Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 26.06.2008, Az.: S 27 AS 800/08 ER

Objektive Beweislast des Antragstellers für das Vorliegen eines wirksamen Antrags auf Grundsicherungsleistungen

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
26.06.2008
Aktenzeichen
S 27 AS 800/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 34624
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2008:0626.S27AS800.08ER.0A

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Die Antragsteller begehren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum 01.04. bis 08.05.2008.

2

Die Antragsteller bezogen laufend Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.

3

Mit Bescheid vom 15.01.2008 wurden ihnen von der Antragsgegnerin Grundsicherungsleistungen bis zum 31.03.2008 in Höhe von insgesamt 1.406,50 Euro bewilligt.

4

Mit Schreiben vom 08.02.2008 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der laufende Bewilligungszeitraum am 31.03.2008 auslaufe. Für eine weitere Leistungsbewilligung müssten die Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüft werden. Die Antragsgegnerin wies darauf hin, dass Leistungen frühestens ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung gewährt werden würden. Der Fortzahlungsantrag müsse daher rechtzeitig vor Ablauf des aktuellen Bewilligungsabschnittes eingereicht werden.

5

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Weiterbewilligungsantrag am 04.04.2008 durch die Antragstellerin zu 1. eingereicht wurde. Er ist zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht in die Leistungsakte der Antragsgegnerin gelangt.

6

Am 09.05.2008 reichte die Antragstellerin zu 1. persönlich einen Weiterbewilligungsantrag bei der Antragsgegnerin ein.

7

Mit Bescheid vom 15.05.2008 gewährte die Antragsgegnerin den Antragstellern wieder Grundsicherungsleistungen ab dem 09.05.2008 bis zum 31.10.2008.

8

Die Antragsteller haben am 21.05.2008 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

9

Sie meinen, ihnen stünden Leistungen bereits ab dem 01.04.2008 zu. Die Antragstellerin zu 1. trägt vor, sie habe am 04.04.2008 einen ausgefüllten Weiterbewilligungsantrag in den Hauspostkasten der Antragsgegnerin geworfen.

10

Die Antragsteller beantragen,

der Antragsgegnerin aufzugeben, Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2008 bis 09.05.2008 zu gewähren.

11

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

12

Sie meint, Leistungen könnten gem. § 37 Abs. 2 SGB II nicht vor Antragstellung erbracht werden. Die Antragsteller seien mit dem Schreiben vom 08.02.2008 darüber aufgeklärt wurden, dass der Bewilligungsabschnitt ausläuft und rechtzeitig ein erneuter Antrag gestellt werden müsse. Dies sei erst am 09.05.2008 geschehen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Prozessakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin (25102BG0006575) Bezug genommen.

14

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gem. § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, aber unbegründet.

15

Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie des Anordnungsgrunds - die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung - ZPO -).

16

Steht dem Antragsteller ein von ihm geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, hat der Antragsteller Anspruch auf die beantragte Leistung im Wege vorläufigen Rechtsschutzes. Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05).

17

Die Antragsteller konnten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft machen. Ihnen stehen gem. § 37 Abs. 1 SGB II Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende erst ab einer entsprechenden Antragstellung zu. Dieser Antrag ist nachweislich am 09.05.2008 gestellt worden.

18

Die Antragsteller konnten nicht glaubhaft machen, dass dieser Antrag tatsächlich schon am 04.04.2008 gestellt wurde. Für das Vorliegen eines wirksamen Antrags auf Grundsicherungsleistungen trägt der Antragsteller die objektive Beweislast (Hünecke in: Gagel, SGB III/SGB II, § 37 SGB II, Rn. 50). Allein die Aussage, einen entsprechenden Antrag in den Hauspostkasten der Antragsgegnerin geworfen zu haben, ohne hierfür noch Zeugen oder anderer Beweismittel benennen zu können, reicht nicht aus.

19

Die Antragsgegnerin ging zwar in der Vergangenheit selbst davon aus, dass bei einem verspäteten Eingang eines Fortzahlungsantrages der Erstantrag dergestalt fortwirkt, dass zu prüfen war, ob Hilfebedürftigkeit durchgehend vorgelegen hat. War dies der Fall, so wurden Leistungen auch für den Zeitraum gewährt, der zwischen Ablauf des Bewilligungszeitraumes und Abgabe des nächsten Fortzahlungsantrages lag (vgl. fachliche Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 37 SGB II i.d.F. v. 17.04.2007, Rdnr. 37.11b).

20

Die nunmehr von der Antragsgegnerin vollzogene Abkehr von diesem Verwaltungshandeln begegnet jedoch rechtlich keinen Bedenken. § 37 SGB II setzt für Leistungen der Grundsicherung zwingend einen Antrag voraus. Gem. § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II werden derartige Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht, es sei denn, der zuständige Leistungsträger hat nicht geöffnet hat und der entsprechende Antrag wird unverzüglich nachgeholt. Insoweit geht aus den Gesetzesmaterialen hervor, dass der Antrag auf Leistungen konstitutive Wirkungen haben soll. Auf die Kenntnis des Leistungsträgers von der Hilfebedürftigkeit soll es anders als im Sozialhilferecht nicht ankommen (BT-Drucks. 15/1516, S. 62).

21

Dies muss nach Ansicht der Kammer nicht nur für den Erstantrag, sondern auch für alle weiteren Anträge gelten. Gemäß § 41 Abs. 1 S. 4 werden die Leistungen grundsätzlich für sechs Monate erbracht. Danach endet der Bewilligungszeitraum und die Voraussetzungen für die Leistungserbringung sind neu zu prüfen. Nach Ablauf des Bewilligungsabschnittes wird daher ein neuer Fortzahlungsantrag notwendig (Sozialgericht Hildesheim , Urteil v. 18.04.2008, Az.: S 33 AS 1465/06 - nicht rechtskräftig; Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 37, Rdnr. 19). Die Kammer schließt sich hierbei nicht der vereinzelt vertretenen Meinung an, dass der Erstantrag auf Grundsicherungsleistungen über das Ende des Bewilligungszeitraumes hinaus wirkt (Sozialgericht Reutlingen , Urteil v. 13.12.2007, Az. S 3 AS 3000/07 - [...]; wohl auch Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage 2005, § 37, Rn. 19). Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur ehemaligen Arbeitslosenhilfe kann nach Ansicht der Kammer hierfür nicht herangezogen werden, da es sich bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende um vollständig eigene Regelungen handelt. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige sollte für den betroffenen Personenkreis ein neues Regelungssystem geschaffen werden, dass die Gleichartigkeit der Grundvoraussetzungen auf Seiten der Hilfebedürftigen beachtet und für eine bessere Betreuung sorgen soll (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 43ff.)

22

Etwas anderes kann auch nicht auf Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches gelten, denn dessen Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar würde dieser dazu führen, dass bei einem Beratungsfehler des Leistungsträgers eine frühere Antragstellung fingiert würde (Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 37, Rdnr. 22). Die Antragsgegnerin hat die Antragsteller jedoch mit dem Schreiben vom 08.02.2008 ausführlich darauf hingewiesen, dass ein Fortzahlungsantrag vor Ablauf des Bewilligungsabschnittes notwendig sei, so dass kein Beratungsfehler seitens der Antragsgegnerin vorliegt. Das Schreiben enthielt sämtliche notwendigen Informationen und wurde auch rechtzeitig vor Ende des Bewilligungszeitraums versendet.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.