahmen aus Vermietung nicht möglich. Soweit der Kläger sich auf § 3 Abs. 3 b ALG II-Verordnung berufe, treffe dies nicht den vorliegenden Sachverhalt.

7

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 23. November 2005 Klage beim Sozialgericht Lüneburg.

8

Er trägt vor, der Abzug lediglich von 1% Bewirtschaftungskosten und 10% Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten sei zu gering. Es seien die anteiligen Schuldzinsen zu berücksichtigen. Die Sparkasse I. verrechne die an sie abgeführten Mieten ausschließlich auf das Darlehenskapital. Frau J. werde aus dem Wohnungseigentum mit Zinsen belastet, aus denen banktechnisch im Wege der Umwandlung wieder geschuldetes Kapital werde. Im vorliegenden Fall müssten daher gem. § 11 SGB II durchaus Schuldzinsen auf die Tilgungsleistungen angerechnet werden. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, er gehe im Gegensatz zu seinem schriftsätzlichen Vortrag nunmehr davon aus, dass keinerlei Einnahmen aus Vermietung angerechnet werden dürften.

9

Der Kläger beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 14. Juli 2005 und vom 22. August 2005 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Oktober 2005, diese wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 01. Mai 2005 bis zum 28. Februar 2006 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Mieteinnahmen als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II zu zahlen.

10

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung verweist sie auf ihre Verwaltungsakten sowie die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage hat Erfolg.

13

Die Bescheide der Beklagten vom 14. Juli 2005 und vom 22. August 2005 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 19. Oktober 2005, diese wiederum in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2005 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, so dass dieser einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung der vollen Regelleistung ohne Abzüge aufgrund von Einkommen aus Vermietung und Verpachtung für den streitbefangenen Zeitraum hat.

14

Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind bei der Berechnung der Regelleistung als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Die Einnahmen aus der laufenden Miete sind grundsätzlich als Einkommen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen.

15

Erforderlich für die leistungsschädliche Berücksichtigung von Einnahmen ist jedoch, dass diese als "bereite Mittel" dem Hilfebedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehen. Aufwendungen, welche die (bedarfsbezogene) Verwendungsmöglichkeit der Einnahmen unmöglich machen, führen deshalb dazu, dass entsprechende Einnahmen nicht als Einkommen im Sinne der §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 9 Abs. 2 S. 1, 11 SGB II zu berücksichtigen sind (so bereits die herrschende Meinung zur vergleichbaren Vorschrift des § 76 Bundessozialhilfegesetz - BSHG, vergleiche die Hinweise bei Brühl in LPK - SGB XII, § 82, Randnr. 35). Dies ist beispielsweise bei Pfändungen der Fall, denn im Umfang der Pfändung bekäme ein Verpflichteter das erarbeitete Entgelt nicht zu seinen Händen. Er hätte es daher tatsächlich nicht zur Verfügung und könnte es zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes nicht einsetzen (vergl. Rechtsprechung des Landessozialgerichts, Beschlüsse vom 05. Oktober 2005 - L 8 AS 48/05 ER - und vom 07. Februar 2006 - L 8 AS 167/05 ER - und Urteil vom 21. Juni 2007 - L 8 AS 271/05 -).

16

Im vorliegenden Fall hatte die Ehefrau des Klägers als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Einnahmen aus der Vermietung der Eigentumswohnungen, die sich in dem Gebäude in H. befanden, das zuvor von dem Kläger und seinem Geschäftspartner als gastronomisches Unternehmen betrieben worden war. Die Mieteinnahmen wurden jeweils fortlaufend in voller Höhe an die Sparkasse I. abgeführt. Dabei wurde der Mietzins entsprechend der Regelung in § 497 Abs. 3 BGB auf die Darlehensschuld gezahlt und auf diese angerechnet.

17

Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, besteht für die Eigentumswohnungen ein Grundpfandrecht der Sparkasse. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger zwar, es sei im streitbefangenen Zeitraum keine Zwangsverwaltung der Sparkasse aufgrund des Grundpfandrechtes herbeigeführt worden. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass, sobald der Kläger oder seine Frau in der Weise über das Konto verfügt hätten, dass die Miete nicht mehr an die Sparkasse, sondern an sie selbst weitergeleitet worden wäre, die Sparkasse von dem Grundpfandrecht unverzüglich Gebrauch gemacht hätte. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Sparkasse hiervon hätte Abstand nehmen sollen.

18

Unter diesen Umständen war es dem Kläger und seiner Ehefrau nicht zuzumuten, tatsächlich die Miete so lange einzubehalten, bis die Sparkasse von ihrem Grundpfandrecht durch Herbeiführung einer Zwangsverwaltung Gebrauch gemacht hätte. Das Pfandrecht an dem Grundstück und die diesem zugrunde liegende Schuld bestand unstreitig zu Gunsten der Sparkasse. Diese war aufgrund des Grundpfandrechtes prinzipiell berechtigt, die Miete einzubehalten. Ob zur Herbeiführung dieses Zwecks ein offizielles Zwangsverwaltungsverfahren herbeigeführt wurde, ist nach Auffassung der Kammer nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, dass der Kläger und seine Ehefrau keine Möglichkeit hatten, die Pfändung der laufenden Miete dauerhaft und rechtmäßig zu verhindern.

19

Eine Absetzung der Mietzahlung von dem laufenden Einkommen scheitert daher daran, dass diese nicht als "bereite Mittel" dem Kläger und seiner Ehefrau zur Verfügung standen. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.