Landgericht Hannover
Beschl. v. 12.12.2008, Az.: 20 T 153/08

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
12.12.2008
Aktenzeichen
20 T 153/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 43748
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2008:1212.20T153.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 11.09.2008 - AZ: 907 IN 442/02 -O-

Fundstellen

  • VuR 2009, 397
  • ZInsO 2009, 207-208 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

In dem Restschuldbefreiungsverfahren

...

hat die 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 23./24.09.2008 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - Hannover vom 11.09.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht ..., die Richterin am Landgericht ... und die Richterin am Landgericht ...

am 12. Dezember 2008 beschlossen:

Tenor:

  1. Das Verfahren wird der Kammer zur Entscheidung übertragen, § 568 ZPO.

  2. Der Beschluss des Amtsgerichts vom 11.09.2008 wird aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I.

Am 04./05.04.2002 stellte der Schuldner Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie auf Restschuldbefreiung.

2

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover - Insolvenzgericht - vom 01.07.2002 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners als Inhaber des Gewerbebetriebes mit der Geschäftsbezeichnung ... eröffnet und ... zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Schuldner gab auf entsprechende gerichtliche Aufforderung am 05./08.07.2002 die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 S. 1 InsO ab. Am 11.09.2002 fand Termin zur ersten Gläubigerversammlung und Prüfungstermin statt.

3

Unter dem 28.06.2005 erklärte der Insolvenzverwalter ... dem Amtsgericht gegenüber die Niederlegung seiner Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen. Daraufhin wurde mit Beschluss vom 01.07.2005 Rechtsanwalt ... zum Insolvenzverwalter ernannt. Am 31.08.2005 fand eine besondere Gläubigerversammlung statt. In seinem Bericht vom 30.08.2005 vermutet der neue Insolvenzverwalter, dass ein bei der Commerzbank Hannover angelegtes Festgeldkonto mit einem Guthabenbetrag von 121 111,60 EUR per 30.06.2005 veruntreut worden sei. Die weitere Verfahrensdauer werde im Wesentlichen vom Verlauf des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Insolvenzverwalters ... abhängen. In den Sachstandsberichten vom 09.03.2006 und 16.10.2006 teilte Insolvenzverwalter ... mit, dass die Verfahrensdauer des hiesigen Verfahrens weiterhin von der Verfahrensdauer des Insolvenzverfahrens ... sowie von der Geltendmachung der Ansprüche gegen die Commerzbank abhänge.

4

Mit Beschluss vom 13.02.2007 ordnete das Insolvenzgericht die Prüfung der nach Ablauf der Anmeldefrist angemeldeten Forderungen im schriftlichen Verfahren an, § 177 Abs. 1 S. 2 InsO. In seinem Sachstandsbericht vom 11.01.2008 teilte der Insolvenzverwalter mit, dass bezüglich der Ansprüche gegen die ... vor Weihnachten 2007 Klage eingereicht worden sei. Der Ausgang hiesigen Insolvenzverfahrens werde weiter vom Ausgang des Insolvenzverfahrens ... sowie vom Ausgang des Prozesses gegen die ... abhängen.

5

Am 21.07.2008 stellte der Schuldner den Antrag auf Restschuldbefreiung mit der Begründung, dass die Wohlverhaltensphase nach sechs Jahren am 01.07.2008 abgelaufen sei. Zwar sei das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen, dies sei jedoch keine Voraussetzung für die Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 300 Abs. 1 InsO). Er fügte seinem Antrag ein Schreiben des jetzigen Insolvenzverwalters vom 15.07.2008 bei, in dem dieser mitteilt, die Wohlverhaltensphase sei am 01.07.2008 abgelaufen; da das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen sei, habe der Schuldner selbst die Möglichkeit, beim Amtsgericht einen Antrag auf Restschuldbefreiung auch ohne Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu stellen.

6

Das Insolvenzgericht wies mit Verfügung vom 24.07.2008 den Schuldner darauf hin, dass eine Erteilung der Restschuldbefreiung zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht komme. Das Insolvenzverfahren sei noch nicht abgeschlossen, eine Ankündigung der Restschuldbefreiung sei nicht erfolgt. Die Abtretungserklärungslaufzeit beginne erst mit der Aufhebung des Verfahrens. Da die Laufzeit der Abtretung aufgrund der fehlenden Verfahrensaufhebung noch nicht begonnen habe, könne eine Anrechnung ebenfalls nicht erfolgen.

7

Der Insolvenzverwalter ... hierzu in seinem Schreiben vom 06.08.2008, dass eine Restschuldbefreiung unabhängig von dem Verfahrensende erteilt werden könne und verweist auf entsprechende Kommentarstellen. Er sei der Meinung, dass es nicht dem Schuldner angelastet werden könne, wenn sich die Verfahrensbeendigung aufgrund insolvenzrechtlicher Besonderheiten verzögert, zumal dies im vorliegenden Fall nur deswegen der Fall sei, weil der vormalige Insolvenzverwalter Beträge veruntreut habe.

