Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 16.07.2008, Az.: S 26 AY 21/08 ER

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
16.07.2008
Aktenzeichen
S 26 AY 21/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 44846
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2008:0716.S26AY21.08ER.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat die 26. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg am 16. Juli 2008

durch den Richter Gille - Vorsitzender -

beschlossen:

Tenor:

  1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 30. Mai 2008 bis längstens 30. November 2008, wenn zuvor keine Entscheidung in der Hauptsache ergeht, Grundleistungen nach §§ 3 bis 7 A-SylbLG im gesetzlichen Umfang zu gewähren.

  2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

  3. Dem Antragsteller wird für das Verfahren des ersten Rechtszuges Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sürig, Bremen, bewilligt.

GRÜNDE

1

I.

Der Antragsteller erstrebt vom Antragsgegner die Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3 bis 7 AsylbLG.

2

Der 1984 geborene Antragsteller ist ivorischer Abstammung, sein Aufenthalt im Bundesgebiet wird geduldet. Er bezog zunächst Grundleistungen nach §§ 3 bis 7 AylbLG. Am 29. April 2008 wurde er aus der Haft entlassen und erhielt Bargeld in Höhe von 843,05 Euro (Bl. 17 der Gerichtsakte).

3

Der Antragsteller stellte am 08. Mai 2008 einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach denn AsylbLG.

4

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13. Mai 2008 ab (Bl. C64 bis 66 der Verwaltungsakte) und begründete dies damit, dass er bei Haftentlassung Bargeld von 843,05 Euro erhalten habe.

5

Dagegen legte der Antragsteller am 20. Mai 2008 Widerspruch ein (Bl. C68 bis 69 der Verwaltungsakte).

6

Er hat am 30. Mal 2008 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Er trägt vor:

7

Er könne nicht über den Betrag von 843,05 Euro verfügen, weil er am 01. Mai einen Betrag von 800,- Euro an Herrn ... gezahlt habe. Dieser habe ihm einen Betrag von 1 000,- Euro zur Zahlung einer Geldstrafe geliehen.

8

Der Antragsteller beantragt,

  1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.

9

Der Antragsgegner beantragt,

  1. den Antrag abzulehnen.

10

Er trägt vor:

11

Die Behauptung der Rückzahlung sei unglaubhaft.

12

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung des Herrn ....

13

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

14

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

15

Nach § 86b Absatz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des I. Rechtzuges.

16

Voraussetzung für den Erlass der hier vom Antragsteller begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Absatz 2 ZPO). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Mai 2005, - 1 BvR 569/05 -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes vom 29. Juni 2005, - L 7 AS 1/05 ER -, und vom 12. Februar 1997, - L 7 AS 225/06 ER -; Berlit, info also 2005, 3, 8).

17

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft dargelegt. Ein Anspruch auf Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3 bis 7 AsylbLG ist überwiegend wahrscheinlich.

18

Der Antragsteller ist aufgrund der Duldung gemäß § 1 Absatz 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigt. Es besteht ein Anspruch auf Grundleistungen, weil der Antragsteller bislang nicht 48 Monate Grundleistungen erhalten und nach § 7. Absatz 1 AsylbLG i.V.m. SGB XII leistungsberechtigt ist.

19

Der Antragsteller hat auch Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht. Denn er verfügt über kein Einkommen im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 1 AsylbLG.

20

Die Weggabe eines Betrages von 800,- Euro an Herrn ... am 01. Mai 2008 wurde glaubhaft gemacht. Dessen eidesstattliche Versicherung stützt den Vortrag des Antragstellers. Zumindest im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Glaubhaftigkeit der eidesstattlichen Versicherung. Die Darlehensgewährung in Höhe von 1 000,- Euro ist durch den Überweisungsbeleg an die Staatsanwaltschaft Lüneburg belegt (Bl. 23 der Gerichtsakte). Die Kammer geht nicht davon aus, dass es sich um eine Schenkung an den Antragsteller handelte. Der Vortrag des Antragstellers ist insoweit schlüssig und wird durch die eidesstattliche Versicherung und den Zahlungsbeleg gestützt.

21

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft dargelegt, weil er mittellos ist und seinen laufenden Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, die begehrten Leistungen mithin Existenz sichernden Charakter haben. Hierzu hat das Landessozialgericht Hessen in einem Beschluss vom 07. November 2006 (- L 7 AS 200/06 ER -) ausgeführt:

"Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Beschluss des Landessozialgerichtes Hessen vom 29. Juni 2005, - L 7 AS 1/05  ER-; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86b, Rd. 27 und 29 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann."

22

Bei Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Leistungsgewährung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Gericht abzustellen (vgl. Beschlüsse des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen vom 28. April 2005, - L 8 AS 57/05 ER -, und vom 24. August 2005, - L 8 SO 78/05 ER -). Wegen der Vorläufigkeit des Eilverfahrens spricht das Gericht keine Leistungen für die Vergangenheit zu (vgl. Conradis in LPK-SGB II, Anhang Verfahren Rd. 121; Krodel NZS 2007, 20, 21). Der Zeitraum davor kann nur im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden (vgl. Beschluss des Hessischen Landessozialgerichtes vom 19. Juni 2005. - L 7 AS 1/05 ER -, info also 2005, 169, 174; Beschluss des Landessozialgerichtes Baden - Württemberg vom 17. August 2005, - L 7 SO 2117/05 ER - B -).

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.

24

Prozesskostenhilfe war gemäß §§ 73a SGG, 114 f. ZPO wegen der Erfolgsaussicht zu gewähren.

Gille