8

Der Schuldner teilte mit Schreiben vom 15./18.08.2008 erneut seine Auffassung mit, dass ihm Restschuldbefreiung bereits vor Beendigung des Insolvenzverfahrens zu erteilen sei.

9

Mit Beschluss vom 11.09.2008 hat das Amtsgericht den Antrag des Schuldners vom 21.07.2008 auf Restschuldbefreiung zurückgewiesen. Eine Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht getroffen werden, weil das Insolvenzverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Das Verfahren sei nicht abschlussfähig, weil die Insolvenzmasse nicht vollständig verwertet sei und gemäß § 169 InsO keine Schlussverteilung erfolgen könne. Da die Laufzeit der Abtretung aufgrund der fehlenden Verfahrensaufhebung noch nicht begonnen habe, sei die Erteilung der Restschuldbefreiung derzeit nicht möglich. Über den Antrag des Schuldners könne erst, nach vollständiger Verwertung der Insolvenzmasse (Durchsetzung der Ansprüche gegen die Commerzbank und Herrn M....) entschieden werden.

10

Gegen diesen, dem Schuldner am 22.09.2008 zugestellten Beschluss hat der Schuldner am 23./24.09.2008 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Restschuldbefreiungsverfahren sei ein gegenüber dem Insolvenzverfahren eigenständiges Verfahren. Die nicht erfolgte Ankündigung der Restschuldbefreiung sei hier entbehrlich, weil die sechsjährige Laufzeit der Abtretungserklärung bereits abgelaufen sei. Jedenfalls wären die Voraussetzungen für die Ankündigung der Restschuldbefreiung gegeben. Erforderlich hierfür wäre, wie sich aus § 289 Abs. 3 InsO ergibt, nicht die Durchführung des Insolvenzverfahrens bis zur Schlussverteilung. Die Entscheidung über die Restschuldbefreiung könne bereits vor dem Schlusstermin ergehen. Die Restschuldbefreiung sei insbesondere unabhängig davon zu erteilen, ob und in welcher Höhe die Gläubiger während der Wohlverhaltensperiode befriedigt worden seien. Faktisch werde eine Trennung der Vermögensmassen vorgenommen werden in Vermögensmasse Insolvenzverfahren sowie eine freie Vermögensmasse. Die Versagung der Restschuldbefreiung bedeute zudem für den Schuldner eine unzumutbare Härte, weil er für die Verzögerung nicht verantwortlich sei.

11

Das Amtsgericht Hannover - Rechtspflegerin - hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 29.10.2008 aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen.

12

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 6, 289 Abs. 2 S. 1 InsO statthaft.

13

Das Amtsgericht hat den Antrag des Schuldners vom 21.07.2008 deshalb zurückgewiesen, weil vor Abschluss des Insolvenzverfahrens noch keine Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung getroffen werden könne. Damit hat das Amtsgericht die Zulässigkeit des Antrags zum jetzigen Zeitpunkt verneint. Dieser Beschluss stellt eine anfechtbare Entscheidung des Insolvenzgerichts dar. Mit der sofortigen Beschwerde kann der Schuldner nämlich nicht nur jede Versagung der Restschuldbefreiung angreifen, sondern auch die Verwerfung des Antrags auf Erteilung der Restschuldbefreiung als unzulässig ( OLG Köln, Beschluss vom 04.10.2000 - 2 W 198/00; LG Bochum, Beschluss vom 23:05.2007 - 10 T 22/07).

14

III.

Die Beschwerde hat insofern Erfolg, als der angefochtene Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung zurückzuverweisen war.

15

Vorliegendes Insolvenzverfahren ist nach dem 01.12.2001 eröffnet worden, so dass gemäß § 287 InsO n.F. die Laufzeit der Abtretungserklärung sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beträgt. Die Zeitspanne der Abtretungserklärung beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und endet sechs Jahre danach (Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung-Ahrens, 4. Aufl., § 300 Rz. 4). Abweichend von der früheren Rechtslage bestimmt sich die Dauer der Treuhandzeit nunmehr aus der sechsjährigen Laufzeit der Abtretungserklärung abzüglich der Dauer des Insolvenzverfahrens, so dass bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens feststellbar ist, wann das Restschuldbefreiungsverfahren bei regelmäßigem Verlauf endet.

16

In der Regel erfolgt nach dem Schlusstermin die Ankündigung der Restschuldbefreiung sowie die Bestellung eines Treuhänders, womit die Wohlverhaltensperiode beginnt. Eine Entscheidung über die Restschuldbefreiung erfolgt dann, sofern kein Fall einer vorzeitigen Beendigung eintritt, nach Ablauf der Abtretungserklärung.

17

Vorliegend liegt indes der Ausnahmefall vor, dass die Frist der Abtretungserklärung bereits vor Ankündigung der Restschuldbefreiung verstrichen ist. In diesem Fall hat das Insolvenzgericht gemäß § 300 InsO eine Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung zu treffen. Ein Hinauszögern der Entscheidung bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens ist nicht zulässig (Uhlenbruck-Vallender, InsO, 12. Aufl., § 287 Rz. 49). Eine Ankündigung der Restschuldbefreiung ist in diesem Fall entbehrlich (Frankfurter Kommentar, a.a.O., § 300 Rz. 5a; § 289 Rz. 15b). Das Gericht hat also den Schlusstermin nicht abzuwarten. Die Beteiligten sind aber zum Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung anzuhören. Im Regelinsolvenzverfahren hat die Anhörung in einer eigens dafür anberaumten Gläubigerversammlung zu erfolgen, während im Verbraucherinsolvenzverfahren auch eine schriftliche Anhörung möglich ist (Uhlenbruck, a.a.O.).

18

Die Kammer schließt sich der vorgenannten, von der Kommentarliteratur (soweit vorliegende Konstellation in den Kommentierungen überhaupt behandelt wird) vertretenen Auffassung an. Dafür spricht zum einen der Wortlaut des § 287 Abs. 2 S. 1 InsO, aber auch die gesetzgeberischen Gründe für die Neufassung des § 287 Abs. 2 S. 1 InsO.

19

Aus dem Bericht des Rechtsausschusses (BT-Drucksache 14/6468 Ziff.  IV 5, S. 18) zur Neufassung des § 287 InsO ergibt sich, dass den Schuldnern dadurch geholfen werden sollte, dass zum einen die Wohlverhaltensperiode auf sechs Jahre abgekürzt und zum anderen die Laufzeit der Abtretung nicht erst mit der Aufhebung, sondern bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt. In der Begründung des Rechtsausschusses (a.a.O.) heißt es hierzu: "Die Festlegung des Beginns der Laufzeit der Abtretung auf die Verfahrenseröffnung beseitigt die für den Schuldner völlig unbefriedigende Situation, dass sich in Einzelfällen das Insolvenzverfahren über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckt, ohne dass nennenswerte Vermögenswerte des Schuldners feststellbar wären oder er für diese Verfahrensverzögerung verantwortlich wäre. Auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten ist es kaum vermittelbar, wenn in ähnlich gelagerten Fällen ein Schuldner deutlich später in das Restschuldbefreiungsverfahren gelangt als ein vergleichbarer anderer. Insofern ist es geboten, die Laufzeit der Abtretung mit einem Ereignis beginnen zu lassen, das einerseits leicht feststellbar, andererseits von der Dauer des Insolvenzverfahrens, die teilweise auch durch die Gerichtsbelastung beeinflusst wird, unabhängig ist."

20

Mit der Neufassung des § 287 Abs. 2 S. 1 InsO sollte also eine deutliche Erleichterung und Klarheit für den Schuldner geschaffen werden. Zugleich soll eine Benachteiligung des Schuldners durch eine seinem Verantwortungsbereich entzogene überlange Verfahrensdauer vermieden werden. Vorliegend hat die problematische Tätigkeit des zunächst bestellten Insolvenzverwalters Mühl dazu geführt, dass das Insolvenzverfahren nach über sechs Jahren Dauer noch nicht abgeschlossen ist. Dem Schuldner soll dies aber nicht angelastet werden, so dass es auch dem Sinn und Zweck der Neuregelung entspricht, wenn Insolvenzgericht eine Entscheidung übenden Antrag auf Restschuldbefreiung bereits vor Abschluss des Insolvenzverfahrens zu treffen hat.

21

Die Kammer verweist das Verfahren entsprechend der vorgenannten Ausführungen gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurück, weil es noch nicht entscheidungsreif ist. Bevor über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung analog § 300 InsO entschieden werden kann, ist zunächst die erforderliche Anhörung der Gläubiger durchzuführen.

22

Anzumerken ist noch, dass bei der nach erfolgter Anhörung zu treffenden Entscheidung § 300 Abs. 2 InsO dahingehend zu modifizieren ist, dass anstelle der §§ 296 bis 298 InsO die Versagungsmöglichkeit des § 290 InsO tritt (Frankfurter Kommentar, § 300 Rz. 5a). Im Falle der Erteilung der Restschuldbefreiung beendet diese das laufende Insolvenzverfahren nicht. Vielmehr hat nach der letzten Abtretungsperiode die Schlussverteilung zu erfolgen. Nach Abhaltung des Schlusstermins ist das Verfahren aufzuheben. Auf die nach Rechtskraft des Beschlusses gemäß § 300 InsO entstehenden pfändbaren Bezüge des Schuldners darf der Insolvenzverwalter nicht mehr zurückgreifen. Ein Verwertungsrecht steht ihm nach Rechtskraft des Beschlusses, mit dem Restschuldbefreiung erteilt wird, nicht mehr zu (Uhlenbruck, a.a.O., vgl. auch Frankfurter Kommentar, a.a.O.).